Armes Griechenland

Ein Artikel von:

Als die Krise kam, war Griechenland in keiner Weise darauf vorbereitet, wie man ihre Auswirkungen bewältigen sollte. Und in den fünf Jahren, die das ökonomische Tief mittlerweile andauert, hat sich die Lage noch dramatisch verschlimmert. Das belegt auch der jüngste OECD-Länderbericht [PDF – 395 KB], der die Notwendigkeit hervorhebt, dass die Reformen die Schwächsten der Gesellschaft schützen müssen. Von Nikos Konstandaras[*].

Im Grunde ist uns das nicht neu. Aber die Feststellung der OECD, dass vor der Krise große Geldsummen an die wohlhabenderen Schichten gingen – und das zu Lasten der Bedürftigsten – legen den Finger auf das gravierende Problem der Ungerechtigkeit, das ein Kernproblem unserer Gesellschaft ist.

„Das sozialstaatliche System war in Griechenland auf die ökonomische und gesellschaftliche Krise schlecht vorbereitet“, heißt es in dem OECD-Bericht. Und weiter: „Vor der Krise verwendete Griechenland fast 30 Prozent seiner Staatsausgaben auf soziale Transferleistungen, aber ein Großteil dieser Gelder ging an relativ wohlhabende Haushalte. Seit 2007/2008 sind die Gesamtausgaben für Sozialleistungen und das Gesundheitswesen real um 18 Prozent geschrumpft, im gleichen Zeitraum sind sie im OECD-Durchschnitt real um 14 Prozent gestiegen.“

Der Bericht hält für das Jahr 2010 fest, dass die staatlichen Transferleistungen für die 30 Prozent der einkommensschwächsten Familien um 34 Prozent unter dem Durchschnitt lagen, dagegen die Bezüge für die 30 Prozent der reichsten Haushalte um 32 Prozent über diesem Mittelwert. Eine größere Ungleichheit (bei der Verteilung der Transferleistungen) verzeichnet die OECD nur für die Mitgliedsländer Italien, Mexiko und die Türkei.

Erstaunlich ist das nicht, denn unsere Gesellschaft wird von mächtigen Interessengruppen dominiert, die ständig dafür gesorgt haben, dass die Regierungsentscheidungen zu ihrem eigenen Vorteil und zu Lasten der anderen ausfielen. Dieses allgemeine Bild der Ungerechtigkeit wird erst komplett, wenn man die Wirkungen der „Steuerhinterziehung“ dazu rechnet, wobei bestimmte Gruppen straflos davonkamen, während die Steuerlast hauptsächlich von den Gehaltsempfänger und Pensionären getragen wurde.

Und auch während der Krise traf die Kürzung der Ausgaben im Sozial- und Gesundheitshaushalt die Armen härter als die Anderen. Aus dem OECD-Bericht geht hervor, dass Griechenland und Italien die einzigen EU-Mitgliedsstaaten sind, die keine allgemeinen Mindest-Sozialleistungen kennen. Das erklärt, warum so viele Bürger durch die Sparprogramme und die Reformpolitik in Angst und Schrecken versetzt werden – weil sie keinerlei soziale Sicherheit haben. Und verschreckte Bürger sind für politische Veränderungen nicht zu haben.

Nach Angaben der OECD betragen die öffentlichen Ausgaben für Arbeitslose und für einkommensschwache Familien in Griechenland – trotz der gewaltigen Zunahme des Bedarfs an sozialer Unterstützung – lediglich „einen Bruchteil der durchschnittlichen Ausgaben aller OECD-Mitgliedsländer“. Entsprechend betont der Bericht die Notwendigkeit, die ärmeren Haushalte landesweit gezielt zu unterstützen. Insbesondere werden folgende Maßnahmen vorgeschlagen: ein soziales Netz für Langzeitarbeitslose, subventionierte Mahlzeiten an den Schulen, eine garantierte gesundheitliche Versorgung für Alle, sowie Maßnahmen zur Arbeitsbeschaffung und Umschulung.

Für 2014 sind Programme zur gezielten Unterstützung der sozial schwächeren Gruppen zu erwarten. Aber dabei dürfen wir nicht vergessen, dass wir uns viele Jahre lang in einer Gesellschaft eingerichtet haben, die auf Ungerechtigkeit basierte. Und zwar ohne jedes Schuldgefühl – und ohne die Folgen zu bedenken…


[«*] Der Text von Konstandaras erschien am 20. März in der griechischen Zeitung Kathimerini. Niels Kadritzke hat ihn für uns übersetzt.