Europarat über Deutschland: Ungleichheit steht in keinem Verhältnis zum Reichtum der Bundesrepublik

Europarat über Deutschland: Ungleichheit steht in keinem Verhältnis zum Reichtum der Bundesrepublik

Europarat über Deutschland: Ungleichheit steht in keinem Verhältnis zum Reichtum der Bundesrepublik

Ein Artikel von Frank Blenz

Unserer Bundesrepublik Deutschland wurden die Leviten gelesen. Nicht wirklich Lobendes hat der Europarat unserer Republik, genauer den politischen Führungskräften bescheinigt: Sein Bericht stellt ein Armutszeugnis dar. Der Europarat fordert: Tut mehr und Konkretes für gleichwertige Verhältnisse. Zwischen den Zeilen lesend ist zu erahnen, dass das gar nicht so schwer ist, wenn es denn einen gesellschaftlichen Willen dazu gäbe. Ein Kommentar von Frank Blenz.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Gerade hatten wir Besuch von einem besonderen Rat. Der Europarat wollte nach seiner Visite nicht mit uns, dem besten Deutschland aller Zeiten, das wieder Europa führen will und heftig dafür ertüchtigt wird, in die vorherrschende Euphorie vor allem der selbstzufriedenen Herrschenden einstimmen.

Wieso konnten diese europäischen Experten nur darauf kommen, nicht begeistert von Deutschland zu sein? Zunächst: Die Institution „Europarat“ wurde im Jahr 1949 in Europa mit dem Ziel gegründet, sich für den Schutz von Demokratie, von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit auf dem Kontinent einzusetzen. 46 Staaten gehören dem unabhängigen Rat an. Unser strahlendes Deutschland wurde Ende vergangenen Jahres besucht und die gesellschaftlichen Verhältnisse unseres Landes unter die kritische Lupe genommen.

Der Europarat kam zu einem aufrüttelnden Ergebnis. Es muss schlussfolgernd ziemlich schlecht um unsere Demokratie, um die Rechte der Menschen und um die Rechtsstaatlichkeit bestellt sein, da diese Säulen im Dreiklang gerade nicht gefestigt und etabliert zu sein scheinen.

Krasse Ungleichheit

Als medieninteressierter Bürger erfuhr ich im Öffentlich-Rechtlichen: Die Bundesregierung tue nach Einschätzung des Europarats zu wenig gegen Armut und soziale Ausgrenzung. Die damit einhergehende Ungleichheit stehe in keinem Verhältnis zum Reichtum des Landes, berichtete zum Beispiel das ZDF. Ernüchternd hieß es:

„Das hohe Maß an Armut und sozialer Benachteiligung in Deutschland stehe in keinem Verhältnis zum Reichtum des Landes, heißt es in einem Bericht des Europarats, …”

Der Europarat hat uns den Spiegel vorgehalten, der Bundesregierung, dem Führungspersonal unserer reichen Bundesrepublik wurde ein Armutszeugnis ausgestellt. Das klingt paradox. Wie kann das reiche Deutschland in Verbindung mit Armut gebracht werden, während wir reicher und reicher werden? All das geschieht doch Dank unserer Regierung für uns …

Mit Unterstützung des Europarats blicken wir während unserer bombastischen Stimmung für einen Moment auf. Alles hängt ja logisch zusammen. Wie ein Dichter (wieder ein Poet) einst gesagt hat, gibt es immer auch eine andere Seite der Medaille. Wärst Du nicht reich, wäre ich nicht arm … Die Kehrseite des Reichenlandes sieht in Schlagworten dann folglich so aus: Wohnungsnot, Obdachlosigkeit, generationsübergreifende Armut, Ausgrenzung, Diskrimierung, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit. Tendenz: zunehmend. Betroffener als andere Menschen sind von all dem die, die wir starke Menschen gern „die Schwachen” nennen. Sie werden mitunter auch schon mal „übersehen“, wie Dunja Mijatović, die Menschenrechtskommissarin des Europarates, in ihrem Bericht sagte.

Die Fachleute, die uns besucht haben, kritisieren weiter, dass die Zahl der Betroffenen, ihre Lage, die Duldung dieser Zustände in unserem reichen Land in einem skandalösen Missverhältnis zu unserem Reichtum stehen. Dennoch scheint es, dass die Prioritäten bei den entscheidenden Leuten für diese Lage anders gesetzt werden. Es scheint, als fragen die sich: Verteilungsgerechtigkeit, Teilhabe, was kümmert es uns?

Aktienkurse gehen durch die Decke

Ja, da ist das reiche Deutschland, das nur zu dem Preis der Verteilungsungerechtigkeit und Priorisierung wichtiger Themen zu haben ist, siehe: Einerseits knallen gerade permanent die Sektkorken bei den Gewinnern der Kriegsindustrie. Die Aktienkurse führender Hersteller weisen Zahlen aus, die einen sogar ganz ohne Schampus besoffen machen. Richtig Kasse wird auch in weiteren Wirtschaftsbereichen vor allem bei den großen Playern gemacht (z.B. Energie, Immobilien, Pharma, Lebensmittel). Und alles trotz dessen, dass andererseits berichtet wird, dass das Land, also unsere Bundesrepublik gerade ärmer wird, deindustrialisiert, für kommende Kriege und Katastrophen vorbereitet wird, jetzt bis hinein in die Schulen. Und wieder gibt es bei diesem Spiel Sieger und Verlierer. Die einen bekommen, den anderen wird es genommen und/oder vorenthalten. Man muss ja … Prioritäten eben.

Eine Karikatur

Vor Kurzem sah ich ein die Lage gut beschreibendes, treffliches Bildchen: Es zeigt eine Art technische Zeichnung, auf der ein Kampfjet zu sehen ist, wie er im Rahmen unserer Aufrüstung vermehrt und teuer angeschafft wird. An jedes Bauteil des Fliegers hatte der Künstler einen Strich als Hinweiszeichen gezogen, an dessen anderem Ende jeweils ein erläuterndes Wort für dieses Teil stand. Kurios ist: statt Tragfläche hieß es dann „Kindergarten“, statt Heckflosse wurde das Teil „Kulturhaus“ bezeichnet und so weiter. Zählte man die Summen der schönen Einzelteile, im wahren Leben ja Dinge für unsere Gesellschaft, zusammen, kostete ein Kampfjet eine erheblich große Stange Geld, ich meine Lebensqualität. Mir kam die Frage in den Sinn: Warum braucht man eigentlich einen Kampfjet?

Die Forderungen hinter den Forderungen

Der Bericht des Europarates besprach nicht die Sinnhaftigkeit von Investitionen in die Luftwaffe und was man anstelle dieser alles finanzieren könnte. Beim Lesen fällt einem indes schon ein Ansinnen zwischen den Zeilen, etwas Gefülltes auf, eine Aufforderung: Mensch, wir haben die Bundesrepublik, stabile Grundlagen, Gesetze, Erfahrungen, Errungenschaften. Ja, unsere Bundesrepublik ist in der Tat keine homogene Einheit – aber „reich und arm und das war es dann“ ist es eben auch nicht. Deutschland war und ist vielmehr vielfältig, bunt (darf man das heute sagen, ohne gleich … ?), lebenswert. Gerade die vielen einfachen Menschen, die Bürger halten den Laden am Laufen und machen das einfache Leben lebenswert. Das große Glück – es ist die Ansammlung vieler kleiner Glücklichkeiten. Das alles zu fördern, verpflichtend, strukturell, festigend, sollte charakterlich für die Bundesrepublik sein.

Doch gibt es ein Problem, auf das der Rat hinweist: dass in einer Gesellschaft, in der an sich ja jeder gleich ist, Ungleichheit nicht nur geduldet, sondern hingenommen und befördert wird. All das geschieht mit der Gewissheit, damit Ungerechtigkeit durchgehen zu lassen. Dieses Oben und Unten sehen alle in der Gesellschaft, die von unserem Grundgesetz zunächst als fair und egalitär definiert wird. Trotzdem winkt man durch, dass wir zum Beispiel Milliardäre haben, die gleicher sind als andere Bürger, die in ihren Rechten und Möglichkeiten zu wenig leisten in Sachen Beteiligung an der Gesellschaft. Um es nochmal zu sagen: Die grassierende Ungleichheit im Land steht in keinem Verhältnis zum Reichtum der Bundesrepublik.

Titelbild: © Europarat

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