Eine Politik, die von den Bürgern verlangt hat, sich „nicht menschlich“ zu verhalten: Davon sprach Angela Merkel bei einer Ehrung für ihre Coronapolitik diese Woche in Stuttgart. „Nicht menschlich“? Moment! Gegen das Unmenschliche der Coronapolitik ist eine große Zahl an Bürgern auf die Straße gegangen. Dafür gab es Knüppel, den Einsatz von Wasserwerfern und: Diffamierung und Beschimpfung am laufenden Band durch Medien und Politik. Zum Thema „nicht menschlich“ gibt es einiges zu sagen. Ein Kommentar von Marcus Klöckner.
Als Angela Merkel am Dienstag von Ministerpräsident Winfried Kretschmann die Staufermedaille in Gold für ihre Coronapolitik erhalten hat, sagte die ehemalige Kanzlerin etwas Bemerkenswertes.
„Wir haben von den Menschen verlangt, sich nicht menschlich zu verhalten.“
Vielleicht ist es angebracht, diesen Satz stehen zu lassen und lange darüber nachzudenken. Nicht, weil die Aussage an sich in ihrer Offensichtlichkeit schwer zu erfassen wäre. Auch nicht, weil Merkel hier lediglich das sagt, was von Anfang an doch jedem klar war oder zumindest hätte klar sein können. Nein, es geht darum, zu verstehen oder genauer: wirklich in seiner Tiefe zu begreifen, warum an einer Aufarbeitung der Coronapolitik kein Weg vorbeiführt. Es geht darum, zu begreifen, dass über die politischen Entscheidungen, die zur schwersten Grundrechtskrise seit dem Besehen der Bundesrepublik geführt haben, nicht einfach so hinweggegangen werden darf, wie es weite Teile der Politik versuchen.
Wenn Politiker von Menschen „nicht Menschliches“ verlangen, dann sollte jeder Demokrat auf der Straße sein. Doch das Gegenteil war der Fall. Viele haben damals zwar gegen eine Politik, die zu massiven Schäden am einzelnen Bürger, aber auch in der Gesellschaft geführt hat, demonstriert – im besten Sinne von Demokratie und Grundgesetz. Aber erschreckend viele haben die Aufforderungen der Politik, sich nicht mehr menschlich zu verhalten, hingenommen und akzeptiert. Freilich, wie immer, für den „höheren Wert“, die „gute Sache“, sprich: um die Pandemie „in den Griff“ zu bekommen.
Diejenigen, die nicht bereit waren, das Unmenschliche zu akzeptieren, die tief im Innern spürten, dass hier Grenzen überschritten werden, die ein demokratischer Staat nicht überschreiten darf, wurden dargestellt, als wären sie ein Haufen Verrückter. Beschimpft, beleidigt, ausgegrenzt, verfolgt: Dafür sorgte eine Allianz aus Politikern, Journalisten und Experten. Soweit, so bekannt. Doch da ist nun wieder Merkel. Und da ist auch wieder Kretschmann. Jener Grünen-Politiker, der sich während der Pandemie in einem Gastbeitrag in der FAZ unter der Überschrift „Die Impfpflicht schützt die Freiheit“ zu Wort meldete, würdigte Merkel für ihren „herausragenden politischen Einsatz während der Coronapandemie“.
Hier das Gold für eine Politik, die von Menschen forderte, nicht menschlich zu sein. Und da, auf der anderen Seite, traumatisierte Kinder, Bürger und Menschen, die an der Coronaimpfung verstorben oder für den Rest ihres Lebens geschädigt sind.
Die Ehrung Merkels sagt viel aus über den Zustand der politischen Klasse. In weiten Teilen ist sie von der Realität entkoppelt. In ihrer Welt ist bis heute nicht angekommen, welchen unfassbaren Schaden ihre Politik angerichtet hat. In ihrer Welt sind sie sogar noch die Helden, die – mit einem Fünkchen Pseudo-Selbstkritik – scheinbar selbstlos eingestehen, dass sie den Bürgern einiges „zugemutet“ haben. Unterm Strich steht für sie jedoch fest: Das Gold, das ist verdient – sonst würde es ja nicht verliehen und angenommen.
Als in Frankreich die Pandemie für beendet erklärt wurde, sagte der Vorsitzende des Expertenrats, Jean-François Delfraissy: „Natürlich bedauere ich vieles. Wir haben manchmal die Gesundheit über die Menschlichkeit gestellt.“ Bewohner von Altenheimen hätten ihren Willen zum Leben aufgegeben, im Prinzip nur noch auf den Tod gewartet.
Ja, dass auch die deutsche Politik Bedingungen und Regeln aufgestellt hat, die dazu geführt haben, dass Alte und Kranke jämmerlich allein, scheinbar verlassen von ihren Liebsten, vor sich hin vegetieren oder gar sterben mussten: Das war „nicht menschlich“. Eine Politik, die von einer Mutter erwartet hat, dass ihr Kind allein im Krankenhaus verstirbt, dass ein Sohn keinen Abschied von seinem im Sterben liegenden Vater nehmen kann: Das war „nicht menschlich“. Eine Politik, die Rahmenbedingungen geschaffen hat, dass Menschen entgegen ihrem Willen geradezu gezwungen wurden, sich einen hochumstrittenen Impfstoff spritzen zu lassen: Auch das war „nicht menschlich“. Eine Politik, die Kinder stundenlang in den Schulen unter Masken gezwungen hat: Das war „nicht menschlich“.
Vieles mehr ließe sich an dieser Stelle anführen. Aber der Punkt wird auch so klar: Eine Politik, die von Menschen ein „nicht menschliches“ Verhalten verlangt, muss als unmenschlich bezeichnet werden. Ja, diese Politik darf man auch als monströs bezeichnen.
Doch es ist ja noch schlimmer.
Christoph Lütge war Mitglied im Bayerischen Ethikrat. Während der Coronakrise äußerte er sich kritisch über die Maßnahmen. Er wurde aus dem Rat entlassen. Auf der Plattform X kommentierte er am Mittwoch die Äußerung Merkels mit folgenden Worten:
Das besonders perfide an Merkels Formulierung (man hätte von den Menschen verlangt, sich nicht menschlich zu verhalten) ist ja, dass damit suggeriert wird, die Politiker hätten sich an Wissenschaft und Rationalität gehalten, die Menschen seien aber eben menschlich geblieben. Nein, darum geht es nicht, sondern im Kern um etwas anderes: vieles von dem, was Merkel und andere getan und womit sie so viel Schaden angerichtet haben, hatte gerade keine wissenschaftliche Grundlage, sondern beruhte auf – dem Stand der Wissenschaft zuwiderlaufenden – politischen Setzungen, die von Teilen der Wissenschaft, quasi auf Bestellung, akklamiert wurden. (Genau das bestätigen etwa die RKI-Protokolle, es war aber seinerzeit auch schon für viele erkennbar.)
Das ist ein wichtiger Gesichtspunkt. Die Verantwortlichen der Coronapolitik spinnen sich bis heute in ihren Kokon, worin die Realität so aussieht, dass alle Entscheidungen zwar „schmerzhaft“, aber eben aus wissenschaftlicher Sicht unbedingt notwendig gewesen waren. Und selbst heute, in der Rückschau, halten viele an dieser Sichtweise fest. Das ist ein Bruch mit der Realität. Auch deshalb ist eine schonungslose Aufarbeitung der Coronapolitik unabdingbar. Eine Politik, die von Menschen verlangt – und das auch noch mit Repression – sich „nicht menschlich“ zu verhalten, hat in einer Demokratie nichts verloren!
Titelbild: Drop of Light/shutterstock.com





