Bundesgesundheitsministerium und die RKI-Protokolle: Déjà-vu in der Regierungspressekonferenz

Bundesgesundheitsministerium und die RKI-Protokolle: Déjà-vu in der Regierungspressekonferenz

Bundesgesundheitsministerium und die RKI-Protokolle: Déjà-vu in der Regierungspressekonferenz

Florian Warweg
Ein Artikel von: Florian Warweg

Bei der Regierungspressekonferenz am 3. April hatte der Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) Sören Haberlandt komplett die Beantwortung der Frage verweigert, auf welcher Grundlage das BMG am 24. Februar 2020 bei einem extra anberaumten Treffen dem Innenministerium empfohlen hatte, man müsse nun „die Wirtschaft lahmlegen“ und Vorkehrungen „für Ausgangssperren von unbestimmter Dauer“ treffen. Dies, obwohl das RKI am selben Tag das Risiko für die Bevölkerung als „weiterhin gering“ eingestuft hatte. Der BMG-Sprecher rechtfertigte seine Verweigerung mit dem Verweis, dass Ministerium würde „grundsätzlich“ die freigeklagten RKI-Protokolle nicht kommentieren. Allerdings ging es in der Frage ja gar nicht um das RKI – sondern um Vorgänge im Ministerium selbst. Vor diesem Hintergrund fragten die NachDenkSeiten bei der nächsten BPK erneut zu der Thematik nach. Diesmal verweigerte sich das BMG zumindest nicht komplett einer Antwort. Von Florian Warweg.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Die Frage, auf welcher fachlichen Grundlage die entsprechende Empfehlung des BMG an jenem 24. Februar 2020 erfolgte, bleibt auch nach der zweiten Nachfrage in der BPK de facto unbeantwortet. Nichtdestotrotz kann man aus der Antwort der BMG-Sprecherin Kira Nübel etwas mehr Informationen herausziehen als aus der kompletten Antwortverweigerung ihres Kollegen Sören Haberlandt, der zuvor für die taz und die Parlamentsredaktion von BILD gearbeitet hatte, bevor er im März 2023 in die Presseabteilung des Bundesgesundheitsministeriums wechselte.

Der Verweis in der diesmaligen Antwort des BMG auf „die Fachexpertise
des Hauses“ führt uns zu einer der Schlüsselpersonen bei jenem Treffen am 24. Februar 2020: dem Leiter der U-Abteilung „Gesundheitssicherheit“ im BMG, Heiko Rottmann-Großner, deutscher Vertreter bei dem hochrangig besetzten Pandemie-Planspiel unter dem Titel „Übung für hochrangige globale Führungskräfte zur internationalen Reaktion auf vorsätzliche biologische Ereignisse“ im Februar 2019 in München, organisiert parallel zur damals am gleichen Wochenende stattfindenden Münchner Sicherheitskonferenz.

Hintergrund

Anhand der vom Online-Magazin Multipolar auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) freigeklagten RKI-Protokolle ist belegbar, dass das RKI am 24. Februar 2020 intern eine „Risikobewertung“ vornahm, die zu folgendem Schluss kam:

„Risiko für die deutsche Bevölkerung bleibt vorerst „gering““.

Genau am selben Tag, an dem das RKI die Risikobewertung „gering“ traf, bat das Bundesgesundheitsministerium (BMG) allerdings um einen „eiligen Termin“ mit hochrangigen Vertretern des Bundesinnenministeriums (BMI). Das Treffen hatte es in sich. Die anwesenden BMG-Vertreter erklärten dort den überraschten Staatssekretären des BMI, dass Corona sich wohl nicht mehr eindämmen lasse. Jetzt müsse die nächste Phase eingeleitet werden. Das hieße, Vorkehrungen zu treffen für Ausgangssperren von unbestimmter Dauer, Lahmlegung der Wirtschaft sowie die Aufforderung an die Bevölkerung, sich Lebensmittel- und Arzneimittelvorräte anzulegen.

Von diesem Treffen wissen wir nicht durch die RKI-Protokolle, sondern durch Georg Mascolo. Der ehemalige Spiegel-Chefredakteur leitete von 2014 bis 2022 den Rechercheverbund des NDR, WDR und der Süddeutschen Zeitung. Mascolo berichtet in seinem im Frühjahr 2021 veröffentlichten Buch „Ausbruch – Innenansichten einer Pandemie“ auf Seite 8 detailliert von dem Ablauf dieses Treffens:

„Am Rosenmontag des Jahres 2020, es ist der 24. Februar, bittet Jens Spahns Staatssekretär Thomas Steffen um einen eiligen Termin im Bundesinnenministerium. (…) Heiko Rottmann-Großner begleitet ihn, Leiter der Unterabteilung 61: ‘Gesundheitssicherheit’. Drei Staatssekretäre von Minister Horst Seehofer warten bereits auf die beiden, dazu weitere Beamte. (…) Staatssekretär Steffen wirkt angespannt. Er glaube nicht, dass sich Corona noch eindämmen lasse, bekennt er. (…) Jetzt gehe es in die nächste Phase, die Mitigation, Schadenminderung. Als die Beamten aus dem Innenministerium wissen wollen, was ‘Mitigation’ genau bedeute, übernimmt Rottmann-Großner. Man müsse die Vorkehrungen dafür treffen, dass es zu Ausgangssperren von unbestimmter Dauer komme. Man müsse auch, wie es später in einem Vermerk über das Gespräch heißen wird, ‘die Wirtschaft lahmlegen sowie die Bevölkerung auffordern, sich Lebensmittelvorräte und Arzneimittelvorräte anzulegen’. ‘Lockdown’ wird so etwas bald genannt werden, aber an diesem Rosenmontag wird noch ein anderes Wort verwendet: Es lautet ‘Abschaltung’.“

Es stellt sich unmittelbar die Frage, auf welcher Grundlage damals am 24. Februar 2020, und eingedenk der an diesem Tag durch das RKI getroffenen Risikobewertung „gering“, der Leiter der Abteilung „Gesundheitssicherheit“ im BMG, Rottmann-Großner, auf die Idee kam, dem Innenministerium so radikale Maßnahmen wie Abschaltung der Wirtschaft und Ausgangssperren von unbestimmter Dauer zu empfehlen. Wie auch Paul Schreyer in einem Beitrag unter dem Titel „Wie der Lockdown nach Deutschland kam“ darlegt, werden im damals geltenden Nationalen Pandemieplan der Bundesrepublik Deutschland von 2017 solche vom BMG vorgeschlagenen Schritte mit keinem Wort erwähnt. Bei der Frage, woher die von Rottmann-Großner vorgetragenen und für den damaligen Kontext ungewöhnlichen Empfehlungen stammten, hilft unter Umständen ein Blick zurück.

Das Pandemie-Planspiel in München 2019

Es war, wie bereits erwähnt, genau jener Rottmann-Großner, der ziemlich genau ein Jahr zuvor, am 14. Februar 2019, als deutscher Vertreter an einem hochrangig besetzten Pandemie-Planspiel in München unter dem Titel „Übung für hochrangige globale Führungskräfte zur internationalen Reaktion auf vorsätzliche biologische Ereignisse“ teilnahm. Hauptorganisator des Planspiels war die US-amerikanische Lobbygruppe NTI, welche auf Themen der „Biosecurity“ spezialisiert ist und vor allem von Bill Gates und dem Facebook-Mitgründer Dustin Moskovitz und deren respektiven Stiftungen finanziert wird. Daneben traten noch die Georgetown University und die US-Denkfabrik Center for Global Development als Co-Organisatoren auf. Dort begegnete der ranghohe BMG-Mitarbeiter dem „Who is who“ der US-dominierten internationalen Biosecurity-Szene, die sich vor allem aus Lobbyisten und einigen wissenschaftlichen Fachleuten zusammensetzt. Auffallend: Fast alle NTI-Führungskräfte unterhalten belegbar enge Verbindungen zu US-amerikanischen Sicherheitsbehörden.

Gruppenbild von dem „Biosecurity“-Planspiel im Februar 2019, rot umkreist ist der deutsche Vertreter, Leiter der Unterabteilung 61: ‘Gesundheitssicherheit’ im BMG, Heiko Rottmann-Großner:

Ebenso fragwürdig blieb allerdings deren zweite „Antwort“ auf die erneut gestellte Frage der NDS, wie es das Bundesministerium erklärt, dass die ihm direkt unterstellte und weisungsgebundene Behörde nach eigener Darstellung keinerlei Protokolle über die angeblich geführte wissenschaftliche Debatte zur Risikoverschärfung („Es soll hochskaliert werden“) vorliegen hat.

RKI-Kanzlei: „Informationen, die nicht vorhanden sind, kann die Beklagte nicht herausgeben“

Die Wirtschaftskanzlei Raue, die das RKI im von Multipolar initiierten Verfahren vertritt, erklärte in einem Schreiben vom September 2023 an das Verwaltungsgericht Berlin, dass es keine weiteren Dokumente außer dem kurzen Protokollverweis vom 16. März 2020 („Es soll diese Woche hochskaliert werden. Die Risikobewertung wird veröffentlicht, sobald [geschwärzt] ein Signal dafür gibt.“) gäbe, die sich mit der Änderung der Risikobewertung am 17. März 2020 von ‘mäßig’ auf ‘hoch’ befassen würden:

„Nach Abschluss dieser Prüfung bleibt es dabei, dass keine weiteren Dokumente vorhanden sind, die sich mit der Änderung der Risikobewertung am 17. März 2020 von ‘mäßig’ auf ‘hoch’ befassen. (…) Informationen, die nicht vorhanden sind, kann die Beklagte nicht herausgeben.“

Angesichts der enormen Auswirkungen und Implikationen dieser Entscheidung überrascht es durchaus, dass es in einer deutschen Bundesbehörde wie dem RKI angeblich keinerlei (!) protokollarisch dokumentierte Diskussions- und Beratungsprozesse zu dieser Entscheidung gegeben haben soll. Dass sich das Gesundheitsministerium bei Nachfragen zur Thematik der angeblich fehlenden Protokollierung mit dem erneuten Verweis, dass man grundsätzlich keine „internen“ RKI-Protokolle kommentiere, aus der Affäre ziehen will, überzeugt nicht.

Denn zum einen handelt es sich beim RKI um eine direkt dem BMG unterstellte und weisungsgebundene Behörde, und zum anderen ist durch die gerichtlich erzwungene Veröffentlichung der Protokolle klar, dass die Berliner Verwaltungsrichter in dem Inhalt der Protokolle einen Vorgang von explizit öffentlichem Interesse sahen. Wie bereits beim letzten BPK-Artikel angeführt, ist es wohl definitiv an der Zeit, nicht nur das RKI, sondern auch das BMG vor den Kadi zu ziehen, um gerichtlich beurteilen zu lassen, ob das Lauterbach-Ministerium sich einem öffentlichen Aufklärungsinteresse wirklich in dieser Absolutheit verweigern kann.

Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 10. April 2024

Frage Warweg

Frau Nübel, Ihr Kollege Haberlandt hatte letzte Woche die Antwort auf alle meine Fragen an das BMG verneint, mit dem Verweis, dass das BMG die RKI-Protokolle grundsätzlich nicht kommentiere. Meine Frage zielte aber überhaupt nicht auf die RKI-Protokolle ab, sondern auf Vorgänge innerhalb des BMG. Deswegen möchte ich die Frage einfach wiederholen. Und zwar würde mich interessieren, auf welcher Grundlage das BMG bereits am 24. Februar 2020 bei einem extra einberufenen Treffen mit Vertretern des Bundesinnenministeriums erklärt hat, dass man jetzt Vorkehrungen für Ausgangssperren von unbestimmter Dauer und zum Lahmlegen der Wirtschaft hat. Das Ganze erfolgte zu einem Zeitpunkt, zu dem das RKI die Gefahr für die Bevölkerung als weiterhin gering angab, und im damals geltenden Pandemieplan wurden diese Pläne, die dann vom BMG vorgeschlagen wurden, mit keinem Wort genannt. Deswegen würde mich noch mal interessieren, auf welcher Grundlage damals diese Empfehlung an das BMI erfolgte.

Nübel (BMG)

Herr Warweg, ich kann und werde hier jetzt keine Fragen zu Entscheidungen der Vorgängerregierungen beantworten. Ich kann Ihnen aber ganz generell sagen: Das Bundesgesundheitsministerium stützt seine Entscheidungen auf die Fachexpertise des Hauses, auf die Fachexpertise der nachgeordneten Behörden und natürlich zum Teil auch auf die Fachexpertise externer Berater oder Gremien.

Zusatzfrage Warweg

Eine Frage hätte ich dann immer noch ‑ die wurde letztes Mal nämlich auch nicht beantwortet: Wie bewertet das BMG die Tatsache, dass die ihm direkt unterstellte Behörde, das RKI, in Eigendarstellung erklärt, dass es angeblich keinerlei protokollarisch dokumentierte Diskussions- und Beratungsprozesse gebe, die dann zu der Entscheidung geführt haben, die Risikobewertung am 17. März 2020 von mäßig auf hoch zu setzen? Dass diesbezüglich tatsächlich keinerlei Dokumente vorliegen, überrascht bei einer Bundesbehörde dann ja doch. Da würde mich einfach eine Einschätzung des BMG interessieren, ob es Standard ist, dass bei solchen Entscheidungen keinerlei Protokolle oder Dokumente vorliegen, die das belegen.

Nübel (BMG)

Herr Warweg, da bleibe ich bei dem, was mein Kollege letzte Woche schon sagte: Wenn Sie jetzt Fragen zu internen Protokollen des RKI haben, werde ich mich dazu nicht zu äußern. Da müssten Sie sich vielleicht an das RKI wenden.

Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 10. April 2024

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