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Agenda 2010

Hochschulfreiheit und W-Besoldung – Eine Umfrage des Hochschullehrerbundes NRW unter Fachhochschulprofessorinn/en

Die Absicht des Gesetzgebers, durch Einführung der W-Besoldung die Vergütung für Professorinnen und Professoren leistungsgerechter zu gestalten, wurde nach Ansicht von 72 % der Befragten nicht erreicht. 76 % fühlen sich nicht motiviert mehr Leistung als zuvor zu erbringen. Für 86 % entspricht das W-Vergütungssystem nicht den Anforderungen der Professur. Berufungen werden schwieriger und die Qualität der Bewerber/innen ist schlechter geworden.
Mit Einführung des Hochschulfreiheitsgesetzes in NRW wurde für knapp drei Viertel der Befragten die Selbstverwaltung der Hochschule durch den akademischen Senat entwertet.
Als Ursache wird von den meisten die Verlagerung der Entscheidungsbefugnisse auf die Leitungsorgane (69 %) gesehen. Das mit großen politischen Visionen eingeführte Gesetz hinterlässt bereits nach einigen Jahren erhebliche Kollateralschäden. So beklagen in der Umfrage rund 40 % der Befragten, ihr Engagement in der Hochschule sei dadurch gebremst worden und 43 % der Professorinnen und Professoren fühlen sich sogar in ihrer wissenschaftlichen Freiheit nach Art. 5 Abs. 3 GG beeinträchtigt. Ergebnisbericht von Leo Hellemacher.

Eine Million Jobverluste in Deutschland? Zur Diskussion über die Beschäftigungseffekte von Mindestlöhnen

Die Entscheidung von Union und SPD, einen gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro brutto je Stunde einzuführen, rief die erwarteten Reaktionen hervor.[1] Bereits im Vorfeld hatte „Star-Ökonom“ („Focus“) Hans-Werner Sinn, Präsident des Ifo-Instituts, vor den verheerenden Folgen gewarnt: „Ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 Euro würde nach unseren Schätzungen gut eine Million Arbeitsplätze vernichten“ (zit. nach Focus-Online – Ifo-Chef Sinn warnt vor Mindestlohn: „Vernichtet eine Million Arbeitsplätze“). Unterstützung erhielt er von einem zweiten „Star-Ökonomen“ („Focus-Money“), nämlich Thomas Straubhaar, dem Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts. Dieser beklagte nicht nur „die Beschäftigung zerstörenden Wirkungen von Mindestlöhnen“, sondern auch die fehlende Einsicht in die negativen Folgen auf Seiten der Politiker und ihrer Wähler: „[…] offensichtlich sind weder die politischen Entscheidungsträger noch deren Wähler(innen) willens, sich die klugen ökonomischen Argumente zu Eigen zu machen“ (Straubhaar 2013).[2] Ein Gastartikel von Günther Grunert.

Günter Wallraff: „Lug und Trug statt Treu und Glauben“

Günter Wallraff erhebt erneut schwere Vorwürfe gegen Amazon. Der Online-Versandriese beute Menschen in Kooperation mit den Arbeitsagenturen über die Erschöpfungsgrenzen hinaus aus. Arbeitslose seien gezwungen, in den Werkhallen bis zu 15 Kilometer am Tag zu laufen. Im System aus Überwachung und Dauerdruck komme es immer wieder zu Herzattacken und Kreislaufzusammenbrüchen. Es gab Fälle, wo Diabetikern sogar verboten worden sei, Injektionen und Traubenzucker mit an den Arbeitsplatz zu nehmen. In diesem Licht gewinnt der Tod eines 50-Jährigen bei Amazon in Koblenz an Brisanz.
Das Interview [*] mit Günter Wallraff führte Christoph Hardt.

Blue-Card-Desaster – warum meiden Fachkräfte Deutschland?

Frank-Jürgen Weise, seines Zeichens Chef der Bundesagentur für Arbeit, zeigte sich zu Beginn des neuen Jahres zerknirscht. Die Blue Card, mit der Fachkräfte aus Nicht-EU-Ländern nach Deutschland gelockt werden sollen, hat sich als grandioser Flop erwiesen. Nur rund 3.000 Menschen kamen in den letzten anderthalb Jahren mit der Blue Card ins Land. Um aus der Blue Card doch noch ein Erfolgsmodell zu machen, hat sich BA-Chef Weise nun jedoch einen „phantastischen“ Plan ausgedacht. Bislang darf die Blue Card nur dann erteilt werden, wenn Bewerber in sogenannten „Mangelberufen“ nachweisen können, dass sie hierzulande mindestens 37.128 Euro verdienen. Dieser Mindestsatz soll nun nach dem Wunsch von Weise gesenkt werden. Die „Logik“ dahinter: Wenn wir für 37.128 Euro keine Fachkräfte anwerben können, dann sollte es mit viel weniger Geld doch ganz sicher klappen. Dies ist freilich Unsinn – wie viele andere Argumente in der Debatte um den Zuzug qualifizierter Arbeitskräfte auch. Von Jens Berger

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SPD macht Asmussen zum Staatssekretär – Politischer Offenbarungseid zur Freude der Banken-Lobby

Es gibt Nachrichten, die sind derart abstrus, dass man sich am liebsten noch einmal vergewissern will, ob heute vielleicht doch nicht der 1. April ist. Die Meldung, dass Andrea Nahles als designierte Bundesministerin für Arbeit und Soziales ausgerechnet das EZB-Direktoriumsmitglied Jörg Asmussen zu ihrem neuen politischen Staatssekretär macht, gehört zweifelsohne dazu. Vordergründig spielt hier natürlich die Frage eine Rolle, warum Nahles einen bekennenden Marktliberalen in eine der wichtigsten Schlüsselpositionen des Arbeitsministeriums beruft. Wer hinter die Kulissen blickt, erkennt jedoch schnell, dass es bei dieser Personalentscheidung um viel mehr geht. Der Wechsel Asmussens von Frankfurt nach Berlin nutzt vor allem den deutschen Finanzinstituten, ihre Interessen in der geplanten Banken-Union umzusetzen. Von Jens Berger

Die Debatte um die Rente mit 63 – wieder einmal ein Musterbeispiel von Meinungsmache

„Eine Frühverrentungswelle schwappt heran“, so macht die wirtschaftsliberale FAZ auf und die angeblich sozial-liberale Frankfurter Rundschau titelt „Frühe Rente benachteiligt Frauen“. Die Vorkämpfer der Rente mit 67 machen mit massiver propagandistischer Unterstützung des Bundessozialministeriums und der Deutschen Rentenversicherung gegen die im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD vereinbarte Rente mit 63 nach 45 Versicherungsjahren mobil. Keiner redet mehr über die Zerstörung der gesetzlichen Rente, die mit den Rentenreformen insgesamt und zusätzlich mit der Rente mit 67 politisch ausgelöst wurde. Dass 2011 gerade einmal 12,5 Prozent der 63-Jährigen tatsächlich noch vollzeitbeschäftigt waren, darüber spricht niemand. Von Wolfgang Lieb

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Zeichnen auch Sie bitte die Petition zur Abschaffung der Sanktionen und Leistungseinschränkungen bei Hartz IV

Nur in absoluten Ausnahmefällen weisen wir von den NachDenkSeiten redaktionell auf Petitionen hin. Doch die laufende Petition 46483 die von der äußerst engagierten Jobcenter-Mitarbeiterin Inge Hannemann eingereicht wurde, die aufgrund ihrer Kritik an den Sanktionen zur Zeit vom Jobcenter im Hamburger Bezirk Altona freigestellt ist, ist derart wichtig, dass wir gerne eine Ausnahme machen. Von Jens Berger

Neoliberales Zitierkartell – mit fragwürdigen Zahlen gegen Mindestlöhne

In den letzten Wochen häufen sich Presseartikel und wissenschaftliche Arbeiten, in denen nachdrücklich gegen die Einführung eines allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland Stellung bezogen wird. Man könnte den Eindruck bekommen, dass hier von einer großen Zahl an Akteuren regelrecht eine Kampagne losgetreten wurde. Eines der in vielen Artikeln und Arbeiten immer wiederkehrenden Argumente lautet, dass ein Mindestlohn von 8,50 Euro im internationalen Vergleich sehr hoch bzw. zu hoch sei. Als Beleg dafür wird in vielen dieser Texte, offen oder verdeckt, direkt oder indirekt, auf eine einzige, am Institut der deutschen Wirtschaft entstandene Studie Bezug genommen. Diese Quelle aber ist äußerst kritisch zu sehen. Von Patrick Schreiner[*]

Manager-Gehälter – SPD und Union wollen FDP-Vorschlag umsetzen

Wie die Süddeutsche gestern meldete, sind sich SPD und Union bei ihren Koalitionsverhandlungen offenbar darüber einig, eine gesetzliche Änderung bei der Festlegung der Managergehälter durchzuführen. Man wolle umsetzen, dass „künftig die Aktionäre über die Managergehälter entscheiden und nicht mehr der Aufsichtsrat“. Was sich auf den ersten Blick wie eine sinnvolle Änderung anhören mag, ist bei genauerer Betrachtung jedoch bereits heute möglich. Unter dem Strich würde eine solche Regelung jedoch die der Rechte der Gewerkschaften beschneiden. Kein Wunder, schließlich greift dieser Entschluss 1:1 auf ein Positionspapier der FDP zurück. Von Jens Berger.

Die 1:12 Initiative in der Schweiz: Provokation oder notwendige Korrektur von Machtmissbrauch?

“Die Einkommensverteilung hat sich in Mitteleuropa in den letzten Jahren vor und nach Steuern immer weiter zugunsten der hohen Einkommen verschoben. Gleichzeitig sind positive Ergebnisse dieser Politik bei den Investitionen und bei der Produktivität nicht zu erkennen. Auch in der Schweiz bleiben die Einkommen der großen Mehrheit der Bevölkerung hinter der Produktivitätsentwicklung zurück, was zu weiterer funktionsloser Ungleichheit führt. Das ist fatal: Anstatt die Investitionen in Sachkapital und die Binnenwirtschaft zu stärken, drängen wir die Wirtschaft immer mehr in den Export und in spekulative Anlagen. Damit verstärken wir die Instabilität des Systems und spalten die Gesellschaften Europas. Angesichts dessen geht die 1:12 Initiative in die richtige Richtung und deshalb unterstütze ich sie”, sagt Heiner Flassbeck. Hier eine Stellungnahme von ihm und Friederike Spiecker zu der Schweizer Volksinitiative „1 : 12 – Für gerechte Löhne“ angestoßen von den dortigen Jungsozialisten unterstützt von der SP, den Grünen, dem Schweizerischen Gewerkschaftsbund und der Gewerkschaft Unia. Am 24. November 2013 wird darüber abgestimmt.

„Sozialer Arbeitsmarkt“ – Ein noch gigantischerer und zudem entwürdigenderer Niedriglohnsektor

Unter der Überschrift „Sozialer Arbeitsmarkt“ hat sich eine ungewöhnliche Allianz von Sozialverbänden, über die SPD, die Grünen bis hin zur FDP zusammengefunden. Auch in der CDU gibt es Sympathien für ein neues Beschäftigungsmodell für Langzeitarbeitslose. Freiwillig, existenzsichernd bezahlt und möglichst langfristig soll nach diesem Modell Langzeitarbeitslosen am Arbeitsmarkt und zwar am ersten Arbeitsmarkt eine „sinnvolle, normale, nicht stigmatisierende Beschäftigung“ verschafft werden. Das geltende Hartz IV-Systems soll dazu an zwei Stellen verändert werden, nämlich erstens durch den Wegfall der Voraussetzungen, dass die öffentlich geförderte Beschäftigung (Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Arbeitsgelegenheiten, Beschäftigungszuschüsse) für Langzeitarbeitslose „gemeinnützig, zusätzlich und wettbewerbsneutral“ sein müssen und zweitens durch einen sog. „Passiv-Aktiv-Transfer“ (PAT), bei dem die Mittel für den „passiven Leistungsbezug“ aktiv zur Finanzierung von sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen, sprich als Lohnsubvention an die anstellenden Arbeitgeber eingesetzt werden sollen. Eine „Win-Win-Situation“ könnte man meinen. Helga Spindler, Professorin für Sozial- und Arbeitsrecht, widerspricht dem energisch. Sie befürchtet einen noch gigantischeren und zudem entwürdigenderen Niedriglohnsektor.

Der Ökonom als Menschenfeind?

Über gesellschaftliche Verrohung und die etablierte ökonomische Theorie
Ein Interview mit dem Volkswirt und Wirtschaftsethiker Sebastian Thieme über Fragen nach der Entsolidarisierung der Gesellschaft etwa durch die Hartz-Reformen, nach dem Menschenbild hinter den vorherrschenden ökonomischen Lehren, nach der Ökonomisierung der Gesellschaft und der ethischen Verantwortung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Das Interview für die NachDenkSeiten führte Jens Wernicke.

Wird die SPD aus Fehlern lernen? – Ein Rückblick auf die Große Koalition von 2005 – 2009

Nach der dritten Sondierungsrunde zwischen CDU/CSU und SPD hat sich die Verhandlungsgruppe der Sozialdemokraten einstimmig entschlossen, dem SPD-Parteikonvent am Sonntag die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen vorzuschlagen. Es müsste schon ein Wunder geschehen, wenn der „kleine Parteitag“ diesem Vorschlag nicht folgen würde.
Albrecht Müller hat darauf hingewiesen, dass man mit der Feststellung, dass eine linke Koalition keine Chance habe, das Denken nicht einstellen dürfe und eine Große Koalition, wie etwa auch die von 1966 bis 1969, daran gemessen werden müsse, welche wichtigen Programmpunkte die SPD zusätzlich zum Mindestlohn vor allem auf dem Gebiet der Sozial- und Steuerpolitik in einem Koalitionsvertrag verankern kann.
Der Parteikonvent am Wochenende und danach die Mitglieder der SPD bei ihrem Votum über den ausgehandelten Koalitionsvertrag müssten eigentlich aus den ausgesprochen negativen Erfahrungen in der letzten Großen Koalition von 2005 bis 2009 gelernt haben. Sie sollten sich deshalb die Fehler, die die Sozialdemokraten damals in der Regierung gemacht und die zum Niedergang der SPD geführt haben, vor ihrer Abstimmung noch einmal in Erinnerung rufen. Der Parteikonvent müsste der SPD-Verhandlungsgruppe für die Koalitionsgespräche einen klaren Auftrag auf den Weg geben, den damaligen sozial- und steuerpolitischen Schaden wieder gut zu machen, der bis zur Bundestagswahl im September nachwirkte und wesentliche Ursache für das abermals schlechte Abschneiden der SPD war. Als Anstoß, aus gemachten Fehlern die Lehren zu ziehen, bieten wir den Delegierten und den Mitgliedern der SPD einen Rückblick auf die Regierungspolitik der letzten Großen Koalition von Christoph Butterwegge an.

Kurzer Dienstweg eines Agenda-2010-Ingenieurs u.a.m. – Nachtrag zu Wolfrums Werk

Zu meinem Beitrag vom 18.9.2013 über das Buch des Heidelberger Professor Wolfrum „Rot-Grün an der Macht“? „Müssen Historiker so tendenziös und so schlecht arbeiten wie der Autor Wolfrum …“ erhielten wir einige interessante Beiträge von NachDenkSeiten-Lesern. In diesen Beiträgen wird davon berichtet, wie sich Wissenschaftler, namentlich die Historiker Winkler, Wehler und der Autor Wolfrum instrumentalisieren lassen bzw. selbst versuchen, Politik zu machen. Im konkreten Fall geht es um das Programm und die Durchsetzung der Agenda 2010. Das abgekartete Zusammenspiel von Politik, Geldgebern und Wissenschaft wird sichtbar. – Wer sich für die Entstehungsgeschichte der Agenda 2010 und auch für die Tücken der Geschichtsschreibung nicht besonders interessiert, sollte diesen Text vielleicht nur überfliegen. Für Interessierte enthält er viel Material und gute Gedanken. Der Dank dafür gebührt den NachDenkSeiten-Lesern. Albrecht Müller.

Chance 2020 – Die INSM will es noch einmal wissen (2/4)

Als vor fast 10 Jahren die NachDenkSeiten das Licht der Welt erblickten, kritisierte Albrecht Müller in unserem allerersten Artikel eine Kampagne der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM). Seitdem begleiten uns die Kampagnen der INSM in steter Regelmäßigkeit – wer auf den NachDenkSeiten nach „INSM“ such, kommt auf stolze 1.320 Treffer. Wie zu befürchten war, versucht die INSM nun auch mit einer aktuellen Kampagne Einfluss auf die kommenden Koalitionsverhandlungen zu nehmen. Da die maßgeblich von Wolfgang Clement erarbeitete aktuelle Kampagne mit dem Namen „Chance 2020“ im Grunde alter neoliberaler Wein aus neuen Schläuchen ist, auf den wir bereits unzählige Male inhaltlich eingegangen sind, wollen wir Ihnen an dieser Stelle eine vierteilige Serie anbieten, in denen wir Ihnen zahlreiche Gegenargumente zu den 21 Forderungen der Chance 2020 an die Hand geben. Im zweiten Teil geht es heute um das Themenfeld „Arbeit“. Von Jens Berger.