Von wegen romantische Idylle in Salzburg – Nachdenklich stimmende Eindrücke einer vergeblichen Reise raus aus dem gegenwärtigen Wahnsinn

Von wegen romantische Idylle in Salzburg – Nachdenklich stimmende Eindrücke einer vergeblichen Reise raus aus dem gegenwärtigen Wahnsinn

Von wegen romantische Idylle in Salzburg – Nachdenklich stimmende Eindrücke einer vergeblichen Reise raus aus dem gegenwärtigen Wahnsinn

Ein Artikel von Frank Blenz

In Zeiten, in welchen wir Bürger, geht es nach unserer herrschenden Klasse, wieder (einmal) kriegstüchtig werden sollen, würde es einem guttun, wenn man einfach mal losfährt. Auf solch‘ eine Idee könnte man kommen, mal weg von all den Katastrophen, weg von dem Wahnsinn. Nein, ganz anders war das jetzt bei mir, das Wegfahren war kein Ausweichen. Hellwach und realistisch ging es für ein paar Tage auf eine Tour gen Süden nach Salzburg und Wien und deren Umgebungen. Die Fahrt war kein Ablenkungsmanöver, sie war ein Aufsaugen vieler Eindrücke, die nachdenklich stimmten. Besonders Zeugnisse in Museen und an historischen Stätten gerieten mir zur hochaktuellen Mahnung, Kriege und Konfrontationen, Unterdrückung und Ungerechtigkeit abzulehnen und dagegen aufzustehen. Dass das existenziell wichtig ist, holte mich wieder ein, als ich schließlich wieder nach Hause zurückkehrte. Hier wehte mir der Wind euphorischer Militaristen entgegen. Umso wichtiger finde ich es, dass die Zahl derer, die nicht mitmachen, wachsen muss. Ein Aufsatz von Frank Blenz.

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Ein bisschen Idylle, ein bisschen Schönheit und doch…

Reisen ist die Sehnsucht nach dem Leben (Kurt Tucholsky). Die Welt ist so schön. Man fahre nur mal als Mittelgebirgsmensch (ich lebe und wohne auf Höhen zwischen 345 und 936 Metern) Richtung Alpen und durch all die Pracht an mehrere Tausend Meter hohen Gesteinsschönheiten vorbei, umsäumt und geschmückt von Wäldern, Feldern, Wiesen und Häusern, so fein und lieblich geschaffen, als geschah dies genau deswegen, damit die Fotos auf Ansichtskarten oder eben live erlebt genau so herrlich aussehen, wie sie aussehen. Dann ist Salzburg erreicht. Zu Fuß schreitet man knapp einen Kilometer hinter dem Hauptbahnhof, und schwups, ist Salzburg vor einem liegend: Am Fluss Salzach baut sich eine stilvolle, klug und fein gestaltete Altstadt auf, prächtige Kirchengebäude, wuchtige Felswände um die Stadt vollenden das Bild, das gerade am Abend geheimnisvoll und faszinierend wirkt, als wäre die Welt eine Theaterkulisse.

In diese schöne, alte Stadt einzutauchen, für den Idylle Suchenden lohnt dies sehr, doch bald stellt sich die in diesen Zeiten zunehmende, traurige, wütend machende Nachdenklichkeit ein. Das wahre Leben, der sorgenreiche Alltag ist auch hier präsent, fängt einen ein, in der Stadt, im Museum, im Auto beim Radiohören, im Hotel, wenn der Fernseher an ist, im Internet, am Zeitungskiosk, in der Fußgängerzone, die von vielen hoffnungslosen Bettlern okkupiert wird. Am Bahnhof harren gestrandete Menschen aus, sie trinken alles, was dreht, obwohl über ihren Köpfen Tafeln stehen mit der Aufschrift: „Alkohol trinken verboten!“ Die Idylle der Berge trügt. Die Zeiten sind keine guten.

(Bettlerin an der Kirche)

Nie wieder Krieg – doch hilft all das Mahnen der Denkmäler?

Salzburg. Mozarts Geburtshaus, Wolfgangs Wohnhaus, sein Angesicht sind überall zu sehen, süße Mozartkugeln, Ansichtskarten, Bücher, Textilien, Porzellan und so weiter. Viel Geld wird mit diesem Genie verdient, das zu seinen Lebzeiten oft existenzielle Sorgen hatte. Seine Musik erfreute, so froh, so friedlich, damals und heute. Den entscheidenden Takt jedoch gaben und geben bis heute andere vor.

Die Festung Hohensalzburg hoch über der Stadt ist uneinnehmbar gewesen. Im Museum der Burg erblickt der Besucher Bilder, Geschichten, Ausstellungsstücke über Krieg. Erster Weltkrieg. Kaiser Franz Josef stirbt 1916, sein Neffe Karl folgt ihm, wird berichtet. Der neue, menschliche Monarch müht sich redlich und ehrlich, einen raschen Friedensschluss zu erzielen, so sehr weiß er um die Nöte der Menschen, seiner Untertanen, um die Not seiner Soldaten. Doch ist zu lesen: „(…) Die oft patriotisch überhöhte Glorifizierung von Herrscher und Heerführern stand der grausigen Realität des Frontalltags gegenüber. Funkelnde Orden und Galauniformen kontrastieren Schmutz, Einsamkeit, Schmerzen und Tod…“ Rascher Friedensschluss – von wegen. Eines der zahlreichen Ölgemälde zeigt Gevatter Tod als Gerippe mit der Truppenfahne voran, während die einfachen Soldaten, sich ihrem Schicksal ergebend, ins Trommelfeuer ihrer Gegner stürmen. Weitere Bilder porträtieren gepeinigte Männer in Uniform, Kanonenfutter, Menschen, deren Chancen, wieder nach Hause zu kommen, gen Null gehen.

(Gemälde von Kriegern)

Nahe der Mozartstadt liegt das bayerische Berchtesgaden. Der Krieg holt den Besucher auch dort ein. Gegenüber dem Stadtschloss steht ein Haus mit einem kolonadenartigen Durchgang. Dessen Innenwand dient als Kriegsdenkmal. Auf einem Dutzend Metalltafeln sind die Namen der Toten des Zweiten Weltkrieges zu lesen, Bürger der Stadt und der Region. Fein alphabetisch sind sie sortiert, Ordnung muss sein, von Angerer bis Eder, von Guggenbichler bis Schwaiger, von Mayer bis Zauner. Sterben für Volk und Führer. Kriegstüchtig waren die damals. Oder doch nicht? Gezwungen vom Führer und seiner Gefolgschaft. „Sie gaben ihr Leben, ihr Opfer ist uns Mahnung“ – steht in feiner Schrift an der äußeren Hauswand, Zweifel weckend. Ob uns all das vergangene Leid wirklich heutzutage noch mahnt? Ob sie ihr Leben als Mahnung gaben oder doch lieber gelebt hätten – in Frieden und ganz ohne kriegslüsterne, machtgierige Befehlsgeber?

(Kriegerdenkmal in Berchtesgaden)

Wenige Kilometer von diesem erschütternden Mahnmal entfernt, gleich um die Ecke liegt der Obersalzberg, ehemaliger Wohnsitz eines der größten Verbrecher der Menschengeschichte, jetzt ein mahnendes Dokumentationszentrum. In den Radionachrichten im Auto tönen Informationen aus Braunau. Dort steht das Geburtshaus von Hitler. Das ist seit 2014 leer, bis dahin diente es Jahre als Domizil der Lebenshilfe. Nun soll das städtische Gebäude bald ein Ort für Recht und Gesetz und Ordnung sein: eine Polizeistation ist geplant.

Eine Edelfeder meint, wir Bürger seien medial orientierungslos

Das Autoradio tönt. Im bayerischen Rundfunk folgt eine Gesprächssendung. Eine alte, gestandene, hochdekorierte Journalistin, Evelyn Roll, ist zu Gast. Der Moderator Norbert Joa bezeichnet sie, die viele Jahre wichtige Größe der Süddeutschen Zeitung war, darum auch poetisch fast als Edelfeder. Solche Federn, also Schreibende, die wichtige Seite-3-Artikel verfassen, wissen schließlich, was Volk lesen will und soll und was wichtig und was richtig ist. So auch diesmal: Die altgediente Journalistin – nebenbei schrieb Evelyn Roll gleich drei Bücher über unsere ehemalige Bundeskanzlerin Merkel – konstatierte, dass wir Menschen, also wir, die Leserschaft, Hörerschaft und Zuschauerschar, orientierungslos und falsch informiert im medialen Alltag umherirrten. Sie meinte, dass viel dummes Zeug in die Köpfe (unsere) gedrückt werde. Roll hatte das Erfolgsrezept dagegen parat. Man müsse nur die und die und die Zeitung lesen, die und die Sender anschauen und die und die Agenturen nutzen. Sie nennt ausschließlich Mainstreammedien. Ansonsten gibt es eh nur krude Quellen, krude Theorien, hoffnungslos machende Desinformationen, viel dummes Zeug also. Früher sei die Welt noch in Ordnung gewesen – um acht Uhr abends schaute die ganze Republik Tagesschau. Doch heute? Ich frage mich, während ich wieder gen Salzburg fahre und mich auf ein Vinschgauer Brot freue: Hat sich die anerkannte, verdiente Journalistin nicht etwas vertan? Meinte sie in Wahrheit eher, dass nicht die Menschen orientierungslos seien, sondern stattdessen die von ihr aufgezählten Medien, die den Menschen Orientierung und Aufklärung verwehren und stattdessen vor Manipulation, auf Linie trimmen und Ausgrenzung dem Mainstream nicht genehmer Meinungen und Informationen nur so strotzen?

Orientierungslos macht mich abends im Hotel die Lektüre der Nachrichten, sich windende Moderatoren im deutschsprachigen TV. Al Jazeera auf Englisch und mit erschütternden Bildern wirkt glaubhafter und erschütternder. Was ist los auf dieser Welt? Beim Studieren der Schlagzeilen im Internet kurz vor der Nachtruhe schlägt einem Jubel entgegen: Rheinmetall-Aktien gehen fortgesetzt durch die Decke.

Mission Vorwärts – das österreichische Heer wirbt, Wahlplakate für bezahlbares Wohnen

Die Tour geht weiter gen Wien, fortgesetzt mit einem Rundgang in Linz, in dessen Zentrum sich ein Friedensplatz befindet. Der Platz ist schmucklos, in einer Seitengasse. Ein Kunstwerk, das auf den ersten Blick wie eine Umrandung für eine Tiefgarage wirkt, mahnt, indem es all die wichtigen Worte der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zeigt, die die Grundlage der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Friedens für alle Mitglieder der menschlichen Familie bilden. Mahnende Worte. Worte, an die sich keiner hält, der Macht und Einfluss hat, murmele ich vor mich hin.

(Linz Friedensplatz)

Zwei Stunden später ist die österreichische Hauptstadt erreicht. Ach ja, schön bist Du, Wien. Plakate werben für bezahlbares Wohnen. Die Mieten müssten „leistbar“ sein, wird schön österreichisch formuliert. Wohnen ist also auch in good old Austria „e teirer Spaß“. An einem Zeitungskiosk, ein sogenannter Trafik beim Naschmarkt, reihen sich Gazetten an Gazetten. Eine Wochenzeitung titelt: „Darf Israel das?“

Im Wiener Museumsquartier findet sich allerlei Kunst, Kokoschka und Klimt und eine Malerin namens Gabriele Münter, die neben ihrem Mann, einem gewissen Wassily Kandinsky, lange im Schatten blieb und dabei doch so wundervolle und zudem zahlreiche Werke des Expressionismus schuf. Münters Bilder sind enorm anziehend, je weniger sie ins Detail geht, desto mehr wird der Betrachter eingesogen von der Schönheit ihrer Kunst. Und schon wieder wird es politisch. Die Künstlerin rettete in den Jahren der faschistischen Barbarei viele Werke ihrer Künstlerkollegen vor dem Zugriff der Nazis.

Unweit des Museumsquartiers liegt eine der zahlreichen Fußgängerzonen. In dieser ist ein fesch aufgemachter Laden nicht zu übersehen: Mission Vorwärts – das österreichische Heer wirbt. Für neues Personal, für sich, für das Militär sowieso. Nur gut, dass Österreich neutral ist. Das Bundesheer hat sogar eine eigene Zeitschrift namens Habt acht! Der wehrtüchtige Bürger erfährt darin einiges, so auch, dass es einen Aufbauplan des Bundesheeres bis 2032 gibt. Der sieht Investitionen von über 16 Milliarden Euro vor, darin eingepreist sind der Kauf von bis zu 1.375 neuen Lkw sowie der Kauf neuer Kampfstiefel, ist zu lesen. Ich denke an die Soldaten auf dem Gemälde im Salzburger Museum…

Siegmund Freuds Haus. Mir blieb hängen: Der berühmte Wiener, heute verehrt und geschätzt, musste 1938 seine Heimat verlassen und nach London emigrieren, seinen vier Schwestern gelang die Flucht vor den Nazis nicht…

In Wien werden gerade die Weihnachtsmärkte wieder aufgebaut, diese sind üppig ausgestattet. Schon ist zu erahnen, wie schön allein der Markt gegenüber dem berühmten Burgtheater aussehen und im Licht zigtausender Lämpchen und kleiner illuminierter Kunstwerke erstrahlen wird. Im Burgtheater steht eine Premiere ins Haus: „Geschichten aus dem Wiener Wald“. Angekündigt wird das schonungslose Porträt einer Gesellschaft, in der die Menschen vergeblich gegen ihren sozialen Abstieg kämpfen, in der ihre Sicherheiten schwinden, die Lebensverhältnisse prekär und prekärer werden. Die Geschichten aus dem Wiener Wald passieren in einer „Zwischenkriegszeit“ unentrinnbar hinein in den aufkommenden Faschismus. Zeitlos soll das Stück sein und voller Parallelen zur Gegenwart. Nachdenklich schaue ich auf ein Plakat am Theatereingang: „Übertreibung ist Kunst, Vertreibung Realität.“ Ich bin dankbar für etwas Protest in einer sonst eher protestlos wirkenden Metropole, in der die Touristen vor allem aus Asien in der Mehrzahl sind – ach ja, die lieben eben sehr den Mozart und die Sissy. Logisch, dass das Wiener Schloss Schönbrunn geradezu von japanischen und chinesischen Besuchern geflutet wird.

(Plakat Burgtheater)

Wieder daheim – Euphorischer Offizier, Friedensforderungen, Proteste arabischstämmiger Mitbürger

Die Heimfahrt geschieht ganz ohne Grenzkontrollen gen Deutschland, die auf der Fahrt nach Österreich massiv zu beobachten waren. Illegale Einreisen verhindern eben. Flutlicht am Grenzpunkt Null, Maschinenpistolen im Anschlag, kritische Blicke in die angehaltenen Fahrzeuge. Friedenszeiten fühlen sich anders an, und tatsächlich werden unentspannte Situationen zum Alltag.

Wieder daheim findet sich in der lokalen Heimatzeitung ein Interview mit einem Militär aus unserem Verteidigungsministerium, der von Euphorie in der Ukraine spricht. Generalmajor Christian Freuding freut sich für uns und die Ukraine versus Russland: Wir halten länger durch, Freiheit siegt, verkündet er. Und unser Heimatblatt findet das titelzeilenwürdig. Auf das Zeitfenster seiner Durchhalteparole angesprochen, legt sich der General, Pardon, Generalmajor fest, dass das eine Aufgabe eines Jahrzehnts und darüber hinaus sei. Mir kommen die Generäle mit ihren Galauniformen und Orden wieder in den Sinn, die ich in Salzburg im Museum bewundern durfte. Doch schlage ich die Zeitung wieder zu und denke an Frau Edelfeder Evelyn Roll und an ihre Kollegen der Qualitätspresse. Die sind sicher froh, weitere Jahre viele euphorische Durchhalteartikel voller richtiger, wichtiger und guter Informationen zu unserer richtigen Orientierung zu verfassen.

Ich schlage lieber eine Seite in sozialen Medien auf. Ein Künstler, der Musiker Tino Eisbrenner, zitiert eine Politikerin: „Immer, wenn die Welt genau in der Mitte geteilt wird und dafür Gefolgschaft verlangt, machen sich Menschen auf, um den Riss zu heilen, um mit ihren Worten und Werken noch eine Mittelstrecke, eine letzte Brücke zu bauen über den tiefer werdenden Graben, den dessen Wächter für unüberwindlich erklären. Es scheint ein Gesetz der Geschichte zu sein: Wer die Welt so spaltet, verliert die besten und sensibelsten Menschen auf beiden Seiten. Sie verderben an dem unhaltbaren Zustand einer Welt, die keinen Frieden findet.“ (Antje Vollmer)

In meiner Heimatstadt Plauen protestieren Mitbürger aus meiner Nachbarschaft, Bekanntschaft, Freunde. Regelmäßig. Tapfer. Friedenstüchtig. Samstags halten sie Mahnwache vor dem vogtländischen Landratsamt ab. Am Gebäude hängen Transparente vom Balkon, die die Friedenstaube von Picasso zeigen. Keine Flaggen. Die Mahnwachenteilnehmer fordern Frieden. Sie wollen nicht am unhaltbaren Zustand der Welt verderben. Und auch die arabischstämmige Migrationscommunity meiner Heimatstadt protestiert und schreit ihre Forderung nach Frieden im Nahen Osten heraus. Ich atme auf, es ist nicht zu spät.

Quelle zu BR 2: br.de

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Titelbild & Beitragsbilder: Frank Blenz

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