Diskrete Aufdringlinge: Wie Lobbyisten der Demokratie den Boden entziehen

Diskrete Aufdringlinge: Wie Lobbyisten der Demokratie den Boden entziehen

Diskrete Aufdringlinge: Wie Lobbyisten der Demokratie den Boden entziehen

Ein Artikel von Ralf Wurzbacher

Durch ein Heer an Einflussagenten aus Finanzbranche und Industrie läuft der Berliner Politikbetrieb wie geschmiert. Das neu geschaffene Lobbyregister des Bundestages listet für 2022 mehr als 33.000 Einflüsterer im Dienst von über 6.000 Organisationen auf. Eine aktuelle Auswertung des Vereins Finanzwende nährt erhebliche Zweifel am Bild des unabhängigen Volksvertreters. Nicht wenige verstehen ihr Mandat augenscheinlich als Freifahrtschein zum hochdotierten Beraterjob. Das befördert und festigt bedenkliche Allianzen, mitunter sogar in Schlafzimmern. Von Ralf Wurzbacher.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Lobbyisten sind eine vermehrungsfreudige Spezies. 2021 tummelten sich knapp über 30.000 ihrer Gattung im engeren und weiteren Umfeld des Berliner Politikbetriebs. Zu finden ist die Zahl im „Lobbyregister für die Interessenvertretung gegenüber dem Deutschen Bundestag und gegenüber der Bundesregierung“, dessen gesetzliche Grundlage nach langer Hängepartie zum 1. Januar 2022 in Kraft getreten war. Im zweiten dokumentierten Jahr, also 2022, ist die Population auf 33.253 Exemplare angewachsen. Damit kamen auf jeden der 736 Abgeordneten im höchsten deutschen Parlament mehr als 45 Aufdringlinge aus verschiedensten Bereichen der Gesellschaft.

Unter diesen Bedingungen entsteht naturgemäß Nähe zwischen Gast und Wirt, woraus mithin wie fremdbestimmt anmutende Gesetzesinitiativen oder gleich ganze Gesetze aus fremder Feder entspringen. Zu beobachten sind in Einzelfällen auch intime Nestgemeinschaften: So firmiert etwa Daniel Holefleisch seit 1. Mai 2022 als „Partner“ beim PR-Unternehmen MSL (Motto: „Influence, Impact“), war früher 13 Jahre lang für Fundraising und Unternehmenskontakte bei der Grünen-Partei zuständig und ist seit 2007 standesamtlich verpaart mit der ebenso grünen Bundesaußenministerin Annalena Baerbock.

Helfende Söldner

Was macht MSL? Nach Recherchen der Bürgerbewegung Finanzwende gehört der Laden zur aufstrebenden Branche sogenannter Lobbyagenturen, die im Auftrag der Finanzindustrie darauf spezialisiert sind, die Damen und Herren Gesetzgeber sowie die Medien auf Linie zu bringen. In ihrem Buch „Lobbykratie. Wie die Wirtschaft sich Einfluss, Mehrheiten, Gesetze kauft“ schreiben die Journalisten Markus Balser und Uwe Ritzer über „Lobbysöldner“, die als „diskrete Helfer der Konzerne“ im Verborgenen agieren und insbesondere solchen Kunden zu Diensten sind, die keine eigene Repräsentanz an den Schaltplätzen der Macht, etwa in Berlin, Straßburg oder Brüssel, unterhalten. Ihre Aufgaben bestehen laut Finanzwende beispielsweise darin, auf „drohende politische Entwicklungen“ hinzuweisen, Kommunikations- und Kampagnenstrategien zu entwickeln sowie Lobbygespräche mit politischen Entscheidern anzubahnen. Bei MSL klingt das so:

„Wir stärken ihren Einfluss bei relevanten Zielgruppen, Medien und Mittelspersonen (…) durch Lobbying, PR-Kampagnen, Social Engagement und Influencer Marketing.“

Zu Holefleischs Einstand schwärmte CEO Wigan Salazar über dessen Fähigkeiten als „sehr erfahrener Berater und politischer Analytiker (…), der andere mit seiner Motivation und Begeisterung für Politik mitreißen kann“. Immerhin begründet seine delikate Verbindung zur Ampelregierung ein Tabu: „Eine Ansprache der Leitungsebene des Auswärtigen Amtes oder der Außenministerin Annalena Baerbock im Rahmen seiner Tätigkeit bei MSL ist vertraglich ausgeschlossen.“ Dann kann man ja beruhigt sein, zumal „Lobbyplaudereien“ am Frühstückstisch gewiss auch ein No-Go sind.

Keine Scham beim Seitenwechsel

Nun kann man die private Partnerwahl niemandem vorwerfen, aber ein bisschen mehr Fingerspitzengefühl bei der Berufswahl wäre Holefleisch doch zu wünschen gewesen. Sei’s drum, im Beziehungsgeflecht Politik/Lobbyismus gibt man sowieso wenig auf Sitten, Anstand und Würde. Wie Finanzwende in seiner am Montag veröffentlichten Auswertung des Lobbyregisters schreibt, sind die „Top-Finanzlobby-Gruppen“ (und andere auch) „nicht nur finanziell und personell stark aufgestellt“, sondern zudem „eng verflochten mit der Politik“.

Über prominente Seitenwechsler wie Gerhard Schröder, Sigmar Gabriel (beide SPD) oder Joschka Fischer (Grüne) haben die NachDenkSeiten bereits an dieser Stelle berichtet. In einer ähnlichen Liga bewegt sich laut besagter Finanzwende-Analyse der Fall Jens Weidmann, der als langjähriger Wirtschafts- und Finanzberater von Exkanzlerin Angela Merkel (CDU) und Präsident der Deutschen Bundesbank im Mai 2023 den Aufsichtsratsvorsitz der Commerzbank übernahm, was die „als echten Coup” feierte. Hans-Martin Tillack beschrieb diese Hemdsärmeligkeit beim Jobtausch in seinem Buch „Die Lobbyrepublik“ so:

„Wer heute als Lobbyist sein Geld verdient, hat uns in vielen Fällen eben noch als Politiker oder Spitzenbeamter regiert.”

Finanzsektor gibt Ton an

Allerdings spielen sich solche Vorgänge, zumal bei politischen Leichtgewichten, zumeist abseits der Öffentlichkeit ab. Dabei werden gemäß Studie gerade auch Politiker aus der zweiten Reihe gerne von der Finanzlobby rekrutiert, weil sie ebenfalls „Insiderkenntnisse“ hätten über die „Abläufe in Ministerien, Aufsichtsbehörden, Parteien und im Bundestag und gute Kontakte zu den Orten, an denen Gesetze vorbereitet und beraten werden“. Sie hießen zum Beispiel Friedrich Paulsen – heute Sparkassen-Lobbyist, früher Büroleiter eines SPD-Bundestagsabgeordneten – oder Georg Fuchs – Gründer einer Lobbyagentur und früher Zuarbeiter eines CSU-Parlamentariers. Das Lobbyregister habe das Verdienst, dass es durch die namentliche Nennung „erstmals ein weitreichendes Bild der Lobbyjobs dieser Ehemaligen“ zeichne, heißt es in der Studie. Was die Betroffenen konkret in ihren neuen Positionen trieben, zeige es leider nicht.

Gleichwohl liefert die Dokumentation wertvolle Einblicke, wer beim Politikmachen in Berlin mindestens mitmischt, wenn nicht gar das Sagen hat. Die erste Geige spielt dabei mit großem Abstand die Finanzbranche, die ihre schon 2021 bestehende Vormachtstellung weiter ausbauen konnte. Während sämtliche sogenannten zivilgesellschaftlichen Organisationen im Berichtsjahr 2022 zusammen knapp 20 Millionen Euro für die politische Beziehungspflege mobilisierten, kamen Banken, Fonds und Versicherer mit 42,8 Millionen Euro auf mehr als das Doppelte. Unter den ersten 100 Einträgen im Register finden sich zehn Vertreter der Geldvermehrungsbranche, darunter etwa die Deutsche Bank, die Commerzbank und die R+V-Versicherung.

Operation Rentenzerstörung

Stand jetzt lobbyieren in der Hauptstadt 6.117 Organisationen, 2021 waren es noch etwas mehr als 5.500. Bei Lobbymacht in Deutschland tippten die meisten Menschen auf die Autobauer oder den Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), bemerkte Finanzwende-Geschäftsführer Daniel Mittler gegenüber den NachDenkSeiten. „Aber die Finanzlobby ist noch stärker, und die Mischung aus Unauffälligkeit und Machtfülle schadet unserer Demokratie.“ In den Top-100 finden sich jeweils „nur“ sechs Vertreter der Auto- und Chemieindustrie, die gemeinsam „kaum“ mehr Geldeinsatz als die Finanzbranche aufbringen. Das Budget der Energiewirtschaft, mit acht Listenplätzen an zweiter Stelle, beträgt mit rund 23,5 Millionen Euro nur etwas mehr als die Hälfte der Mittel der Geldlobby. Die ist auch personell einsame Spitze: In Berlin unterhält sie mit 610 Agenten fast so viele Leute, wie es Parlamentarier im Reichstag gibt.

Allein der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) steckt Jahr für Jahr rund 15 Millionen Euro in seine politische Einflussarbeit, womit er hierzulande ganz vorne liegt. An seiner Spitze steht seit 2020 Jörg Asmussen, Ex-Staatssekretär im Finanzministerium. Im Umkreis von Bundesregierung und Bundestag sind für den GDV 155 hochbezahlte Einflüsterer in Stellung. Hunderte weitere Einflussagenten und noch viel mehr Geld wirken in den Bundesländern, in Brüssel oder in Tuchfühlung mit diversen Aufsichtsbehörden. Und der Aufwand lohnt sich: So hat der GDV mit seinen Interventionen laut Medien maßgeblich zur Demontage der gesetzlichen Rente beigetragen, dazu, dass die Altersvorsorge zum Ziel von Renditejägern geworden ist und Riester-Sparer in Massen von windigen Versicherungsmarklern über den Tisch gezogen wurden.

Demnächst mehr Transparenz

Immerhin gab es deshalb auf EU-Ebene Bestrebungen, ein Provisionsverbot für Anlageprodukte durchzusetzen. Das Vorhaben sei aber „auch auf Initiative der BRD und auf Druck der deutschen Versicherungswirtschaft“ gescheitert, erklärte Mittler. „Ein Lobbyregister, das derartige Zusammenhänge klarer aufzeigt, kann helfen, solch schädlichen Lobbyeinfluss zu unterbinden.“ In dieser Hinsicht ist tatsächlich Besserung in Sicht. Am 1. März 2024 werden Gesetzesänderungen wirksam, die unter anderem dafür sorgen, dass Seitenwechsel sichtbarer werden und Lobbyagenturen detailliertere Angaben zu ihrer Arbeit machen. Neben Finanzwende begrüßt auch der Verein LobbyControl die Reform. Damit werde das Register „deutlich aussagekräftiger und Lücken werden geschlossen”. Erfreulich sei insbesondere, „dass Interessenvertretungen nun klar benennen müssen, welche Gesetze sie beeinflussen wollen“.

Aber lassen sich Lobbyisten und ihrer Auftraggeber bremsen, nur weil ein bisschen mehr Transparenz herrscht? „Das ist ein klassischer Fall von ‚notwendig, aber nicht ausreichend‘“, so Mittler. Das Lobbyregister werfe „Licht in einen Bereich der Macht, der bisher im Dunkeln lag“. Und werde Skandalöses öffentlich, dann ändere sich auch etwas. Noch wichtiger ist für Finanzwende aber der „Aufbau von Gegenmacht“ mit der Perspektive der Durchsetzbarkeit einer weitreichenden Regulierung gerade der Finanzökonomie.

Rote Ampel für „Fußabdruck“

Aber auch beim Lobbyregister selbst besteht noch Luft nach oben. So fordern Finanzwende und LobbyControl die Einführung des „legislativen Fußabdrucks“. Erst der würde konkret nachvollziehbar machen, welche Akteure bei der Gesetzgebung wann und wie die Finger im Spiel hatten. Während es auf Länderebene in Berlin und Thüringen bereits Ansätze in dieser Richtung gibt, war das Instrument auf Bundesebene wenigstens angekündigt. „Für Gesetzentwürfe der Bundesregierung und aus dem Bundestag werden wir Einflüsse Dritter im Rahmen der Vorbereitung von Gesetzesvorhaben und bei der Erstellung von Gesetzentwürfen umfassend offenlegen (sog. Fußabdruck)“, heißt es dazu im rot-grün-gelben Koalitionsvertrag. Geworden ist daraus bisher nichts. Wer der Ampel das wohl ausgeredet hat. Noch Kaffee, Schatz?

Titelbild: slexp880 / Shutterstock