Putsch in Niger – dem Westen geht es nicht um Demokratie, sondern um Rohstoffe und Flüchtlingsabwehr

Putsch in Niger – dem Westen geht es nicht um Demokratie, sondern um Rohstoffe und Flüchtlingsabwehr

Putsch in Niger – dem Westen geht es nicht um Demokratie, sondern um Rohstoffe und Flüchtlingsabwehr

Jens Berger
Ein Artikel von: Jens Berger

Als Außenministerin Annalena Baerbock im letzten Jahr den Niger besuchte, hatte sie eine Menge Spaß und wurde von den deutschen Medien gefeiert – eine „Außenministerin zum Anfassen“. Bis zur letzten Woche war Baerbock auch davon überzeugt, sie habe in Niger „eine junge Demokratie erlebt, deren Bürger hoffnungsvoll in die Zukunft geblickt“ hätten. Was für eine Heuchelei. Auf dem geopolitischen Schachbrett ist der Niger für Europa vor allem ein Uranlieferant und ein Bollwerk zur Flüchtlingsabwehr – es versteht sich von selbst, dass eine Grünen-Politikerin dies nicht so offen sagen kann. Nun haben Teile des nigrischen Militärs die „junge Demokratie“ weggeputscht und dabei haben sie offenbar großen Rückhalt in der Bevölkerung. Im schlimmsten Fall droht dem bettelarmen Land und der gesamten Region nun ein Stellvertreterkrieg zur Restauration europäischer und auch amerikanischer Interessen. Von Jens Berger.

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Nachdem Ende der letzten Woche der mehr oder weniger demokratisch gewählte nigrische Präsident Mohamed Bazoum von seiner eigenen Leibgarde festgesetzt und durch eine Militärjunta abgelöst wurde, widmete sich der SPIEGEL in einer ausführlichen Analyse den Geschehnissen in der Sahel-Zone. Dieser Artikel ist symptomatisch. Über viele Absätze hinweg wird dabei das Regierungsnarrativ einer altruistischen europäischen Außenpolitik erzählt. Die EU helfe Niger beim Aufbau seiner jungen Demokratie und dem Kampf gegen den Terrorismus. Niger und sein gerade weggeputschter Präsident seien die große „Hoffnung des Westens“. Hoffnung auf was? Mit reinem Altruismus hat die europäische Außenpolitik natürlich nichts zu tun.

Da gibt es zum einen wirtschaftliche Interessen. Seit über 50 Jahren schürft der französische Staatskonzern Areva in Niger das berüchtigte Yellow Cake, ein Uranerz, das man als Rückgrat der französischen Atomenergie bezeichnen könnte. Rund ein Viertel der Uranimporte der EU kommen aus Niger und wenn man bedenkt, dass die Importe aus Niger und den politisch zurzeit für die EU nicht unproblematischen Ländern Russland und Kasachstan zusammen zwei Drittel ausmachen, hat man einen Eindruck davon, wie labil diese auf EU-Ebene unverzichtbare Energiequelle ist. Der Niger selbst hat übrigens nicht viel von seinem wichtigsten Exportgut.

Als der damalige nigrische Präsident Diori Hamani von der ehemaligen Kolonialmacht 1974 faire Preise für das von ihr geschürfte Uranerz forderte, wurde er nonchalant vom eigenen Militär weggeputscht – natürlich mit französischer Unterstützung. Dennoch erlebte Niger im folgenden Jahrzehnt einen „Uranboom“. Dank massiv steigender Weltmarktpreise konnte das Land zeitweise die Hälfte seines Staatsbudgets durch die Beteiligung an den Uranexporten finanzieren. Dies änderte sich abermals durch den Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Auftreten Russlands und Kasachstans als Großexporteure auf dem Weltmarkt. Als der formal demokratisch gewählte Kleptokrat Mamadou Tandja Ende der 2000er das französische Monopol beendete und chinesischen Unternehmen neue Lizenzen verkaufte, kam es mal wieder zu einem Militärputsch. Heute exportiert Niger nahezu ausschließlich unter der Regie von Areva für den europäischen Markt. Die „chinesische“ Produktion ist seit 2015 gestoppt – „technische Probleme“, wie es offiziell heißt. Als eine der ersten Amtshandlungen verkündete die Junta am Sonntag den Stopp sämtlicher Uranexporte nach Frankreich. Wenige Stunden später drohte Frankreichs Präsident Macron mit einer militärischen Reaktion – natürlich wegen der Demokratie und nicht wegen des Urans. Erstaunlich, dass man davon in SPIEGEL und Co. nichts liest.

Die zweite strategische Bedeutung Nigers für die EU ist die Flüchtlingsabwehr. Ja, sie haben richtig gelesen. Es geht um die Abwehr von meist westafrikanischen Flüchtlingen, deren Fluchtroute in der Regel direkt durch den Niger verläuft. Es geht aber auch um Flüchtlinge aus anderen afrikanischen Regionen und dem Nahen Osten, die aus Libyen und vor allem aus Algerien über sogenannte „Push-Back-Verfahren“ in den Niger abgeschoben werden. Wobei auch hier „Abschieben“ eine Beschönigung ist. In der Praxis sieht es so aus, dass die Menschen in Algerien eingefangen und auf Lastwagen gepfercht werden. Nachdem ihnen ihre Papiere und ihr Geld abgenommen wurde, werden sie mitten in der Sahara an der algerisch-nigrischen Grenze ausgesetzt und in Richtung des nigrischen Ortes Assamaka getrieben, in dem NGOs ein „Auffanglager“ betreiben. Die Zustände dort sind katastrophal und das ganze Vorgehen ist völkerrechtswidrig. Aber das Völkerrecht interessiert den Westen bekanntlich ja nur, wenn man es gegen Russland ins Feld führen kann. Die Push-Backs von Algerien nach Niger sind Teil der EU-Flüchtlingsabwehr-Strategie und Niger ist offizieller Partner der EU in Sachen Flüchtlingsabwehr – dafür gibt es dann ein paar Euro, die in den Taschen der lokalen Kleptokraten versickern. Hauptsache, die Flüchtlinge erreichen nicht Europa und schwächen die Umfragewerte der regierenden Parteien. Überflüssig zu erwähnen, dass diese schmutzigen Deals zwischen der „demokratischen“ EU und der „demokratischen“ nigrischen Regierung geschlossen wurden.

Nur wenn man diese beiden Punkte kennt und verstanden hat, macht der dritte Punkt, der Kampf gegen den Terrorismus, einen Sinn. Warum wird in der Sahel-Zone überhaupt gegen Terroristen gekämpft? Dafür gibt es viele Gründe, die von der Religion bis zur Unterdrückung der Tuareg-Völker reichen. Fest steht jedoch, dass erst der Zusammenbruch Libyens nach dem vom Westen befeuerten Bürgerkrieg das Terrorismus-Problem in den Ländern der Sahel-Zone hat eskalieren lassen. Um seine Interessen zu wahren, kooperiert der Westen seitdem mit den lokalen Regierungen – egal ob demokratisch oder nicht – in Sachen „Terrorismusbekämpfung“, wohlwissend, dass eine mögliche islamistische Regierung von Boko Haram, dem IS oder Al Quaida dem Westen wohl kein Uran verkaufen und auch keine Flüchtlinge für den Westen in der Sahara festhalten würde; im Gegenteil. Altruistisch ist bei dem Kampf gegen Terrorismus daher gar nichts.

Aus realpolitischer Sicht hat der Westen sich vergaloppiert. Er betreibt in der Sahel-Zone eine eiskalte Interessenpolitik. Das ist nicht neu. Neu ist jedoch, dass man diese Politik in Europa heute unter dem Label einer wertegetriebenen Außenpolitik verkauft. Hier wird es kompliziert. Denn es ist ja anscheinend möglich, eine „jungen Demokratie“ auszubeuten und für seine Flüchtlingsabwehr einzuspannen; mit einer Militärjunta ist das zumindest für die Öffentlichkeitsarbeit schon schwieriger.

Doch wie kam es überhaupt zum Putsch? Auch hier spielt der Westen mit seiner Doppelmoral eine entscheidende Rolle. Glaubt man den Analysen vor Ort, spielen neben der in der Region klassischen Kleptokratie vor allem die ausbleibenden Erfolge bei ebenjener Terrorbekämpfung eine Rolle. Der Westen setzt hier auf die gleiche Strategie wie in Afghanistan. Man schult regierungstreue Truppen, versorgt sie mit rudimentärer Bewaffnung – ansonsten könnte man nach einem Putsch von den eigenen Waffen bedroht werden – und erledigt den Rest mit High-Tech-Lösungen wie Drohnen selbst. Doch das funktioniert ganz offensichtlich nicht.

Zunächst kam es in Nigers Nachbarländern Burkina Faso und Mali zu Militärputschen. Die an die Macht gekommene Junta im Mali ließ die westlichen Militärs in ihren Stützpunkten und heuerte stattdessen das russische Söldnerunternehmen Wagner Group an. Ob die Wagner-Söldner das Terrorismus-Problem effektiver bekämpfen, mag dahingestellt sein. Zumindest gehen die russischen Söldner brachialer vor und machen keinen Unterschied zwischen Kombattanten und Zivilbevölkerung. Bezahlt wird Wagner übrigens über Bergbaulizenzen – im Mali bekam die Wagner-Gruppe eine Lizenz zum Goldabbau. Ob das der Bevölkerung etwas bringt, ist ebenfalls zweifelhaft. Für die regierende Junta ist die Wagner-Gruppe jedoch der „Stabilitätsanker“, der die westlichen und hier vor allem französischen Truppen für die Vorgängerregierungen waren.

Dass der Westen den Verlust seiner Einflusssphäre und vor allem Frankreich den Verlust seiner ehemaligen Kolonien nicht so einfach hinnehmen würde, war klar. Anders als bei den vorhergegangenen Putschen in Burkina Faso und Mali lässt man nun die Muskeln spielen. Bereits am Sonntag sprachen der französische Präsident Macron und US-Außenminister Blinken mit dem nigerianischen Präsidenten Bola Tinubu, der dann mit Rückendeckung durch Frankreich und den USA Niger im Namen der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas nicht nur harte Sanktionen, sondern sogar einen Krieg androhte, sollte die nigrische „Demokratie“ nicht binnen einer Woche wiederhergestellt werden.

Die Junta denkt jedoch offenbar nicht im Traum daran, den Drohungen Folge zu leisten, und die ebenfalls von Militärjunten regierten westafrikanischen Staaten Burkina Faso, Mali und Guinea haben sich bereits solidarisch mit der nigrischen Junta gezeigt und sich dazu bereiterklärt, Niger im Falle eines militärischen Angriffs beiseitezustehen. Ob es zu einem weiteren Krieg in der Sahel-Zone kommt, ist ungewiss. Westliche Staaten bereiten sich offenbar mit der Evakuierung ihrer Landsleute aus Niger bereits darauf vor. Experten halten es jedoch auch für möglich, dass der nigerianische Präsident Tinubu pokert und im Falle eines militärischen Eingreifens in Niger wohl am ehesten ebenfalls von seiner eigenen Generalität weggeputscht würde. Russland fährt derweil zweigleisig. Offiziell verurteilt man den Putsch und fordert die Putschisten ebenfalls auf, die Regierungsgewalt wieder an die alte Regierung zurückzugeben. Das gilt jedoch nicht für die Wagner-Gruppe, deren Chef Jewgeni Prigoschin den Putsch bereits via Telegram bejubelt hat. Und die USA? Auch die haben ihre Interessen in Niger. Dort befindet sich beispielsweise die „Base 201“, der größte amerikanische Stützpunkt auf dem afrikanischen Kontinent, der vor allem für die amerikanische Drohnenkriegsführung in West-, Zentral- und Ostafrika eine zentrale Rolle spielt.

Der Region könnte also ein waschechter Stellvertreterkrieg drohen. Selbstverständlich würde es bei diesem Krieg nicht um Menschenrechte oder Demokratie gehen. Der Westen hat Interessen und ist wahrscheinlich bereit, diese Interessen auch militärisch zu verteidigen. Ob er dazu die Mittel hat, ist jedoch fraglich. Wahrscheinlicher ist es da schon, dass man sich mit der Junta anfreundet und sich seinen Einfluss mit Geldkoffern sichert. Demokratie hin, Menschenrechte her.

Titelbild: Screencap Al Jazeera

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