Hinweise des Tages

Jens Berger
Ein Artikel von:

Hier finden Sie einen Überblick über interessante Beiträge aus anderen Medien und Veröffentlichungen. Wenn Sie auf “weiterlesen” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (JK/WL/JB)

Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert:

  1. Stephan Hebel – Fliegt doch, ihr politischen Betrüger!
  2. NSA-Überwachung so gut wie nutzlos im Anti-Terror-Kampf
  3. Banken
  4. Ursula Engelen-Kefer – Bayerischer Stammtisch und die Willkommenskultur
  5. Wirtschaftspolitisches Vakuum
  6. Angst vor Deflation und Überschuldung
  7. Europe’s left has seen how capitalism can bite back
  8. Hoeneß soll sieben Jahre Steuern hinterzogen haben
  9. Die EU ist ein Hebel zur Zerstörung der Demokratie
  10. Die guten Arbeiter von Amazon
  11. „Fachkräftemangel“ – gibt es den überhaupt?
  12. »Ich fürchte, dass unbezahlte Bürgerarbeit eingeführt wird«
  13. Die letzten Mieter oder bleib doch, wenn du kannst
  14. Bommel aus toten Katzen statt aus Polyester
  15. Deutsche Bahn, Lebenslüge der Republik
  16. Das neue Gesinde des Hauses Deutschland
  17. Attention OECD-PISA: Your Silence on China is Wrong

Vorbemerkung: Wir kommentieren, wenn wir das für nötig halten. Selbstverständlich bedeutet die Aufnahme in unsere Übersicht nicht in jedem Fall, dass wir mit allen Aussagen der jeweiligen Texte einverstanden sind. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.

  1. Stephan Hebel – Fliegt doch, ihr politischen Betrüger!
    Wieder wird ein Wunsch von Angela Merkel wahr: Man wolle jetzt arbeiten, hat sie im Dezember gesagt, als die Große Koalition endlich in Amt und Würden war. Jetzt ist es so weit: Der Bundestag hat seine erste Sitzungswoche im neuen Jahr, und zum ersten Mal seit der Wahl vor fast vier Monaten steht dem Parlament eine aktiv tätige Regierung gegenüber.
    Die Opposition im Hohen Haus ist zwar klein. Aber ein zugkräftiges Motto hätten sie schon, die Linken und die Grünen. Nämlich: Wer betrügt, der fliegt.
    Der Slogan ist zwar geklaut, ausgerechnet von der Regierungspartei CSU. Aber die hat es anders gemeint. Sie sprach nicht von Wahlbetrug.
    Wer betrügt, der fliegt: So, wie er zum Jahreswechsel in die Welt kam, diente der Spruch dem Seehoferschen Salonrassismus, der populistischen Bedienung von Angst- und Abwehrgefühlen gegenüber zuwandernden Bulgaren und Rumänen.
    Schon gleich, nachdem die Parole bekannt geworden war, zeigte vor allem die Twittergemeinde, dass man damit auch Sinnvolles anfangen kann. Schnell war der Satz “Wer betrügt, der fliegt” in die Fotografien bayerischer Spezis montiert: Seehofer, bekennender Vater eines außerehelichen Kindes, im Flugzeug. Uli Hoeneß, bekennender Steuerbetrüger, an der Gangway. Und dazu der eine oder andere Abgeordnete des bayerischen Landtags, der auf Staatskosten einen Verwandten beschäftigt hat. Ganz legal, wie man in Bayern gern hinterher bescheinigt.
    Das waren diejenigen Fälle, in denen ein bestimmtes Opfer auszumachen war, sei es die Ehefrau, der Fiskus oder der Freistaat Bayern. So richtig ergiebig aber wird es, wenn man die Maßgabe “Wer betrügt, der fliegt” auf eine politische Deliktgruppe ausdehnt, die landläufig “Wahlbetrug” heißt. Dann nämlich hat das Opfer einen anderen Namen: Demokratie.
    Quelle: Deutschlandradio Kultur
  2. NSA-Überwachung so gut wie nutzlos im Anti-Terror-Kampf
    Die massenhafte Telefonüberwachung durch den US-Nachrichtendienst NSA hat bislang nur wenig dazu beigetragen, Anschläge zu vereiteln. Zu diesem Ergebnis kommt ein unabhängiges politisches Forschungsinstitut in den USA. Wie die Washington Post berichtet, hat die New America Foundation 225 Terrorismus-Fälle seit den Anschlägen vom 11. September 2001 ausgewertet.
    Die Untersuchung habe ergeben, dass die Ermittlungen meistens durch traditionelle Strafverfolgungs- und Fahndungsmethoden angestoßen worden seien. Dagegen habe das Telefondaten-Sammeln der NSA “keinen erkennbaren Einfluss auf die Verhinderung von Terrorakten gehabt”.
    Der Studie zufolge lieferte das NSA-Programm in nur einem Fall die Hinweise, um Terrorermittlungen einzuleiten. Dabei sei es um einen Taxifahrer in San Diego gegangen. Dieser wurde demnach verurteilt, weil er einer Terrorgruppe in Somalia Geld geschickt hatte. Drei Komplizen seien ebenfalls verurteilt worden. Um einen drohenden Anschlag gegen die USA sei es aber nicht gegangen.
    “Im Großen und Ganzen liegt das Problem der Anti-Terror-Beamten nicht darin, dass sie größere Mengen Information aus den massenhaften Überwachungsprogrammen bräuchten, sondern darin, dass sie die Informationen, die sie bereits besitzen und die mit herkömmlichen Techniken gewonnen wurden, nicht ausreichend verstehen oder teilen”, heißt es der Zeitung zufolge in der Studie.
    Quelle: SZ
  3. Banken
    1. Baseler Experten stellen Schuldenbremse für Banken kalt
      Der Baseler Ausschuss hat nun beschlossen, die Leverage Ratio aufzuweichen und nicht mehr konsequent die Bruttorisiken anzusetzen. Insbesondere soll den Banken erlaubt werden, ihre Risiken in Zweckgesellschaften außerhalb ihrer Bilanz auszulagern sowie ihre Derivatepositionen in gewissem Umfang gegeneinander aufzurechnen. Bei Derivaten braucht auch nicht das maximale Bruttorisiko in die Berechnung der Leverage Ratio einfließen…
      Im Vergleich zu normalen Unternehmen, die ihre Aktivitäten typischerweise mit 30% Eigenkapital finanzieren, war bereits die lächerlich niedrige Quote von 3% ein gewaltiger Erfolg der Bankenlobby. Wenn jetzt diese Quote auch noch durch den typischen Baseler Verhandlungsprozess zwischen Regulatoren und Lobby mit Dutzenden von Ausnahmen ausgehöhlt wird, wird die gesamte Regulierung komplett ins Absurde gezogen.
      Was hier passiert ist so, wie wenn Politik und Industrie über fünf Jahre verhandeln würden, ob ein generelles Tempolimit auf Autobahnen in Höhe von 250 km/h eingeführt wird oder ob es noch Dutzende von Ausnahmen geben soll, die z.B. bei besonders im Detail zu regelnden Sicht- und Straßenbedingungen doch 320 oder 350 km/h erlauben würden.
      Quelle: Sven Giegold
    2. Banken mogeln bei Boni-Regeln
      Die Finanzaufsicht BaFin gibt vielen deutschen Großbanken schlechte Noten für den Umgang mit ihren Boni. Viele Institute nähmen die Beschränkungen für ihre Top-Mitarbeiter offenbar nicht richtig ernst, sagte Raimund Röseler, der bei der Behörde für den Bereich Banken verantwortlich ist.
      Nur bei vier von 15 Banken, die die BaFin im vergangenen Jahr untersucht habe, erreichten die Boni maximal die Höhe des Grundgehalts – wie es seit Jahresbeginn eigentlich EU-weit vorgeschrieben ist. Sieben Geldhäuser machten von einer Ausnahmeregel Gebrauch. Diese besagt, dass die Boni unter bestimmten Umständen doppelt so hoch wie die Fixgehälter sein dürfen. Die übrigen Institute hätten sogar diese Latte gerissen.
      “Wir sind mit keiner Bank vollständig zufrieden”, sagte Röseler. “Keine war gut, viele waren schlecht.” In Schulnoten ausgedrückt lägen die Bewertungen zwischen “befriedigend” und “ungenügend”.
      Oft passten die Boni nicht zu den für die ganze Bank vorgegebenen Zielen, kritisierte Röseler. Ändern würden die Institute diese Praxis nur auf Druck der Aufseher. Offenbar mogeln sich viele Banken um die Boni-Beschränkungen herum – etwa indem sie die Zahl jener Banker, die als “Risikoträger” gelten, künstlich verkleinern. Hintergrund: Die strengen Auflagen gelten bislang nur für diese Gruppe. In vielen Banken würden zurzeit nicht einmal Topmanager, die Schlüsselpositionen innehätten, als “Risikoträger” eingestuft, so Röseler.
      87 Bankmitarbeiter in Deutschland erhielten 2012 Millionengehälter, nur 40 davon wurden als “Risikoträger” gemeldet. “Für mich ist schleierhaft, dass einer eine Million verdient und keinen wesentlichen Einfluss auf die Risikosituation der Bank hat”, sagte Röseler. Angestellte deutscher Geldhäuser im Ausland – also etwa die Investmentbanker der Deutschen Bank in London – sind in dieser Rechnung noch gar nicht berücksichtigt.
      Quelle: ARD
    3. Die Macht der Finanzkonzerne
      Wenn Arbeiter in Deutschland auf die Straße gehen, weil ihre Firma die Löhne drücken will, oder Mieter in einer deutschen Großstadt gegen den Verfall ihrer Wohnungen kämpfen, dann stecken nicht selten dieselben Verursacher dahinter: Finanzkonzerne, deren Namen nur Insidern etwas sagen. Sie sind die eigentlich Mächtigen dieser Welt.
      Während die großen Banken im Scheinwerferlicht von Börsenkontrolle und Öffentlichkeit stehen, läuft ein großer Teil des Finanzgeschäfts heute im Verborgenen. Schattenbanken investieren und spekulieren mit Billionenbeträgen – ohne öffentliche Kontrolle. Ihre Macht umspannt den ganzen Globus. Sie lassen Staatsmänner nach ihrer Pfeife tanzen, dominieren die Wirtschaft.
      Ob US-Konzerne oder schwäbische Mittelständler, ob DAX-Unternehmen oder deutsche Immobiliengesellschaften: Die Finanzriesen stecken überall mit drin, sorgen für Renditedruck. Und der wirkt sich ganz unten aus. Plötzlich werden kleine Leute auf der ganzen Welt zu Spielbällen in den Händen derer, die mit Billionen jonglieren.
      Die “Story im Ersten” deckt Macht und Einfluss der Schattenbanken auf. Was und wen bewegen sie? Wessen Geld steckt eigentlich in diesen Geschäften – und welche Gefahren gehen von diesen Finanzkonzernen aus? Eine Spurensuche, die zu den eigentlichen Machtzentren dieser Welt führt.
      Quelle: ARD
  4. Ursula Engelen-Kefer – Bayerischer Stammtisch und die Willkommenskultur
    Während in der Bundesrepublik Demographie und Fachkräftemangel beklagt und eine “Willkommenskultur” angemahnt werden, übt sich Horst Seehofer, CSU Ministerpräsident von Bayern wieder einmal in dem Geschäft des demagogischen Stammtisches:
    “Wer betrügt, der fliegt”, ist das jüngste Schlagwort der CSU. Gemeint sind allerdings weder die hinterzogenen Steuermillionen von Fußballstar Ulli Hoeneß noch Spitzenpolitiker der CSU, die über Jahrzehnte Familienmitglieder auf Kosten der bayerischen Steuerzahler komfortabel unterhalten haben. Vielmehr geht es um die Menschen in Bulgarien und Rumänien. Denn für sie gilt ab Anfang des Jahres die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit. Und völlig unbeeindruckt von den Tatsachen wird einfach behauptet: Rumänen und Bulgaren, teilweise behaftet mit dem Menetekel der auch in ihren Ländern diskriminierten Roma, würden massenweise in die Bundesrepublik strömen, um die Sozialkassen zu plündern.
    Quelle: Wirtschaft und Gesellschaft

    passend dazu: Anschlag auf Asylheim: In Kreuth über Rassismus reden
    Seit Monaten warnt die CSU vor so genannten Armutsflüchtlingen. In Germering brennt nun ein Asylheim. Ob das Flüchtlingsheim in Germering bei München von einem Rassisten angezündet wurde, ist zwar noch unklar. Die Unterkunft ist aber nicht die erste ihrer Art, die in den letzten Monaten brannte. Und die öffentliche Aufmerksamkeit ist gering. Seit Monaten warnen Konservative vor vermeintlichen Armutsflüchtlingen aus Südosteuropa. Zahlen des Arbeitsministeriums beweisen, dass sie übertreiben. Die CSU ließ sich aber nicht davon abhalten, vor ihrer Klausurtagung in Wildbad Kreuth plumpe Parolen zu verbreiten. Die Konservativen wollen nicht, dass Menschen brennen. Aber wieder verbreiten sie eine Stimmung, die Rassisten das Gefühl vermittelt, selbst Hand anlegen zu müssen. Mindestens zehn Anschläge gab es seit August auf Flüchtlingsheime und ähnliche Unterkünfte. Dass bislang niemand gestorben ist: purer Zufall.
    Quelle: taz

  5. Wirtschaftspolitisches Vakuum
    Gemeinsam mit vielen anderen habe ich einen Aufruf unterzeichnet, der begründet, warum die SPD nicht in die schwarz-rote Koalition eintreten sollte. Offensichtlich ohne Erfolg. Dennoch sprechen meines Erachtens weiterhin drei zentrale Gründe gegen diese Koalition und ihren Vertrag: nämlich die darin vereinbarte Europa-, Steuer- und Wirtschaftspolitik.
    Betrachten wir erstens die Schicksalsfrage Europa, bei der sich die SPD im gesamten Wahlkampf durch beredtes Schweigen hervorgetan hat. In der Eurokrise hat Angela Merkel, offenbar weitgehend unbemerkt von der Opposition, aber sicher stark beeindruckt von der internationalen Diskussion, einen Schwenk vollzogen, der es in sich hat. Aus der „Staatsschuldenkrise einiger kleiner Länder“ (in Südeuropa) wurde innerhalb relativ kurzer Zeit eine Krise der Wettbewerbsfähigkeit fast aller Länder (einschließlich Frankreichs) gegen Deutschland. Und mit der heftigen amerikanischen Kritik an Deutschland ist es sogar eine Krise „Rest der Welt gegen Deutschland“ als dem globalen Lohndrücker geworden.
    Der Koalitionsvertrag schafft in diesem Punkt keine Abhilfe, sondern beschränkt sich auf Kosmetik beim Mindestlohn. Doch kann es sich der kleine Koalitionspartner leisten, in Bezug auf eine solche absolut zentrale Frage für Deutschland und Europa keine dezidiert eigene Meinung zu haben, ohne gewaltigen Schaden anzurichten – und selbst daran Schaden zu nehmen? Was hat die SPD zu Merkels Austeritätspolitik zu sagen? Was sagt die SPD zu der Forderung der Kanzlerin, die anderen Länder in Europa müssten jetzt so wettbewerbsfähig werden wie Deutschland und ihre Löhne senken? Können alle gleichzeitig ihre Schulden verringern und Überschüsse in den Leistungsbilanzen haben? Offensichtlich eine Unmöglichkeit. Ist die Politik der Agenda 2010 also auf ganz Europa übertragbar? Offensichtlich nicht. Was aus dem allgemeinen Versuch, die Löhne zu senken, aber mit Sicherheit folgt, ist der Weg in die Deflation. Ist das die Position der SPD? Also nicht nur deutscher Merkantilismus, über den sich mittlerweile die ganze Welt mokiert, sondern europäischer Merkantilismus. Was aber wird dann mit dem Euro passieren? Muss der nicht aufwerten und diesen Versuch von vornherein zunichte machen?
    Quelle: Blätter für deutsche und internationale Politik
  6. Angst vor Deflation und Überschuldung
    Der globale Kapitalmarkt hat das Jahr recht schwungvoll begonnen. Der Eindruck eines «heissen Marktes» ist aber insofern verzerrt, als die Hauptnachfrage von Handelshäusern ausgeht, die ihr Inventar nach dem Jahreswechsel wieder aufbauen; institutionelle Investoren stehen vorläufig abseits. In der Euro-Zone könnte die Euphorie auch kurzlebig sein, weil die Wirtschaftsdaten, die derzeit von Marktteilnehmern weitgehend ausgeblendet werden, sehr unbefriedigend sind. Trotz allen Massnahmen der Krisenbekämpfung wächst die Staatsverschuldung, verharrt die Arbeitslosigkeit auf hohem Niveau bzw. steigt weiter, ist die Wirtschaftsleistung von vor dem Ausbruch der Finanzkrise nicht wieder erreicht, sinken die Ausleihungen der Banken und ist die Preisentwicklung flach.
    Die geringe Inflation bzw. die in einigen Euro-Ländern rückläufigen Konsumentenpreise haben die Diskussion über Deflationsgefahren angeheizt. Droht nach der Austeritätsspirale (Austerität reduziert Wachstum und Steueraufkommen, was wiederum mehr Austerität verlangt) nun auch eine von den Notenbanken bisher nur knapp verhinderte Deflationsspirale (sinkendes Preisniveau erhöht den Zwang zum Schuldenabbau, bremst so das Wachstum und drückt die Preise)? Hinzu kommt der Preiswettbewerb aus dem nichteuropäischen Ausland, besonders aus Asien. Manche Beobachter meinen, das Deflationsrisiko werde erst verschwinden, wenn die Entschuldung von Staat und Privatsektor beendet sei.
    Quelle: NZZ

    Anmerkung Orlando Pascheit: Dazu kommt die übliche diesmal auf Portugal bezogene Forderung, sich auch bei Portugal in einen Schuldenschnitt zu begeben. Die Schulden seien nicht tragbar und die Ansteckungsgefahr für andere europäischen Banken gering. Hier [PDF – 840 KB] die Analyse von David Salanic. – Zur zentralen Aussage einer möglichen Deflationsspirale siehe die jüngsten Daten von eurostat [PDF – 40.1 KB]. Die jährliche Inflation im Euro-Raum ist im Dezember auf 0,8 Prozent gefallen. Die jährliche Kernrate, also der um besonders schwankungsanfällige Güter wie Nahrung und Energie bereinigte Wert, lag sogar nur bei 0,7 Prozent. Leider hat in Deutschland die Bundesbank über Jahrzehnte den Eindruck vermittelt, je tiefer die Inflation, desto besser. Das von der EZB vorgegebene Inflationsziel von 2 Prozent ist aber auch als Untergrenze gedacht, präziser als ein Schutzabstand vor einer möglichen Deflation. Eine einmal in Gang gesetzte Deflation ist das wahrscheinlich am schwersten zu bändigende Monster einer Volkswirtschaft – siehe Japan. Natürlich leugnet das offizielle Europa den Vergleich. Lucas Zeise beschreibt das schön: “Nein, hier ist es nicht wie in Japan, jammerte am Donnerstag Signore Draghi und sah davon ab, den Leitzins von 0,25 Prozent wie dort auf 0,0 Prozent zu senken. Aber er zeigte, wie ihm die Angst im Nacken sitzt. Die Stagnation im Euro-Gebiet dauert fort, die Inflation sinkt, besonders schnell in den von Sparkommissaren geplagten Südländern.” Die Aussage einiger Analysten, “das Deflationsrisiko werde erst verschwinden, wenn die Entschuldung von Staat und Privatsektor beendet sei,” ist wohlfeil, denn bis es dazu kommt, werden Schulden abgebaut. Und wenn alle sparen, findet keine Nachfrage, keine Investition statt, das Wachstum schwindet. Gerade dadurch wird Deflation in Gang gesetzt. – Nun dürfte allerdings dürfte eine weitere Zinsabsenkung der EZB auch nicht mehr viel bringen, der Spielraum ist auf 0,25 Prozent geschrumpft. Eine weitere Flutung der Banken bringt es auch nicht, da die Banken kaum Geld verleihen. Gefragt wäre eher eine Wirtschaftspolitik, die staatlicherseits entspart und das Sparen der Privaten auszugleichen versucht. Natürlich stellt sich die Frage der Finanzierung. Eine weitere Schuldenaufnahme ist nicht nur den Krisenländern verboten, sondern auch bei uns verpönt. Abgesehen davon, Konjunktur- und Wachstumsprogramme bilden noch keine Erfolgsgarantie. In Japan wurde dadurch gerade noch der Kollaps verhindert. Ein Lohnerhöhung, zumindest über den Mindestlohn, ist in den Krisenländern undenkbar, ist doch dieser durch die Troika gerade abgesenkt worden. Und bei uns greift der Mindestlohn erst in ferner Zukunft. (Nicht einmal für die tariflich nicht gebundene Wirtschaft konnt für 2014 ein Signal gesetzt werden) – Wer sich über Deflation informieren möchte, sie auf den schönen Exkurs von Ulrike Herrmann hingewiesen: “Vom Lohn hoher Löhne. Wer den Untergang des Geldes fürchtet, sollte die Inflation lieben.”

  7. Europe’s left has seen how capitalism can bite back
    Social democrats wrongly thought the reforms they won were won for good…
    The left used to beat itself up, sometimes quite literally, with debates over reform v revolution, parliamentarianism v extra-parliamentarianism, party v movement – as if one ruled out the other. The question for the 21st century is not reform v revolution, but rather what kinds of reforms, with what kinds of popular movements behind them engaging in the kinds of mobilisations that can inspire similar developments elsewhere, can prove revolutionary enough to withstand the pressures of capitalism.
    Quelle: The Guardian
  8. Hoeneß soll sieben Jahre Steuern hinterzogen haben
    FC-Bayern-Präsident Uli Hoeneß muss sich insgesamt wegen sieben Fällen der Steuerhinterziehung verantworten. Experten schätzen, dass es am Ende auf einen Vergleich hinauslaufen könnte.
    Im 10. März soll der Prozess gegen Hoeneß vor dem Landgericht München beginnen. Der Bayern-Präsident soll über ein Konto in der Schweiz insgesamt 3,2 Millionen Euro an Steuern hinterzogen haben. Bereits ab einer Million Euro sollen nach einem Grundsatzentscheid des Bundesgerichtshofes Gefängnisstrafen verhängt werden, sofern keine Selbstanzeige vorliegt. Eine misslungene Selbstanzeige kann eine Strafe lindern. Ist die Selbstanzeige voll wirksam, geht der Steuerbetrüger straffrei aus.
    Hoeneß hatte eine Selbstanzeige zwar Anfang 2013 bei dem für ihn zuständigen Finanzamt Rosenheim eingereicht. Die Staatsanwaltschaft betrachtet die Selbstanzeige aber als unwirksam und klagte Hoeneß deshalb an. Im Fall einer Verurteilung droht dem 62-Jährigen eine Haftstrafe. Bei der möglichen Verurteilung wird aus den sieben Einzelfällen eine Gesamtstrafe gebildet.
    Quelle: Welt

    Anmerkung J.K: „Experten schätzen, dass es am Ende auf einen Vergleich hinauslaufen könnte.“ Daran hat sicher niemals irgendein Zweifel bestanden. Einen verdienten Mitbürger wie Hoeneß wirft man nicht einfach ins Gefängnis. Lieber startet man Hetzkampagnen gegen vorgebliche „Armutsflüchtlinge“ aus Rumänien und Bulgarien um eben auch von so noblen Herrschaften abzulenken.

    Dazu: Bundesgerichtshof – Mitteilung der Pressestelle Nr. 20/2012
    Strafzumessung bei Steuerhinterziehung in Millionenhöhe
    Das Landgericht Augsburg hat den Angeklagten mit Urteil vom 8. April 2011 wegen Steuerhinterziehung in zwei Fällen – insgesamt wurden mehr als 1,1 Mio. Euro hinterzogen – zu zwei Jahren Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Dieses Urteil hat der Bundesgerichtshof auf die mit dem Ziel höherer Bestrafung eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft im Strafausspruch aufgehoben und die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
    1. Der Angeklagte war im Jahr 2001 Mitgesellschafter und Geschäftsführer der P. GmbH. Diese und eine weitere Gesellschaft verkaufte er an die T. AG für 80 Mio. (damals noch) DM. Zusätzlich zum gezahlten Kaufpreis erhielt er Aktien der T. AG im Wert von 7,2 Mio. DM als Gegenleistung dafür, dass er der T. AG den Kauf auch der anderen Gesellschaftsanteile ermöglicht hatte. Dieses Aktienpaket deklarierte er in seiner Einkommensteuererklärung wahrheitswidrig als weiteres Kaufpreiselement. Dadurch erlangte er die günstigere Versteuerung nach dem damals geltenden Halbeinkünfteverfahren für Veräußerungserlöse, so dass für das Jahr 2002 Einkommensteuer in Höhe von mehr als 890.000 Euro verkürzt wurde.
    Quelle: Bundesgerichtshof

  9. Die EU ist ein Hebel zur Zerstörung der Demokratie
    Sahra Wagenknecht, stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, spricht im Interview mit dem Tagesspiegel über falsche Europapolitik, olle Kamellen – und Papst Franziskus. (…)
    Tagesspiegel: Die Europäische Union ist neoliberal, militaristisch und weitgehend undemokratisch. So steht es im Entwurf zum Europawahlprogramm der Linken. Alles richtig?
    Wagenknecht: Dass die EU eine neoliberale Politik im Interesse großer Konzerne und Banken macht, ist spätestens seit den Maastrichter Verträgen offensichtlich. Wir haben einen ständigen Druck in Richtung Privatisierung, Liberalisierung und Deregulierung. Bis heute. Man muss die EU nicht mit dem Begriff militaristisch verbinden, aber richtig ist auf jeden Fall, dass die EU immer stärker militarisiert wird. Im Lissabon-Vertrag gibt es ein Aufrüstungsgebot. Beim letzten EU-Gipfel wurde wieder über eine bessere Rüstungskooperation und höhere Rüstungsausgaben verhandelt – als hätten wir keine anderen Probleme. Ja, und die EU ist auch ein Hebel zur Zerstörung von Demokratie. Sie wird von den nationalen Regierungen teilweise bewusst genutzt, um unpopuläre Entscheidungen auf Brüssel abzuwälzen und sie damit durchzusetzen: Sozialkürzungen, Ausverkauf öffentlichen Eigentums – schaun Sie sich doch das Agieren der EU-Kommission und die EuGH-Entscheidungen des letzten 20 Jahre an. Mit dem Fiskalpakt und ähnlichen Vereinbarungen wird diese Entmündigung der nationalen Parlamente zunehmend institutionalisiert.
    Tagesspiegel: Bei so einem schlimmen Verein kann man doch nicht Mitglied sein.
    Wagenknecht: Doch, um ihn zu verändern. Wir fordern einen Neustart der EU auf neuer vertraglicher Grundlage. Ziel muss sein, soziale Rechte auf hohem Niveau zu vereinheitlichen, Mindeststeuersätze für Unternehmen festzulegen, Stoppschilder gegen Privatisierung zu setzen. Das wäre genau das Gegenteil des heutigen Dumpingwettlaufs. Natürlich macht es Sinn, wenn Staaten kooperieren, um ihr Sozialmodell gegen die wirtschaftlich Mächtigen und entfesselte Märkte zu verteidigen. Die heutigen europäischen Verträge geben dafür aber keinen Raum. Im Gegenteil: Sie zerstören den Sozialstaat. (…)
    Quelle: Der Tagesspiegel
  10. Die guten Arbeiter von Amazon
    Teile und herrsche! Dieses Rezept zum Erhalt und Ausbau der eigenen Macht ist uralt – auch bei Kämpfen zwischen Kapitalisten und Arbeitern. Eine Neuauflage bietet nun der US-Versandhandelskonzern Amazon, der die Forderung der Gewerkschaft Ver.di nach höheren Verdiensten für die Beschäftigten und tarifvertraglich geregelten Arbeitsbedingungen vehement ablehnt. “Alle Unterzeichnenden distanzieren sich von den derzeitigen Zielen, Argumenten und Äußerungen der Ver.di, die in der Öffentlichkeit über Amazon und damit über uns verbreitet werden.” So steht es in einem offenen Brief Leipziger Amazonier, den über 1.000 Beschäftigte des Konzern in Deutschland unterschrieben haben sollen. Der Brief, der in dieser Woche bekannt wurde, ist ein Schlag ins Gesicht der streikenden Amazon-Beschäftigten, die den Konzern mit ihrem Ausstand während des Weihnachtsgeschäfts unter Druck setzen wollten. Teilweise, so berichten Gewerkschafter, seien die Unterschriften im Beisein von Vorgesetzten geleistet worden; auch hätten viele befristet Beschäftigte unterzeichnet – offenbar in der Hoffnung, durch Wohlverhalten ihre Beschäftigungsaussichten zu verbessern. Was kommt beim nächsten Ausstand? Die persönliche Ansprache von streikenden Mitarbeitern und Gewerkschaftern durch das Management im Beisein von Sicherheitspersonal? – Es wird Zeit, dass auch die Konsumenten begreifen, welches Spiel bei Amazon gespielt wird. Der bequeme Klick, der die Waren ins traute Heim bestellt, ist nicht folgenlos – weder für die Produzenten noch für die Lieferanten. Wer humane Arbeitsbedingungen will, sollte einem Branchenführer wie Amazon nicht durchgehen lassen, seine Beschäftigten nach Gutsherrenart zu behandeln. Schließlich gibt es Alternativen – auch für Bestellungen im Internet.
    Quelle: taz

    Anmerkung Orlando Pascheit: Wir halten neuerdings viel von Antidiskriminierungsmaßnahmen, warum nicht ein Gesetz gegen die Diskriminierung von Gewerkschaftsmitgliedern? Oder anders herum gefragt, sollen die Bedingungen menschenwürdiger Arbeit allein durch die Gewerkschaften vertreten werden? Die Aufforderung zum Konsumentenboykott ist etwas schlicht, da die Alternativen so groß nicht sind, wenn man bedenkt, wie vielfältig das Angebot, wie weit die Einbindung der Händler gediegen ist bis hin zu den Sonderangeboten von Amazonmarket. Aber ich lasse mich gerne belehren.

  11. „Fachkräftemangel“ – gibt es den überhaupt?
    Er ist in aller Munde und allein durch die Anzahl der Wiederholungen des Begriffs glauben viele an seinen Wahrheitsgehalt. Manchmal noch mit direktem Artikel versehen, wird „der Fachkräftemangel“ zu unhinterfragten Realität. Dabei wäre es dringend geboten, seinen Realitätsgehalt und somit seine Existenz zu hinterfragen.
    So sagte der Referent für Konjunkturanalyse und -prognose am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Karl Brenke, 2012 in einem Interview mit Echo-online, dass er die Zahlen vom Verein Deutscher Ingenieure (VDI) für eine falsche Hochrechnung halte. Er stellt den angeblich 110.000 offenen Ingenieursstellen 30.000 selbst berechnete gegenüber und belegte marktanalytisch, dass die Stagnation in der Lohnentwicklung bei Ingenieuren nicht dafür spreche, dass zu wenig Angebot und eine zu hohe Nachfrage vorhanden wäre. Hingegen vermutete er, dass man durch die Öffnung des Arbeitsmarktes für gut Ausgebildete aus Schwellenländern lediglich das Lohnniveau weiter niedrig halten wolle. Dafür spreche auch, dass man das jährliche Mindestgehalt für gut ausgebildete Arbeitsmigranten auf 35.000 Euro festgelegt habe – wohlgemerkt in Berufen, die angeblich nach Arbeitskräften ringen und deshalb rein marktwirtschaftlich gedacht viel höhere Preise/Löhne erzielen müssten.
    Ältere Fachkräfte, die nun arbeitslos sind oder auf Lohnsteigerungen verzichten, weil sie teuer sind und durch den Lohndruck dank der Billigkräfte Konkurrenz auf einem künstlich vergrößerten Anbietermarkt erfahren, beklagen genau diese Entwicklung. Auch im Gesundheitsbereich ist dieser Trend im Zusammenhang mit der Privatisierung von Krankenhäusern und Pflegestätten zu verzeichnen. Gerade in der Pflege ist die Nachfrage besonders hoch, die Löhne steigen aber nicht – sondern es werden aus fernen Ländern Menschen eingeladen, die bereit sind, Tag- und Nachtschichten in Vollzeit + Überstunden für 2400 Euro brutto im monatlich zu leisten.
    Quelle: dtj-online
  12. »Ich fürchte, dass unbezahlte Bürgerarbeit eingeführt wird«
    Inge Hannemann war Fallmanagerin im Jobcenter Hamburg Altona. Weil sie das Hartz-IV-System als menschenrechts- und verfassungswidrig anprangerte, ist sie seit neun Monaten freigestellt.
    jw: Manipulierte Statistiken, Hartz-IV-Geld, das in den Verwaltungsapparat umgeschichtet wird, Prämien für hart sanktionierende Jobcenterchefs – die Meldungen der vergangenen Monate ließen die Bundesagentur für Arbeit (BA) nicht gut wegkommen. Offenbar unberührt davon, hat die Behörde jetzt eine neue Werbekampagne gestartet. Worum geht es?
    Hannemann: Mit ihrer Kampagne will die Bundesagentur vorrangig Jugendliche und Wiedereinsteiger, also meist junge Mütter nach der Erziehungspause, erreichen.
    BA-Chef Frank-Jürgen Weise hatte ja zum Jahresende bereits angekündigt, neue Wege zu gehen. Anstatt sich endlich mehr um die Vermittlung von Erwerbslosen in gut bezahlte Arbeit zu kümmern, soll das Image der Behörde wieder einmal mit Werbung aufpoliert werden. Das Besondere ist dieses Mal die Breite der Kampagne. Erstmals tritt die BA im Fernsehen auf, was wohl Millionen verschlingt – und bei Facebook unter dem Motto »Das bringt mich weiter«.
    jw: Bei Facebook kann jeder Nutzer seinen Kommentar abgeben …
    Hannemann: In der Tat, und diese Kommentare hagelt es bereits. Ich glaube, die BA hat die Situation falsch eingeschätzt, wohl deshalb löscht sie mittlerweile viele kritische Kommentare, obwohl diese keineswegs beleidigend sind
    Ich denke, das ist eine Gelegenheit für Betroffene, ihre Kritik am System an die richtige Adresse zu bringen. Um einiges zu nennen: Vermittlung in Niedriglohnjobs; Erpressung durch Sanktionen wie Kürzung der Grundsicherung; Verweigerung von Kostenübernahmen, wodurch oft Bildungswege von Jugendlichen behindert werden. Wir wollen auch dagegenhalten, daß die Behörde mit der Unwissenheit ihrer jungen Zielgruppe spielt.
    jw: Was sind die häufigsten Kritiken?
    Hannemann: Sehr oft geht es um Schikanen, aber auch um fehlende Beratung, um unsinnige Maßnahmen. Angeprangert wird ferner, daß Qualifizierungen häufig aus Kostengründen abgelehnt werden. Deshalb rate ich dazu, Ausbildungen bis spätestens März zu beantragen. In diesem Jahr hat die Bundesregierung 600 Millionen Euro mehr für »Integration« veranschlagt, insgesamt 3,1 Milliarden.
    Quelle: junge welt
  13. Die letzten Mieter oder bleib doch, wenn du kannst
    Der neue Eigentümer machte keinen Hehl daraus, dass er die junge Familie aus der Wohnung haben wollte. Ein leeres Haus ermöglicht Um- und Ausbauten, die modernisierte Wohnung höhere Mieten. Doch was, wenn die Bewohner bleiben wollen?
    Das Mietrecht ist auf ihrer Seite. Aber es gibt Eigentümer, die finden Mittel und Wege, ihren Mietern das Leben schwer zu machen.
    Die Autorin hatte keine Mühe, unglaubliche Geschichten zu sammeln, die von zugemauerten oder monatelang verhangenen Fenstern erzählen, von Baulärm und abgedeckten Dächern zu Weihnachten, von fliegenden Möbeln, Lärm und Staub. Geschichten, die oft mit dem “freiwilligen” Auszug der Mieter enden.
    Quelle: Deutschlandradio Kultur
  14. Bommel aus toten Katzen statt aus Polyester
    Die Entschuldigungen kamen per Facebook. Sowohl die Modemarke Tom Tailor als auch die Drogeriekette Müller bedauerten offiziell, Wintermützen mit Bommeln aus Katzenfell verkauft zu haben. Es handle sich um einen Einzelfall, schrieb das Label. In der EU gibt es seit 2009 ein Importverbot von Haustierfellen. Allerdings gibt es generell bei Pelzen keine Kennzeichnungspflicht, durch die der Verbraucher erfahren würde, wo Tiere herkommen und wie sie gehalten wurden. “Tierfell ist auf dem globalisierten Markt billiger als Kunstfell”, sagt Julia Akra von AnimalsLiberty. Der Grund dafür liegt in China, von wo 85 Prozent des weltweiten Angebots stammt. Jährlich werden in der Volksrepublik etwa 70 Millionen Tiere wegen ihres Pelzes getötet. Und schon ihre Haltung findet unter grausamen Bedingungen statt. Nach Recherchen der Tierschutzorganisation Peta werden die Katzen zu Tausenden in Transporter gequetscht, wo sie hungern und dehydrieren, bis sie erschlagen, erdrosselt oder bei lebendigem Leibe gehäutet werden. Um die Nachfrage zu stillen, werden laut der Tierschutzorganisation Humane Society International auch Haustiere entführt. Um ihn haltbarer zu machen, wird der Pelz danach mit Chemikalien wie dem nervenschädigenden Mittel Tetrachlorethen behandelt. Die Arbeiter, aber auch die späteren Konsumenten seien dem Gift praktisch ungeschützt ausgesetzt, so Peta-Kampagnenleiter Peter Höffken. Die Tierschutzorganisation Vier Pfoten fand bei Tests in vielen Pelzprodukten im deutschen Verkauf siebenmal so viel krebserregendes Formaldehyd wie erlaubt.
    Quelle: taz

    Anmerkung Orlando Pascheit: Und ich dachte, Tierfelle seien in der Modebranche OUT, dabei ist es schlimm genug, was wir uns und den Tieren mit der industriellen Massentierhaltung antun. Ich habe mich belehren lassen: Bei der riesigen Auswahl an Winterjacken- und Mänteln mit schicken Pelzkragen sollen diese zu einem großen Teil nicht aus Kunstfell, sondern aus Hundefell bestehen. Was die Tiere durchleiden müssen, können Sie hier sehen.

  15. Deutsche Bahn, Lebenslüge der Republik
    Wieso braucht die Bahn, die dem Staat gehört, einen Lobbyisten im Vorstand, um ihren Einfluss in der Politik geltend zu machen? Vielleicht ist es doch anders. Möglicherweise braucht ja die Regierung einen Verbindungsmann im Bahnvorstand, damit dort alles so läuft, wie es die Kanzlerin gerne hätte. Vielleicht ist es auch ganz primitiv und die Bahn dient dem simplen Zweck, einen verdienten Vertrauten der Kanzlerin zum Dank einen gut bezahlten Posten zuzuschieben. Die Bahn ist ein Zwitter und eine Lebenslüge der Republik. Sie soll handeln wie ein privates Unternehmen, darf es aber nicht. Die Politiker planten vor 20 Jahren die Privatisierung. Als es soweit war, schreckten sie zurück. Der eigene Einfluss auf den Verkehrsbetrieb war ihnen wichtiger. Als Staatskonzern hat die Bahn einen Versorgungsauftrag. Die Folge der wirren Führungsstruktur sind die Ergebnisse: Es beklagen sich nicht nur verspätungsgeplagte Reisende über das Totsparen der Bahn. Auch große Ziele bleiben unerreicht. Der Anteil der Schiene am gesamten Güter- und Personenverkehr wächst trotz aller Politiker-Bekenntnisse wenig. Das Auto bleibt im Zentrum der Verkehrspolitik. Die Eisenbahn kann kaum noch eine zeitgemäße Infrastruktur erhalten, weil sich der Staat aus der Verantwortung für die Schiene weit zurückgezogen hat. Das System von Strecken, Stellwerken oder Bahnhöfen ist einer führenden Industrienation in Europa nicht angemessen. Über 3000 Stellwerke stammen noch aus Kaisers Zeiten. Zahllose Brücken sind über 100 Jahre alt und am Ende. Der Investitionsstau der Bahn liegt bei atemberaubenden 30 Milliarden Euro. Ein echter Grund zur Sorge. Die Bundesregierung muss den Erhalt des technischen Rückgrats der Volkswirtschaft in den Vordergrund stellen und die dafür anfallenden Kosten aus dem Steuertopf bezahlen. Daran führt kein Weg vorbei. Andere Länder machen das auch. Dazu muss aber nicht die ganze Bahn mit rollendem Material und Schienen beim Staat bleiben. Es bliebe die Möglichkeit, die Bahn zu teilen. Diesen Schritt hätte die Bundesregierung schon lange tun sollen. Das Schienennetz mit Stellwerken und Bahnhöfen bleibt in staatlicher Hand, der Betrieb von Zügen und Waggons wird privatisiert. Das dient dem Wettbewerb – und die Struktur der komplizierten Bahn wäre transparenter.
    Quelle: SZ

    Anmerkung Orlando Pascheit: Ein wirrer, vor allem recht durchsichtiger Artikel aus der wirtschaftsliberalen Ecke der SZ. Ronald Pofalla als persönlicher Kontrolleur der Kanzlerin bei der Bahn? Aber das ist noch gar nichts. Karl-Heinz Büschemann beklagt den Zustand der Bahninfrastruktur. Kann man aus guten Gründen machen. Nur, was hat das mit dem privaten Betrieb von Zügen zu tun? Verschwinden dadurch Stellwerke aus Kaisers Zeiten, werden dadurch Brücken repariert, werden dadurch verstärkt Güter von der Straße auf die Schiene verlagert? Der private Wettbewerb auf der Schiene bringt nur Rosinenpickerei, Fahrkostenaufschläge um den Profit der so bescheidenen Privatwirtschaft, eventuell sogar Vernachlässigung der Sicherheitsstandards und vernichtet so ganz nebenbei die Versorgung in der Fläche. Da wird eine Mängelliste aufgebaut und am Ende die Privatisierung, der angebliche Wettbewerb der Züge auf der Schiene quasi als Lösung suggeriert. Aber das Streckennetz, worauf sich die Mängelliste konzentriert und wirklich Geld kostet, soll beim Bund bleiben.

  16. Das neue Gesinde des Hauses Deutschland
    Die spätviktiorianische Popkultur, in der wer leben.
    Wenn man eine Sozialgeschichte des viktorianischen Bürgertums und seines Gesindes liest, erfährt man von arbeitenden Menschen, die keinen Dank oder gar eine angemessene Bezahlung erhalten haben. Sie mussten ihren Dienst unsichtbar erledigen und es kam nicht selten vor, dass die Herrschaften nicht mal wussten, wie ihr Personal eigentlich heißt. Man wollte es auch nicht wissen, um möglichst Distanz zwischen sich und diese Unterprivilegierten zu bekommen. Viele stolze Männer und Frauen zerbrachen und litten. Denn hätten sie aufgemuckt, wären sie auf alle Zeit gesellschaftlich geächtet gewesen. Wir sind dabei, diese Sozialgeschichte neu zu schreiben, indem wir diese Gesellschaft zu einem Haushalt machen, in dem es von domestic workers, wie dieser Stand im Englischen viel trefflicher heißt, nur so wimmelt.
    Quelle: ad sinistram
  17. Attention OECD-PISA: Your Silence on China is Wrong
    On December 3, scores were released from the 2012 Programme for International Student Assessment (PISA), a test given every three years to 15 year-olds around the globe. Shanghai led the world in all three subjects—math, science, and reading. But that ranking is misleading. Shanghai has a school system that excludes most migrant students, the children of families that have moved to the city from rural areas of China. And now for three years running, the OECD and PISA continue to promote a distorted picture of Shanghai’s school system by remaining silent on the plight of Chinese migrant children and what is one of the greatest human rights calamities of our time.
    Quelle: Education next

    Anmerkung GL: PISA-Gläubige werden nicht müde, uns aus auf der Basis ihrer Rankingtabellen wohlfeile Ratschläge zu erteilen. Dabei müssen sie aber immer wieder korrigiert werden, weil Vergleichstests wie PISA keinerlei gesicherte Hinweise auf mögliche Ursachen für geringe Leistungen in Rechen-, Lese- und Wissenstests geben (und alle anderen, wichtigen Fähigkeiten ganz ausblenden). Ganz schlimm ist es, wenn sie starke Verzerrungsfaktoren in ihren Daten nicht erwähnen, weil sie diese nicht kennen (was auf Naivität hindeuten würde), oder unterschlagen. Beides müsste Sanktionen durch die Auftraggeber, also die Kultusministerien nach sich ziehen.
    So ein schlimmer Fall ist jetzt wieder gegeben. Die PISA-Industrie präsentiert uns den hohen Rankplatz der Schüler aus Schanghai als Ausdruck der besonders guten Schulqualität in Schanghai, und will uns die Schanghai zum Vorbild für unsere Schulen machen. Dabei unterschlägt diese Industrie aber, dass fast die Hälfte aller 15-Jährigen in Schanghai von der Studie ausgeschlossen wurden, nämlich fast alle Migrantenkinder, die aufgrund der chinesischen Politik wie Ausländer behandelt und aus den meisten Schulen und den sozialen Dienstleistungen ausgeschlossen werden.
    Die deutschen Kultusministerien sollten diesen Vorfall zum Anlass nehmen, die teueren und irreführenden PISA-Tests einzustellen, und sich auf Datenerhebungen zu besinnen, die wirklich helfen, Verbesserungsmöglichkeiten in unserem Schulsystem zu finden.
    Falls weiter Vergleiche zwischen Bundesländern gemacht werden, müssen bei diesen endlich, wie an dieser Stelle schon öfter gefordert, alle Förderschulschüler in den Vergleich einbezogen werden. Sonst überbieten sich die Bundesländer bei der Aussonderung von lernschwachen Kindern aus den Regelschulen, damit die PISA-Werte steigen. Sie machen Wahlpolitik auf dem Rücken dieser Kinder. Das ist unverantwortlich.