Leserbriefe zu „1.000 getötete oder verwundete deutsche Soldaten im Kriegsfall müssten „ersetzt“ werden – die Sprache ist verräterisch“
Marcus Klöckner kommentiert hier die Aussage des Präsidenten des Reservistenverbandes, Patrick Sensburg, dass „im Kriegsfall pro Tag 1000 Soldaten an der Front sterben oder so schwer verwundet sein, dass sie nicht mehr kämpfen können. Die müssen ersetzt werden“. Die Sprache sei verräterisch. Sensburg sei allerdings auch CDU-Politiker und sitze im Parlament. Und an der Stelle werde es unangenehm. Denn wenn „hier jetzt schon kalt und technokratisch Politiker von ‚ersetzt werden’ sprechen: Wie wird es in Deutschland aussehen, wenn Nachschub von – um es im vorherrschenden Geist zu formulieren – ‚Menschenmaterial‘ für die Front benötigt wird?“ Unsere Leser haben dazu zahlreiche und interessante Leserbriefe gemailt. Dafür bedanken wir uns. Es folgt nun eine Auswahl. Für Sie zusammengestellt von Christian Reimann.
1. Leserbrief
Hallo Redaktion:
darf man folgendes (noch) sagen:
Das Entsetzen über das Ersetzen wird sich in Grenzen halten, denn seit Jahrtausenden werden Menschen bereit gemacht, für den Profit von Verbrechern zu sterben?
Herzliche Grüße
Ha.Schulze
2. Leserbrief
Sehr geehrter Herr Klöckner und NDS Team,
Was braucht es noch um die Augen der Bevölkerung zu öffnen?
1000 zerstörte Menschenleben pro Tag, ja pro Tag, sind für Medien und Politik kaum der Rede wert. So sehen die ihre eigene Bevölkerung, als Ersatzteile, Wegwerfartikel.
Wer überlebt den Krieg eigentlich? Kann man in der Vorkriegszeit an der Bekleidung erkennen. Die Überleber tragen Maßanzüge, die den “Heldentot” zu erwarten haben, tragen Tarnkleidung.
Warum kämpfen Politiker nicht bis zum geht nicht mehr für den Frieden? Sondern werben für den Krieg? Weil sie nichts zu verlieren haben.
Der neue Slogan der Bundeswehr: Ersatzkanonenfutter gesucht.
Da gibt es bestimmt auch bald das Mutterschaftskreuz wieder, in der Mitte den Bundesadler natürlich, irgendwie muss das Ersatzlager ja Nachschub bekommen.
Da gibt es Leute die das Markusevangelium nicht richtig interpretieren: dort steht nicht, lasst die Kinder zur Front gehen.
Mit freundlichem Gruß
Patrick Janssens
3. Leserbrief
Guten Tag,
Deutschland wird auf Krieg getrimmt. Die Kriegspropaganda trommelt unaufhörlich über alle publiken Medien.
Da wird nun die Zahl 1000 und ersetzen in den Ring geworfen, als sei das, in dem regelrecht von den Eliten herbeigeredeten Konflikt einfach hinzunehmen.
Gemeint sind Männer, Kinder, Enkel mittlerweile auch schon Töchter Ehefrauen und Mütter.
Wenn diesem Wahnsinn durch die Mehrheit der Bevölkerung kein Einhalt geboten wird, kommt
dieser Konflikt auf uns zu. Die Frage ist nur noch wie lange es dauern wird.
Wunschdatum der Kriegstreiber in Deutschland, wäre wohl um die 2029. Bis dahin soll aufgerüstet, die Wehrpflicht eingeführt und die Menschen kriegsbereit sein.
Der anstehende November, mit dem Volkstrauertag und damit an das Gedenken an die Opfer der beiden Weltkriege, sollte eine immer währende Mahnung sein und bleiben.
Dem Frieden verpflichtet und ein Volk der guten Nachbarn sein. Das ist der vorgegebene Auftrag an die Politik und Jedermann.
Mit freundlichen Grüßen
Thomas Stöbe
4. Leserbrief
Danke für Ihren Beitrag, Herr Klöckner.
Mir fiel bei Ihren Worten ein, dass in Unternehmen auch „nur“ von Ressourcen gesprochen wird, wenn es um die abhängig Beschäftigten geht. Der Begriff beschreibt damit sehr gut das Wesen der kapitalistischen Produktionsweise. Alles, jede Ressource wird ausgebeutet und verbraucht – bis hin zum Menschen.
Keine neue Erkenntnis von mir, sondern eine alte von Karl Marx.
Beste Grüße
Martina R.
5. Leserbrief
Sehr geehrter Herr Klöckner,
“Längst haben sich deutsche Politiker mit der Realität eines möglichen Krieges abgefunden.”
Oh nein, im Gegenteil, sie wollen ihn! Einerseits weil sie damit von ihrer desaströsen Politik ablenken können, die das Land auch schon ohne Krieg in den Abgrund führt. Anderseits, weil sie von der Rüstungsindustrie dafür bezahlt werden.
Es geht nicht nur um die Eroberung von Ressourcen in Russland, China, Venezuela, etc.. Am Krieg lässt sich doppelt verdienen, zum einen an Waffen und dann am Wiederaufbau. Und ein neues Wirtschaftsmodell braucht der Kapitalismus dringend, das alte ist derweil ausgelaugt.
Viele Grüße,
Rolf Henze
6. Leserbrief
Hallo Herr Klöckner und NDS-Team,
ja, es ist schrecklich. Danke, dass Sie auch die richtigen Fragen dazu stellen. Leider stellen die sog. Journalisten, die Herrn Sensburg und vielen weiteren Politikern das Mikrophon hinhalten diese Fragen nicht.
Wer der militaristischen Sprache mächtig ist, kann das unsägliche Leid, das jeder Krieg verursacht, viel leichter beiseite schieben.
Kilian Neuwert, BR, 10.8.2025:
“Jetzt denken wir in der heutigen Zeit in Szenarien, beschäftigen uns mit der Jahreszahl, 2029 unter anderem. Warum ist die Reserve so wichtig in den Szenarien?”
Generalmayor Andreas Henne:
“Aus zwei Gründen: Einen nannte ich bereits, den Aufmarsch sicherstellen, denn wenn es zur Krise und Krieg käme, wären ja die mechanisierten Divisionen und andere Truppenteile der Bundeswehr nicht wirklich hier in Deutschland, sondern an der Nordostflanke, also das müssen wir sicherstellen, und eins ist auch klar, immer unangenehm, aber wir müssen natürlich auch von Verlusten ausgehen, die unsere Truppen im Krieg haben werden. Wir rechnen mit bis zu Tausenden Verwundeten am Tag. Gefallene wird es auch geben, das heißt ein bisschen, na ja, trockenes Militärdeutsch, die Truppe nutzt ab und die werden wir ergänzen müssen und dafür brauchen wir Reservisten, das sind aber nicht meine Reservisten aus dem Heimatschutz, sondern das ist der sog. Feldersatz, den das Heer aus anderen Bereichen gewinnen muss.”
br.de/mediathek/podcast/politik-und-hintergrund/szenario-2029-greift-russland-die-nato-an/2109391
Hilfreich für die politischen Kriegstreiber sind sog. Journalisten mit einer Übererfüllungstendenz:
“Medien im Bunker: Wie eine ARD-Journalistin BND-Chef Kahl kriegstüchtig übertrumpft”
Telepolis, 29.11.2024
Bernhard Moser
7. Leserbrief
Sehr geehrter Herr Klöckner,
vielen Dank, dass Sie die geschätzte Zahl der täglich Gefallenen im Kriegsfall sowie die propagandistische Sprache (Totalausfälle müssen „ersetzt“ werden) thematisieren.
Man kann diese Zahlen gar nicht oft genug in die aktuellen Kriegstüchtigkeitsdebatten einbringen: Keiner von denen, die meinen, gegen Russland in den Krieg ziehen zu sollen, können dann hinterher behaupten, sie hätten nichts davon gewusst, worauf sie sich einlassen. Ich kann ergänzend nur anregen, dass man die zu erwartende Realität eines auch „nur“ konventionellen Krieges öffentlich illustriert mit aktuellem Bildmaterial aus Lazaretten im Donbass oder Gaza oder wo immer auch Menschen sich derzeit gegenseitig massakrieren. Bei der Kampagne gegen Tabak haben sich solche Schockbilder längst schon bewährt …
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Thomas Busch
8. Leserbrief
Sehr geehrte Damen und Herren,
die Zahlen Sensburgs sind eine milde Untertreibung.
Bereits vor zwei Jahren schrieb das US Army Fachmagazin Parameters, dass die USA bei einem direkten Krieg mit RU täglich 3600 Soldaten verlieren würden und in zwei Wochen Kampf ca. 50.000 Soldaten. So viele wie in 20 Jahren War on Terror insgesamt.
Mit der rasanten Entwicklung der Kriegstechnologie wären es inzwischen weit mehr als jene 3600.
Wie würde dann wohl eine Bundeswehr im Vergleich abschneiden? Wie klingen 10.000 Tote am Tag?
ggf. diesen unfassbar infantilen Beitrag im ZDF gucken:
“Zeitenwende Hautnah – Ein Jahr mit Soldaten”
Vielleicht sollte man – auch als Friedensbewegung – realistische Zahlen nennen wenn es um modernen Krieg geht.
Dann begreift die bundesdeutsche Meinungselite u.U. auf was wir da wirklich zusteuern.
Oder glauben bei uns die vermeintlichen Experten denn wirklich, eine NATO-Armee aus europäischen “Bürgersoldaten” würde gegen die russischen Streitkräfte besser abschneiden als die abgehärtete ukrainische Armee, die seit 2014 Krieg führt???
Die AFU war die beste Stellvertreterarmee die die USA jemals hatten und haben werden.
Trotzdem hat eben diese Armee bisher 1,7-2 Mio. Soldaten verloren (vor allem Getötete).
Nur weil diese entsetzlichen Zahlen bei uns keiner abdruckt oder ausspricht werden diese Menschen nicht mehr von den Toten auferstehen.
Mit der euopäischen Massenpsyche stimmt was gewaltig nicht.
Mit freundlichem Gruß,
ag
bzgl. der in meinem Leserbrief genannten Zahlen 3600 bzw. 50.000 Verluste, hier das Zitat auf das ich mich beziehe, damit Sie wissen, dass ich mir das nicht ausdenke.
“(…)
Casualties, Replacements, and Reconstitutions
The Russia-Ukraine War is exposing significant vulnerabilities in the Army’s strategic personnel depth and ability to withstand and replace casualties. Army theater medical planners may anticipate a sustained rate of roughly 3,600 casualties per day, ranging from those killed in action to those wounded in action or suffering disease or other nonbattle injuries. With a predicted 25-percent replacement rate, the personnel system will require 800 new personnel each day. For context, the United States sustained about 50,000 casualties in two decades of fighting in Iraq and Afghanistan. In large-scale combat operations, the United States could experience the same number of casualties in two weeks.
(…)”
Quelle unter:
A Call to Action: Lessons from Ukraine for the Future Force
by Katie Crombe and John A. Nagl
press.armywarcollege.edu/parameters/vol53/iss3/
Tatsächliche Zahl der US-Gefallenen im War on Terror ca. 7000.
Das Verhältnis von Gefallenen zu Verletzten/Verschollenen ist im Falle der Ukraine um ein Vielfaches schlimmer.
Gründe wie fehlende medizin. Versorgung, Ausrüstung, tödlichere Waffensysteme, sofortige Entdeckung durch Radar und vor allem auch tödlichere Kriegsführung an der Front von Seiten der russischen Armee. Nicht mal im Ansatz zu vergleichen mit Irak oder Afghanistan.
Das wirkliche Ausmaß ist schockierend. Schockierender ist nur die Verlogenheit, der Zynismus und die Inkompetenz der EU und ihrer Eliten.
Um John Mearsheimers Formulierung zu zitieren: “The West is leading Ukraine down the primrose path, the result is that Ukraine going to get wrecked.”
9. Leserbrief
Liebe Redaktion der NachDenkSeiten,
vielen Dank für Ihre Analyse zur Formulierung von Patrick Sensburg, Soldatenverluste „ersetzen“ zu müssen. Die sprachliche Kritik ist wichtig, denn Sprache prägt Akzeptanz und verschiebt politische Normalität.
(Zum Beispiel zeigt der Philologe Viktor Klemperer in seinem Werk LTI – Lingua Tertii Imperii eindrücklich, wie im nationalsozialistischen Deutschland Sprache gezielt als Instrument von Manipulation und Normalisierung eingesetzt wurde: Er dokumentiert, wie scheinbar „harmlos“ wirkende Begriffe über Zeit ihre Bedeutung veränderten, Menschenbilder prägten und politische Gewalt legitimierten. Sprache wurde dort nicht nur abgebildet — sie wirkte aktiv auf Denken und Handeln.)
Aus meiner Sicht fehlt in der öffentlichen Debatte jedoch ein weiterer zentraler Punkt:
- Fehlende Transparenz zu Diplomatie und De-Eskalation
Wenn Politiker hypothetische Verlustzahlen nennen, müssen sie zwingend gleichzeitig erklären:
- welche diplomatischen Kanäle aktuell genutzt werden,
- welche De-Eskalationsformate existieren oder neu geschaffen werden,
- welche Rüstungskontroll- und Verhandlungsschritte priorisiert werden.
Ohne diese Einordnung entsteht der fatale Eindruck:
„Krieg ist unausweichlich — bereitet euch emotional darauf vor.“
Die politische Pflicht gegenüber der Bevölkerung lautet jedoch:
Kriegsvermeidung hat oberste Priorität.
Eine verantwortliche Sprache müsste dies immer hörbar machen, bevor über Szenarien gesprochen wird, in denen Menschen fallen.
- Gefahr der Normalisierung von Verlusten
Worte wie „ersetzbar“ verändern den moralischen Referenzrahmen. Sie verschieben die Debatte von Vermeidung hin zu Verwaltung von Opfern. Genau darauf weisen Sie zu Recht hin.
- Bitte an Sie als reichweitenstarkes MediumLeserbrief Nr. 4 schreibt von “Herrschaftssprache”
Ich würde mir wünschen, dass Sie Ihren Leserinnen und Lesern künftig auch konkrete Handlungsmöglichkeiten an die Hand geben, z. B.:
- Beispiel-Briefe an Abgeordnete,
- Hinweise, wie man diplomatische Transparenz einfordert,
- Tipps, wie man lokale Reservistenverbände sachlich hinterfragen kann,
- Vorlagen, um Kriegsvermeidung als Priorität öffentlich anzusprechen.
Ein informierter Bürger muss heute notgedrungen auch sprachsensibel sein.
Vielen Dank für Ihre Arbeit, Ihre Aufmerksamkeit für Sprache und Ihr hartnäckiges Erinnern an Grundfragen der Moral.
Mit freundlichen Grüßen
Andre Verron
Musterbrief an Abgeordnete
Betreff: Bitte um Transparenz zu diplomatischen Maßnahmen und Szenarioannahmen
Sehr geehrte Damen und Herren,
mit Sorge habe ich jüngste Aussagen von Patrick Sensburg, dem Präsident des Deutschen Reservistenverbandes, über mögliche tägliche Verluste deutscher Soldatinnen und Soldaten im Ernstfall zur Kenntnis genommen. Ich bitte um schriftliche Auskunft zu folgenden Punkten:
- Auf welche Szenarien und Quellen stützen sich die genannten Verlustschätzungen?
- Welche diplomatischen Maßnahmen werden derzeit priorisiert, um ein solches Szenario aktiv zu verhindern?
- Warum wird in öffentlichen Aussagen selten betont, dass Kriegsvermeidung oberste Priorität besitzt und welche Mittel dazu ausgeschöpft werden?
- Wie stellen Sie sicher, dass Sprache, die Menschen als „ersetzbar“ erscheinen lässt, öffentlich nicht normalisiert wird?
Vielen Dank für Ihre Rückmeldung.
Mit freundlichen Grüßen
Wie finde ich den zuständigen Abgeordneten?
Es gibt zwei einfache Wege:
- AbgeordnetenWatch
PLZ eingeben → alle zuständigen Bundestags- und Landtagsabgeordneten werden angezeigt.
Dort kann man direkt Nachrichten stellen (öffentlich einsehbar).
- Bundestag-Website
PLZ eingeben → Kontakt-E-Mail wird angezeigt.
(Beide Wege sind niedrigschwellig und ohne Parteizugehörigkeit nutzbar.)
10. Leserbrief
Sehr geehrte NDS,
Sehr geehrter Herr Klöckner,
seit nahezu 22 Jahren lese ich täglich die NDS. Zufällig stieß ich zu Beginn des Jahes 2004 in einem Spiegel-Chatforum auf den Link der NDS, die erst kurz zuvor ans Netz gegangen waren. Nach Öffnung des Links und kurzem Einlesen wurden sie zur meiner täglichen Pflichtlektüre. Ich danke dem gesamten NDS-Team für die unermüdliche Aufklärungsarbeit seit all den Jahren ihres Bestehens. Wenn diese Arbeit auch manchmal einer Sisyphusaufgabe gleichgekommen mag, was wäre die Medienwelt ohne sie?!
Ich schreibe Ihnen heute zum ersten Mal. Aus Ihren allesamt eindrücklichen Artikeln möchte ich den heutigen unter den vielen aufrüttelnden Meinungsbeiträgen von Markus Klöckner herausgreifen und zum Anlass nehmen, ein Gespräch wiederzugeben, das ich vor bereits etwas über einem Jahr mit meinem damals – noch -siebenjährigen Enkel hatte und das mir seither täglich ins Gedächtnis zurückkehrt.
Er war in den Sommerferien 2024 zu einem einwöchigen Besuch bei mir. Sein Großvater und ich haben einen Ausflug mit ihm unternommen. Es ging zu einer mittelalterlichen Festung. Sie war sehr schön gelegen, mit interessantem Innenhof und schön angelegten Wassergräben drumherum, außerhalb des Burgwalls. Es fanden mittelralterliche (Kriegs-)Spiele statt. Über die Historie der Festung konnte man sich in deren Innenräumen mittels entsprechendem Videomaterial umfassend informieren. Wir hatten sonniges Wetter, angenehme Temperaturen, blauer Himmel, kleine weiße Wolken, eine leichte Brise ging durch die Baumwipfel. Eigentlich ein sehr schöner Ausflug mit unserem Enkel.
Eigentlich. Als ich gemeinsam mit meinem Enkel über den Burgwall ging, kam mir der – naheliegende – Gedanke, dass eine mittelalterliche Festung doch nichts anderes verkörpere, als ein heutiger moderner Militärstützpunkt.
Die Eltern meines Enkels sind beide Offiziere der Bundeswehr und mein Sohn (Vater meines Enkels) formulierte einmal, als seine beiden Kinder noch sehr klein waren, die Vorstellung, sie könnten auch einmal zur Bundeswehr gehen. Diese Aussage kam mir hier wieder einmal in den Sinn und ich fragte spontan meinen Enkel, während er einige Schritte vor mir den Wall entlang lief, ob er denn auch einmal zur Bundeswehr gehen wolle.
Die Reaktion des Kindes begleitet mich seither – umso mehr, je aggressiver sich die öffentliche Debatte um “Kriegstüchtigkeit und Wehrpflicht” gesellschaftlich auf allen Ebenen verankert.
Es stoppte abrupt, wendete sich mit weiten Augen und einem erschrockenen Gesichtsausdruck, der mich bei einem Kind in diesem frühen Alter, betroffen machte, zu mir um und antwortete: “Nein! Das will ich nicht! Das ist ja lebensgefährlich!” Ich erwiderte: “Ja, das ist richtig, es ist lebensgefährlich, denn du musst bereit sein, dich töten zu lassen.” Seine Antwort war: “Nein, das will ich nicht. Ich will mich nicht töten lassen.” Dann sagte ich: “Und du musst bereit sein, andere Menschen zu töten.” Die Antwort lautete: “Ich will auch nicht andere Menschen töten. ICH WILL NICHT GETÖTET WERDEN UND ICH WILL ANDERE MENSCHEN NICHT TÖTEN!” Das waren exakt seine Worte. Im weiteren Verlauf unseres Gespräches erzählte es mir dann, was es stattdessen werden wolle, nämlich ein Wissenschaftler, der gute Dinge für die Menschen erfindet. Ein Kind eben! Wir sprachen auch darüber, wie man Konflikte friedlich angeht und löst, nämlich, indem man miteinander über die unterschiedlichen Interessen, Vorstellungen und Wünsche der Menschen redet.
Braucht es nun deutlichere Worte eines potentiell Betroffenen, jetzt noch ein Kind, an die Kriegstreiber dieser Welt? Es war/ist damit alles gesagt!
Ich hoffe nur, dass nicht irgendwann einmal ein smarter Jungoffizier der Bundeswehr in seiner Schule auftaucht, um sein Gehirn nach der Devise “Catch the Youngest” umzudrehen.
Woher nehmen sg. Entscheidungsträger das Recht ihn “kriegen” zu wollen – wenn nicht freiwillig, dann verpflichtend -, um ihn zu Drohnenfutter zu machen und ihn dann – einfach so – “zu ersetzen”, wenn sein jetzt noch kindlich kleiner, dann gerade erwachsener, aber noch jugendlicher Körper zerfetzt worden ist?
Bei 1000 Toten und Verwundeten täglich (365000/Jahr) wird man massenhaft “Arbeitskräfte” benötigen. Es wird ein rares Gut an wertvollem Menschenmaterial darstellen und man darf versichert sein, dass es deswegen ökonomisch vernünftig verwertet werden wird. Ein schwacher Trost für die verzweifelten Hinterbliebenen jedes Einzelnen der Gesamtmasse an Material.
Welch ein Zynismus!
Das Menschenrecht auf Leben gilt bedingungslos und uneingeschränkt. Welcher Entscheidungsträger in Staat, Gesellschaft und Institutionen wagt es, sich Verfügungsgewalt darüber anzumaßen?Keiner von ihnen, keiner der Befürworter, keiner der Profiteure eines Krieges und keiner ihrer Brut wird betroffen sein. Das ist systemimmanent.
“Lassen Sie mich aus den Kindern der Eliten eine Kompanie rekrutieren und der Krieg wird an einem Tag vorbei sein.” (Alexander Lebed, 1950 -2002) Russischer General.
Artikel 1 des Grundgesetzes: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Es heißt nicht: Die Würde der Eliten ist unantastbar..
Wer verletzt die Menschenwürde mehr, als der Befürworter der Wehrpflicht (nicht für sich selbst, sondern für andere Menschen), der u. U. unter Gewaltanwendung diese anderen Menschen dazu zwingt, “seine Pflicht zu tun”, nämlich jemanden zu töten, den er nicht kennt und/oder sich von jemandem töten zu lassen, der ihn nicht kennt? Ist es schon wieder so weit?
Mein Enkel ist ein Mensch, ein noch kleiner Mensch, der sich klar geäußert hat. Seine Würde ist unantastbar. Grundgesetzlich verankert. Sein Menschenrecht auf Leben ist bedingungslos zu respektieren – von jederman! Ich bin seine Großmutter; es ist mir ein Anliegen, seiner Stimme mit meinen begrenzten Möglichkeiten Ausdruck zu verleihen. Daher habe ich mich entschlossen, auf den Beitrag von Markus Klöckner zu antworten.
Beste Grüße und alles Gute Ihnen
A. A.
11. Leserbrief
Lieber Herr Klöckner, liebe Nachdenkseiten,
ja, schon allein an einzelnen Worten kann man erkennen, wes Geistes Kind die Kriegssüchtigen sind – todesgetrieben und durch und durch menschenverachtend. Dies betrifft zunächst einmal die Berichterstattung durch den Spiegel, der seinen Beitrag damit aufmacht, daß “[i]m Fall eines Krieges […] geschätzt 1000 getötete oder verwundete Soldaten pro Tag ersetzt werden” müßten. Abgesehen davon, daß man seelenlose, industriell gefertigte Dinge zwar ersetzen könnte (was bei handgefertigten, liebgewonnenen Objekten bereits fraglich ist), wird man einen einzigartigen Menschen – und jeder Mensch ist einzigartig – niemals “ersetzen” können (und das unabhängig davon, ob er noch Angehörige hat oder nicht). Das werden zumindest alle noch der Empathie fähigen Menschen, deren Spiegelneuronen funktionieren, so sehen.
Sie schreiben zu Recht: “Manchmal hebt sich in der ‘Berichterstattung’ der Vorhang der Propaganda. Dann rutscht ein Bild, ein Satz oder gar nur ein Wort heraus, das unverblümt zeigt, womit es die Gesellschaft zu tun hat.” Soldaten “ersetzen” zu wollen ist eine mehr oder unterschwellige, aber deshalb nicht weniger verabscheuungswürdige Verdinglichung von Menschen. (Soldaten als “Kanonenfutter” zu bezeichnen wäre dagegen eine ehrliche, klarsichtige Bezeichnung, die man aber von Kriegsbereiten kaum hören wird).
Andererseits stimmt es auch, wie Sie ja betonen, daß Patrick Sensburg, der Präsident des Deutschen Reservistenverbandes, ganz unabhängig von seiner militärisch strammen Ausdrucksweise “geradeheraus spricht” was das Inhaltliche betrifft. Er wird wissen, wie er zur Schätzung (Modellierung?) von, im Kriegsfall, täglich 1000 getöteten oder verwundeten Soldaten kommt. Aber nimmt man diese Angabe ernst und rechnet, ohne große Mathematikkenntnisse, dieses unheimliche Zahlenspiel weiter, so ergibt sich folgendes: Angenommen, der Krieg dauert “nur” ein einziges Jahr (und angenommen, unter dem Begriff “Soldaten” sind auch bereits die Soldatinnen subsumiert …), dann wäre man bei 365.000 “zu ersetzenden” Soldaten in einem Jahr, also etwa 60% eines “600.000 junge Männer und Frauen umfassenden Jahrgang[s]”. Und in dieser Rechnung sind noch nicht die Zahlen der getöteten, verwundeten, vergewaltigten, zu psychischen Krüppeln gemachten, und somit nicht mehr als “Ersatz” zur Verfügung stehenden bzw. selbst “zu ersetzenden” Zivilisten (m,w,d) berücksichtigt!
Es ist heute selten und daher ungewohnt, von “Offiziellen”, zumal Militärs, klare, ehrliche und um Annäherung an die tatsächlichen Sachverhalte bemühte Aussagen zu lesen oder zu hören. Diesen Überraschungseffekt hatte ich vor einiger Zeit just beim Lesen eines Artikels des Magazins “loyal” des Deutschen Reservistenverbandes. Es handelt sich um den Aufsatz “Bomben auf Belgrad” ( reservistenverband.de/magazin-loyal/bomben-auf-belgrad/ ) vom 20.03.2024. So kann man hier hinsichtlich der Bombardierung Belgrads 1999 im Kosovokrieg viele Fakten aus erster Hand nachlesen, die der ÖRR und die “Qualitätsmedien” heute zum Teil nicht mehr wahrhaben wollen, so z.B. der “Operation” bzw. “Waffengang” genannte Angriffskrieg der NATO ohne UN-Mandat (übrigens weil Rußland (!) in der UN seine Zustimmung dazu verweigerte):
“In der Nacht zum 2. April wurde erstmals Belgrad bombardiert. […] Der für Deutschland wichtigste Aspekt war […] die Beteiligung von 14 Tornado-Kampfflugzeugen an dieser Operation „Allied Force“. Der Potsdamer Militärhistoriker Hans-Peter Kriemann, der ein Standardwerk über den Kosovokrieg geschrieben hat, nennt diesen Einsatz im Gespräch mit loyal rückblickend einen ‘Meilenstein, der den Wandel von einer reaktiven zu einer eher aktiven deutschen Außen- und Sicherheitspolitik markiert’. Dass dabei auch die Bundeswehr Teil der Außenpolitik wurde, war das eigentlich Neue – und erst recht, dass die Operation „Allied Force“ ohne UN-Mandat erfolgte, denn der serbische Partner Russland verweigerte in der UN seine Zustimmung. […] Die frisch gewählte rot-grüne Bundesregierung war in einer Zwickmühle. Ein Wafffengang ohne UN-Mandat war und ist in der deutschen Politik eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Andererseits, darauf weist Kriemann hin, waren der Bundesregierung faktisch die Hände gebunden. ‘Ohne deutsche Zustimmung wäre nicht nur die Glaubwürdigkeit der NATO beschädigt gewesen, sondern dies hätte mit einiger Sicherheit auch Konsequenzen für den Zusammenhalt der Allianz nach sich gezogen.’ Kriemann ist sich sicher: ‘Es kann davon ausgegangen werden, dass eine Weigerung Auswirkungen auf Deutschlands Rolle als europäische Gestaltungsmacht gehabt hätte.’ […] Und so war es ausgerechnet eine Bundesregierung mit Beteiligung der aus der Friedensbewegung hervorgegangenen Grünen, die erstmals deutsche Soldaten in einen Kampfeinsatz schickte – und dies obendrein auf einer wackeligen Legitimationsbasis. […] Immerhin versuchte die Bundesregierung zivile Opfer bei den Luftangriffen zu vermeiden und wollte auch nicht direkt Ziele bombardieren. Kriemann: ‘Für die USA waren bis zu 20 Zivilisten als mögliche Opfer bei der Bekämpfung von Hochwertzielen akzeptabel.'”
Den letzten Satz noch einmal, für den Hinterkopf: “Für die USA waren bis zu 20 Zivilisten als mögliche Opfer bei der Bekämpfung von Hochwertzielen akzeptabel.”
Mit dankbaren Grüßen für Ihre Arbeit
Michaela Heinz
Anmerkung zur Korrespondenz mit den NachDenkSeiten
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