Konflikt China-Japan: Die japanischen Rechten und Rechtsradikalen nutzen die Taiwan-Frage als Vorwand für Militarisierung und Aufrüstung
Die neue japanische Premierministerin Takaichi schlägt hohe Wellen. Sie sagte Anfang November den Mitgliedern der Diet, dem japanischen Parlament, dass ein militärischer Konflikt um Taiwan als Bedrohung für die Existenz Japans angesehen werden könnte, was „kollektive Selbstverteidigung“ ermöglichen würde. Damit könnte sich Tokio an der Seite von US-Streitkräften an militärischen Aktionen gegen China beteiligen. Von Robert Fitzthum.
Da Japan sich seit 1972 dazu bekannt hat, Taiwan als Teil Chinas zu sehen, bedeutet Takaichis Aussage eine bewusste Einmischung in innere Angelegenheiten Chinas. So heißt es im „Joint Communique of the Government of Japan and the Government of the People’s Republic of China (1972):
„Die Regierung der Volksrepublik China bekräftigt, dass Taiwan ein unveräußerlicher Teil des Territoriums der VR China ist. Die japanische Regierung versteht und respektiert diese Position der chinesischen Regierung voll und ganz und bekräftigt ihre Verpflichtung, die in Artikel 8 der Potsdamer Erklärung dargelegte Position zu respektieren.“
Es ist aber auch eine Missachtung der Kairoer Erklärung und der Potsdamer Proklamation der Alliierten des Zweiten Weltkriegs sowie anderer internationaler Rechtsdokumente, die sich aus dem Zweiten Weltkrieg ergeben, und bedeutet eine Revision der Ergebnisse.
Der Hintergrund auf chinesischer Seite
Die Aussage Takaichis im Namen der japanischen Regierung ist nicht die Aussage eines beliebigen Staates, es ist kein einfacher diplomatischer Konflikt. Japan ist eine der ehemaligen Kolonialmächte Chinas, die sich als ersten Schritt im ungleichen Vertrag von Shimonoseki Teile Nordostchinas (Mandschurei) und auch Taiwan unter den Nagel gerissen hatte und 50 Jahre, bis zur Kapitulation Japans im Zweiten Weltkrieg 1945, Taiwan kontrollierte. Während dieser Zeit versuchte Japan, die Insel zu „japanisieren“. Es führte eine Reihe von Maßnahmen zur politischen Kontrolle und Unterdrückung durch, bekämpfte in militärischen Aktionen lokale chinesische und indigene Widerstandsbewegungen, verfolgte und ermordete Widerstandskämpfer und patriotische Intellektuelle. Nach offiziellen Angaben sollen 600.000 Menschen ums Leben gekommen sein. Japan zwang den Menschen eine Modernisierung der Gesellschaft auf, führte das japanische Bildungssystem ein, zwang die Menschen, japanische Sprache und Kultur zu verwenden, und verfolgte und unterdrückte die lokale Kultur und Tradition. Lokale Ressourcen und Arbeitskräfte wurden brutal ausgebeutet.
Ab 1931 erweiterte Japan die blutige Besetzung Festlandchinas, mehr als 35 Millionen chinesischer Soldaten und Zivilisten wurden getötet oder verwundet.
Vor diesem Hintergrund muss man die harsche Antwort der chinesischen Regierung verstehen, die heute – im Gegensatz zur Vergangenheit – eine Einmischung Japans in die inneren Angelegenheiten Chinas nicht mehr hinnehmen muss, sondern sich dagegen zur Wehr setzen kann. Die Wiedervereinigung Taiwans mit Festlandchina ist ein Herzstück chinesischer Intentionen der endgültigen Überwindung der Kolonialzeit und wird auch von der Bevölkerung breit unterstützt. Takaichis Aussagen bedeuten eine Ermutigung der separatistischen Kräfte in Taiwan, die übrigens im Parlament keine Mehrheit haben und deren sogenannter Präsident Lai Ching-te mit weniger als 50 Prozent der Stimmen der Bevölkerung gewählt wurde. Dazu kommt noch, dass Takaichi zur Zeit der APEC-Tagung auf X getwittert hat, dass sie den Seniorberater von Taiwans „Office of the President“ getroffen hat – also die Anerkennung eines Präsidenten von Taiwan, was der Vereinbarung, dass Taiwan ein Teil Chinas ist, widerspricht. Hier gibt es offensichtlich absichtliche Provokationen, ohne die Folgen zu überlegen.
Beijing forderte Tokyo auf, Takaichis Aussagen zurückzunehmen, und sprach eine Reisewarnung für Reisen chinesischer Touristen nach Japan aus. Darauf stornierten Chinesen und Chinesinnen schon mehr als 500.000 Japanreisen, die japanischen Aktien der Reiseveranstalter fielen erheblich. Diese Entwicklung kann die japanische Tourismusindustrie 2026 nach Schätzungen einen Einnahmenausfall von ca. zehn Milliarden US-Dollar kosten. China ist größter Exportmarkt Japans, ein Schlüsselmarkt für japanische Exporte im Bereich Maschinen, Halbleiter, Automobile und chemische Produkte. Japan ist von China betreffend der Lieferung Seltener Erden abhängig, eine absolute Notwendigkeit für die Auto- und Hochtechnologieindustrie in Japan. Die Aussage Takaichis kann zu schweren Schäden für Japans Wirtschaft führen, wenn sie sie nicht zurückzieht, was derzeit nicht so aussieht. Der japanische Außenminister Motegi formulierte, dass die Bemerkung nicht gegen das Völkerrecht verstoße und es keine Notwendigkeit gibt, sie zurückzuziehen.
Der Hintergrund auf japanischer Seite
Was ist der Hintergrund auf japanischer Seite, der Takaichi veranlasst, im Namen der japanischen Regierung als erste Premierministerin solche Aussagen zu machen?
In den letzten Jahren hat Japan seine Sicherheitspolitik drastisch verändert, erhöhte sein Verteidigungsbudget deutlich, lockerte Beschränkungen für Waffenexporte und versuchte, offensive Waffen zu entwickeln sowie den Weg zu einer Militarisierung zu beschleunigen. Takaichis Regierung ist nicht eindeutig in ihrer Haltung zu Japans „Drei Nicht-Atom-Prinzipien“, wonach das Land weder Atomwaffen besitzt noch stationiert oder einführt. Sie schlug sogar die Möglichkeit vor, sie aufzugeben.
Durch die neue Koalition mit der rechten „Ishin Nippon“-Partei hat die Liberal-Demokratische Partei LDP unter Takaichi die Möglichkeit, aktiv eine Änderung des Friedensartikels 9 der japanischen Verfassung voranzutreiben, der Japan den Besitz von offensivem Kriegspotenzial verbietet. Wenn es gelingt, im Parlament die Zweidrittelmehrheit dafür zu bekommen, steht der japanischen Aufrüstung und einer aktiven Kriegspolitik nichts mehr im Wege – eine mögliche Bedrohung für Ost- und Südostasien.
Indem China als Gefahr und ein Eingreifen Chinas in Taiwan als Bedrohung für Japan dargestellt werden, versuchen die rechten und rechtsextremen Kräfte, die Stimmung im Land für Militarisierung und eine Änderung der Verfassung zu drehen. Sie verwenden das Taiwan-Thema, um die alte Macht Japans wiederherzustellen.
Takaichis politischer Aufstieg erfolgte im Umfeld des Revisionismus der Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs und der Beschönigung der Verbrechen des japanischen Faschismus. Sie besuchte auch immer wieder den berüchtigten Yasukuni-Schrein, auf dem unter anderem 1.000 japanischen Kriegsverbrechern gedacht wird, darunter zwölf der Kategorie A, also die ärgsten Kriegsverbrecher und Kriegstreiber. Sie wurde als rechte Vergangenheitsleugnerin schon 1995 bekannt, als sie die offizielle Entschuldigung des japanischen Premierministers Murayama für die Angriffskriege und die Kolonialherrschaft kritisierte. Von der Infragestellung der Murayama-Erklärung, die als Höhepunkt der Entschuldigung Japans für sein Fehlverhalten vor und während des Zweiten Weltkriegs gilt, über die Leugnung des Massakers von Nanjing 1937 und die Leugnung der vielen von der japanischen Armee zwangsrekrutierten Prostituierten in China und Korea bis hin zur Verherrlichung militaristischer Symbole hat sie sich mit Fraktionen verbündet, die sich weigern, mit Japans früherer Aggression abzurechnen.
Während in Deutschland und Österreich die Zeit des Faschismus und der Kriegspolitik aufgearbeitet wurde und ein Einvernehmen über die Ablehnung der faschistischen Vergangenheit besteht, ist das in Japan keineswegs der Fall.
Was kann man erwarten?
Es ist nicht zu erwarten, dass China von seiner Forderung, Takaichi solle ihre Aussagen zurücknehmen, abrückt. Im Gegenteil wird es weitere Maßnahmen zur Verringerung der chinesisch-japanischen Kooperation geben. In Japan gibt es auch viel Widerstand gegen die Politik der jetzigen Regierung, hier vor allem in Okinawa, das aufgrund der vielen US-Militärstützpunkte befürchtet, wieder in einen Krieg hineingezogen zu werden. Ich denke, Takaichi wird sich nicht entschuldigen. Aber es wurde schon so manche außenpolitische Krise in Japan durch Ablösung des Premierministers gelöst …
Über den Autor: Robert Fitzthum, Jahrgang 1951, studierte Sozial- und Wirtschaftswissenschaften an der Universität Wien und arbeitete als IT-Manager in österreichischen Banken sowie als selbstständiger Unternehmensberater. Er lebt seit 2013 als Schriftsteller in China. Er schrieb „China verstehen” (Promedia Verlag, 2018) und „Erfolgreiches China” (Goldegg Verlag, 2021). Sein aktuelles Buch „Chinas ‚Neue Reise‘: Sozialistische Modernisierung und die Bedeutung der Volksdemokratie” erscheint 2025.




