„Politiker wollen BSW vom Verfassungsschutz beobachten lassen“. So titelt es der SPIEGEL krachledern in seiner jüngsten Ausgabe. Da staunt der Laie und der Fachmann wundert sich. Wie kommt der SPIEGEL auf diese steile These? Wer sich den Text zu Gemüte führt, erkennt schnell, dass es sich hierbei um eine fadenscheinige Kampagne des SPIEGEL selbst handelt. Autor Timo Lehmann hat ganze drei Hinterbänkler aus Brüssel und Brandenburg gefunden, die ihm – offenbar auf Zuruf – verwurstbare Zitate lieferten. Selten war eine SPIEGEL-Kampagne derart lächerlich und verkommen. Von Jens Berger.
Kennen Sie Moritz Körner? Oder sagt Ihnen der Name Hannah Neumann etwas? Nein? Die beiden sitzen für die FDP bzw. die Grünen im Europaparlament und fristen dort ein politisches Leben am Rande der Unkenntlichkeit. Früher nannte man sowas Hinterbänkler. Aber vielleicht kennen Sie ja Gordon Hoffmann? Der Mann ist immerhin der Generalsekretär der CDU – wenn auch in Brandenburg, wo die CDU bekanntlich eher eine politische Randerscheinung ist, die bei den letzten Landtagswahlen hinter dem BSW nur den vierten Platz holen konnte. Auch wenn sicher kein einziger unserer Leser alle diese drei politischen Randfiguren kennt, so haben sie doch etwas gemein. Sie haben dem SPIEGEL-Redakteur Timo Lehmann auf Zuruf ein Zitat gegeben, in dem sie irgendwas Böses über das BSW sagen. Die Partei „mache den Rechtsstaat verächtlich“ (Körner), sei „ein Sicherheitsrisiko und ein Einfallstor für Extremismus“ (Hoffmann) und daher „sollen wir alle die Statements und Handlungen des BSW genau beobachten“ (Neumann). Ei der Daus! Daraus macht SPIEGEL-Lehmann dann die knackige Aussage: „Erste Politiker fordern, dass der Verfassungsschutz das BSW beobachten solle“.
Diese Methode kennt man ansonsten vor allem von der BILD, die vor allem im Sommerloch gerne für jede noch so abstruse Forderung ein paar Hinterbänkler als Zitatgeber findet. Sogar für die Forderung, Mallorca solle 17. Bundesland werden, hatte die BILD schon einmal Hinterbänkler als Zitatgeber gefunden. Ich stelle mal die These auf, dass man für jede noch so abstruse Forderung einige Hinterbänkler finden kann, die sich als Zitatlieferant hergeben, nur um ihren Namen endlich mal in der Zeitung lesen zu können. So ist der SPIEGEL-Artikel zur Forderung, das BSW vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen, ein Lehrstück, wie Journalismus nicht sein sollte.
Aber diese journalistische Verkommenheit ist nur die Spitze des Eisbergs und es ist überhaupt nicht überraschend, dass dieser Artikel ausgerechnet aus der Feder von Timo Lehmann stammt. Lehmann hat – sagen wir es mal freundlich – eine Obsession zum BSW entwickelt. Bereits im Oktober 2023 stellte die Frankfurter Rundschau launig fest, dass Lehmann damals – gerade mal drei Monate nach der Gründung des BSW als Verein – bereits über 20 Artikel über Wagenknecht und ihre Parteigründung geschrieben habe. Die FR stellte ferner fest, dass „Lehmanns Texte einen guten Querschnitt über die zweifelhaften journalistischen Produkte zur Wagenknecht-Partei darstellen“. Dem ist eigentlich wenig hinzuzufügen. Wer Lust auf sinnfreies Wagenknecht-Bashing hat, ist bei Timo Lehmann immer gut aufgehoben.
Inhaltlich muss man auf Lehmanns jüngstes Elaborat eigentlich gar nicht groß eingehen. Es geht um eine vermeintliche „Solidaritätsadresse“ für die „prorussische Propagandistin Alina Lipp“. In Wahrheit handelte es sich dabei um ein Statement zur Meinungs- und Pressefreiheit in Bezug auf die jüngsten EU-Sanktionen gegen Journalisten (die NachDenkSeiten berichteten mehrfach zum Thema) . Dann geht es noch um einen „BSW-Zuspruch“ für den Verein Friedensbrücke e.V. (auch dazu berichteten wir mehrfach) und schließlich um „Reisen nach Moskau und in die Ostukraine“ – wofür Lehmann tatsächlich eine Reise von Andrej Hunko aus dem Jahr 2015, also acht Jahre vor Gründung des BSW, und die Moskau-Reisen von Ralph T. Niemeyer als Beleg heranzieht; Niemeyer ist Wagenknechts Ex-Mann, die Scheidung fand 2013, also vor stolzen 12 Jahren statt. Das Schlimme daran: Lehmann meint dies durchaus ernst. Dass Lehmann überhaupt wieder die Chance bekam, seiner Wagenknecht-Obsession zu frönen, ist übrigens erstaunlich. 2024 wurde er als Korrespondent nach Brüssel weggelobt und feiert seitdem von dort aus Ursula von der Leyen als „Anführerin der freien Welt“ (sic!). Aber hey, zwei seiner drei Hinterbänkler sind ja immerhin aus Brüssel.
Wäre ich nicht Chefredakteur der NachDenkSeiten, sondern Chefredakteur des SPIEGEL und hätte ein solchen Artikel verantwortet – ich würde mich wohl in Grund und Boden schämen. Mit dem überstrapazierten Bild des im Grabe rotierenden Rudolf Augstein möchte ich Sie an dieser Stelle verschonen, zumal der Abstieg des ehemaligen Sturmgeschützes der Demokratie zur Spritzpistole des Militarismus ja ein Abstieg auf Raten ist, der sich seit vielen Jahren vollzieht, und man den SPIEGEL schon lange aus dem Kreis der seriösen Medien verabschieden musste. Augstein dürfte sich also bereits ausrotiert haben. Wahrscheinlich sollte man derlei Elaborate daher auch nicht allzu ernst nehmen und sie als das nehmen, was sie sind – Trollpostings im Druckformat.
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