Hamas-Aufrüstung: In Israel bekannt

Hamas-Aufrüstung: In Israel bekannt

Hamas-Aufrüstung: In Israel bekannt

Werner Rügemer
Ein Artikel von Werner Rügemer

Die jahrelange Aufrüstung der Hamas in Gaza war der Führung Israels bekannt. Gaza und Westbank mit ihren Aufständen gegen die Besatzer sind seit Jahrzehnten das weltweit führende Lebendlabor für die Entwicklung von Überwachungstechnologien. Ex-Offiziere, schon im Militär dafür gefördert, sind die häufigsten Gründer von Digital-Start-ups – die erfolgreichsten werden von den führenden Silicon Valley-Konzernen aufgekauft, die alle Entwicklungszentren vor Ort haben. Der führende Chip-Gründungskonzern Intel eröffnete schon 1974 in Tel Aviv sein erstes ausländisches Design- und Entwicklungszentrum und hat es insbesondere seit der ersten Intifada 1987 mit weiteren Standorten und 14.000 Beschäftigten zum größten Privatunternehmen und Exporteur Israels ausgebaut. Von Werner Rügemer.

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Im Juni 2023 kündigte der israelische Regierungschef Netanyahu die bisher größte ausländische Investition in Israel an: die 25 Milliarden Dollar schwere neue Chip-Fabrik von Intel in Kirjat Gat. Der Zement für das verzweigte unterirdische Tunnelstystem, die Maschinengewehre, die Raketen mit den Abschussrampen, die Munition – alles konnte nur mit Kenntnis und Zustimmung der israelischen Behörden in das abgesperrte „größte Freiluftgefängnis der Welt“ gelangen.

Dazu im Folgenden ein Auszug aus dem Buch von Werner Rügemer: Die Kapitalisten des 21. Jahrhunderts, Köln 2018, aktuell in der 4. Auflage, Seite 197ff.

Israels besetzte Gebiete: Weltweit führendes Lebendlabor der Digital-Überwachung

„Die jungen Soldaten, sie sind 18 oder 19 Jahre alt, erhalten in den riesigen Entwicklungsabteilungen, die das Militär gegründet hat, alle Freiheiten, um in der digitalen Welt an der Spitze zu sein.“ So berichtet der israelische Autor Ronen Bergman über seine mehrjährigen Recherchen in der Digital-Industrie Israels.[1]

Israel ist das höchstentwickelte Digital-Labor der westlichen Welt für die Bekämpfung von Aufständen und die Tötung von Menschen, die von Geheimdiensten ohne Gerichtsurteil als Terroristen bezeichnet werden. Amazon, Facebook, Microsoft, Google, Apple kaufen in Israel laufend Start-ups auf, z.B. Anobit, LinX, PrimeSense, SlickLogin, Waze, Annapurna. Mit bisher 5.000 Start-ups, die mehrheitlich von US- und anderen Westkonzernen gekauft wurden, hat Israel die höchste Start-up-Dichte pro Einwohner. Die Firmen werden meist von Ex-Offizieren der israelischen Armee hochgezogen, oft beginnen sie schon in der Armee damit. Hier setzen sie ihre Erfahrungen bei der Fern- und Naherkennung, Bekämpfung und Tötung von Palästinensern in „ziviler“ unternehmerischer Form ein. Die israelischen Soldaten und Soldatinnen werden als Helden und nationale Elite gehätschelt. Das Militär ist der „Innovationstreiber“. „Wer in einer der bekannten Eliteeinheiten dient, bringt wertvolles Wissen mit und macht sich damit nicht selten ein paar Jahre später selbstständig.“[2]

Die völkerrechts- und menschrechtswidrige Praxis des jahrzehntelangen Besatzungsregimes ist ein Trainingscampus der moralfreien Disruption. „You break things“, „You are software Ninjaneers“, Gründer-Soldaten gelobt. Seit dem Einsatz ferngelenkter Tötungsdrohnen bei der ersten Intifada entwickelt der militärisch-industrielle Digital-Komplex Israels immer neue und bessere Technologien, um alle Arten von Daten, die mit Menschen verbunden sind – akustische, optische, sprachliche, nichtsprachliche, farbliche, haptische, gestalt- und bewegungsförmige, interaktionelle, umgebungsbezogene, elektronische, digitale – zu erfassen und nach Zieleingaben integriert und in höchster Geschwindigkeit auszuwerten.[3]

Keine Wirtschaft und Medienbranche der Welt ist so militarisiert wie die israelische. Abitur, Universitätsexamen – in Israel zählt für Positionen in der Wirtschaft vor allem der Offiziersrang.[4] Der Chip-Hersteller Intel war vor vier Jahrzehnten als erstes Unternehmen aus dem Silicon Valley gekommen – als dort noch vorrangig für das US-Militär produziert wurde. Heute beschäftigt Intel in Israel 11.000 Mitarbeiter, darunter viele Ex-Militärs. Seit einigen Jahren erweitern die fünf GAMFA-Giganten die gekauften Start-ups auf bis zu 1.000 Mitarbeiter und vergeben Aufträge.

Google unterhält auf dem Universitätscampus des Stanford-Imitats in Tel Aviv eine eigene Start-up-Area. Kein Staat sonst subventioniert die digitale Forschung und Entwicklung so hoch wie Israel. Die Produkte und Dienstleistungen gehen vor allem in den Export, in die USA und die EU. Schon bevor Trump die Mauer zu Mexiko ausbauen ließ, holte sich die Obama-Regierung israelische Erkennungs- und Abwehrtechnologie für Tausende Kilometer des Hightech-Zauns zu Mexiko, der schon unter Präsident Clinton begonnen worden war.

So wurde auch die Cyberkriegs-Software Stuxnet nach Genehmigung durch Obama gemeinsam von US-amerikanischen und israelischen Stellen unter dem Microsoft-Betriebssystem Windows entwickelt. Stuxnet wurde als Zerstörungswurm in der Kontrollanlage der iranischen Atomzentrums Natanz platziert und führte zur „Selbstzerstörung” der Zentrifugen.[5]

Titelbild: Tang Yan Song/shutterstock.com


[«1] Ronen Bergman. Der Geheimdienst-Experte über Israels Spione, ihre gezielten Tötungen und den gescheiterten Atomdeal mit dem Iran, Handelsblatt 11. Mai 2018

[«2] Gründergeist aus der Wüste, Handelsblatt 11. Mai 2018

[«3] Vgl. David Rosenberg: Israel’s Technology Economy, London 2018

[«4] Interview mit dem Start-up-Mobileye-Gründer Ziv Avram, Süddeutsche Zeitung 9. Juli 2018

[«5] Eric Schmidt / Jared Cohen: Die Vernetzung der Welt Hamburg 2013, S. 157f. Google-Chef Schmidt wurde von Obama 2016 zum Chef des Defense Innovation Board ernannt, der die Digitalisierung des Militärs voranbringen soll.