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Agenda 2010

Die FDP und die Schlecker-Pleite – Polittaliban außer Kontrolle

Um sich als Hüter der reinen marktliberalen Lehre zu profilieren, ließ die FDP gestern die Verhandlungen über die Einrichtung einer Transfergesellschaft für rund 11.750 Schlecker-Mitarbeiter platzen. Sogar aus ordnungspolitischer Sicht ist dies jedoch fatal, geht es bei der Transfergesellschaft doch nicht nur um die bereits entlassenen Mitarbeiter, sondern vor allem um die rund 13.250 noch vorhandenen Arbeitsplätze, die nun durch die FDP-Blockade ebenfalls vor dem Aus stehen. Die FDP ist unberechenbar geworden. In ihrem jetzigen Zustand ähnelt sie einem wandelnden Pulverfass. Von Jens Berger.

JBs Wochenrückblick – Kampf um die Deutungshoheit der Gauck-Zitate

Zumindest in einem Punkt weist der Pastor Joachim Gauck bereits jetzt eine erstaunliche Parallele zu den Evangelisten auf – um die Exegese seiner Worte ist ein heißer Streit entbrannt. Nachdem Patrick Breitenbach am Montag die Metaebene betrat und sich eifrig ins Zeug legte, Gaucks Zitate in den rechten Kontext zu rücken, griff auch SPIEGEL-Online-Kolumnist Sascha Lobo die Kritik an der Kritik Gaucks am Dienstag auf. Die beiden Artikel hinterließen zwar einen virtuellen Scherbenhaufen, schrammten jedoch mit Bravour am vorgegebenen Ziel vorbei. Die umstrittenen Zitate des designierten Bundespräsidenten sind auch im jeweiligen Kontext zu kritisieren. Von Jens Berger.

Kein Grund zum Feiern: 10 Jahre Hartz-Kommission

Am 22. Februar 2002 richtete die rot-grüne Regierung eine Kommission „Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ ein, die Peter Hartz, seinerzeit Personalvorstandsmitglied der Volkswagen AG, leitete und eigentlich nur Vorschläge zur Organisationsreform der Bundesanstalt für Arbeit (Umwandlung der Nürnberger Behörde in eine moderne Dienstleistungsagentur) machen sollte. Nachdem diese wegen gefälschter Vermittlungsbilanzen ins Kreuzfeuer der Kritik geraten war, nutzten die sozialdemokratischen und bündnisgrünen „Modernisierer“ den Skandal, um den von ihnen beklagten „Reformstau“ auf dem Arbeitsmarkt aufzulösen. Von Christoph Butterwegge.

Umbruchsbewältigung – Soziologie: eine Wissenschaft (be-)sucht die Gesellschaft

Drei Tage lang war in Frankfurt am Main das „Amt für Umbruchsbewältigung“ geöffnet. In „Amtsstuben“ saßen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Soziologie, der Politologie, der Jurisprudenz. Wer die „Sprechstunde“ mit ihnen suchte, zog draußen im Flur eine Nummer und wartete, bis sie aufgerufen wurde. Jeweils zwanzig Minuten lang diskutierten mit jedermann unter anderen die Professoren für politische Theorie, für Sozialphilosophie und Rechtstheorie, Rainer Forst, Axel Honneth und Klaus Günther, die zu den bekanntesten intellektuellen Köpfen der Universität zählen. Die Neugier war groß, auf beiden Seiten. Von Jutta Roitsch

Buchbesprechung: Aufstieg und Krise der SPD

Die gut lesbare politologisch-soziologische Dissertation von Max Reinhardt – betreut von dem Politologen und Sozialstrukturforscher Michael Vester – analysiert in ihrem ersten Teil die Entwicklungen der Strömungen und Richtungskämpfe in der SPD nach 1945 aus (partei-)linker Perspektive. In einem zweiten Teil wird versucht, anhand der Biografien von dreizehn interviewten SPD-Spitzenpolitikern der Nachkriegsgeschichte herauszuarbeiten, welches politische Spektrum innerhalb der Sozialdemokratie diese „verkörperten“ und damit gleichzeitig für die unterschiedlichen Wählermilieus repräsentierten.
Wer an der Geschichte und der Entwicklung etwa der „Seeheimer“, der „Netzwerker“, der „Schröder-Gruppe“ oder aber der verschiedenen linken Gruppierungen in der SPD interessiert ist, der kann aus dem ersten Teil großen Gewinn ziehen. Wer es spannend findet, warum etwa bei Hans-Jochen Vogel die Klarssichthülle zum habituellen Attribut werden konnte oder warum und wie die „sozialen Aufsteiger“ um Gerhard Schröder mit ihrem individualistischen Karrieredenken in der SPD die Hegemonie erlangten, obwohl sie in der Partei keineswegs die Mehrheit hatten, für den ist der zweite Teil anregend. Von Wolfgang Lieb.

Wie erwartet: Die perfekte Gleichschaltung funktioniert – aktuell zu Beschäftigung und Konsum

Am 29.12. haben wir auf die „Perfekte Meinungsmache-Strategie zur Vorbereitung der Stimmung im neuen Jahr“ hingewiesen. In den Hinweisen vom 4.1. finden Sie Fakten zur wirklichen wirtschaftlichen Lage. Davon unabhängig wird die Stimmung in nahezu allen Medien und unter Beteiligung der Wirtschaftsverbände perfekt gemacht. Ein Freund der NachDenkSeiten und Einzelhändler berichtete z.B. in den letzten Tagen von der Stimmungsmache im Saarland. In anderen Regionen wird es ähnlich sein. Am 4. Januar schlage ich meine Regionalzeitung, „Die Rheinpfalz“, auf. Wie ein roter Faden von der ersten Seite bis in den Lokalteil: Erfolgsmeldungen zu Beschäftigung und Konsum. Albrecht Müller.

Die doppelte Spaltung der Gesellschaft

Wirft man einen oberflächlichen Blick auf die Entwicklung in Deutschland, so fällt eines sofort ins Auge. Die Gesellschaft ist seit der Jahrtausendwende erheblich ungleicher geworden. Wies Deutschland im internationalen Vergleich lange Jahrzehnte eine relativ ausgeglichene Einkommensstruktur auf, lag international im unteren Mittelfeld, nahe bei den für ihre geringen Einkommensunterschiede bekannten skandinavischen Ländern, so hat sich das binnen eines Jahrzehnts dramatisch verändert. Heute liegt Deutschland zwar immer noch im Mittelfeld, jetzt aber am oberen Rand, weit weg von den skandinavischen und relativ nahe an den angelsächsischen Staaten wie Großbritannien, Irland oder den USA. Nach OECD-Angaben hat sich im letzten Jahrzehnt nur in zwei europäischen Ländern die Einkommenskluft zwischen dem oberen und dem unteren Fünftel noch stärker geöffnet, in Bulgarien und Rumänien. Von Michael Hartmann

8 Jahre NachDenkSeiten – Wir machen weiter – weiter zu Ihrem Nutzen. So hoffen wir.

Am 30. November 2003, heute vor acht Jahren, erschien der erste Beitrag auf den NachDenkSeiten. Unter der Überschrift „INSM verbreitert die Öffentlichkeitsarbeit“ haben wir damals darauf aufmerksam gemacht, „welche Kräfte heute in unserer Gesellschaft das Sagen haben und wie sie arbeiten“. Wie aktuell diese Frage ist, wer bei uns im Lande die öffentliche Meinung und die Politik bestimmt und mit welchen Methoden das geschieht, konnte man am letzten Sonntag am Ergebnis der Volksabstimmung über das Projekt Stuttgart 21 wieder einmal erfahren.
Wir resignieren dennoch nicht. Wir setzen weiter darauf, die Machtstrukturen und Propagandalinien offen zu legen. Es bleibt uns wie Ihnen nichts anderes übrig, als ein bisschen mehr Vernunft zum Durchbruch zu verhelfen. Die NachDenkSeiten brauchen dabei Ihre Unterstützung.

Beispiele für die weit gehende Gleichschaltung vieler Medien auf der Linie von Merkel und Co.

Es entspricht nicht den Regeln der politischen Korrektheit, Begriffe für die Verhältnisse bei den Nazis zur Beschreibung der Verhältnisse von heute zu benutzen. Aber ich missachte diese Regel bewusst, weil sie als eine Art Schutz vor Kritik missbraucht wird. Die Gleichschaltung, der sich viele Medien unterwerfen, ist nämlich verheerend für das Gedeihen unserer demokratischen Verhältnisse. Auf gute Belege dafür trifft man täglich. Albrecht Müller.

Kein sozialer Fortschritt – nirgends! – Eine kritische „Halbzeitbilanz“ der CDU/CSU/FDP-Koalition

„Für Sozialkürzungen sehe ich überhaupt keinen Anlass. Das würden die Menschen zu Recht nicht verstehen. Für die Banken werden Milliarden ausgegeben, für die normalen Leute hat man nichts? So wird es nicht laufen. Gerade in der Krise müssen sich die sozialen Sicherungssysteme bewähren.“ Das sagte Volker Kauder, Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, in einem Interview, welches die taz am 6. April 2009 veröffentlichte. Nach ihrem Erfolg bei der Bundestagswahl vom 27. September 2009 versprachen CDU, CSU und FDP im Koalitionsvertrag, „durch Zusammenhalt und Solidarität“ sozialen Fortschritt erreichen zu wollen. Was von dieser Ankündigung nach zwei Jahren Schwarz-Gelb übrig geblieben ist, darüber zieht Christoph Butterwegge eine Bilanz.

Der bittere Befund: Auch Rot und Grün und viele Medien kleben an der Agenda 2010 und den dahinter steckenden neoliberalen Vorstellungen

Dieser Befund ist nicht unbedingt neu. Aber man gibt sich – auch ich gebe mich – gelegentlich der Hoffnung hin, unter dem Eindruck des offensichtlichen Scheiterns der neoliberalen Theorie würden sich zumindest Rot und Grün und einige Medien eines Besseren besinnen. Das ist leider nicht der Fall. Die aggressive Reaktion auf das Grundsatzprogramm der Linken ist ein aktueller Beleg dafür. Die programmatischen Festlegungen der Linken sind in wichtigen Teilen ein Spiegel, den die Linkspartei der SPD und den Grünen hinhält. Sie erkennen darin, dass sie wichtige und richtige eigene Positionen verlassen und verraten haben. Deshalb die Aggression. Albrecht Müller.

„Kampagnen der Arbeitgeber, die auf Sprache zielen“

Stichworte für eine Diskussion im Rahmen des vom ÖGB-Verlag getragenen „#sbsm camps Soziale Bewegungen und Social Media“ vom 18. bis 20. Okober im ÖGB-Haus in Wien.
Der ÖGB-Verlag fungiert als die publizistische Drehscheibe des Österreichischen Gewerkschaftsbundes. Das Camp mit bis zu 300 Teilnehmer/innen wurde aus Anlass der Herausgabe eines Handbuchs für den Einsatz von Web 2.0 veranstaltet und war ein Treffpunkt zahlreicher „AktivistInnen“ der unterschiedlichsten sozialen Bewegungen des deutschsprachigen Raumes, die sich des Webs 2.0 als Plattformen bedienen. Von Wolfgang Lieb

6,5 Millionen fehlende Fachkräfte? Wie eine zweifelhafte Zahl das Licht der Welt erblickte

Unter dieser Überschrift verschickte der Mathematiker und Statistiker Gerd Bosbach das interessante Ergebnis seiner und seines Kollegen Korff Recherchen zu einer im Mai publizierten Warnung des Chefs der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, im Jahre 2025 würden 6-7 Millionen Fachkräfte in Deutschland fehlen. Wir weisen auf den Artikel von Bosbach/Korff hin, weil er in vieler Hinsicht interessant ist. In den deutschen Medien wurde Bosbachs Bericht nahezu nicht wahrgenommen. Er wundert sich darüber, ich nicht. Denn so ist die Medienlage. Was nicht in die Linie des üblichen Kampagnenjournalismus passt, wird einfach ignoriert. Was passt, wird vielfältig und in Variationen publiziert und propagiert. Albrecht Müller.