Die Angstlücke – Anstoß für Politik und Öffentlichkeitsarbeit

Die Angstlücke – Anstoß für Politik und Öffentlichkeitsarbeit

Die Angstlücke – Anstoß für Politik und Öffentlichkeitsarbeit

Albrecht Müller
Ein Artikel von: Albrecht Müller

Heute veröffentlichen wir in unserer Serie interessanter Dokumente ein einziges Blatt: eine Übersicht über die sogenannte Angstlücke.

Diese Übersicht stammt von Ende 1978. Für die Zeit vom ersten Quartal 1971 bis zum Oktober 1978 sind dort nebeneinander die Ergebnisse der Umfragen von Infratest-Politikbarometer aufgelistet.

Gefragt wurde nach der Einschätzung der „eigenen wirtschaftlichen Lage” und nach der Einschätzung der „allgemeinen wirtschaftlichen Lage”.

Wir haben damals in der Planungsabteilung des Bundeskanzleramtes beobachtet, dass die Differenz zwischen den Befragungsergebnissen auf diese beiden Fragen bemerkenswert variierte. Die Differenz nannten wir Angstglücke. Die Angstlücke schwankte zwischen einem Minimum von zehn Punkten im Oktober 1978 und 48 Punkten im dritten Quartal 1975.

Man konnte diese Angstlücke mit Politik und mit entsprechender Öffentlichkeitsarbeit verringern. Symptomatisch für diese Möglichkeit ist zum Beispiel die Entwicklung im Jahr 1972: im 1. Quartal lag die Angstlücke bei 26 Prozent; im 4. Quartal, also im Umfeld der Bundestagswahl vom 19. November 1972, war die Lücke mit 14 Punkten ausgesprochen gering. Es fällt dabei auch auf, dass die Einschätzung der allgemeinen Lage mit 63 Punkten und auch der eigenen Lage mit 77 Punkten sehr hoch lag. Das war auch das Ergebnis einer im Wahlkampf von der Kanzlerpartei schwerpunktmäßig geführten Debatte um die wirtschaftliche Lage.

Interessant ist auch die Entwicklung im Jahre 1976. Auch in diesem Jahr entwickelten sich die Umfrageergebnisse zur Einschätzung der allgemeinen und der eigenen wirtschaftlichen Lage deutlich im Kontext des Wahlkampfes. Die Angstlücke schrumpfte von 40 auf 16 Punkte.

Nach meiner Erinnerung war auch die Entwicklung der Ziffern im Jahre 1974 und 1975 von Bedeutung für die Wirtschaftspolitik und für die Öffentlichkeitsarbeit. Ende des Jahres 1974 konnte man feststellen, dass die Bürgerinnen und Bürger ausgesprochen kritisch auf die allgemeine wirtschaftliche Lage schauten. Zumindest im Wahlkampf für die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Mai 1975 spielte dann die wirtschaftliche Lage eine bedeutende Rolle. Auf Einladung von Bundeskanzler Helmut Schmidt trafen sich die Spitzen der SPD/FDP-Koalition von Nordrhein-Westfalen und des Bundes Anfang des Jahres 1975 im Kanzlerbungalow zu einer Beratung der politischen Themen und des kommenden Wahlkampfes. Auch bei diesen Beratungen spielte die Differenz zwischen der Einschätzung der eigenen wirtschaftlichen Lage und der allgemeinen wirtschaftlichen Lage eine Rolle. Einer der Hauptslogans der Regierungspartei SPD für diese Landtagswahl lautete dann: Den Aufschwung wählen.

Bemerkung am Rande: Der Slogan war bewusst als Aufforderung an die Wählerinnen und Wähler formuliert. Aber die CDU, die Opposition in NRW, unterstellte, der Slogan habe geheißen „Der Aufschwung kommt”, und attackierte die nordrhein-westfälische Landesregierung sowie den dortigen Ministerpräsidenten Heinz Kühn wegen der zum Zeitpunkt der Wahl immer noch falschen Prognose. Selbiger hatte die eigene Kampagne so wenig verinnerlicht, dass er sich mit der falschen Unterstellung der Opposition auseinandersetzte.

Nachbemerkung: Die Meinungsbefragungen zur wirtschaftlichen Lage waren Grundlage von Politik und Öffentlichkeitsarbeit – aber selbstverständlich nicht die einzige. Man sollte das Instrument nicht überschätzen.

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