In Art. 21 GG steht der oben zitierte Satz. Schön. Schön versprochen. Aber wie sieht die Wirklichkeit aus? Jene, die die politischen Entscheidungen bestimmen wollen, sind schlau genug zu erkennen, dass sie auf die Willensbildung der Parteien Einfluss nehmen können, zum Beispiel, indem sie deren Mitglieder beeinflussen oder/und sogar die Reihen der Mitglieder füllen. Diese Erkenntnis ist der Hintergrund des aktuellen Versuches der neuen Partei BSW, den Zuzug von Mitgliedern zu steuern, auch durch Beschränkung. Das macht Sinn. Deshalb ist es ziemlich weltfremd, wenn der ansonsten überaus kundige Journalist Tilo Gräser sich über den aktuellen Versuch der Beschränkung aufregt. Hier ist sein aktueller Artikel zum Thema. Albrecht Müller.
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„Auch nicht anders: Das <<Bündnis Sahra Wagenknecht>>“– So lautet die Überschrift des Artikels, in dem der Autor „Zweifel an der vermeintlichen politischen Alternative“ äußert. Sie stelle keine echte Alternative dar. Das läge zum einen am politischen System der Bundesrepublik, in dem tatsächliche Alternativen nicht vorgesehen seien. Zum anderen heißt es: „Auch soll der Kreis der ersten Mitglieder sortiert und begrenzt worden sein“. Das „ist auf jeden Fall nicht demokratisch“, so lesen wir dann fett gedruckt.
In den zitierten und berichteten Äußerungen werden zumindest zwei Fragen angesprochen, die der kritischen Betrachtung bedürfen:
Erstens die Einführung des Begriffs System. Das „politische System der Bundesrepublik“ wird verantwortlich gemacht. Darauf werde ich bei nächster Gelegenheit eingehen. Jetzt geht es um …
Zweitens: Den angeblich undemokratischen Charakter des Versuchs, auf den Zustrom von Mitgliedern einer Partei Einfluss zu nehmen.
Vorweg ist zuzugestehen, dass die Argumentation des Tilo Gräser ausgesprochen einleuchtend erscheint. Sie erscheint jedoch keineswegs einleuchtend, wenn man sich die Geschichte der Entwicklung der Parteien anschaut und wenn man sich in die Lage jener versetzt, die die Entwicklung der Parteien beobachten und beeinflussen. Personen und Organisationen, die die Entwicklung eines Landes beeinflussen wollen, wissen sehr wohl, wo sie mit ihren Einflussversuchen ansetzen müssen. Da sind in einer Gesellschaft, deren Entscheidungsfindung wesentlich von der Meinungsbildung abhängt, zunächst einmal die Medien. Auf die Medien in Deutschland haben die Mächtigen hierzulande und außerhalb unseres Landes, zum Beispiel in der NATO oder in den USA, auf vielfältige Weise Einfluss gewonnen – über die Eigentümer und Verleger, über Journalisten und Journalistinnen.
Ähnliches gilt für die Parteien. Wenn schon im deutschen Grundgesetz steht, dass die Parteien bei der politischen Willensbildung mitwirken, dann brauchen diejenigen, die auf die Meinungsbildung und auf die Politik Deutschlands Einfluss nehmen wollen, keine großen Recherchen mehr anzustellen. Wenn die Willensbildung in den Parteien für die Entscheidungsfindung wichtig ist, dann muss man auf die Willensbildung in den Parteien Einfluss nehmen. Das schafft man dadurch, dass man die vorhandenen Mitglieder beeinflusst und dadurch, dass man auf die Akquisition bzw. den Zustrom neuer Mitglieder Einfluss nimmt.
In Deutschland – wie auch in anderen Ländern – ist man zur Beschreibung dieser Vorgänge nicht auf das Theoretisieren angewiesen. Wir haben praktische Erfahrungen damit:
So wurde die SPD umgedreht, von einer Partei, deren Markenkern – zumindest zwischen Anfang der sechziger Jahre bis in die Zeit der Nachrüstung und des Doppelbeschlusses – die Entspannungs- und Friedenspolitik war, zu einer Partei, deren oberste Vertreter, Bundeskanzler Scholz und Verteidigungsminister Pistorius, für Aufrüstung und auch für verbale Konfrontation mit Russland eintreten.
Die Anfänge dieses Umdrehens der SPD habe ich übrigens als Bundestagsabgeordneter und Mitglied der SPD-Bundestagsfraktion konkret erlebt. Es gab damals, zwischen 1987 und 1994 eine Gruppe von Kolleginnen und Kollegen um den Abgeordneten Florian Gerster, die in Fraktionssitzungen immer wieder davon berichteten, Parteifreunde aus anderen Ländern klagten in Gesprächen darüber, dass Deutschland nicht zu militärischen Interventionen „out of area“ bereit sei. Auf diese und ähnliche Weise wurden die Kolleginnen und Kollegen und alle sonstigen Entscheidungsfinder und Vorbereiter weichgeklopft. Bei der militärischen Intervention im ehemaligen Jugoslawien war es dann in der Realität so weit.
Wie mit der SPD sind die interessierten Kreise auch mit den Grünen und letztlich dann auch noch mit der Linkspartei verfahren. Besonders markant war es bei den Grünen, weil diese ausdrücklich als friedenspolitische Partei gegründet und angetreten waren. Joschka Fischer war eine Schlüsselfigur in diesem betriebenen Wandel einer wichtig gewordenen neuen Partei.
Wenn man diese Vorgänge im Blick hat und wenn man sie erlebt hat, was ja auch für die Gründer des BSW gilt, dann wird man verstehen, dass die Initiatoren dieser neuen politischen Organisation auf jeden Fall den Versuch machen, den Zufluss an Mitgliedern so zu organisieren und zu steuern, dass die Unterwanderung und Fremdbestimmung möglichst weit ausgeschlossen wird. Das ist dann so gesehen ein demokratischer Akt. Und der eingangs zitierte Tilo Gräser liegt ausgesprochen falsch, wenn er diesen Steuerungsversuch als undemokratisch brandmarkt. Er liegt allerdings damit richtig, wenn er auf Beifall aus ist. Denn vordergründig leuchtet seine Argumentation ein.
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