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Erosion der Demokratie

Sie verscherbeln, was ihre politischen Großväter an öffentlichen Einrichtungen aufgebaut haben. Auch Scharping ist im Geschäft.

In der vergangenen Woche war ich unterwegs auf Lesereise, unter anderem in Frankfurt, Berlin und Lübeck. In den Diskussionen spielte die massiv betriebene Privatisierung öffentlichen Eigentums eine große Rolle. Überall im Land werden zur Zeit die mit Hilfe der Steuerzahler aufgebauten kommunalen und Landeseinrichtungen privatisiert, verkauft, verscherbelt. In Hessen zum Beispiel wird systematisch das Landeseigentum zur Disposition gestellt, in Lübeck und Kiel die einzige Universitätsklinik des Landes Schleswig-Holstein. In vielen Privatisierungsfällen wird das von Rot-Grün mithilfe der Union noch kurz vor den Wahlen 2005 durchgeschleuste ÖPP-Beschleunigungsgesetz genutzt. In „Machtwahn“ habe ich beschrieben, dass bei diesen Privatisierungsvorgängen nicht die Frage entscheidend ist, ob die Privatisierung als gut oder schlecht zu betrachten ist. Man kann die Privatisierungsorgie, wie ich das nennen würde, nur begreifen, wenn man fragt, wer daran verdient.
Auf eine Antwort auf diese letzte Frage bin ich von einem Freund der NachDenkSeiten aufmerksam gemacht worden. Eine wahre Offenbarung: Rudolf Scharping – unter anderen natürlich. Machen Sie sich selbst ein Bild.

Ich drücke mich vornehm aus: unsere Regierenden sind nicht mehr ganz bei Trost.

Unter der Überschrift „Bogen des Missvergnügens“ berichtet die Financial Times am 30.8. von einem gemeinsamen Auftritt der Bundeskanzlerin und des Vizekanzlers Müntefering. Selbiger meinte: “Wir werden im Moment gemessen an dem, was im Wahlkampf gesagt wurde. Das ist unfair.” Ich dachte, ich lese falsch. Aber, Sie lesen richtig. Unsere Regierenden werden immer dreister. Sie beklagen sich darüber, dass wir uns der Wahlkampfaussagen erinnern.

„Krake Bertelsmann“ – eine Dokumentation

Diese Rubrik heißt „Krake Bertelsmann“, weil die Bertelsmann Stiftung, die Bertelsmann AG, ihre Tochterfirmen, ihre angegliederten Unternehmen und Institute ein höchst einflussreicher und weit verzweigter Machtfaktor in Deutschland sind. Sie haben die so genannte Reformpolitik entscheidend mitgeprägt, Bertelsmann hat maßgeblichen Einfluss auf die Bildungsreformen, auf die demographische Debatte, auf die Meinungsbildung zur Altersvorsorge und auf die gesellschaftspolitische Debatte insgesamt. Bertelsmann ist ein Staat im Staate, teilweise beanspruchen die Bertelsmann Stiftung und ihre Vertreter schon so etwas wie öffentliche Gewalt und spielen sich als oberste Beurteilungsinstanz für Ministerien, Kommunen und öffentliche Einrichtungen wie Universitäten und Schulen auf.
Diese Macht ist nicht demokratisch legitimiert, sie stützt sich ausschließlich darauf, dass der Konzern und seine Stiftung mehr Geld hat als jede andere private und staatliche Institution, Expertisen und Gutachten erstellen zu lassen, Kongresse zu veranstalten, Forschungsaufträge zu erteilen um die Mission ihres Patriarchen zu verbreiten. Bertelsmann gewinnt seinen Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung und auf das politische und gesellschaftliche Leben vor allem auch dadurch , dass der Konzern über wichtige Teile der Medien in Deutschland verfügt oder großen Einfluss darauf hat. Wolfgang Lieb und Albrecht Müller.

Der „Ruck“-Präsident Herzog: Wenn´s dem deutschen Volk mal richtig schlecht geht, dann könnte der Ruck kommen.

In der aktuellen Ausgabe des Magazins GELDIDEE aus dem Bauer Verlag ist ein Interview mit unserem ehemaligen Präsidenten Roman Herzog über “über weltfremde Politiker, ängstliche Bürger und die Verantwortung von Managern” abgedruckt. Die Lektüre lohnt sich, weil dort z.B. ziemlich unverhüllt ausgesprochen wird, was hinter der Forderung nach mehr „Freiheit“ steht, nämlich der Abbau von Demokratie und die Entmachtung des Staates. Fazit des Mitbegründers des „Konvents für Deutschland“: Die Eliten sind gut, das Volk ist schlecht. Einer aus dem Volk, Leser der NachDenkSeiten, empört sich.

Nie zuvor war das Vertrauen der Bevölkerung gegenüber den politischen Parteien geringer. Die Große Koalition steht in der Wertung der Wähler wieder so schlecht da wie die Regierung Schröder.

Die „Menschen“ sind zu Veränderungen bereit, das Volk wünscht Reformen, so behaupten vom Bundespräsidenten, über die Parteispitzen bis zu den Leitartiklern alle.
Das mag wohl sein, aber offenbar halten die Leute die Richtung der Veränderung und die Art der Reformen für falsch oder wenigstens für untauglich. Wie wäre es sonst zu erklären, dass die relative Mehrheit der Überzeugung ist, dass keine der Parteien in der Arbeits-, Renten-, Steuer- und der Gesundheitspolitik zielführende Lösungen anbietet. 66% der Bürger trauen keiner der politischen Partei zu, die Probleme in den Griff zu bekommen.
Die Antwort des vorherrschenden Meinungskartells auf diese Abwendung des Volkes von der praktizierten Politik dürfte wieder einmal sein: Erhöhung der Reformdosis und Beschleunigung der Veränderung.
Auf den ziemlich nahe liegenden Gedanken, dass die Menschen dem Reformkurs insgesamt misstrauen und Reformen und Veränderungen in einer ganz anderen Richtung wünschen, kommt kaum jemand.

Sind wir zu radikal? Eine Anmerkung zum Selbstverständnis der NachDenkSeiten:

Ein guter Freund der NachDenkSeiten hat nach Lektüre meines (AMs) Interviews im Tagesspiegel mit dem Titel „Dumm oder korrupt?“ die Sorge geäußert, wir begäben uns mit solch harten Formulierungen in die Gefahr, manch Wohlmeinenden abzuschrecken und uns zu isolieren. Diese Gefahr sehen wir auch. Aber was sollen wir machen, wenn das politische Geschehen im Lande solche harten Urteile rechtfertigt, ja geradezu herausfordert? Wir haben viele Nutzer, die froh sind, dass in den NachDenkSeiten nicht um den heißen Brei herum geredet wird. Wir haben aber auch andere, denen manche unserer Urteile zu radikal erscheinen, die, obwohl sie eine Grundsympathie für unsere kritische Begleitung des Geschehens haben, die Hoffnung haben, unsere Kritik sei nicht immer berechtigt, die Kritisierten würden doch nach ihrem besten Wissen und Gewissen handeln. Weil uns dieses Problem bewegt, wollen wir an zwei Beispielen unser Dilemma erläutern. Albrecht Müller/Wolfgang Lieb.

Armer Erhard Eppler oder wie ein ehemals ehrenwerter Moralist sich zum „nützlichen Instrument“ des neoliberalen Netzwerks machen lässt.

Die herrschenden Meinungsmacher sind gute Strategen. Sie haben erkannt, dass sie Zeugen mit linkem Image brauchen, um ihre Meinung auch ins linke und linksliberale Lager zu tragen: Z.B.: Der sozialdemokratische „Versicherungsvertreter“ Rürup erklärt bei einer Konferenz von Verdi am 25.4.06, warum Privatvorsorge nötig ist; die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft bedient sich der Roten und der Grünen, Clement und Mosdorf, Metzger und Scheel als Botschafter ihrer Agitation; der als links geltende Erhard Eppler warb für die Bomben im Kosovo-Krieg wie für die Agenda 2010, für die Hartz-Gesetze und für Gerhard Schröder. Jetzt lässt er sich in der Süddeutschen Zeitung vom 19.6. gegen mein Buch „Machtwahn“ in Stellung bringen. Leider mit vielen Unterstellungen und wenig Belegen, und noch weniger Bezug auf den Inhalt des Buches.

Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts erklärt das Sozialstaatspostulat des Grundgesetzes zur politischen Verfügungsmasse und der Bundespräsident pflichtet ihm sofort bei.

„Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat“ lautet Artikel 20 des Grundgesetzes. Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier meint dagegen in der FAZ:

Die Grundlagen unserer Verfassung basieren auf dem Prinzip der Eigenverantwortung“ und „das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes belässt dem Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum.

„Wir müssen ein neues Verhältnis finden in der Tat zwischen kollektiver Absicherung und Eigenverantwortung“, pflichtete ihm unser Bundespräsident im DLF bei.
Damit segnet unser oberster Repräsentant des Staates und unser oberster Richter letztlich alles ab, was an Abbau des Sozialstaates noch politisch vorangetrieben werden mag.

Auch in Frankreich ist ein Buch über den „Machtwahn“ erschienen: „1788 – Versuch über die Schlechtdemokratie“ von Roger-Gérard Schwartzenberg.

In der Spalte „Buch des Tages“ stellt in Le Monde vom 10. Juni 2006 Patrick Roger eine Neuerscheinung von Roger-Gérard Schwartzenberg „1788 – Versuch über die Schlechtdemokratie“ vor. Der Autor, der in der Regierung Lionel Jospin Ende der 90er Jahre Forschungsminister war und heute als Abgeordneter der Linksradikalen im Parlament sitzt, zeichnet, ohne zu beschönigen das Bild einer kranken Demokratie und eines Systems am Rande des Zusammenbruchs. Im Gegensatz zu Deutschland scheinen die französischen Politiker den Riss durch die Gesellschaft aber noch wahrzunehmen, die Franzosen führen ihnen diese Kluft auch massenhaft vor Augen. Josef Martin hat uns die Rezension übertragen.

Buchkritik – Jürgen Roths Deutschland Clan

Ein Buch, das ziemlich willkürlich zahllose politische, wirtschaftskriminelle und Justizskandale und Skandälchen aneinander reiht und moralische Empörung über den „schleichenden Niedergang der demokratischen Kultur“ auslösen will. Welche Art der Politik und welche wirtschaftlichen und politischen Interessen dabei im Spiel sind – also das eigentlich Spannende – bleibt blass, ist aufgesetzt oder nachgeschoben. Das Buch moralisiert, aber es ist letztlich unpolitisch.

Christoph Werth: Die Wahrnehmung der Bürger ist im realen Leben eine völlig andere, als die, welche sie von den etablierten Medien präsentiert bekommt.

Der Medienwissenschaftler Christoph Werth über Mainstreamjournalismus, die Tendenz zur Meinungsmache, über das Entstehen einer Oligarchie aus Staat, Wirtschaft, Verbänden und etablierten Medien und über sich dabei entwickelnden Verflechtungen, die sich von demokratischen Grundprinzipien zunehmend entfernen.

Europas Christdemokraten und Volksparteien haben den Anti-Demokraten Berlusconi unterstützt

Berlusconi ist der Prototyp des antidemokratischen Machthabers in Europa: er hat sein Geld auf undurchsichtige Weise verdient, er hat mit diesem Geld Medien gekauft, vor allem Fernsehsender, er hat vor allem damit die politische Macht erobert und diese dann genutzt, um auch öffentliche Medien in die Hand zu kriegen; er hat die Justiz behindert, als diese seiner und seiner Freunde Machenschaften zu verfolgen versuchte. Man sollte nicht vergessen, dass die europäischen Volksparteien und Christdemokraten diesen undemokratischen Typ bis zuletzt unterstützt haben. Belege siehe unten. Bei aller Freude über das hoffentlich baldige politische Ende Berlusconis sollte man auch nicht verdrängen, dass Prodi auch ins neoliberale Lager gehört.

Wahlen: Das Volk verabschiedet sich von der Politik

Der Ausgang der Landtagswahlen brachte, wenn man ausschließlich auf die Stimmanteile der Parteien schaut, keine Überraschungen. Da in der Bundespolitik zwischen den großen Parteien bisher ein Waffenstillstand herrscht und die kleinen Parteien in der öffentlichen Debatte nicht mehr vorkommen, bestätigten diejenigen Wählerinnen und Wähler, die sich noch zu den Wahlurnen aufmachten, die amtierenden Regierungschefs. In Sachsen-Anhalt gingen über 55%, in Baden-Württemberg über 46% und in Rheinland-Pfalz rd. 42% der Wahlberechtigten nicht mehr zur Wahl und auch bei den Kommunalwahlen in Hessen waren die Wähler in der Minderheit. Bei allen diesen Wahlen gab es nicht nur dramatisch zurückgehende sondern historisch einmalig niedrige Wahlbeteiligungen. Ein Alarmzeichen für Politik und Demokratie.

Christoph Butterwegge: Migrationsberichterstattung – Massenmedien als Motoren der Ethnisierung

Über die Ausländer/innen in der Bundesrepublik berichten Massenmedien ganz ähnlich wie über das Ausland, nämlich praktisch nur im Ausnahmefall, der möglichst spektakulär sein und katastrophische Züge tragen sollte, wodurch Zuwanderer mit Unordnung, Chaos und Gewalt in Verbindung gebracht werden. Der medial konstruierte und auf diese Weise deformierte „Fremde“ ist überflüssig oder gefährlich, zu bedauern oder zu fürchten – meistens allerdings beides zugleich. Das gilt vor allem im Hinblick auf Musliminnen und Muslime aus der Türkei, die mit Abstand größte Zuwanderergruppe Deutschlands. Die aktuelle Migrationsberichterstattung reproduziert, forciert und zementiert jenen Trend zur sozialen Polarisierung, den die Globalisierung bzw. neoliberale Modernisierung erzeugt.