Die Nachricht ging durch die Medien, dass der schwedische Musik-Streaminganbieter Spotify Anfang August begonnen hat, die Preise für seinen Premium-Dienst zu erhöhen. Auch wurde bekannt, dass der Chef des milliardenschweren Unternehmens ordentlich in eine Münchener Rüstungsfirma reinbuttert, die unter anderem Kamikaze-Drohnen herstellt. Die Ausrichtung beider Aktivitäten ist klar: noch mehr Kasse machen, egal wie und in der Art, dass die grandiosen Erlöse weiterhin nicht gerecht verteilt werden. Spotify ist kein Partner, der alle Künstler und Urheber der veröffentlichten Werke wertschätzt und fair beteiligt. Künstler, die sich in dessen Fänge begeben, sind zwar das erste Glied der Wertschöpfungskette, doch bittere Realität ist: Mit Ausnahme der Stars stehen viele Künstler unter Wert behandelt da – bei ihnen bleiben die kleinsten Beträge hängen. Auch stehen die Chancen recht schlecht, dass ihre Musik irgendwann bekannt wird – zumindest nicht in diesem System. Ein Zwischenruf von Frank Blenz.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download
Musiker machen Musik, andere machen Kasse
Das Wort der brotlosen Kunst fällt einem ein, geht es um einen für uns alle (Akteure wie Publikum) bedeutenden Lebensinhalt: Musik machen, komponieren, auftreten. Ein Weg, Öffentlichkeit und Aufmerksamkeit zu erzielen, soll mittels Streaming gelingen, meinen nicht wenige Musiker (gezwungenermaßen), weil das angesagt und unverzichtbar scheint und sich die Zeiten, die Hörgewohnheiten und das Nutzerverhalten geändert haben. Früher lief das mit dem Erfolg und Berühmt-Werden noch klassisch über Schallplatten, CDs und Radiosendezeiten. Doch wer kauft heute noch Silberlinge? Ein Hoffnungsschimmer: Vinylscheiben sind bei den Leuten wieder angesagt. Und trotzdem: Richtet sich der Blick auf das Leben der vielen Künstler, die wiederum unser Musikhörer-Leben bereichern, und auf deren Umstände, Wertschöpfung und Wertschätzung in der Leistungs- und Verwertungsgesellschaft, tritt Ernüchterung ein. Für viele Künstler ist es Alltag, nicht oder unzureichend von Musik, von der (brotlosen?) Kunst durch Veröffentlichung via Streaming leben zu können, obwohl sie es verdienten, obwohl es möglich wäre, würde nur die Verteilung durch die Streamingdienste und weitere Vertragspartner der Künstler gerecht ablaufen.
Mit Musik via Streaming wird weltweit enorm Umsatz generiert und sehr, sehr viel Geld verdient. Wo aber fließt das alles nur hin, wenn zu hören ist, dass die Musiker weniger bekommen, als gerecht wäre? Der Gitarrist Christopher Annen der deutschen Pop-Band AnnenMayKantereit listete auf, wer die Hände aufmacht und sich so richtig aus dem großen Topf der Einnahmen bedient: Es sind die Streamingdienste (die die Regeln vorgeben) wie eben der europäische Anbieter Spotify, der sein Geschäftsmodell so angelegt hat, dass am Ende (zu) wenig bei den Musikern ankommt (mit Ausnahme der Stars). Viel Geld verbleibt so beim Dienst selbst, gefolgt von den Musik-Labels, von Vertriebsfirmen, Verwertungsgesellschaften wie unter anderem der GEMA.
(Quelle: DLF)
Was bleibt ihnen, den Musikern, übrig?
Tapfer sind die vielen, vielen Musiker, die trotz der vorherrschenden miesen Bedingungen und Vorgaben enthusiastisch Musik einspielen und diese dann doch über Spotify veröffentlichen, obwohl sie wohl wissen, wie zäh es ist, damit Erlöse zu erzielen. Man rechne sich das mal aus: Um mit einem passablen Hit, einem Lied, das durchaus beliebt ist beim Publikum, auf Spotify 500 Euro zu verdienen, müssten je nach durchschnittlicher Auszahlungsrate und Anzahl der Streams eine unterschiedliche Anzahl von Streams erfolgen. Im Schnitt braucht es dann etwa 166.667 bis 250.000 Streams, um 500 Euro zu erzielen. Die Auszahlungsrate pro Stream liegt bei Spotify zwischen läppischen 0,002 und 0,003 Euro! Da muss folglich heftig angeklickt werden, um an die 500 Euro ranzukommen.
Die Musiker, die Streaminganbieter nutzen, befinden sich in der Zwickmühle, denn Spotify und Co. geben den Takt an. Spotify zu hören gehört bei vielen Menschen inzwischen zum Alltag – wer gehört werden will, muss also …:
In vielen Ländern ist Spotify der mit Abstand meistgenutzte Musikstreamingdienst – und für viele Menschen eine Art Synonym fürs Musikhören. In Deutschland ist Spotify laut einer Mediennutzungsstudie von Nielsen mit 41 Prozent Marktführer, gefolgt von Youtube Music (31 Prozent) und Amazon Music (29 Prozent). Der Dienst Apple Music kommt auf 14 Prozent der Nutzerinnen und Nutzer. Mit anderen Worten: Wer auf Spotify nicht stattfindet, der findet womöglich überhaupt nicht statt. Und selbst wenn sich viele Künstlerinnen und Künstler über die dürftige Bezahlung durch Spotify beschweren, so sind sie doch von seinen Algorithmen und Playlists abhängig.
(Quelle: Redaktionsnetzwerk Deutschland)
Ungerechtigkeit mit System – viel für die Großen, wenig für die Kleinen, bezahlt von den Nutzern
NachDenkSeiten-Chefredakteur Jens Berger hat in seinem Artikel beschrieben, wie perfekt und gleichzeitig ungerecht das System Spotify funktioniert, sich, also Spotify und andere große Player noch größer zu machen, während die „Kleinen“ in die Röhre schauen:
Wenn ich als etwas älterer Mann, der voll für den Dienst zahlt, hin und wieder mal einen Song höre, komme ich auf vielleicht 100 Abrufe pro Monat. Spitzen wir es mal zu und unterstellen, ich hätte im letzten Monat 100 Songs von einer kleinen Alternative-Band gehört, deren Fan ich bin. Eigentlich sollte diese Band doch dann fünf Euro (zwei Drittel von 7,50 Euro, die von meinem Abo im Topf landen) bekommen. Doch das verhindert – rein hypothetisch, versteht sich – mein Sohn. Der ist jung, braucht jeden Euro, und hört Spotify als nicht zahlender Kunde mit Werbeunterbrechungen. Er hört jedoch auch viel mehr Musik als ich. Sagen wir mal, er kommt am Tag auf 50 Songs, also 1.500 pro Monat. Und – abermals rein hypothetisch[*] – er hört nicht wie ich Musik einer kleinen Alternative-Band, sondern nur die Gassenhauer des deutschen Rappers und Megastars Capital Bra. Im Topf sind immer noch nur meine 7,50 Euro, die verteilen sich jetzt aber auf 1.600 Abrufe, von denen meine geliebte kleine Band mit 100 Abrufen nur 6,25% bekommt. Die Alternative-Band – bzw. deren Musikverlag – bekommen am Ende also nur 47 Cent und der Rapper Capital Bra bekommt stolze 7,03 Euro. Und das, obwohl ich als zahlender Kunde seine Musik weder mag noch überhaupt gehört habe.
Dieses Rechenbeispiel mag recht konstruiert wirken, ist es aber nicht. Der Rapper Capital Bra kommt in Summe auf 1,4 Milliarden (ja, das ist kein Schreibfehler) Streams pro Jahr. Das sind selbst bei der lächerlich klingenden Ausschüttungsquote von 0,003 Euro pro Stream stolze 4,2 Millionen Euro. Meine kleine Band kommt hingegen auf beispielsweise rund 100.000 Streams. Das sind gerade mal 300 Euro. Davon lässt sich nicht nur nicht leben – das reicht noch nicht einmal, um ein Lied überhaupt erst einmal zu produzieren.
Probleme erkannt, und jetzt?
An einer deutschlandweiten Online-Umfrage zur Vergütung am Musikstreamingmarkt haben rund 3.000 Musikschaffende teilgenommen. Die Bundesregierung, hier der Kulturstaatsminister, fasste zusammen, was inakzeptabel ist – für die Musikschaffenden:
- Die befragten Musikschaffenden erzielen jährlich im Durchschnitt sehr geringe Gesamteinnahmen von unter 15.000 € aus ihrer musikschaffenden Tätigkeit, die Hälfte sogar weniger als 5.000 €.
- Die durchschnittlichen Jahreseinnahmen aus Musikstreaming betragen für den Großteil der Befragten (72 %) weniger als 500 €, wobei dies abhängig von Genre und Vertragsart ist.
- Nur 21 % der Befragten beziehen den Lebensunterhalt größtenteils durch musikschaffende Tätigkeiten, stattdessen finanzieren sich die meisten durch zusätzliche Einkommensquellen.
- Musikstreaming macht 14 % der Gesamteinnahmen der befragten Musikschaffenden aus, bleibt jedoch die zweitgrößte Einnahmequelle nach Live-Auftritten mit 34 %.
- Fast 60 % der Befragten waren seit den 2020ern kommerziell am erfolgreichsten.
- Trotz des Wachstums des Musikmarktes verzeichneten 38 % der Befragten rückläufige Gesamteinnahmen in den letzten fünf Jahren. Gleichzeitig hatten 35 % der Befragten steigende Gesamteinahmen.
- Im Streamingmarkt stiegen die Einnahmen für 38 % der Befragten, während 25 % Rückgänge melden.
- Eine absolute Mehrheit der befragten Musikschaffenden von über 74 % ist unzufrieden mit den Streamingeinnahmen aus Urheber- und Leistungsschutzrechten.
- 76 % der Befragten können ihre Musikstreamingeinnahmen entweder überhaupt nicht oder im Vergleich zu anderen Einnahmequellen schlechter nachvollziehen.
Mehrheitlich wird das nutzerzentrierte Abrechnungsmodell bevorzugt, die Einführung einer Mindestanzahl von Streams dagegen abgelehnt sowie eine geringere Vergütung für KI-generierte und funktionale Musik befürwortet.
(Quelle: Kulturstaatsminister)
Wie wäre es damit? Beispiel aus Frankreich
Über Spotify kann man schlussfolgern, dass der Anbieter kein Förderer der Künstler ist. Es geht um anderes – Profit. Die Verteilung passt nicht und die Besteuerung auch nicht. Große Konzerne wie dieser Streaminganbieter werden nicht gerecht besteuert bzw. finden Wege, derlei Ungemach zu umgehen. Dass im an sich neoliberalen Land Frankreich eine Steuer für Streamingdienste Zeichen setzt, um Musikproduktionen und Tourneen wenigstens ein bisschen unterstützen zu können, ist wie ein Beginn des Gegensteuerns und sollte Nachahmer in Europa finden. Diese (Steuer)Gelder landen dann eben nicht auf den Konten schon genannter Nutznießer, sondern verdientermaßen bei den Künstlern:
Vor rund einem Jahr hat Frankreich eine Steuer für Musikstreamingdienste wie Spotify eingeführt, um französische Musik zu fördern. Wie erfolgreich das System ist, erläuterte Jean-Philippe Thiellay im Deutschlandfunk Kultur. Er ist Direktor des Centre National de la Musique, das das Geld verwaltet und weiterleitet. Auf nationaler Ebene hätten hunderte [sic] Musikproduktionen und Tourneen unterstützt werden können. Viele davon hätten ohne die Unterstützung mit Geldern aus der Streamingsteuer nicht stattgefunden, vor allem in den finanziell schwachen Sektoren, darunter die klassische Musik, französischer Chanson [sic] und Jazz. Rund 10 Millionen Euro Einnahmen aus der Streamingsteuer konnte Centre National de la Musique weiterverteilen. Und es könnte noch mehr werden: Denn die Besteuerung für Musikstreamingdienste wurde auch für Social Media Plattformen wie Tiktok und Meta angekündigt, aber bisher vom Staat noch nicht eingefordert.
(Quelle: DLF)
Doch bleibt‘s wie gehabt, kreativ in Sachen Rendite, auf der Strecke bleiben die Kreativen
Die paar französischen Musiker wird es etwas freuen, deren prekäre Situation besteht weiter, auch bleibt es im großen Streaming-Monopoly wie gehabt. Daniel Ek, der Spotify-Boss, lebt seinen Money-Macht-Eitelkeit-Traum von noch mehr und noch mehr und noch mehr Kohle-Einsammeln aus, von wegen Visionen für die Musiker …
Spotify: Aktionäre jubeln, Musiker darben. Frankfurt am Main. Der Preis für Aktien von Spotify ist auf einem Allzeithoch. Die US-notierten Papiere des schwedischen Musikstreamingdienstes sind am Mittwoch auf 459 US-Dollar geklettert. Im vergangenen Jahr hat der Konzern Stellen abgebaut, Podcasts eingestellt, Marketingausgaben gekürzt und in den USA Abonnementpreise erhöht, um seine Profitabilität zu steigern. Spotifys ausgegebene »Vision« ist, einer Million Künstlern ein Leben von ihrer Kunst zu ermöglichen. Vor etwa zwei Jahren kam jedoch bei einer Anhörung des Gründers und Chefs Daniel Ek vor dem US-Kongress heraus, dass Musiker, die nicht zu den meistgehörten zählen, monatlich im Durchschnitt nicht mehr als zwölf US-Dollar erhalten. (Reuters/jW)
(Quelle: Junge Welt)
Was können Musikschaffende gegen die schreiend unfaire Lage unternehmen?
Auch Musiker befinden sich mitten in der Gesellschaft, die eine des unerbittlichen Marktes, des Geldes ist, ja. Sich diesen Marktmechanismen zu verweigern, könnte machbar sein, indem Bands ihre Musik nicht streamen lassen, ihr Schaffen in Eigenregie in die Öffentlichkeit tragen und vor allem live vor das Publikum treten. Die eigene Webseite, weitere Präsenz in sozialen Medien und darüber hinaus vielleicht sogar altmodische Vertriebswege und Formen zu hegen und zu pflegen (die gute alte CD, per Post, der eigene Stand nahe der Bühne bei einem Konzert), das Bewerben und Klinkenputzen bei kleineren Radiostationen – alles Punkte, um als Band, als Solokünstler bekannt zu werden. Berühmt zu werden, der Traum nicht weniger Künstler, gelingt damit allein noch nicht, aber dieser bunte Blumenstrauß selbst gewählter Aktivitäten fern der Abhängigkeit von einer Krake namens Streaminganbieter stellt eine Alternative dar. Nebenbei: 500 Euro zu erwirtschaften, das sollte damit locker drin sein (für den Anfang). Nebeneffekt: Musiker ärgert sich nicht mehr über die Geier von Spotify.
Titelbild: r.classen/shutterstock.com