Regierungserklärung zum Europäischen Rat – Merkel die Patin

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Das also soll sie gewesen sein, die große Debatte zwei Tage vor der Verabschiedung des Fiskalpakts und des ESM, unkündbare völkerrechtliche Verträge, die die Demokratie in Deutschland und ganz Europa auf unabsehbare Zeit zum Handlanger der „Märkte“ machen und eine aktive Wirtschaftspolitik und den Sozialstaat praktisch auf Dauer strangulieren [PDF – 191 KB]. Die gestrige Regierungserklärung der Kanzlerin und die Debatte im Bundestag darüber hätte man sich auch sparen können. Merkel konnte sich wie ein Mafia-Boss als Patin aufspielen. Sieht so die Beteiligung des Parlaments an den Entscheidungen auf europäischer Ebene aus? Von Wolfgang Lieb.

Die Kanzlerin forderte „mehr Europa“, doch es ging ihr in der Sache nur um die Durchsetzung eines „europäischen Wirtschaftsmodells“, das die überzeugt, „die Vertrauen verloren haben“, nämlich die Finanzmärkte.

Merkel bekräftigt knallhart ihren Standpunkt, dass es „solange sie lebe“ keine solidarische Haftung zwischen den europäischen Ländern gibt. Und wenn man bedenkt, dass der Fiskalpakt unkündbar ist, hat sie mit diesem Schwur gar nicht so unrecht. Mit ihr gebe es auch keine aktive staatliche Konjunkturpolitik („Wachstum auf Pump“). Wachstum – so ihr Dogma – werde nur durch Deregulierung des Arbeitsmarktes und Sozialabbau („Strukturreformen“) generiert, nur so werde langfristig die Wettbewerbsfähigkeit Europas gesichert werden könne. Das einzige Mittel, die aktuelle Krise, die sie natürlich ausschließlich für eine „Staatsschuldenkrise“ hält, zu bewältigen, ist nach Merkel „Sparen“, Kontrolle, Durchgriffsrechte eines undemokratischen Gouverneursrat und die Einführung von Strafen für diejenigen, die die Sparziele nicht schaffen, wenn es sein muss über den Europäischen Gerichtshof exekutierbar.

Primäres Ziele von Merkel sind ganz offensichtlich nicht die Rettung des Euros oder der Zusammenhalt Europas, dessen Kernelement die Währungsunion ist, es geht in erster Linie darum, mit der Androhung des Rauswurfs die im Fiskalpakt angelegte „Sparpolitik“ durchzusetzen und die anderen europäischen Länder zu erpressen, sich mittels von der EU diktierten Rosskuren dem deutschen Agenda-Kurs anzupassen. Ganz Europa müsse sich an der Wettbewerbsfähigkeit der Deutschen messen lassen. Man müsse die Wettbewerbsfähigkeit an den Besten in Europa und in weltweitem Maßstab messen, sagte Merkel.

Mehr Wettbewerbsfähigkeit sei der einzige Schlüssel zu mehr Wachstum, und da seien Portugal, Irland, Italien und Spanien mit den ihnen aufgezwungenen „Reformen“ auf einem guten Weg. Hauptsache die „Hausaufgaben“, die die EU-Kommission aufgegeben hat, würden gemacht, dann werde alles gut. Wie die wirtschaftliche Lage in diesen Ländern tatsächlich aussieht, das ist für sie vernachlässigbar. Welche gesellschaftspolitischen Auswirkungen das Austeritätsdiktat hat, das ist für sie keiner Rede wert, Hauptsache die wirtschafts- und finanzpolitische Schock-Therapie wird durchgehalten.

Hinsichtlich des in den hauptbetroffenen Krisenstaaten notwendigen Wachstums zur Tilgung der Staatschulden, hat Merkel bestenfalls die Tonart geändert. Sie erwähnte das in Rom von ihr und Mario Monti, Francois Hollande und Mariano Rajoy vorgeschlagene „Wachstumspaket“ mit Einstellungszuschüssen an Unternehmen, wenn sie Jugendlichen ein wie auch immer geartetes Beschäftigungsangebot machten. Sie bot jungen Arbeitslosen aus Südeuropa an, dass sie ja nach Deutschland kommen könnten. Und sie erwähnte das Schlagwort vom „better spending“. Was nichts anderes verdecken soll, als dass vorhandene EU-Mittel die schon bisher für mehr Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum sorgen sollten nun künftig erneut für mehr Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum sorgen sollen.
In der Sache wird damit kein Cent mehr für zusätzliches Wachstum investiert, schließlich sind nach Meinung Merkels Investitionsprogramme nichts mehr als „Strohfeuer“ und „Wachstum auf Pump“ funktioniere sowieso nicht. Sie blockt damit eine aktive Rolle des Staates in der Wirtschaftspolitik ab. Einzig das eine wie auch immer geartete und wie auch immer einträgliche Finanztransaktionssteuer könne für Investitionen eingesetzt werden, stellte sie in Aussicht. Bis es dazu kommen mag, dürften Griechenland und andere südeuropäischen Länder möglicherweise schon längst pleite sein.

Den Vorschlägen von EU-Ratspräsident Van Rompuy, EU-Kommissionspräsident Barroso, Euro-Gruppenchef Juncker und dem Zentralbankpräsidenten Draghi z.B. für eine Bankenunion mit gemeinsamer Aufsicht oder einen Einlagensicherungsfonds erteilte die Kanzlerin eine glatte Absage, die in Form und Inhalt jeden diplomatischen Umgangston vermissen lässt. Sie kanzelt die Vierergruppe geradezu als Weicheier ab.

Mit dem was die Kanzlerin in ihrer Regierungserklärung zum Europäischen Rat verkündet hat, kann man sich die Fahrkosten nach Brüssel am Ende der Woche ersparen. Alle, die anreisen müssen sich nach dieser Regierungserklärung regelrecht vor den Kopf gestoßen fühlen. Da gibt es nichts, was noch zu verhandeln wäre.

Die Verhandlungsstrategie der Bundesregierung gegenüber der EU und ihren europäischen Nachbarn erinnert an Methoden von Mafia-Bossen Abtrünnigen ihre Macht zu demonstrieren und ihnen ihre Aufmüpfigkeit ein für alle Mal auszutreiben: Man verspricht jemand, den man vorher in den Abgrund gestoßen hat, nur dann nicht zu Tote stürzen zu lassen, wenn er hoch und heilig verspricht, sich künftig den Gesetzen der Patin zu unterwerfen.

Die Regierungserklärung von Kanzlerin Merkel war nichts mehr als eine Machtdemonstration, die allen Beteiligten in Europa klar machen sollte, wir lassen Euch hängen, wenn ihr nicht dem Weg des massiven „Sparens“ und der „Strukturreformen“ nach deutschem Vorbild folgt.

Frank-Walter Steinmeier von der SPD und die haushaltspolitische Sprecherin der Grünen, Priska Hinz, hatten am Grundkurs der Kanzlerin nur wenig auszusetzen. Sie übten sich einmal mehr im Selbstlob darüber, was sie der Regierung angeblich alles abgerungen haben, um ihr die notwendige Zweidrittel-Mehrheit zu verschaffen. Über den Fiskalpakt und über den Europäischen Stabilisierungsmechanismus (ESM) selbst verloren beide Parteien kaum ein kritisches Wort mehr.

Priska Hinz heftete sich die vage Zusage einer Transaktionssteuer ans Revers. Und obwohl sie die Regierungserklärung hätte eines Besseren belehren müssen, sprach sie von einer „Kurskorrektur“ der Kanzlerin. Das einseitige Spardiktat gehe zu Ende, ja die grüne Hinterbänklerin träumte von einer „Kehrtwende bei Steuersenkungen“ und sogar von einem „Investitionsprogramm“. Mehr parteipolitischer Selbstbetrug geht wohl kaum noch.

Steinmeier mäkelte – wie gewohnt – an Merkel nur herum. Er blies die Backen auf, dass ein Ende „der Schneise der Verwüstung“ nicht in Sicht sei und dass die Kanzlerin nicht „Teil der Lösung, sondern Teil des Problems“ sei. Doch gepfiffen hat er nicht, sondern er wies er nur beleidigt darauf hin, dass die SPD 10 Wochen lang nicht zu Gesprächen über den Fiskalpakt eingeladen worden sei. Um sich danach zu rühmen, das, was Monti, Hollande und Rajoy der Kanzlerin bei ihrem Treffen in Rom abgerungen hatten, als Erfolg der Sozialdemokraten einzuheimsen („Es sind unsere zusätzlichen Forderungen.“). „Konsolidierung und Wachstum“ gebe es nur dank der SPD, wollte er glauben machen.
Die Rechtskonstruktion des Fiskalpakts neben und außerhalb des europäischen Institutionensystems müsse die „absolute Ausnahme“ bleiben. Es dürfe nicht sein, dass das Nachdenken über die Zukunft Europas „allein in den Händen der Exekutivvertreter“ liege. Obwohl Fiskalpakt und ESM genau das vorsehen, will Steinmeier seiner Fraktion empfehlen diesen Vertragswerken zuzustimmen. Seine Forderung wenigstens „Vertreter der Parlamente hinzuziehen“ zeigt nur, dass er die Vertragstexte offenbar nicht gründlich gelesen hat, denn an eine demokratische Legitimation der Entscheidungen etwa des Gouverneursrates für den ESM ist dort wirklich zuletzt gedacht.

Brüderle von der FDP tat wieder einmal das, was er am besten kann, er senkte die Debatte auf Stammtischniveau. Der FDP-Fraktionsvorsitzende setzte Steinmeier schachmatt, indem er ihm ein aktuelles Interview von Gerhard Schröder im Handelsblatt unter die Nase rieb, in dem der Altkanzler eine „mutige Reformagenda“ und „Strukturreformen“ forderte und die Sozialdemokraten davor warnte „den Job der französischen Sozialisten“ zu machen. Zur Rettung Europas gebe es nur drei Wege, nämlich Wettbewerbsfähigkeit, Wettbewerbsfähigkeit und nochmals Wettbewerbsfähigkeit.
In chauvinistischer Manier „kauderte“ Brüderle, dass es so viel „deutsche soziale Marktwirtschaft“ in der EU noch nie gab und dass die „deutsche Stabilitätskultur“ nunmehr „europäisiert“ werde. Die deutsche Oma solle nicht mit ihrem Sparbuch für die Investmentbanker in anderen Ländern haften müssen. Mit „Schuldensozialismus“ sei niemand gedient.

Da nutzte es nichts, dass Gregor Gysi von der Linksfraktion zurecht darauf hinwies, dass wenn man die Aussagen Brüderles ernst nähme, im Bundestag nur „Sozialisten“ säßen, weil die Schulden schon längst vergemeinschaftet seien, indem z.B. der deutsche Anteil an den Kapitaleinlagen in den EMS in Höhe von 27 Prozent schließlich auch vom deutschen Steuerzahler aufgebracht werden würden. Der Unterschied zu den wirklichen Sozialisten in der Linken sei der, dass diese lieber die Banken vergemeinschaften wollten, statt die Schulden der Banken zu vergemeinschaften, wie das die anderen Parteien wollten. Gysi rechnete der Regierung noch einmal vor, dass, wenn sie nicht massive Einschnitte in den Haushalt vornähme, nach in Kraft treten des Fiskalpaktes sie selbst als Erste von den von ihr durchgesetzten Sanktionen aus Brüssel betroffen wäre. Was als Wachstumspaket verkauft würde, sei nicht mehr als die Umwidmung von vorhandenen Finanzmitteln. Mit seinen Forderungen, dass die Löhne in Europa angeglichen werden müssten oder die Steuern auf ein angemessenes Niveau angehoben müssten und mit seiner Warnung, dass der Bundestag zentrale Befugnisse an die Exekutive abgebe, blieb er ein einsamer Rufer in der Wüste.

Es ist nur noch ein Trauerspiel, wie im deutschen Bundestag über eine wirkliche Schicksalsfrage diskutiert wird. Da hilft es auch nicht, wenn das Bundesverfassungsgericht die Rechte des Parlaments noch so sehr verteidigt.

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