Unser Land geht mehr und mehr in die Knie, ein Beispiel: die Gastronomie

Unser Land geht mehr und mehr in die Knie, ein Beispiel: die Gastronomie

Unser Land geht mehr und mehr in die Knie, ein Beispiel: die Gastronomie

Ein Artikel von Frank Blenz

Wir mögen sie doch an und für sich sehr, diese wundervollen Orte, die wir Kneipe, Bar, Biergarten, Bistro, Kaffeehaus, Restaurant oder schlicht Gaststätte nennen. Wir mögen sie nicht nur, wir brauchen sie auch. Aber wir beobachten, erleben: Unsere Orte der Gastlichkeit, unsere Gastgeber – ihnen geht es nicht gut… wie so vielen Menschen nicht. Wir ahnen oder wissen sicher auch, dass diese Krise nicht wie ein Naturgesetz über uns kommt. Schon sind Leute zur Stelle, die wie im Fall der Gastronomie die Mehrwertsteuer als deren Rettungsanker ansehen. Dass sie all die Wirte, Kellner, Köche aus vielen anderen Gründen für die Not mit ihren Sorgen allein lassen, wird ausgeblendet. Es wird sogar vom rettenden Staat gefaselt. Ein Kommentar von Frank Blenz.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

So so. Da macht sich die Edelmarke der Springerpresse, die Welt, Sorgen um die Wirte. Beim erneuten Lesen des Artikels „Restaurants retten auf Staatskosten“ verraten der Stil und die Wortwahl eher emotionale Kälte als ehrliche Lösungssuche, engagierte Ursachenforschung und klare Ansage der Ursachen und Zusammenhänge.

„Das Gastgewerbe warnt vor einer Insolvenzwelle, wenn die Mehrwertsteuer wieder angehoben wird. Nur Besserverdiener könnten dann noch essen gehen. FDP-Chef Lindner droht ein Déjà-vu eines alten Traumas – damals flogen die Liberalen aus dem Bundestag.“
(Quelle: welt.de)

In der Tat warnt die Lobbyorganisation der Gastronomen, die Dehoga, dass zigtausend Lokale schließen könnten wegen dieser Mehrwertsteuer-Geschichte.

Doch die Krise hat viel mehr Gründe, Ursachen. Es braucht mehr als nur die Aussetzung einer höheren Steuer.

Der zitierte Artikel der Welt strotzt vor Lobhudelei in Richtung Staatshilfen, er ist ein Musterbeispiel, wie Krisen maximal als ein Grund für „Konsumzurückhaltung“ bezeichnet werden. Man verzichtet weiter darauf, zu sagen, wie und warum diese Krisen entstanden und am Laufen gehalten wurden und werden. Man verschweigt, dass diese eben nicht vom Himmel fielen wie auch Corona, Ukrainekrieg. Darauf folgten Energie- und Wirtschaftskrise. Dass die Gastronomie, um auf unsere Gastgeber, unsere lieb gewordenen Lokale zurückzukommen, in die Knie gehen, das hat unter anderem mit dem unsäglichen politischen Umgang in der Pandemie zu tun, der ein Desaster war. Das hat damit zu tun, dass der Krieg im Osten unbedingt vermeidbare Ursachen hat, die auch in unserer Verantwortung liegen. Man stelle sich vor, es hätte anderes Handeln in den beiden Krisen gegeben. Und es kommt noch besser: Man kann ja immer noch und künftig anders handeln.

Stattdessen wird halt lieber der Staat gelobt, der das Desaster verantwortet(e), und die Entscheidungsträger können sich bis heute nicht dafür entscheiden, zu deeskalieren, statt zu eskalieren. Egal, es wird gefeiert:

„Allerdings hat der Staat der Branche seit Beginn der Pandemie im Jahr 2020 permanent Unterstützung gewährt. Zur großzügig bemessenen Coronahilfe – die während der erzwungenen zeitweiligen Schließung immerhin 80 Prozent des Umsatzausfalls abdeckte – kam die Senkung der Mehrwertsteuer von 19 auf sieben Prozent. Und diese Sonderregelung wurde wegen der Wirtschaftskrise mehrmals verlängert, zuletzt bis Ende dieses Jahres.“

Weiß die Welt, dass vielen Wirten freundliche Schreiben ins Haus flattern, die die „großzügig bemessenen Hilfen“ wieder einfordern? Bis heute ist die Delle, die die Schließung der Gastronomie und das Ausgrenzen von Menschen, die zum Beispiel 2- oder 3-G-Regeln nicht befolgten oder nicht einhalten konnten, erzeugten, immer noch (und auf andere Weise sogar zunehmend) tief. Der Wirt war Polizist im eigenen Haus, gegen seine eigenen Gäste, und ist jetzt die Feuerwehr, weil seine Hütte brennt, wobei die Flammen der Preisexplosionen, der politischen Überforderungen von außen seine wirtschaftliche Existenz gefährden und er eben nicht Verursacher der Lage ist.

Das Wort „Kneipensterben“ kommt mir in den Sinn, mir fällt gleich mit ein, dass Meldungen jubelnd veröffentlichen, dass der große Anbieter der Systemgastronomie, McDonalds, Hunderte neue Filialen plant. Große Player können Krisen nicht nur überstehen, sie profitieren von ihnen.

Auch ohne Energiekrise, zu viele Kostenarten bedrohen Existenzen und Lebensart

Die Gründe sind vielfältig, warum Gastronomen den Schlüssel herumdrehen und „zumachen“. Für immer. Es liegt nicht (nur) an der Mehrwertsteuer. Die vielen Kosten sind es, die zu den Einnahmen allzu oft in einem nicht mehr zu meisternden Verhältnis stehen. Es gibt zu viele Kostenarten. Ein Gastronom sagte mal zu mir: „Jeder außerhalb des Lokals macht die Hand auf.“ Ein Fotofundstück an einer Gaststätte sagt dazu einiges:

Gern wird der Faktor Personal und Personalkosten benutzt, um diese als Kostenposten zu benennen, die einen Wirt zur Aufgabe zwingen. Oder weil er kein Personal bekommt. Weil das Kochen und Kellnern ja keiner mehr machen will, wird höhnisch vermerkt. Dass die Köche und Kellner mitunter Teil des Selbstausbeutens sind, das der Wirt mit sich macht und an seine Crew weitergibt und so ihre Leidenschaft, ihr Idealismus angegraben wird, wird nicht erzählt. Der Wirt kann mitunter gar nicht ordentlich bezahlen, weil er (siehe Foto der Kosten) zu viel zu berappen hat, damit er überhaupt den Laden offenhalten kann. Frag’ den Wirt, sag ich, GEZ zahlt er, obwohl er als Bürger auch GEZ bezahlt, die GEMA (Eintreiber der Liedveröffentlichungsgebühren) packt zu, als gäbe es kein Morgen. Was macht Wirt? Er veranstaltet keine Konzerte, keine Kleinkunst mehr, allein die Musik aus der Konserve bleibt. Und so verschwindet nicht nur die Gastronomie, sondern auch die Kultur. Unsere Lebensart.

Zukunft: Gastronomie für Besserverdienende?

So so. Gibt es bald nur noch Gastronomie für Besserverdienende? Naja, McDonalds wird schon noch drin sein. Ich will mir das nicht ausmalen. Weiterdenken würde weiterbringen. Die Fragen stellen sich doch: Was hat ein Besserverdiener, der sich im Grunde am anderen Ende dieses Verhältnisses versus Gastronomie aufhält, davon, dass Orte der Gastlichkeit in Größenordnungen schließen, dass Fußgängerzonen veröden, Szenelokale, Kultadressen, Orte, die das Leben lebenswert(er) machen, ja auch das des Besserverdienenden, verschwinden?

Gut, der Besserverdienende kann mit seinem Besserverdiener-Auto längere Anfahrtswege in Kauf nehmen, weil er dann doch noch ein Edelrestaurant findet. Doch in Wirklichkeit wird er, wenn er ein einsichtiger, analytischer Besserverdiener ist, erkennen, dass seine komfortable Lage und die seiner noch weit, weit besser verdienenden Mitmenschen ebenso im ursächlichen Zusammenhang mit der Not an der Service-Basis stehen. Gastronomie ist ja Service, ist ja Dienen und Freude bereiten, Gastgeber sein. Wenn in den kultigen Stadtteilen, in Kleinstädten, auf dem Land, in touristischen Kleinoden, an Wanderwegen die Einkehr-Orte nach und nach zumachen, kann auch der Besserverdienende letztlich allenfalls daheim ordentlich aufkochen (lassen). So was kommt von so was. Die Dehoga nennt die Zahl von 12.000 Gasthäusern, die bald schließen würden…

Vorschläge pro Gastronomie

Die Politik ist in der und für die Gesellschaft dazu da, die Rahmenbedingungen zu bestimmen und zu gestalten, damit der Laden rund läuft – habe ich mal von meinem Vater gesagt bekommen.

Wenn das mit dem „damit der Laden läuft“ jedoch so verstanden wird, dass nur bestimmte Läden, dass nur die großen Macher entsprechende Rahmenbedingungen gewährt bekommen, dann läuft das auf Kosten vieler anderer, wie das in unserer Zeit zu erleben und zu erleiden ist.

Besserverdienende gehen gern aus. Das ist doch ein Ansatz. Wie wäre es, wenn wir uns alle zu Besserverdienenden machen? Somit sind wir wieder bei uns, den Gästen. Wie wäre es, wenn es faire Löhne gäbe – z.B. für Verkäuferinnen und für Dachdecker und für Fernfahrer und für Krankenschwestern und für Pflegekräfte, die dann eben besser verdienend wären? Diese Menschen wollen ebenfalls gern ausgehen, einkehren, genießen. Gastronomie für Besserverdienende hätte damit einen normalen Klang. Und die Kneipen hätten mehr Umsatz. Das, was die Welt meint, hört sich dagegen so an wie in Frankreich die Arroganz der Eliten, die dem Volk in seiner Not noch zuraunen, Kuchen zu essen, wenn es sich kein Brot leisten könne.

„Strukturwandel“, „Mit den Veränderungen klarkommen müssen“?

„Weil reichere Menschen häufiger essen gingen als ärmere, wäre eine dauerhafte Vorteilsgewährung bei der Mehrwertsteuer zudem eine Umverteilung zugunsten höherer Einkommensschichten, heißt es in der ZEW-Studie. Vor allem aber sei es unfair, eine bestimmte Branche vor dem Strukturwandel zu schützen, während andere wie etwa der Handel oder das Handwerk ebenfalls mit den Veränderungen klarkommen müssten.“

Die Zeilen der Welt lesen sich wie Abgehobenheit und Arroganz in Reinform mit einer Prise gespielter Fairness. Man nimmt das Wort Strukturwandel in den Mund, stattdessen sollte es Kaputtmachen, Inkaufnehmen von Pleiten, Existenzvernichtung heißen. Und nein, die vielen genannten Macher wie die Gastronomie, der Handel (Verkäuferinnen, Verkäufer, Transport und Logistik usw.), das Handwerk – sie haben eben nicht gefälligst mit den Veränderungen klarzukommen. „Veränderungen“ sind konkret: Willkürlich durchgezogene Preisexplosionen (Energie, Rohstoffe, Abgaben, Waren), die zu höheren Kosten auf Kosten der Bürger, der Leute wie in Gastronomie, Handel, Handwerk und auch uns Bürgern, den Verbrauchern führen. Diese Zumutungen, diese „Veränderungen“ sind obszöner Bestandteil einer ruinösen Politik. Wie wäre es, die Daumenschrauben abzuziehen? Wie wäre es, die Kostenposten der Gastronomie durchzuforsten und eine echte Entlastung anzugehen? Warum müssen alle um die Gastronomie so unverschämt die Hand aufhalten? Wer nicht damit klarkommt, der muss weichen – diese Logik ist Zynismus.

Wie war das gleich nochmal? Die Politik ist in der und für die Gesellschaft dazu da, die Rahmenbedingungen zu bestimmen und zu gestalten, damit der Laden rund läuft – habe ich mal von meinem Vater gesagt bekommen.

Titelbild: Heide Pinkall/shutterstock.com