Die aktuelle Debatte um Konjunkturprogramme – von Meinungsmache geprägt, absolut schräg und weit von der Sache entfernt.

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Die Debatte und auch die Entscheidungen zu konjunkturpolitischen Maßnahmen sind nicht geprägt von sachlichen Erwägungen, sondern vor allem vom Ergebnis einer Dauerpropaganda: Konjunkturprogramme sind Strohfeuer, sie bringen mehr Schulden – das glaubt nicht nur der Spitzenökonom der deutschen Wirtschaft Hüther, der sich gerade in ZDF-heute zu Wort gemeldet hat. Das glaubt auch der Bundesfinanzminister, der uns unentwegt mit unglaublichen Wortkombinationen unterhält – “Ich warne auch davor, aus der Hüfte etwas abzuschießen, was eher Symbolpolitik sein könnte, … was nur Geld verbrennen würde“ (Siehe unten). Und leider glaubt vermutlich auch die Mehrheit unseres Volkes, dass dies so sei. Konjunkturprogramme seien Strohfeuer, das ist eine Mär, die belegt, wie sehr ein Volk und seine Eliten manipuliert werden können. Quasi vollständig. Ein Wunder ist das nicht; denn auch Wirtschaftsforschungsinstitute, die noch bei der Begutachtung der Konjunkturprogramme in den siebziger Jahren vor allem Positives über ihre Wirkung notierten, behaupten heute das Gegenteil. Albrecht Müller.

Die Analyse zum Denkfehler 15: »Konjunkturprogramme sind Strohfeuer« in der „Reformlüge“ von 2004 gilt immer noch. Diesen Text hatten wir in den NachDenkSeiten wiedergegeben. Hier ist er zu ihrer gefälligen Bedienung.

Die heute in Deutschland geführte Debatte ist unglaublich unsachlich und voller Mittelmaß. Ich will die wichtigsten Schwächen nennen:

Erstens: Konjunkturprogramme haben hier bei uns wie auch in anderen Ländern durchaus Arbeitsplätze geschaffen.

Zweitens: Sie waren nicht begleitet von höheren Schulden. Im Gegenteil: mit der Verbesserung der Konjunktur wuchs auch die Chance zur Verringerung der Schuldenaufnahme. So geschehen in den siebziger Jahren nach dem Einbruch von 1974/75 und den damals eingeleiteten konjunkturpolitischen Maßnahmen einschließlich des späteren Zukunftsinvestitionsprogramms (ZIP). So geschehen auch zum Ende der neunziger Jahre.

Wir haben den Zusammenhang von Konjunkturaufschwung und geringeren Schulden schon mehrmals in den NachDenkSeiten dokumentiert. – Dieser Zusammenhang ist auch per se logisch. Auch der jetzige Bundesfinanzminister hat das positiv erlebt: als die Konjunktur besser lief, sprudelten die Steuereinnahmen.

Drittens: Die Debatte von heute ist unglaublich verkrampft. Weil Konjunkturprogramme in Deutschland geächtet sind – nicht in anderen Ländern, nach den Vorstellungen unserer Experten in Wissenschaft und Politik leben wir auf einer Insel der Unseligen -, dürfen aktive Politiker das Wort Konjunkturprogramm nicht in den Mund nehmen. Also sprechen sie verkrampft von „punktgenauen Maßnahmen“ oder von „branchenspezifischen Maßnahmen“ oder sie zählen einzelne Maßnahmen nacheinander auf, um das Unwort vermeiden zu können. Bescheuert! Verzeihung.

Ähnlich Müntefering, der meint, „Konjunktur ist nicht das, was bei den Menschen ankommt“.

An der Debatte um Konjunkturprogramme müssten auch Sprachforscher und Linguisten ihr Vergnügen haben. Hier wird nämlich sichtbar, dass in der modernen politischen Debatte und Kommunikation unsinnige Wortkombinationen möglich sind. Münteferings Aussage und auch die von Steinbrück haben die Qualität von „Nachts ist es kälter als draußen.“ Ich bedaure nach dem neuen Erlebnis dieser Debatte den Untertitel meines Buches „Machtwahn“ wieder einmal nicht, überhaupt nicht: „Wie eine mittelmäßige Führungselite und zugrunde richtet.“

Viertens: Man kann konjunkturpolitische Maßnahmen einigermaßen gezielt planen, punktgenau aber auf keinen Fall. Man kann zum Beispiel wie beim Zukunftsinvestitionsprogramm vom März 1977 darauf setzen, dass in den Kommunen gezielt zukunftsfördernde Projekte in Angriff genommen werden. Jeder aktive Bürgermeister/in konnte damals anschließend belegen, welche Projekte in ihrer/seiner Gemeinde realisiert worden sind. Aus eigener Erfahrung in meinem früheren Wahlkreis weiß ich, dass viele sinnvolle Maßnahmen damals realisiert worden sind.

Auch heute gibt es Bedarf. Auch heute könnte man ein solches Programm ohne Schwierigkeiten konzipieren und umsetzen. Wenn man alleine daran denkt, welch ungeheurer Bedarf bei Hochschulen und Schulen besteht, oder bei der Modernisierung kommunaler Kanalisationen, oder bei der Renaturierung von Bächen. Das beste Konjunkturprogramm wäre zusätzlich eine Stärkung der Massenkaufkraft durch Verbesserung der Löhne. Zu konkreten Vorschlägen siehe auch das Programm von Verdi [PDF – 196 KB].

Fünftens: Unser Führungspersonal tut in der Debatte um Konjunkturprogramme so, als könne man noch einige Zeit gelassen danebenstehen, um dann konjunkturpolitisch tätig zu werden, wenn es aus ihrer Sicht nötig wird. Dahinter steckt die Vorstellung, dass solche Programme mit dem Umlegen eines Hebels geplant und zugleich umgesetzt werden können und auch schon wirken. Konjunkturpolitische Maßnahmen brauchen in der Regel aber sowohl Planungs- als auch Entfaltungszeit. Wer nicht blind war, konnte schon seit langem, jedenfalls seit dem Sommer 2007 sehen, dass die Binnenkonjunktur eingebrochen ist. Damals gab es einen Rückgang der Einzelhandelsumsätze um 6% real. Das war ein klares Signal dafür, aktiv zu werden. Wenn ich meine Sinne auch nur einigermaßen zusammen habe, dann kann ich als verantwortlicher Politiker angesichts dieser Diagnose nicht sagen: Warten wir mal ab.

Einige Dokumente zur teilweise obskuren öffentlichen Debatte um Konjunkturprogramme:

“Punktgenaue Maßnahmen” in Milliardenhöhe
Obwohl die Zielrichtung klar ist, sind beide Koalitionspartner weiterhin peinlichst darum bemüht, das Wort Konjunkturprogramm zu vermeiden. Es gehe nicht um ein “traditionelles, schuldenfinanziertes Konjunkturprogramm”, sagte Regierungssprecher Steg. Vielmehr gehe es um “punktgenaue” und “branchenspezifische” Maßnahmen.

Müntefering erklärte, die SPD rede nicht von einem Konjunkturprogramm, weil es nicht um die Konjunktur gehe. “Konjunktur ist nicht das, was bei den Menschen ankommt”. Es müsse darum gehen, schnell Arbeitsplätze zu schaffen, forderte Müntefering. Er schlug die gleichen Maßnahmen vor, die die Große Koalition bereits in ihrem ersten Konjunkturprogramm beschlossen hatte: Lokale Aufträge für Handwerker und kleine Unternehmen zur Gebäudesanierung.
(Auszug aus SPON 20.10.2008)

Steinbrück zum Thema – eine Aneinanderreihung von Worthülsen und Vorurteilen:

“Wir reden von keinem Konjunkturprogramm”, hob er hervor.
“Ich warne auch davor, aus der Hüfte etwas abzuschießen, was eher Symbolpolitik sein könnte, … was nur Geld verbrennen würde”, erklärte Steinbrück. Er sei nicht bereit, auf solche Vorschläge umfassender Programme einzugehen.
Steinbrück FAZ 20.10.2008

Aus Ihrer Partei gibt es Forderungen nach einem Konjunkturprogramm. Sind Sie dabei?

Steinbrück: Ich mahne zur Zurückhaltung, weil damit leicht falsche, überholte Vorstellungen verknüpft sind. Denn ich weiß nicht, wohin das Geld am Ende geht. Nützt es wirklich der Inlandsnachfrage oder wandert es in die Sparquote oder gar ins Ausland? Wer aus der Hüfte schießt, verbrennt womöglich nur Steuergeld und steht am Ende mit mehr Schulden da. Und die Konjunktur hat gar nichts davon.
Interview in der NRZ 20.10.2008

Der Vertreter der deutschen Industrie, Professor Hüther:
“Konjunkturpakete nur ein Strohfeuer”
IW-Direktor Hüther über die Regierungspläne eines Konjunktur-Rettungspakets
ZDF Heute 20.10.2008

Und zum Spaß noch aus der FTD:
Konjunkturpolitischer Reich-Ranicki
Aus aktuellem Anlass möchten wir an dieser Stelle hin und wieder Kandidaten nominieren, die mit ihrem Blödsinn stark dazu beitragen, das Niveau der Debatte über Konjunkturprogramme in Deutschland ganz furchtbar flach zu halten. Eine Art konjunkturpolitischer Reich-Ranicki-Preis sozusagen. Nachnominiert werden hiermit die Institute(Herbstgutachten). Heute: NRW-Präses Jürgen Rüttgers.
Quelle: FTD