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Wertedebatte

Wir lieben unsere Frauen auch wegen ihrer Warmherzigkeit. Einige Politikerinnen versuchen, uns das abzugewöhnen.

Frau von der Leyen ist bekannt dafür. Jetzt springt ihr die bayerische Justizministerin bei. Zu hören und zu sehen, wie sie in einem Interview – wie in der Praxis – mit dem weggesperrten Gustl Mollath umgeht, jagt einem kalte Schauer übern Rücken. Wir hatten auf den Vorgang aufmerksam gemacht. Report Mainz hatte darüber berichtet und auch das komplette Interview mit Justizministerin Beate Merk ins Netz gestellt. Darauf will ich Sie aufmerksam machen und damit auch noch einmal auf das Schicksal des Gustl Mollath. Verzeihen Sie die Wiederholung. Aber Mollath sitzt seit fast 7 Jahren in der geschlossenen Psychiatrie Bayreuth. Und die Ministerin lässt kalt, dass dies mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Unrecht geschieht. Auch das ist Bayern. Unsympathisch und bedrohlich.
P.S.: Es gibt auch das andere Bayern. Pelzig und Priol z.B. kommen aus dem bayerischen Franken. Wir hatten auf ihre letzte Sendung „Neues aus der Anstalt“ hingewiesen. Es gibt einen Wiederholungstermin auf 3sat: Montag, 26.11.2012, 20:15 Uhr. Albrecht Müller

Die Zerstörung des sozialen Immunsystems – am Beispiel der von der Stadt Gießen geplanten Privatisierung des Wochenmarkts

In der Gießener Stadtverwaltung gibt es offenbar Pläne, den dortigen Wochenmarkt zu privatisieren, für dessen Betrieb bisher die Stadt zuständig ist. Der Markt gehöre, so lässt die Oberbürgermeisterin verlauten, zu den „defizitären Einrichtungen“, die den Haushalt der Stadt belasteten. Mit 26.000 Euro habe der Eigenbetrieb Wochenmarkt im Jahr 2011 zu Buche geschlagen. Die Kosten fallen an für die Auswahl und Zulassung der Beschicker, die Führung der Gebührenkasse, die Marktaufsicht inklusive Reinigung und Instandhaltung des Marktgeländes und Abfallentsorgung. Man befinde sich gegenwärtig in einem „Interessenbekundungsverfahren“ und verhandle mit möglichen neuen Betreibern. Von Götz Eisenberg[*]

Die Einen haben es, den Anderen fehlt es

Der Bundestagsabgeordnete und frühere Bundesrichter Wolfgang Neskovic – Näheres zur Person hier – hat einen anregenden Essay geschrieben, den wir unseren Leser/innen zur Lektüre empfehlen möchten. Weil ich da und dort die Dinge etwas anders sehe, habe ich am Ende ein paar Fragen und Anmerkungen angefügt. Albrecht Müller.

Willy Brandt – am Montag 20 Jahre tot, heute vor 40 Jahren Auftaktrede zur heißen Phase des Wahlkampfes 1972

Am Montag, den 8. Oktober 2012 gedachte die SPD-Spitze des Todes Willy Brandts vor 20 Jahren. Siehe hier zum Beispiel. Es war eine etwas traurige Feier, so mein Eindruck. Dabei hätte die SPD-Spitze in dieser Woche, am besten schon am Montag am Grab, gleich noch einer großen und auch heute zukunftsweisenden Rede Willy Brandts gedenken können. Willy Brandt appellierte vor 40 Jahren, am 12. Oktober 1972 in seiner Eröffnungsrede an die Bereitschaft der Menschen, „mitzuleiden“, an die „Fähigkeit, barmherzig zu sein, ein Herz für andere zu haben“. Ich dokumentiere die Rede [PDF – 1,8 MB], weil sie darüber hinaus eine Reihe anderer interessanter Aspekte enthielt, weil sie der Auftakt zu einem grandiosen Wahlkampf und einem großen Wahlerfolg (45,8 %) war und weil die Rede nach meinen Recherchen im Netz bisher nicht verfügbar war. Die SPD von heute könnte viel davon lernen. Zweifel, dass sie das will, sind angebracht. Wenn man von Willy Brandt einiges lernen will, dann feiert man ihn und sein Werk anlässlich des 20. Todestages, statt ihn fade zu betrauern. Aber das will man wohl nicht, weil heute eine andere Richtung angesagt ist. Von Albrecht Müller

Es muss nicht immer Budapest sein

Voriges Jahr kam heraus, dass für die erfolgreichsten Versicherungsvertreter der Hamburg-Mannheimer Versicherung eine Reise nach Budapest mit einer Sex-Party in einem historischen Schwimmbad veranstaltet wurde. 2007 war das und die ca. 83.000 Euro wurden über Umwege auch von uns allen durch Versicherungsbeiträge sowie durch Subventionierungen kommerzieller Altersvorsorgeprodukte mittels Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen finanziert. Später gab es auch ähnliche Reisen nach Jamaica und Mallorca.
Aber es muss nicht immer Budapest, Jamaica oder Mallorca sein. Manchmal reicht auch der Garten einer Frankfurter Apfelweinwirtschaft. Von Martin Betzwieser.

Ungehörter Weckruf

Die Eurokrise geht ins dritte Jahr und die immer aussichtslosere Entwicklung hat mittlerweile den Optimismus verdrängt. Man muss leider konstatieren, dass Deutschlands politische und ökonomische Eliten auf ganzer Ebene versagt und aufgrund ihrer ignoranten Borniertheit den europäischen Traum zu Grabe tragen. Sollte die Politik die Verantwortung der Stunde nicht erkennen, steht dem Kontinent eine düstere Periode bevor. Die Geschichte kennt keine Wiedergutmachung, die Weichen für unsere und die europäische Zukunft werden heute gestellt. Es sind jedoch nicht wir, die die Weichen stellen, sondern es sind genau die Eliten, die uns seit Jahrzehnten mit ihren ideologischen Scheuklappen auf diesen Irrweg geführt haben. Anscheinend sind wir dazu verdammt, sehenden Auges ins Verderben zu laufen. Es ist allerhöchste Zeit für einen Weckruf, der aber wahrscheinlich ungehört bleiben wird. Von Jens Berger

Das Kind als Bio-Aktie

Kinder des digitalen Zeitalters leiden unter neuartigen Formen der Missachtung.
Eltern betrachten ihr Kind offenbar nicht mehr als Geschenk, sondern als eine Art Bio-Aktie, von der eine gute Performance erwartet wird. Seit die Bergwerke stillgelegt sind und keine Kohle mehr gefördert wird, hat man die kindlichen Gehirne als „Ressource“ und „Humankapital“ entdeckt. Schon wird von Frauen berichtet, die ihre schwangeren Bäuche mit Kopfhörern beschallen. Schluss mit dem zweckfreien Spiel am Bach und im Sandkasten, die Konkurrenz schläft nicht: Andere Kinder haben mit zwei Jahren bereits 600 englische oder chinesische Wörter aufgesogen und dabei ihre „Synapsen optimal vernetzt“. Es erscheinen Ratgeber, die propagieren: „Ein Leben lang für Vorsprung sorgen.“ Mutterliebe und eine vertrauensvolle Atmosphäre sind nicht länger um ihrer selbst willen da, sondern fördern die Herausbildung einer leistungsfähigen neuronalen Struktur. Von Götz Eisenberg[*].

Wolfgang Niedecken: „Geld beruhigt, aber ich verprasse es nie“

Ein „offener Brief“ zu Niedeckens Interview mit dem Handelsblatt am 14.Juli 2012
Wer hätte das gedacht, dass der in die Jahre gekommene Rock’n’Roller Wolfgang Niedecken inzwischen in der Denkwelt der „schwäbischen Hausfrau“ lebt? Anstatt – wie es Rockern nachgesagt wird – exzessive Partys zu feiern und es richtig krachen zu lassen, sinniert er nun in einer konservativen Wirtschaftszeitung über seinen sparsamen Umgang mit Geld, über faule Hippie-Modelle und über seine politischen Buddys.
Bei dem, was Herr Niedecken in dem Handelsblatt-Interview so von sich gibt, dürften sich die meisten seiner Fans verwundert die Augen reiben. Denn die meisten der BAP-Fans dürften wohl kaum zur finanziell gut gestellten, wertkonservativen bürgerlichen Mittel- und Oberschicht gehören. Von Jürgen Beck[*]

Hoch im Kurs – Marketing an Schulen – natürlich kostenlos

Als Forschungs- und Bildungseinrichtung, die einst die Broschüre „Frieden und Sicherheit“ zu Analysezwecken beim FDP-nahen Verein „Jugend und Bildung“ bestellte, erhalten wir nun regelmäßig das jeweils neue Lehrmaterial frei Haus. Nun erreichte uns die Broschüre „Hoch im Kurs“ in zwei Ausgaben, eine für Schüler und eine für Lehrkräfte, deren Herausgeber neben der „Stiftung für Jugend und Bildung“ auch der Bundesverband Investment und Asset Management e.V. (BVI) ist.[1] Unter der Rubrizierung „Geld, Markt, Wirtschaft“ für die Sekundarstufe II soll Jugendlichen die Themenfelder „Ausgaben planen“, „Märkte verstehen“ und „Vermögen aufbauen“ nahe gebracht werden. Obwohl Fondsberatung nicht lehrplanrelevant ist, wird Lehrkräften viel Arbeitserleichterung rund um dieses Themenfeld angeboten, die von vorgefertigten Arbeitseinheiten über Medientipps bis hin zu kostenlosen Beratern für den Schulunterricht reicht. Letztere sind über die gleichnamige Website mit stets aktualisierten Angeboten zu buchen.[2] Die Prämierung des Angebots durch das Comenius Edu Siegel und das UNESCO Nachhaltigkeitssiegel bzw. deren Abdruck auf der Rückseite des Schülermagazins verspricht geprüfte Qualität. Von Sabine Schiffer[*]

Das literarische Werk Dieter Wellershoffs

Dieter Wellershoff gehört zu den bedeutenden Autoren der deutschen Gegenwartsliteratur. In seinen Romanen, Novellen und Erzählungen schildert er die Schattenseiten einer Gesellschaft, der trotz aller Freiheitsversprechen und Konsumangebote eine gemeinsame, verbindliche Sinnstiftung abhanden gekommen ist. Für sein Werk hat Wellershoff zahlreiche Literaturpreise erhalten, u.a. den Heinrich-Böll-Preis.
Joke und Petra Frerichs haben das literarische Werk Wellershoffs analysiert. In ihrem Buch Leben braucht keine Begründung interpretieren sie sämtliche Romane, einige ausgewählte Novellen und Erzählungen sowie die Gedichte des Autors. Der folgende Textauszug ist der Einleitung zu ihrem Buch entnommen.

Vor 40 Jahren Bundestagsentscheidung über Ostverträge

Nach heftigen Auseinandersetzungen zwischen der Sozialliberalen Koalition und Bundeskanzler Brandt auf der einen Seite und der Opposition unter Führung von Rainer Barzel (CDU) auf der anderen Seite passierten die so genannten Ostverträge am 17.5.1972 den Deutschen Bundestag. Die MdBs von SPD und FDP votierten dafür, jene der CDU und CSU enthielten sich mehrheitlich der Stimme. Siehe hier. Die Ostpolitik basierte auf einer neuen Konzeption zum Umgang unter bisher verfeindeten Völkern; Ideologien und Regierungen. Sie gründete auf einer anderen „Kultur“, als der zuvor und auch heute wieder gängigen. Deshalb auch die tiefe Spaltung zwischen Befürwortern und Gegnern. Deshalb auch die aufwallenden Emotionen und deshalb auch haben sich unglaublich viele Menschen damals um das politische Geschehen gekümmert, und sich an Diskussionen und in Parteien engagiert und an Wahlen beteiligt. Bei der Wahl am 19.11.1972 waren es 91,1%, mehr als jemals zuvor und darnach. Von Albrecht Müller

Die Wachhunde der Machtelite: Noam Chomskys Kritik der Intellektuellen

Für Noam Chomsky haben die Intellektuellen die Verantwortung, die Wahrheit zu sagen und Lügen aufzudecken. Diese Verantwortung der Intellektuellen leitet sich aus der politischen Freiheit, dem Zugang zu Informationen und der Redefreiheit her. Aber nach Chomsky zeigt die historische Erfahrung, dass Intellektuelle diesen privilegierten Status nicht für das Sagen der Wahrheit nutzen, sondern vielmehr ihre Fähigkeiten in den Dienst für die Interessen und Privilegien der Machtelite stellen. Diese Machtelite entscheidet darüber, was in der Gesellschaft passiert, weil sie über den dafür notwendigen Reichtum besitzt.
Intellektuelle bilden für Chomsky eine „Art säkulare Priesterschaft“ für die Machtelite, weil sie Ideen, Pläne, Strategien, Werte, Theorien, Rechtfertigungen und Doktrinen für die ökonomischen und politischen Entscheidungsträger des Herrschaftssystems entwickeln und dem Rest der Bevölkerung „verkünden, was sie glauben sollen“. Christian Girschner zeichnet Chomskys Kritik der Intellektuellen nach.

Glück braucht einen geschichtlichen Atem

Götz Eisenberg erinnert an den engagierten Intellektuellen und Schriftsteller Lothar Baier, der am 16. Mai 70 Jahre alt geworden wäre. Lothar Baier zählte in den späten 70er und dann vor allem in den 80er Jahren zu den wichtigen intellektuellen Köpfen. Er war ein gefragter Literaturkritiker, die Feuilletons fast aller großen Zeitungen standen ihm in jenen Jahren offen. Bei Wagenbach erschienen seine Essays „Firma Frankreich, Gleichheitszeichen“ und „Die große Ketzerei“ und er publizierte in der Zeitschrift Merkur, in Enzensbergers Zeitschrift TransAtlantik wie in Wagenbachs Freibeuter. 1982 wurde er mit dem Jean-Amery-Preis für Essayistik ausgezeichnet.1985 erschien im Verlag S. Fischer seine Erzählung „Jahresfrist“, in die er seine Erfahrungen beim Restaurieren eines alten Bauernhauses in Südfrankreich einfließen ließ.
„Heute hinauszuschreien, dass die Utopie gescheitert ist, ist etwa so klug, wie im Spätherbst, wenn die Blätter fallen, zu dem Schluss zu kommen, dass die Idee des Frühlings gescheitert ist. Nieder mit dem Frühling!“, schrieb er in dem 1993 erschienenen Band „Die verleugnete Utopie“. Von Götz Eisenberg.

Warten auf Niveau: Ein Kulturinfarkt und andere Gebrechen

Die Erregung in der Kulturszene steigt derzeit mit jeder Schlagzeile. Die Oper in Duisburg ist gefährdet. In Köln droht „erstmals seit 1943/44 die Absage einer kompletten Theatersaison“, so Kölns Opernintendant Uwe Eric Laufenberg. Die Oberbürgermeister von Düsseldorf und Bonn denken wechselweise über eine Kooperation ihrer Bühnen mit Köln nach und gefährden damit angeblich die „Identität“ ihrer Kulturmetropolen. In Berlin kämpft das Grips-Theater mehr denn je ums Überleben. Mit dem aktuellen Tarifabschluss für den Öffentlichen Dienst drohen eine Steigerung der Personalkosten und weitere Pleiten. Und dann gibt es auch noch dieses heiß diskutierte Buch, das dem subventionierten Kulturbetrieb einen „Infarkt“ voraussagt und das nach Meinung vieler Medien „die Debatte des Frühjahrs“ angestoßen haben soll. Von Wolfgang Hippe*