Rezension: Gerhard Schick – Machtwirtschaft – Nein Danke!

Jens Berger
Ein Artikel von:

Der promovierte Volkswirt und als ordoliberal oder linksliberal verortete streitbare Finanzpolitiker, der die Partei Die Grünen im Bundestag vertritt und spätestens seit der Finanzkrise durch seine Fachexpertise und Kritik am Krisenmanagement der Bundesregierung besticht, hat ein Buch über die chaotischen Entwicklungen der letzten Jahre und was daraus zu lernen ist geschrieben. Es geht deutlich über das Niveau auf die Öffentlichkeit zielender sonstiger Beiträge hinaus und enthält auf den über 20 Seiten der Anmerkungen auch für den Fachkundigen interessante Literaturhinweise, mag man auch einige passende Titel vermissen (z.B. N. Härings „Markt und Macht“, Schäffer-Poeschel 2010). Es dürfte kaum einen Politiker in Entscheidungspositionen in Deutschland geben, der Schick an Kenntnissen und Engagement das Wasser reichen kann und neben der politischen Tagesarbeit mit einem ähnlich niveauvollen Werk hervortritt. Von Helge Peukert[*].

In der EU, so Schick einleitend, laufe grundsätzlich etwas schief, aus der Markt- sei eine Machtwirtschaft geworden, was zähle seien mittlerweile Geld und Macht. Staat und Großunternehmen sind ihm zufolge eine unheilvolle, symbiotische Beziehung zu Lasten des Durchschnittsbürgers eingegangen, an dessen Seite sich der Autor positioniert. Die ersten beiden Kapitel können als Präludium zum Hauptthema, den Finanzmärkten, angesehen werden. Das Hamsterrad des Wachstums, Statuskonsum und die Glücksforschung werden im Zusammenhang mit der Klimaproblematik gestreift. Hinter die Möglichkeit der Entkoppelung von Wachstum und Ressourcenverbrauch wird einerseits ein dickes Fragezeichen gesetzt, andererseits eine Effizienzdiktatur abgelehnt. Schick kennt offenkundig die Probleme eines von seiner Partei verfolgten Green New Deal. Im Fadenkreuz seiner Kritik stehen dann die globalen Konzerne, die die Agrar-, IT-, Einrichtungs-, Rohstoff- und Finanzmärkte (v.a. bei Derivaten und Devisen) wesentlich bestimmen und sich impliziter Staatsgarantien und Steuerprivilegien (IKEA) erfreuen. Wenige, gut gewählte Beispiele und Zahlen unterlegen seine Vermachtungsthese. So haben 147 Unternehmen (die „Supereinheiten“ der Netzwerkanalytiker) die Kontrolle über knapp 40% der Unternehmenswerte aller transnationalen Konzerne.

Das dritte Kapitel nimmt die Macht und Struktur der Finanzmärkte aufs Korn, deren inhärente Instabilität und Irrationalitäten im Anschluss z.B. an Kindleberger unter Verweis auf die zahlreichen Finanzkrisen der letzten Jahrzehnte klar benannt werden. Herdenverhalten, der Gleichlauf durch zunehmende Vernetztheit (interconnectedness), die gefährliche Größe systemrelevanter Geldhäuser und des Finanzsektors im Vergleich zum BIP, zunehmende Geschwindigkeit (Hochfrequenzhandel), besondere Gefahren durch Immobilienblasen und zunehmende Ungleichverteilung usw. werden gut verständlich erläutert. Seine Ausführungen lassen keinen Zweifel daran, dass Schick keiner Variante der Theorie effizienter Märkte anhängt. Zu Derivaten und Leerverkäufen führt er z.B. an, dass bei unerwarteten Kurssteigerungen nicht gesichert sei,

„dass der „Spieler“ die Kosten seiner verlorenen Wette tragen kann … Im Gegensatz zum Kasino ist der Einsatz bei Derivategeschäften oder Leerverkäufen nicht vor-, sondern nachzuschießen. Hier zeigt sich eine Asymmetrie von Gewinnchancen und Haftung“ (S. 79).

So könne es passieren, dass Wetten nicht beglichen werden können und das Haftungsprinzip unterlaufen wird. Bisher können aus solchen Geschäften private Gewinne realisiert werden. Hat man hingegen Pech, wird Insolvenz angemeldet.

Kapitel 4 und 5 thematisieren das zum Markt komplementäre Staatsversagen und „Mutti Staat“. Angesichts des größenwahnsinnigen Verhaltens vieler Landesbanken, waghalsiger Zins-Swaps der Kommunen und des Versagens der Finanzaufsicht schlug das Pendel nicht klar in Richtung nachdrücklicher Reregulierung. Rent seeking, regulatory capture, M. Olson, D.C. North, eine ähnliche Sozialisierung der in der Privatwirtschaft und der beim Staat Arbeitenden und Seitenwechsel, personelle Verflechtungen, die Abhängigkeit staatlicher Einrichtungen von verwertbaren Informationen über das Marktgeschehen und der institutionalisierte Geldtausch- und Verschuldungsprozess zwischen Finanzwelt und Staat führten zu einer gefährlichen Symbiose, bei der sich Markt- und Staatsversagen wechselseitig bedingen und steigern.

Die (ordo)liberalen Ordnungsökonomen werden zutreffend kritisiert, da sie wirtschaftlich starke Akteure nicht in marktwirtschaftliche Schranken weisen, sondern sich strukturkonservativ implizit auf ihre Seite schlagen und sogar mehr Staat für sie fordern, anstatt im Geiste der Freiburger Schule für eine aktive staatliche Wettbewerbspolitik einzutreten.

Auch sieht er „ein Dilemma für die politische Linke, die nach „mehr Staat“ ruft und sich dabei zu Recht auf den Ordoliberalismus beruft. Ich bezweifle, dass man damit Erfolg haben kann. Wie soll es gelingen, den Staat zum Hoffnungsträger zu stilisieren, während er als wirtschaftlicher Akteur, als Planer, als Ordnungsgeber so kläglich versagt hat?“ (S. 113). Die Kanzlerin verschwendete Milliarden Euro, die Bankenrettung in Europa fand generell unter mangelnder Gläubigerhaftung statt, obwohl keiner beweisen konnte, dass die

„Auswirkungen einer Gläubigerbeteiligung die Kosten der Rettung überwiegen … Man hat die Apokalypse an die Wand gemalt, und vor diesem Drohszenario behauptet, dass die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler alle Bankschulden garantieren sollen“ (S. 136),

„Wir Grünen wollen das verhindern“ (S. 140).

Allerdings haben die Grünen im Bundestag allen wichtigen Schuldensozialisierungsmaßnahmen und Bankenrettungsschirmen zugestimmt, mit Verweis auf das apokalyptische Szenario. Die No-bail-out-Regel des EU-Vertrages und größere Bankinsolvenzen erschien auch ihnen zu riskant. Welchen Weg schlägt Schick vor?

Schick schiebt mit Kapitel 6 eine allgemeine Betrachtung ein, die mit seinem flammenden Bekenntnis zu Adam Smith, der Marktwirtschaft und der Konsumentensouveränität ansetzt, denn die

„Überlegenheit dezentraler Steuerung leuchtet mir ein“ (S. 145).

Es bedürfe aber klarer Regeln.

Kritisiert wird die Werbung von Großunternehmen (Manipulation!) und die Tatsache, dass z.B. Aktiengesellschaften eine eigene Rechtspersönlichkeit zugestanden wird. Da müsse man die Regeln wohl ändern (S. 148). Gute Idee, aber wie? Hierzu sagt Schick kein Wort. W. Eucken hatte gefordert, die begrenzte Haftung und somit AGs völlig abzuschaffen, so dass z.B. Investmentbanken wie in den USA bis in die 1980er Jahre als Partnerschaften zu führen wären. Schick schwenkt schnell auf die Grenzen des Marktes ein, wobei der Verweis auf Sen, Etzioni, Welzer u.a. natürlich nicht fehlt. Kein neues Wirtschaftswunder stünde bevor, aber zur großen Transformation würden auch enorme Investitionen benötigt. Der Green New Double Deal lässt grüßen. Konkreter wird er nicht – außer der Forderung eines einkaufsfreien Sonntags (auch wenn der souveräne Konsument trotzdem einkaufen will?) und dem japanischen Top-Runner-Ansatz als großem Vorbild. Allerdings verbraucht Japan aber trotz massiver Atomkraft kaum weniger CO2 pro Kopf als Deutschland und verzeichnet seit 1990 auch keine nennenswerte Gesamtverbrauchssenkung. Es folgen generell gehaltene Bekenntnisse zu CSR, einer gewissen Investitionslenkung und Fusionskontrollen unter Beachtung der Netzwerkforschung.

In Kapitel 7 sieben wird es ernst: es geht neben Boni, Ratingagenturen, offenzulegenden Provisionszahlungen usw. um Unternehmensentflechtungen, Größenwachstumsbremsen und Anforderungen an das Eigenkapital von Geldhäusern. Zur Entflechtung bemerkt Schick ganz generell, es bedürfe eines entsprechenden Gesetzes, wenn es z.B. darum gehe, dass Privatunternehmen öffentliche Infrastrukturen anböten. Konkreter wird er nicht und schlägt stattdessen ein Trennbankensystem vor.

In einem merkwürdigen Literaturverweis auf einen hinsichtlich Trennbanken völlig inhaltsleeren Artikel des Transatlantikers G. Steingart folgt die Bemerkung, das Erfordernis von Banktestamenten würde den Banken schon an sich weniger komplexe Strukturen aufzwingen. Dieser These sollte man – neben der Frage nach der Sinnhaftigkeit von solchen Testamenten – mit einer gesunden Skepsis begegnen. Er weist zudem auf einen Entschluss der grünen Bundestagsfraktion zur Großbankenproblematik hin (S. 279, Fn. 7), in dem sich aber konkret nur die Forderung einer Leverage Ratio von lediglich 3% à la Basel III bis 2025 und überproportional mehr Eigenkapital bis zu 20% findet, abhängig von der Größe, Systemrelevanz und Risikostruktur der Geldhäuser. Dies setzt entschlossene Regulatoren und gutwillige Politiker und die Möglichkeit von Risikoeinschätzungen und der Systemrelevanz der Einzelinstitute voraus. An anderer Stelle drückt jedoch auch Schick sein Misstrauen gegenüber Regulatoren und Politikern und den Risikogewichtungen bei Basel II und III aus.

Im Papier der Grünen wird auch nicht klar, was genau eigentlich abzutrennen wäre, obwohl zu Anfang ganz zutreffend bemerkt wird, TBTF-Banken seien prinzipiell mit einer Marktwirtschaft nicht zu vereinbaren. Das systemische Risiko soll gemäß grüner Agenda voll bei den Aktionären liegen, nicht beim Steuerzahler. Ein guter Vorsatz – wenn man aber für die nahe Zukunft zunächst nur die Hausnummer der 3% Leverage Ratio nennt und den Rest dem Finetuning der Regulatoren und Politiker überlässt, kann es dann realistischer Weise überhaupt zur vollen Risikoübernahme durch die Aktionäre (und Gläubiger?) kommen?

Begrüßenswert ist auch Schicks Forderung, das Haftungsprinzip durchzusetzen. Konkret fordert er aber nur, dass in Unternehmen Einzelpersonen für sensible Bereiche Verantwortung und Haftung übernehmen sollten. Haften dann diese verantwortlichen Angestellten bei eventuellen Schäden in Milliardenhöhe mit ihrem Sparschwein?

Schnellen Schrittes kommt Schick auf das Problem des allgemeinen Schuldenüberhangs zu sprechen. Er verweist auf Daniel Stelters Forderung (der übrigens seit letztem Jahr nicht mehr bei der BCG arbeitet), drastisch die durchschnittliche Gesamtverschuldung zu reduzieren, die (nicht nur) in der EU durchschnittlich 500% des BIP (Spitzenreiter Irland: brutto 1350%!) beträgt. In den Anmerkungen erwähnt Schick den Vorschlag der einmaligen Vermögensabgabe der Grünen. Bei diesem geht es im Unterschied zu Stelters Vorschlag nur um ein Gesamtvolumen von maximal 100 Mrd. Euro für Deutschland, was angesichts der zu reduzierenden Finanzialisierung und des volkswirtschaftlichen Leverage ein Tropfen auf dem heißen Stein wäre und kaum viel bewirken würde, die Finanzmärkte, wie von Schick gefordert (S. 184), kleiner und langsamer zu machen und die Schuldenberge relevant abzutragen.

Anstatt hier etwas präziser zu werden, geht es sofort weiter mit der individuellen Schuldenbremse der Banken: 10% ungewichtetes Eigenkapital hält Schick für richtig, aber auch Admati und Hellwig werden mit ihrer Forderung von mindestens 20% erwähnt. Also auf jeden Fall irgendwie mehr.

Unter Verweis auf Powerpointfolien eines Vortrages von Richard Werner wird dann in drei Sätzen ganz nebenbei eine gewisse Kreditlenkung gefordert, um investive anstelle von spekulativ verwandten Krediten zu fördern. Wer soll diese nicht gerade einfache Unterscheidung, die auch nicht unbedingt als urliberales Anliegen anzusehen ist, im Einzelfall treffen, zumal Schick in Kapiteln zuvor die Unzulänglichkeiten staatlichen und regulatorischen (Fehl)Verhaltens ausmalte?

Er setzt dann noch eine makroprudentielle Forderung obendrauf, indem er als antizyklische Maßnahme vorsieht, Notenbanken und Aufseher auch die Vermögenspreisentwicklung steuern zu lassen, um Blasen zu vermeiden, indem sie diskretionär bei Gefahr der Blasenbildung die Eigenkapitalanforderungen heraufsetzen. Kann man Blasenbildung erkennen, werden die Behörden das neutral exekutieren und nicht regulatory capture usw. unterliegen, was Schick in Kapitel 4 und 5 so anschaulich beschrieb. Zu Immobilienblasen meint er, die Finanzaufsichtsbehörden könnten

„das Preisniveau problemlos deutlich drücken … und so die Luft aus der Blase entweichen lassen“. (S. 195)

Schön zu wissen, wie einfach das ist, nur warum hat man das in der Vergangenheit nicht bereits gemacht?

Hier wird es langsam schwierig, in seinem bunten Strauß an Vorschlägen eine klare Linie zu erkennen. Man fühlt sich eher wie in einem Gemischtwarenladen, in dem von allem – häufig auch nur angedeutet – etwas vorkommt. Es folgt die Forderung von Kapitalverkehrskontrollen und schließlich sogar neben Keynes´ Idee einer Clearing Union die Einführung fixer Wechselkurse und die von Bofinger und Flassbeck vorgeschlagene reale Wechselkursstabilisierung über automatische Ab- und Aufwertungen bei Vorliegen von Zinsdifferenzen zwischen Ländern (S. 194). Diese Variante geht selbst vielen hartgesottenen Keynesianern zu weit, doch Schick hat sie im Angebot, vielleicht ohne sich klar darüber zu sein, welchen tiefgreifenden Interventionismus man sich mit diesem Vorschlag einhandelt.

In Kapitel 8 wird dann die Schubumkehr eingelegt, die Kontrolle staatlicher Macht eingefordert und gleich auf James Buchanan verwiesen, der einfache und robuste Regeln (z.B. Schuldenbremsen) in der Verfassung verankert sehen wollte, da er dem Politikbetrieb misstraute. Mit ihm wären Kreditlenkung, Blasenbekämpfung, die bei Schick angedachten Kredit-, Kapitalverkehrskontroll- und Wechselkurspolitiken nicht zu machen. Hier liegt ein echter Widerspruch in Schicks Überlegungen, die nur mühsam durch an sich richtige Forderungen wie die Offenlegung aller Nebenverdienste und die Abschaffung von Parteispenden überdeckt wird.

Auch überrascht die mittlerweile etwas eigenartig anmutende Begeisterung für die USA, deren progressive movement aus dem 19. Jahrhundert als topaktuelles zivilgesellschaftliches Vorbild dienen soll und deren in der Fachliteratur nicht gerade über alle Zweifel erhabene Aufsichtsbehörde FDIC den Europäern als nachzuahmende Institution vorgestellt wird. Zur Governance-Reform der EU wird von ihm praktisch nur die Einrichtung eines Senats wie in den USA seit 1913 angedacht.

Wenn Schick im abrundenden neunten Kapitel Merkel zutreffend eine gewisse Perspektiv- und Visionslosigkeit vorwirft, so trifft dies – wenn auch in anderer Weise – auch auf ihn selber zu: es fehlt eine konzeptionelle Logik. Er tanzt auf zu vielen Hochzeiten, bleibt gleichzeitig trotz Minimalpräzisierungen ein wirtschaftspolitisches Gesamtbild schuldig, das v.a. der Bürger und die Zivilgesellschaft gerade in unübersichtlichen Zeiten am dringlichsten erhoffen dürften. Ist dies der Preis des regen Parteipolitikers, der trotz mutiger Kampfkandidaturen auf innerparteiliche Mehrheiten angewiesen ist und dessen Tagesgeschäft im Sich-Einlassen und Kritisieren kleinteiliger Minimalreförmchen der Regierungspolitiken besteht?

So hat Schick sicher mit den Entscheidungen seiner Partei seit dem Krisenmodus der letzten Jahre zu kämpfen. Aus (ordo)liberaler Sicht hätte er eigentlich die Insolvenzverschleppungs- und Ersatzpolitik der EZB kritisieren müssen. Er schreibt aber, sie habe den Crash verhindert und an dieser Stelle kommen dann doch Ansteckungsgefahren zur Sprache. Überoptimistisch meint er, es werde mit der EZB endlich

„die Schaffung einer echten europäischen Aufsichtsbehörde“ (S. 239)

gelingen.

Während des Lesens dieser Zeilen kommt heraus, wie die EZB (als Bank der Banken nicht überraschend) im Rahmen der Troika darauf drängte und dafür sorgte, dass nicht etwa Aktionäre und Gläubiger der Geldhäuser sondern stattdessen europäische Steuerschussel und austeritätsbetroffene Bürger der Krisenländer bluten sollten. Kritisiert wird von Schick an der EZB eigentlich neben unspezifischem Einfordern von Gegenleistungen nur die mangelnde (wen nötig nachträgliche) Transparenz ihrer Maßnahmen.

Zukünftig solle es zudem eine Rechenschaftspflicht gegenüber den Parlamentariern geben. Ob das angesichts einer (auch verteilungs)politischen Aufladung der EZB ausreicht (antizyklisches Lehnen gegen den krediteuphorischen Überschwang usw., siehe oben)? Oder müsste sie dann als entscheidender wirtschaftspolitischer Player jenseits der bloßen technokratischen Sicherung der Geldwertstabilität nicht entlang politischer Vorgaben handeln? Das aber widerspräche Schicks – und vieler Deutscher – nicht unbegründeter Präferenz für eine unabhängige Notenbank. Statt typisch europäischem Durchwursteln bedarf es auch hier klarer Richtungsentscheidungen, um zu verhindern, dass der kleinste gemeinsame Nenner schlussendlich durch halbherzige Selbstblockaden zum größtmöglichen Unfall führen wird.

Die Geschichte der Bankenrettungsschirme wird fast völlig aus seinem sonstigen breiten Gesamtpanorama ausgeblendet und hier letztlich nur ein Demokratiedefizit vermerkt. Schick hat den Schirmen fraktionstreu im Bundestag zugestimmt. Selbst bei den Milliarden für Spanien enthielt er sich im Unterschied zum direktmandatierten Ströbele nur. Wenn er anfänglich behauptete, die Apokalypsenthese (sonstiger Zusammenbruch des gesamten Finanzsystems) sei falsch, warum stimmte er dann zu? Hinter diesen Schlenkern verbirgt sich nach Meinung des Rezensenten das eigentliche Grundproblem:

„Wir müssen die Regulierung grundsätzlich neu erfinden“ (S. 189).

Objektiv bedürfte es in der Tat zu einem Leben ohne Finanz- und Staatsschuldenkrisen einiger Fundamentalreformen der Geld- und Finanzordnung. Diese sind aber in der vorherrschenden Gefälligkeits- und Konsumdemokratie (siehe I. Blühdorns Buch „Simulative Demokratie“, Suhrkamp 2013) bisher nicht zu erwarten, in der man auch niemandem richtig weh tun möchte, in der alle Systeme am Tropf des Wachstums hängen und die immer noch vor einem wirtschaftlichen Kollaps steht, der zurzeit mit allen nur möglichen Mitteln zur Vermeidung einer reinigenden Deflationskrise hinausgezögert wird. Insofern holt Schick im Rahmen des momentanen politischen Systems wohl in etwa ein „Maximum“ heraus, von dem er ahnt, dass es zu wenig ist. Ausgleichend türmt er eine Reformforderung auf die nächste und landet trotz allgemeiner Richtungsanzeige unter dem Strich – also dort, wo es ums Eingemachte geht – oft im Ungefähren.

Gemeinsam das Gemeinwohl zurückerobern, die Überwindung der instabilen Finanzmärkte und deren Marktmacht, eine aktive Wettbewerbspolitik, das Ende der gefährlichen Symbiose zwischen Staat und Markt, so lauten einige Kapitelüberschriften seines Buches. Ganz in diesem Sinne hält der Rezensent – im Schickschen Geiste – , auf

„einfache, aber harte Regeln“ (S. 189)

bauend, ohne Anmaßung von Wissen (wann fängt die Blase an?), ohne leider immer noch falsche Hoffnungen in die durch nationalegoistisches Verhalten torpedierte europäische (Banken)Union, ohne Überforderung der Regulatoren und Illusionen über die letztliche Primärfunktion einer Zentralbank im gegenwärtigen System (the unconditional banking savior of last resort), insbesondere folgende Reformen für vordringlich: Einführung eines Vollgeldsystems zur Vermeidung von Boom-Bust-Kreditzyklen an der Quelle, eine konsequente Größenbegrenzung von Geldhäusern (100 Milliarden Euro-Limit), eine drastische Erhöhung des ungewichteten Eigenkapitals auf 20-30%, eine auch organisatorisch eindeutige Durchführung eines Trennbankensystems, eine Mindesthaltedauer an Börsen von mindestens einer Sekunde, kein Rechtsschutz für OTC-Transaktionen und klare Verbote (Leerverkäufe, Kreditausfallversicherungen) mit dem ausdrücklichen Nebenziel der Schrumpfung des Finanzsektors. Hierzu soll auch die breite Einführung einer Finanztransaktionssteuer dienen (inklusive Repos und des sonstigen Interbankengeldmarktes). Hinzu kommen sollen klare ex ante-Regeln für Banken- und Staatsinsolvenzen (die nur verhindert werden, wenn sie auch möglich sind), temporäre Euroaustritte unter Zuhilfenahme von Parallelwährungen mit der Wirkung einer nationalen Regiowährung anstelle von Rettungsschirmen, zwangsläufig in Kombination mit sowieso anstehenden Haircuts und Vermögensabgaben mit dem Ziel, die privaten Haushalte, die Staaten und die Nichtfinanzunternehmen auf einen Zielverschuldungsgrad von jeweils rund 60% des BIP zu bringen (siehe H. Peukert „Die große Finanzmarkt- und Staatsschuldenkrise“, 5. Aufl. und kürzer „Das Moneyfest“, beide Metropolis 2013).

Mit Blick auf Occupy, die Gewerkschaften, andere Parteien usw. findet sich in Schicks anregendem Buch eine sympathische Selbstkritik und implizite Handlungsempfehlung für die Zukunft: Man tat

„sich schwer, mit denjenigen, die wirklich das Wirtschaftssystem verändern wollten, auf einer Seite der Barrikade zu stehen. Eine vertane Chance für uns alle“ (S. 228).

Noch ist es nicht zu spät.


[«*] Prof. Helge Peukert ist Ökonom an der Universität Erfurt

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