Im brasilianischen Belem findet derzeit die COP30, die 30. Weltklimakonferenz der Vereinten Nationen, statt. Einmal mehr geht es um die Umsetzung nationaler Klimaziele. Deutschland will bis 2045 klimaneutral werden. Die Debatte, wie das konkret zu erreichen sein soll, wird uns in den nächsten Jahren noch begleiten, zumal die Zielsetzung bereits jetzt großen Einfluss auf Investitionen mit langer Abschreibungszeit hat. Bei der gesamten Debatte wird gerne ein „Grundgesetz“ der Ökonomie vergessen: Das Prinzip des abnehmenden Grenznutzens, das auch beim Klimaschutz gilt. Grob gesagt steigen die volkswirtschaftlichen Kosten dabei pro eingesparter Einheit Treibhausgas, je mehr man sich dem anspruchsvollen Ziel der Nullemission annähert. Da es für die globale Klimabilanz aber keinen Unterschied macht, in welchem Land Treibhausgase ausgestoßen werden, wäre es volkswirtschaftlich klüger, die Einsparungen und Ziele nicht national, sondern international zu definieren. Von Jens Berger.
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Eigentlich ist die Welt in Sachen Klimaschutz schon länger auf einem guten Weg. Zwar steigen die CO2-Emissionen in totalen Zahlen nach wie vor, jedoch wächst die Weltwirtschaft stärker als die CO-Emissionen. In Statistiken wird der dazugehörige Indikator als CO-Intensität (Carbon Intensity) bezeichnet und meist in der Einheit Kilogramm CO2-Ausstoß pro Dollar BIP angegeben. Und dieser Indikator ist seit Beginn der Berechnungen in den 1960er-Jahren immerhin um gut einen Prozentpunkt pro Jahr gesunken. Die Weltwirtschaft wächst, aber der Anteil an CO2-Emissionen pro erwirtschafteter Einheit sinkt. Die Effizienz steigt also.
Vergleicht man die heutige Klimaeffizienz der verschiedenen Volkswirtschaften, steht Deutschland dabei im internationalen Vergleich gar nicht mal schlecht da. In Summe werden in Deutschland für einen erwirtschafteten US-Dollar 170 Gramm CO2 ausgestoßen. In den USA sind es 260 Gramm, in Indien 270, in Australien 290, in China 420, in Russland 440, in Südafrika 560 und in der CO2-ineffizientesten Volkswirtschaft der Welt, Nordkorea, sogar 1,26 Kilogramm. Diese Zahlen sind übrigens kaufkraftbereinigt, um Verzerrungen auszugleichen. Interessant ist in diesem Kontext auch ein Blick auf den langjährigen Trend. So war die deutsche Volkswirtschaft noch im Jahr 1990 mit 520 Gramm pro erwirtschafteten US-Dollar nahezu so ineffizient wie die heutige südafrikanische Wirtschaft. Und im Jahre 1900 kam das Deutsche Kaiserreich mit 1,26 Kilogramm auf exakt den gleichen Wert, den heute das weltweite Schlusslicht Nordkorea aufweist.
Unter den hochindustrialisierten Ländern gibt es heute nur wenige, die effizienter in Sachen klimafreundliche Wirtschaft sind. Dazu zählen Dänemark (100 Gramm pro USD BIP), Norwegen (90), Schweden (70) und die Schweiz (60), die allesamt dank ihrer geographischen bzw. geologischen Lage einen sehr günstigen Zugang zu regenerativen Energien und einen dementsprechend hohen Anteil preiswerter CO2-freier Energie im Strommix haben.
Ein direkter Vergleich zu diesen Ländern ist jedoch nicht möglich. Deutschland hat nun einmal keine Fjorde und kein Flusssystem, das sich hervorragend für die Nutzung von Wasserkraftwerken eignet und auch nur vergleichsweise wenig Küstenstreifen, an denen der Nordseewind stetig weht. Die Schweiz ist nicht deshalb der Spitzenreiter in Sachen Klimaeffizienz, weil man dort unter maximalem Aufwand die Volkswirtschaft klimaneutral umgebaut hat. Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts bestand der Strommix der Schweiz zu fast 100 Prozent aus Wasserkraft – man hatte nun einmal Berge und Flüsse und die Nutzung bot sich aus wirtschaftlichen Gründen an. Im Nachbarland Deutschland musste man stattdessen teure Kohlekraftwerke bauen und die dafür benötigte Kohle aus dem Boden des Ruhrgebiets, Schlesiens und des Saarlands fördern. Heute setzt sich der Schweizer Strommix aus 60 Prozent Wasserkraft, 30 Prozent Kernenergie und 10 Prozent Sonne, Wind und Biomasse zusammen, ist also im Grunde nahezu klimaneutral. Ein Umbau der deutschen Energieversorgung nach dem Schweizer Vorbild ist aber aus logischen Gründen nicht möglich.
Stellt man eine Liste der Länder auf, die von 1950 bis 2018 ihre CO2-Emissionen pro erwirtschafteten Dollar am stärksten gesenkt haben, kommt Deutschland hinter Großbritannien weltweit auf den zweiten Platz. Anfangs waren diese Emissionseinsparungen auch wirtschaftlich sinnvoll, je weiter die Substitution fossiler Kraftwerke durch regenerative Energie jedoch geht, desto kostspieliger wird sie pro eingesparter Einheit Treibhausgas.
Das Gesetz vom abnehmenden Grenznutzen
Das ökonomische Prinzip, das diese Gesetzmäßigkeit erklärt, nennt sich das Gesetz vom abnehmenden Grenznutzen. Man kann dieses Gesetz an einem einfachen Beispiel erklären. Stellen Sie sich vor, Sie arbeiten in einem Büro und Ihr Job ist es, Rechnungen an Kunden zu verschicken. Anfangs haben Sie diese Rechnungen noch per Hand geschrieben und frankiert. Sonderlich effizient ist das freilich nicht. Nachdem Ihr Arbeitgeber Ihnen für 2.000 Euro einen Computer und einen Drucker gekauft hat, hat sich Ihre Effizienz schon deutlich gesteigert – diese Investition war sinnvoll. Um Ihren Output zu erhöhen, könnte Ihr Arbeitgeber nun für noch einmal 2.000 Euro eine Frankiermaschine kaufen. Vielleicht würde dies die Effizienz noch einmal ein wenig steigern; verglichen mit der ersten Investition in Computer und Drucker wäre der dadurch gewonnene zusätzliche Output pro investiertem Euro jedoch deutlich geringer.
Und lassen Sie uns das Beispiel ruhig ein wenig grotesk ausweiten, um das Prinzip noch klarer zu machen. Ihr Arbeitgeber könnte nun noch für zwei Millionen Euro einen Roboter entwickeln und programmieren lassen, der die fertigen Briefe für Sie zur Poststelle bringt. Auch das würde den Output minimal erhöhen, aber betriebswirtschaftlich klug wäre das sicher nicht, da diese Investition im Verhältnis zum Investitionsvolumen den Output nur noch unwesentlich steigert. War die erste Investition noch hoch effizient und konnte die zweite Investition zumindest im geringen Maße noch die Effizienz steigern, ist der teure Roboter zweifelsohne eine ineffiziente Schnapsidee. Der Grenznutzen nimmt ab, je höher der Aufwand wird, um den Output weiter zu steigern.
Beim Klimaschutz bedeutet der abnehmende Grenznutzen, dass zusätzliche Einsparungen an Treibhausgasen mit jedem weiteren Schritt immer mehr Aufwand erfordern. Das erste Einsparen großer Mengen CO2 ist oft vergleichsweise einfach und kostengünstig, während es für die letzten, anspruchsvollsten Emissionsreduktionen deutlich mehr Investitionen oder Mühe bedarf. Das lässt sich sehr plausibel an einem Beispiel aus der Wohnungswirtschaft, bei dem es um die Heizkosten, Investitionsbedarf und Klimaeffizienz geht erläutern.
Aber auch auf allen weiteren Feldern des Klimaschutzes gilt das Prinzip des abnehmenden Grenznutzens. Und dies gilt vor allem bei Großprojekten. Will man beispielsweise in der Schweizer Pharmaindustrie CO2 einsparen, müsste man schon gewaltige Investitionen vornehmen, die dann pro investiertem Dollar oder Franken nur ein paar Gramm CO2 pro Jahr einsparen. Würde man indes – um ein willkürliches Beispiel zu nehmen – das Geld in vergleichsweise einfache technische Prozessoptimierungen in der Stahlindustrie in Indien, Brasilien oder sogar Nordkorea investieren, könnte man pro Dollar Investitionsvolumen wahrscheinlich gleich mehrere Kilogramm CO2 pro Jahr einsparen.
Weg von der nationalen Ebene!
Die aktuelle Debatte zu den nationalen Klimazielen ist reichlich verschroben. Es scheint gerade den Anhängern eines möglichst weitreichenden Klimaschutzes vor allem darum zu gehen, sich selbst (über-)ambitionierte Ziele aufzuerlegen. So ging es beim erfolgreichen Hamburger Zukunftsentscheid darum, das nationale Ziel, das ja bereits das EU-Ziel um fünf Jahre unterbieten soll, noch einmal um fünf Jahre zu unterbieten und bereits 2040 klimaneutral zu werden. Das kann man ja machen, aber die volkswirtschaftlichen Kosten sind dann halt exorbitant – das ist, um beim vorherigen Beispiel zu bleiben, dann der Roboter, der die Briefe zur Poststelle bringt.
Um den ganzen Irrsinn zu verstehen, muss man dieses Beispiel nur ein wenig erweitern. Stellen Sie sich also nun vor, es geht nicht um einen Mitarbeiter, der Rechnungen schreibt, sondern um zehn. Anstatt den anderen neun Mitarbeitern auch jeweils einen Computer und einen Drucker zur Verfügung zu stellen, investiert das Unternehmen nun in besagten Roboter, der den Gesamtoutput nur minimal steigert, dafür aber Unsummen kostet. Welches Unternehmen wäre so dumm? Richtig, keins. Beim internationalen Klimaschutz wird jedoch genau so vorgegangen. Anstatt mit überschaubaren Mitteln global dort zu investieren, wo mit minimalem Aufwand der größtmögliche Nutzen in Sachen Klimaschutz erzielt werden kann, übertreffen sich einige wenige hochentwickelte Industriestaaten in Europa selbst, um mit größtmöglichem Aufwand einen minimalen Grenznutzen zu erreichen und sich dabei auch noch volkswirtschaftlich massiv zu schaden. Nein, sinnvoll ist das nicht.
Es soll dabei auch keinesfalls darum gehen, die Verantwortung auf ärmere Länder zu verschieben. Ganz im Gegenteil. Wenn die deutsche Politik gewillt ist, Milliarden für den Klimaschutz auszugeben, dann soll sie dies ruhig tun – nur halt bitte nicht in Form von Subventionen für klimaneutralen Stahl, Teslas oder Wärmepumpen in Bestandsgebäuden, die kaum einen messbaren Nutzen haben, sondern in internationale Projekte, wie z.B. Aufforstung, die Nutzung regenerativer Energien als Alternative zu fossilen Kraftwerken in Entwicklungsländern oder Mobilitätsprogramme für Metropolen in Schwellenländern. Für die globale Bilanz an Treibhausgasen wäre dies jedenfalls deutlich sinnvoller als nationale Überbietungswettbewerbe am Rande der messbaren Effizienz.
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