Eurobarometer zeigt für D.: Ruin des Vertrauens in Zukunft und soziale Sicherungssysteme

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Vom Eurobarometer “Social Reality” hat z.B. der Spiegel nur berichtet, dass die Deutschen sich bei der Arbeit überfordert fühlen. Wesentlich Interessanteres ist dort allerdings zu finden, wenn man sich genau ansieht, wie die Deutschen ihre gegenwärtige Situation und die Zukunft einschätzen. Die Befragung fand statt, bevor „Bild“ den Boom ausgerufen hat, aber prinzipiell wird sich durch diese Kampagne nicht viel geändert haben. Die Deutschen sind verunsichert wie kaum ein anderes Volk. Michael Buckup, Mitarbeiter beim Eurobarometer der Europäischen Kommission hat für die NachDenkSeiten die Umfrage ausgewertet und dazu eine PowerPoint Präsentation vorgelegt. Sie ist hilfreich zur Information und für alle unsre Leser, die selbst schreiben oder reden müssen.

Michael Buckup

Zwischen dem 17. November und dem 19. Dezember 2006 wurden 26.755 in den 25 Mitgliedstaaten und den beiden damals kurz vor dem Beitritt stehenden Ländern Bulgarien und Rumänien lebende EU-Bürgerinnen und –Bürger im Alter von 15 Jahren und darüber für das Eurobarometer 66.3 “European Social Reality” befragt. Insgesamt ergab die Umfrage im Auftrag der EU-Kommission, dass 86% der Europäer mit ihrem Leben zufrieden sind und dass die Familie die Grundlage des Gemeinwesens darstellt. Ebenso ist eine große Mehrheit mit ihrer Arbeit zufrieden oder legt viel Wert auf Freizeit. Bei näherem Hinsehen aber kommen insbesondere für Deutschland hinter diesen freundlichen Zahlen erschreckende Werte zum Vorschein, wenn es um Vertrauen in die Zukunft; die Politik oder die sozialen Sicherungssysteme geht.

 

Immer weniger Menschen in Deutschland haben Vertrauen in ihre gewählte Regierung

Die stetig wachsend Partei der Nichtwähler zeigt, wie wenig sich die Menschen noch von ihrer Regierung vertreten sehen. Mit ihrer systematischen Politik gegen die Mehrheit der Bevölkerung steht die Bundesregierung inzwischen in Europa auf Augenhöhe mit dubiosen Regierungen in Mitgliedstaaten, die sich noch an die Spielregeln der Demokratie gewöhnen müssen. Nur in Polen, der Tschechischen Republik und in Litauen misstrauen die Menschen noch mehr ihrer Regierung!

Die SPD ist mit für diese Abwärtsentwicklung verantwortlich – hat dabei obendrein noch einen großen Teil ihrer Wählerschaft eingebüsst, die keinen politischen Bezugspunkt mehr hat, sondern sich in Nichtwähler, Protestwähler und Egal-Wähler aufteilt.

Insbesondere die arbeitende Bevölkerung (Alter 25 – 55 ), Familien sowie abhängig Beschäftigte misstrauen der Regierung und deren Lösungskompetenz. Bezeichnend ist ebenso, dass neben Arbeitslosen und Arbeitern auch die Manager der Regierung nicht über den Weg trauen. Für alle Gruppen tut sie in deren Meinung zu wenig.

Nur in Rheinland-Pfalz gibt es mehr Vertrauen als Misstrauen, bei den Studenten halten sich beide Meinungen fast die Waage .

Für die Parteien gibt es überhaupt keinen Blumentopf mehr zu gewinnen, 8 von 10 Menschen misstrauen ihnen, allen voran wieder die arbeitende Bevölkerung und die Familien, aber auch Menschen mit niedrigerem Bildungsabschluss. Bis auf Hausfrauen und Rentner besteht bei allen Berufsgruppen ein überdurchschnittliches Misstrauen, für die niedersächsischen Parteien sind es gerade noch 20 Prozent, die ihnen vertrauen.

Nirgendwo in Europa hat sich die Angst vor Langzeitarbeitslosigkeit so verfestigt wie in Deutschland. Die ständigen Meldungen von Personalabbau bei gleichzeitigen Anstieg der Aktienkurse haben ebenso zur Verunsicherung beigetragen wie die systematische Diffamierung von Arbeitslosen. Die Leitlinie der letzten Jahre, mit großem Aufwand die Arbeitslosen statt die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, hat zur Ausgrenzung von Arbeitslosen geführt, jede zusätzliche Maßnahme, um „Anreize zur Arbeitsaufnahme zur erhöhen“ hat nur den Eindruck verfestigt, dass nur Schmarotzer, Blöde oder Faule keine Arbeit finden. Angesichts der immer mehr verbreiteten Angst vor dem sozialen Abstieg nach dem Jobverlust und Hartz IV schlägt sich dies auch in der europaweit geringsten Zuversicht wieder, einen neuen Job zu finden. Damit steht der Arbeitgeberseite ein exzellentes Mittel zur Erpressung von Gewerkschaften und Arbeitnehmern zur Verfügung, um Lohnverzicht und längere Arbeitszeiten durchzusetzen.

Wer als älterer Arbeitnehmer in Deutschland entlassen wird, hat geringe Hoffnung, wieder einen Job zu finden.

Für Menschen mit Hauptschulabschluss sieht es ebenfalls schlechter aus als für den Durchschnitt. Niedersachsen belegt unter den alten Bundesländern mit Abstand den letzten Platz, nur in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern herrscht noch weniger Zuversicht.

Sorgen um den Arbeitsplatz, Arbeitslosigkeit und Reallohneinbußen in den letzten Jahren haben eine „Generation no Future“ geschaffen, ein Viertel aller Menschen zwischen 40 und 54 (arbeitende Bevölkerung, Familien) erwartet vom Leben eine Verschlechterung ihrer Verhältnisse, ebenso haben die Menschen über 55 die geringste Hoffnung auf ein besseres Leben im Alter. Hauptschüler sehen sich einmal mehr als Verlierer und erwarten keine Wende zum Besseren.

Trotz erster euphorischer Schlagzeilen (Befragung war Mitte November/Anfang Dezember) glaubt eine relative Mehrheit eher an eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation. War Deutschland in den vergangenen Jahren schon immer europäischer Spitzenreiter im Pessimismus, so spiegelt sich dies auch in der Frage nach den Perspektiven für die deutsche Wirtschaft. Jahrelanges Wehklagen über zu hohe Lohnnebenkosten und das Absteigerland ohne Chancen im internationalen Wettbewerb haben die Ängste verstärkt, Deutschland könne noch mehr auf die Verliererstrasse geraten. Wieder sind es die Menschen zwischen 25 und 55, die überdurchschnittlich eine negative Entwicklung befürchten. Bei den 40- bis 54jährigen drückt sich verstärkt der Vergleich mit den „besseren Zeiten“ der 70er und früher 80er Jahre aus, seitdem es für sie eher bergab als bergauf ging Menschen mit mittlerem Bildungsabschluss, die sich schon mehr für internationale Zusammenhänge und den Politik- und Wirtschaftsteil der Zeitung interessieren, haben sich die zweckgerichtete Schwarzmalerei zu eigen gemacht, doppelt so viele glauben an eine Verbesserung als an eine Verschlechterung. Familien mit Kindern sehen mit großer Mehrheit schlechtere Zeiten auf die Wirtschaft – und damit auf sich zukommen.

Nachhaltige Besserung auf dem Arbeitsmarkt erwartet keine demographische Gruppe in Deutschland, Frauen sind noch skeptischer als Männer, bei der Generation der Berufstätigen und Familien (25 – 55) sehen vier von zehn eine Verschlechterung, Angestellte und Arbeitslose zeigen den größten Pessimismus, das Bild der Bundesländer ist uneinheitlich.

Die systematische Miesmacherei des deutschen Rentensystems durch konzertierte Aktionen der Bildzeitung, Versicherungen und bezahlter Propagandisten mit Professortitel hat das Vertrauen ruiniert. In keinem anderem Land haben so wenig Menschen noch Vertrauen in die Rente und haben fast drei Viertel kein Vertrauen mehr. Bis auf die skandinavischen Länder mit einem anderen sozialen Modell, Österreich, Holland, aber auch Irland und Großbritannien, zeigt sich in vielen anderen EU Ländern der wachsende Erfolg der Kampagnen zur privaten Altersversorgung. Die deutschen „Spitzenwerte“ sind allerdings keine Überraschung, wenn selbst der zuständige SPD Minister mit seiner Politik (Rente mit 67) die staatliche Rente beschädigt und für private Vorsorge wirbt, wie inzwischen sogar die Deutsche Rentenversicherung selbst!

Vor allem die Menschen, die noch ein längeres Arbeitsleben vor sich sehen (25-39), haben das Vertrauen in ihre Rente verloren, 83% sehen die Zukunft für ihre Rente negativ, gerade einmal 15% haben noch Vertrauen.

Überdurchschnittlich niedriges Vertrauen haben auch die 40 – 54 Jährigen, Menschen mit mittlerem Bildungsabschluss und Mehrpersonenhaushalte mit Kindern. Arbeiter sind ebenfalls überdurchschnittlich verängstigt, zumal sie ebenso wie Arbeitslose und zunehmend auch Angestellte sich die propagierte private Zusatzrentenversicherung nicht leisten können. Menschen, die sich selbst links oder in der Mitte einordnen haben weniger Vertrauen, als politisch rechts Stehende. Sieht man von den Menschen über 55 und Rentnern ab, die schon relativ genau wissen, welche Rente sie erwartet oder sie schon bekommen, so haben in allen Gruppen fast drei von vier Menschen das Vertrauen in ihre Rente verloren. Bedenklich ist, dass dies insbesondere die breite Masse und diejenigen sind, die durch ihre Arbeit und Abgaben die Hauptlasten in der Gesellschaft tragen.

Nirgendwo in Europa haben die Menschen so viel Sorgen um die Zukunft ihrer Kinder wie in Deutschland, nirgendwo glauben gerade einmal 3 Prozent, dass ihre Kinder es leichter haben werden. Wer als Sozialdemokrat Politik als Gestaltung einer gerechten und lebenswerten Zukunft versteht, sieht hier einen Scherbenhaufen sozialdemokratischer Politik und sozialdemokratischen Regierungshandelns. Wenn auch die Bundesrepublik in „guter“ Gesellschaft mit fast allen alten EU Staaten (bis auf Irland, Portugal und Finnland) ist, so zeigt sich doch gerade hier, wie sehr die neoliberale Propaganda vom notwendigen Verzicht und notwendigen Einschnitten verfangen hat. Der Glaube an eine positive, gerechtere und solidarische Gestaltung der Zukunft ist verloren gegangen! Um so wichtiger ist es, den Menschen mit einer eindeutigen Politik für ihre Belange diesen Glauben zurückzugeben!

Es ist nicht verwunderlich, dass gerade die arbeitende Bevölkerung und Familien die Zukunft der Kinder besonders negativ sehen. Angestellte und Arbeiter äußern hier überdurchschnittlich hohe Skepsis, die Altersgruppen 40-54 und 55+ sehen sich auch durch die negativen Perspektiven ihrer Kinder und Enkel in ihren Befürchtungen bestätigt. Der höchste Wert mit 90% findet sich bei den Angestellten. Es liegt nahe, dass Erfahrungen der beruflichen Praxis und ein gewisses, um so leichter zu beeinflussendes Problembewusstsein zu diesem Wert beitragen.

Gegensätzlicher können Nachbarn kaum sein: während in Dänemark zwei Drittel das Sozialsystem für nicht zu teuer halten, glauben in Deutschland noch mehr Menschen, dass man sich das Sozialsystem nicht mehr leisten kann. Nur in Griechenland, Frankreich, Ungarn und Polen glauben die Menschen, dass ihre Sozialen Errungenschaften nicht mehr zu bezahlen sind. Auch hier hat die jahrelange Kampagne gegen die soziale Absicherung der Menschen, und für notwendige Einschnitte, um wieder konkurrenzfähig zu sein, Erfolg gehabt. Und trotz drastischer Kürzungen bei den Bedürftigen auf breiter Front, wachsender Armut bei sprunghaft ansteigenden Gewinnen und Privatvermögen bleibt die Überzeugung, dass noch weitere Kürzungen notwendig sind, um das System zu erhalten.

Drei von vier Deutschen mit Hauptschulabschluss haben die Propaganda von zu hohen Sozialleistungen und notwendigen Einschnitten so weit verinnerlicht, dass sie sich dieser Meinung anschließen. Bei den Berufsgruppen wird die unterschiedliche Interessenlage deutlich: Manager stehen selbstverständlich in überdurchschnittlichem Maß zu den Auffassungen ihrer Verbandsvertreter und Sprachrohre, dass ein übertriebenes Sozialsystem schuld an der Misere des Standortes Deutschland ist, und dass zur Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit getreu der Devise „sozial ist was Arbeit schafft“ Leistungen zusammengestrichen werden. Angestellte stützen diese Auffassung in gleicher Weise, unklar ist, ob sie sich dem Mainstream anpassen oder ob sie aus Furcht vor sozialem Abstieg durch Entlassung Kürzungen für richtig halten.

Ein Zusammenhang zwischen dem konsequenten Sozialabbau in Niedersachsen und dem zweithöchsten Wert aller Bundesländer ist nahe liegend, ebenso ein Erfolg der ehemaligen Sozialministerin von der Leyen, die Sozialleistungen als Wohltaten und Amosen betrachtete, die man wie beispielsweise das Landesblindengeld gern zur Haushaltssanierung opferte. Insgesamt scheinen die Menschen in allen Bundesländer den Abschied vom Sozialstaat zu akzeptieren, nur in mehrheitlich SPD-regierten Ländern ist dies weniger deutlich ausgeprägt.

Den Deutschen ist der Glauben an eine bessere Zukunft abhanden gekommen, oder besser systematisch abgewöhnt worden. Sie sind Betroffene einer stetigen Abwärtsentwicklung geworden und hören ständig weitere Kassandrarufe. Zugleich verstärken sich ihre Befürchtungen, dass nach dem selbst erfahrenen Negativtrend es für die kommende Generationen noch schwieriger wird. Besonders beängstigend ist dabei, dass in dem wirtschaftlich stärksten EU-Mitgliedsland immer mehr Menschen die wachsende Kluft zwischen arm und reich als Problem wahrnehmen. Über zehn Millionen Menschen unterhalb der Armutsschwelle begründen diese Ängste, ebenso eine wachsende Furcht, selbst auf die Verliererseite zu geraten. Wie schon bei Schulsystem wird die Gesellschaft in der Bundesrepublik stärker als in anderen Ländern als eine Gesellschaft wahrgenommen, in der immer mehr Verlierer einer kleinen Gruppe von Gewinnern gegenüberstehen.

Nicht nur die Sorgen und Ängste für die eigene Generation wegen drohender Arbeitslosigkeit und angeblicher unsicherer Renten belasten alle demographischen Gruppen. Sie sehen ebenso für die kommende Generation schwarz. In fast allen Gruppen ist die Befürchtung überdurchschnittlich vertreten, dass die Kluft zwischen arm und reich wächst. Bei der Gruppe derjenigen, die gerade ins Berufsleben einsteigen, ist die Sorge am größten, zu denjenigen zu gehören, die zu den Verlierern zu gehören oder die mit der Entwicklung nicht einverstanden sind.

Menschen, die sich dem linken Lager zuordnen, sind sich dieses Problems ebenfalls mehr bewusst. Angestellte und Arbeiter äußern diese Sorge ebenfalls überdurchschnittlich, wobei unter den Angestellten auch weitaus mehr als in anderen Gruppen die Sorge geäußert wird, die nächste Generation habe verstärkt mit Arbeitslosigkeit und unsicheren Renten zu tun. Die Niedersachsen befürchten zusammen mit den Bayern mehr als in anderen Bundesländer die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich. Ein Hinweis, dass dieses Problem die Menschen berührt und sie sich der wachsenden Ungerechtigkeit bewusst sind. Das Thema Gerechtigkeit muss daher zusammen mit klaren Perspektiven für eine solidarische und auf Ausgleich setzende zukunftsweisende Politik in den Mittelpunkt gestellt werden.

Quelle: Soziale Wirklichkeit 2007 [Powerpoint-Datei – 8.2 MB]