Armut im Alter – Droht Rentnern Altersarmut?

Ein Artikel von Ursula Engelen-Kefer

Zur Rentenpolitik aus gewerkschaftlicher Sicht ein Beitrag der ehemaligen stellvertretenden Vorsitzenden des DGB, Ursula Engelen Kefer. Mit einer Anmerkung von Wolfgang Lieb.

Die Solidarität in der Gesellschaft bröckelt

Von Ursula Engelen Kefer

Betrachtet man die Schlagzeilen der letzten Wochen im so genannten „ Sommerloch“, könnte das Thema für diese Veranstaltung nicht aktueller sein:

  • Auf der einen Seite sind wir zu Recht erleichtert über den erheblichen Rückgang der Arbeitslosigkeit und die Zunahme der Beschäftigung.
    Schon ertönen wieder die Sorgen in der Wirtschaft über den Mangel an Fachkräften. Es wird bereits berechnet, dass dies ein Prozent Wirtschaftswachstum oder 20 Mrd. Euro im Jahr koste.
    Gestritten wird in der Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD über die Erleichterung der Aufnahme ausländischer Fachleute und ein mögliches Vorziehen der Freizügigkeit der Arbeitskräfte aus Mittel- und Osteuropa.
  • Vor wenigen Tagen titelte FR-Online: „Dicke Konten in den Vorstandsetagen.“
    Auf Platz 1 ist nach wie vor der Vorsitzende der Deutschen Bank, Josef Ackermann mit einem Jahresverdienst 2006 von 13,2 Mio. Euro, davon 9,4 Mio. Euro in bar.
    Am Ende der Gehaltsliste unserer Wirtschafts-Führungselite steht der Chef des Verlust-Unternehmens Infineon mit immerhin noch 1,7 Mio. Euro.
  • Gleichzeitig lesen, hören und sehen wir immer neue Schlagzeilen über wachsende Armut: die Zahl der Hartz IV-Empfänger hat inzwischen die 7-Millionen Marke überschritten.
    Über zwei Millionen Kinder leben in Deutschland unter der Armutsgrenze.
    Und die Zahl der „working poor“ wächst , die trotz Arbeit ALG II beziehen müssen, da sie mit ihrem Arbeitsverdienst die Lebensexistenz für sich und ihre Familien nicht mehr sichern können.
    Hierzu gehören viele Arbeitnehmer in Ein- und 4oo Euro Jobs, in Leiharbeit- aber auch in prekären Selbständigen Beschäftigungsverhältnissen.

Kein Wunder, dass viele Menschen vom wirtschaftlichen Aufschwung nicht viel spüren. Trotz hervorragender Export-Konjunktur zieht die Binnennachfrage nicht ausreichend mit. Dies wäre jedoch für einen dauerhaften wirtschaftlichen Aufschwung dringend notwendig. Die Zweiteilung unserer Wirtschaft zwischen boomenden Exportsektoren und dahin dümpelnder Binnenwirtschaft setzt sich fort und führt zunehmend zu einer Spaltung in unserer Gesellschaft.

Schon längst ist der so genannte Mittelstand auf Arbeitnehmer- und Arbeitsgeberseite kein Markenzeichen „made in Germany“ mehr.
Der kleinen aber immer „feiner“ werdenden Schicht der Wohlhabenden stehen immer mehr Menschen gegenüber, die vom Wohlstand abgekoppelt sind.
Armut ist leider in Deutschland keine Randerscheinung mehr, sondern frisst sich immer mehr in die Mitte unserer Gesellschaft.

Welche Lebens-Perspektiven haben Menschen, die trotz Vollzeitarbeit ihre Lebensexistenz nicht mehr sichern können und auf Hartz IV mit allen negativen Begleiterscheinungen angewiesen sind?
Welche Zukunft haben Kinder, die in Armut aufwachsen und oft sogar die Schulmahlzeiten nicht mehr bezahlen können?
Welche Zukunft haben Jugendliche aus Elternhäusern in sozialer Ausgrenzung und Armut, die ohne Abschluss von der Schule gehen.
Welche Perspektive bieten wir jungen Menschen, denen wir nach dem Schulabschluss eine anerkannte Berufsausbildung und den Übergang in eine qualifikationsgerechte Beschäftigung verweigern.
Wie gehen wir mit Kindern aus bildungsfernen Elternhäusern oder mit Kindern mit Migrations-Hintergrund um?
Wie können wir es uns leisten, zehn Prozent eines Schülerjahrgangs im Durchschnitt ohne Abschluss von den Schulen in die Arbeits- und Hoffnungslosigkeit zu entlassen?

Auch im Internationalen Vergleich zieht das Markenzeichen „made in Germany“ zwar im Export, aber schon lange nicht mehr im Binnen-Verhältnis.
Bei Langzeit-Arbeitslosigkeit, Armut, Vernachlässigung von Kindern und Jugendlichen aus sozial schwachen Schichten sind wir leider im EU-Vergleich rekordverdächtig.
Das Gegenteil gilt bei Betreuung, Erziehung, Bildung, Ausbildung und Weiterbildung. Hier sind wir eher am unteren Ende der Skala mit vergleichbaren Ländern in der EU.

Dies alles wissen wir seit vielen Jahren, aber bis heute fehlt es an überzeugenden Konzepten und vor allem deren Durchsetzung, damit die Schere in unserer Gesellschaft zwischen arm und reich nicht immer weiter aufgeht – geschweige denn wieder geschlossen werden kann.

Gesetzliche Altersrente unter Dauerbeschuss

Dies ist das wirtschaftliche und gesellschaftliche Umfeld, in dem das Thema des heutigen Abends zu behandeln ist: Droht Rentnern Altersarmut?
Früher- in den 1960er, 1970er und auch noch 1080er Jahren – hätte ich dies weit von mir gewiesen.
Unsere solidarische gesetzliche Rentenversicherung hat in Deutschland – wie in kaum einem anderen vergleichbaren Industrieland – Altersarmut in den Randbereich verweisen können.
Die gesetzliche Altersrente hat nicht nur – wie kein anderes Alterssicherungssystem – zwei Weltkriege überstanden, sondern auch in den meisten Fällen ein Leben in Würde ermöglicht.

Wenn der ehemalige Bundesarbeitsminister, Norbert Blüm, sagte „Die Rente ist sicher!“ habe ich darin vor allem ein politisches Programm gesehen, für das es sich zu streiten lohnte.
Und als für Sozialpolitik zuständige Stellvertretende Vorsitzende des DGB habe ich mehr als genügend Gelegenheit zum Streit gehabt.
Der „Häme“ gegen diesen An- und Ausspruch von Norbert Blüm habe ich mich bis heute nicht angeschlossen und werde dies auch nicht tun – nicht weil ich glaube, die Rente sei heute noch so sicher wie früher – sondern, weil ich der Auffassung bin, dass die große Mehrzahl der Menschen von der solidarischen gesetzlichen Rentenversicherung auch in Zukunft abhängig sein werden.
Die beitragsbezogene, umlagefinanzierte gesetzliche Rentenversicherung muss auch in Zukunft eine menschenwürdige Lebensexistenz absichern.
Sowohl der Verweis auf die kapitalgedeckte Altersversorgung als auch steuerfinanzierte Grundrentenmodelle kann und darf nur eine Ergänzung darstellen.
In keinem Fall dürfen sie Ersatz für die solidarische gesetzliche Altersrente sein.

Das heißt für mich aber auch: die Politik des Abbaus der Rentenleistungen und des Rentenniveaus jetzt über 15 Jahre muss endlich beendet werden. Wir brauchen dringend eine Trendwende.
Es ist schon bezeichnend: Die Professoren Rürup und Raffelhüschen, die den Sozialabbau auch bei der gesetzlichen Rentenversicherung maßgeblich vorangetrieben haben, geben inzwischen zu, dass das Ende der Fahnenstange bei den Kürzungen erreicht sei.
Ich glaube, dass die Politik- unterstützt und teilweise sogar getrieben von diesen Wissenschaftlern- bereits viel zu weit gegangen ist und ihre Kürzungsentscheidungen bei der gesetzlichen Altersrente zurückdrehen müssen.
Die Kürzungen in der gesetzlichen Rentenversicherung der letzten 15 Jahre haben die Rentenleistungen bereits bis heute um etwa ein Drittel verringert.

Beigetragen dazu haben: die drastische Verringerung und inzwischen vollständige Abschaffung der Anrechnung von Bildungszeiten, die ständigen Heraufsetzungen des Renteneintrittsalters für Frauen, Arbeitslose, Erwerbsgeminderte, Schwerbehinderte, die erheblichen Einschränkungen beim Zugang zur Erwerbsminderungsrente, die Einschränkungen bei der Hinterbliebenenrente.

Paradigmenwechsel in der Alterssicherung

Einen Paradigmenwechsel in der solidarischen gesetzlichen Altersversorgung hat die Rentenreform 2001 gebracht – bekannt auch als „Riester-Rente“. Dabei wurden sowohl die kapitalgedeckte Altersversorgung als Ersatz für die gesetzliche Altersrente eingeführt als auch die Beitragssätze künstlich eingefroren – auf 20 Prozent bis 2020 und 22 Prozent bis 2030.
Die Gewerkschaften konnten in harten Auseinandersetzungen mit der damaligen rot-grünen Bundesregierung zumindest durchsetzen, dass die betriebliche Altersvorsorge ausgebaut wurde, die öffentlich geförderte kapitalgedeckte Altersversorgung an Mindestbedingungen des Schutzes für die Arbeitnehmer gebunden wurden und auch ein Mindest-Rentenniveau gesetzlich festgelegt wurde.

Dass diese künstliche Fixierung von Beitragssätzen und Rentenniveau gleichzeitig der Quadratur des Kreises glich, wurde bei weiter steigender Arbeitslosigkeit sehr schnell deutlich.
Die nächste Sparrunde ließ nicht lange auf sich warten.
Auf Vorschlag von Professor Rürup wurde der sog. Nachhaltigkeitsfaktor eingeführt, d.h. eine weitere Absenkung des Rentenniveaus im Verhältnis der Abnahme des Anteils der Erwerbstätigen zu dem wachsenden Anteil der Rentner- also ein abgewandelter Demographiefaktor a la Norbert Blüm.
Hier konnten die Gewerkschaften das Schlimmste verhindern.
Gesetzlich wurde festgehalten, dass keine Absenkung der Rentenleistungen ins Bodenlose stattfinden dürfe.
Das Ergebnis waren allerdings jahrelange Null-runden für die Rentner.
Diese waren besonders hart getroffen.
Denn gleichzeitig wurden verschiedene weitere Sozialabbau-Maßnahmen beschlossen: Einführung der Praxisgebühr, Erhöhung der Zuzahlungen für Medikamente und Krankenhausaufenthalt, volle Übertragung der Beiträge zur Pflegesicherung auf die Rentner und erst kürzlich eine weitere Erhöhung der Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegesicherung sowie die Erhöhung der Mehrwertsteuer um drei Prozent.
Dabei ist es für Rentner wenig tröstlich, dass die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung gesenkt wurden und auch weiter abgesenkt werden sollen, da sie davon gar nicht betroffen sind.

Rentenspirale nach unten dreht sich weiter

Auch in der seit Ende 2005 amtierenden Großen Koalition geht die Rentenspirale nach unten weiter.
Da der Nachhaltigkeitsfaktor ausgesetzt werden musste, soll er zukünftig nachgeholt werden, was das Rentenniveau weiter absenken soll.
Damit aber nicht genug:
Das gesetzliche Rentenalter soll ab 2012 bis 2029 von 65 auf 67 Jahre angehoben werden.
Das heißt weitere Rentenabschläge bei vorzeitigem Eintritt in den Ruhestand.
Für viele ältere Menschen, die aus Erwerbsminderung, Altersteilzeit oder Arbeitslosigkeit vorzeitig in die Altersrente gehen müssen heißt dies Abschläge an ihrer gesetzlichen Altersrente bis zu 25 Prozent – 3,5 Prozent für jedes Jahr des Eintritts in die Rente vor dem dann 67, Lebensjahr.
Allerdings können Arbeitnehmer mit 45 Beitragjahren auch in Zukunft ohne Abschläge mit 65 Jahren in Rente gehen.
Dies ist für einen Teil der Männer mit durchgängigen Erwerbsbiographien hilfreich. Zum Nachteil gereicht diese Regelung allerdings allen, die derartige langjährige Erwerbstätigkeit nicht aufweisen.
Dazu werden viele Frauen gehören – aber auch Männer mit Zeiten der Arbeitslosigkeit und prekärer Beschäftigung.

Aus einer jüngeren OECD-Studie geht hervor: Deutschland liegt im internationalen Vergleich beim Niveau der gesetzlichen Rentenversicherung nach den Reformen der letzten Jahre für den so genannten Eckrentner mit 45 Beitragsjahren und Durchschnittseinkommen mit 39,9 Prozent des durchschnittlichen Bruttoeinkommens 2030 weit unten. (Heute beträgt das Rentenniveau noch 48,7 Prozent vom durchschnittlichen Bruttoeinkommen.)
Zu berücksichtigen ist hierbei, dass in Zukunft immer weniger Arbeitnehmer überhaupt 45 beitragspflichtige Beschäftigungsjahre und über so lange Zeit ein Durchschnittseinkommen erzielen.

Erst vor wenigen Tagen hat das Forschungsinstitut der Bundesagentur für Arbeit, IAB, erschreckende Ergebnisse einer Befragung älterer ALGII Empfänger vorgelegt.
Nicht nur steigt die Anzahl der ALGII-Empfänger insgesamt trotz guter Entwicklung von Wirtschaft und Beschäftigung weiter an.
Auch die Zahl der älteren ALGII Empfänger, die aus ALGII in die Rente gehen, nimmt zu.
Die Folge ist wachsende Altersarmut für Rentner.
Dabei sind die jetzt älteren ALGII-Bezieher noch besser dran als die zukünftigen, da sie im allgemeinen nach langjähriger beitragspflichtiger Beschäftigung genügend Rentenanwartschaften erworben haben, um vor Sozialhilfe und Armut bewahrt zu bleiben.
Dies gilt allerdings nicht für viele ältere Frauen im Westen, die wegen unzureichender Erwerbstätigkeit von ihren niedrigen Rentenansprüchen nicht leben können.
Für jüngere ALGII Empfänger sehen die Zukunftsperspektiven erheblich schlechter aus.
Oft werden sie infolge der lang anhaltenden Arbeitslosigkeit, instabiler und prekärer Beschäftigung zu Niedriglöhnen keine ausreichenden Rentenanwartschaften erwerben können.
Die Altersarmut wird demgemäß steigen.

Trendwende in der Rentenpolitik

Es ist daher höchste Zeit, nicht nur in der Arbeitsmarktpolitik, sondern auch in der Rentenpolitik umzusteuern.

  • Vor allem muss die pauschale Heraufsetzung des Rentenalters auf 67 Jahre korrigiert werden. Die im Gesetz vorgesehene Überprüfung 2010, ob die Arbeitsmarktvoraussetzungen für die Erhöhung des Renteneintrittsalters überhaupt vorliegen, muss ohne Tricks erfolgen.
    Trotz verbesserter Lage auf dem Arbeitsmarkt und vielfältigen Fördermaßnahmen von Bundesregierung und Bundesagentur ist es bisher nicht gelungen, die Beschäftigungschancen für ältere Arbeitnehmer ausreichend zu verbessern.
    Dies ist einer der Gründe für die Zunahme älterer ALGII Empfänger, die aus ALG II in die Rente gehen.
    Wird das gesetzliche Rentenalter auf 67 Jahre erhöht und werden ALGII Empfänger zum frühestmöglichen Übergang in die Rente gezwungen, erhöhen sich die Abschläge bei den Rentenleistungen noch mehr (bis zu einem Viertel der eh absinkenden Rentenleistungen). Die durchschnittliche Nettorente für Männer liegt inzwischen bei knapp 800 Euro im Monat und für Frauen bei wenig mehr als der Hälfte!
  • Für die Möglichkeit, mit 45 Beitragsjahren ohne Abschläge mit 65 Jahren in Rente gehen zu können, muss es ein ausreichendes Äquivalent für diejenigen geben, die ansonsten Nachteile hätten – vor allem viele Frauen, die lange Jahre ihres Lebens für die Familie eingetreten sind.
  • Darüber hinaus sollte die Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I für ältere Arbeitnehmer – über 50 Jahre – auf 24 Monate verlängert werden. Das wäre immer noch erheblich weniger als bis Anfang 2006 mit bis zu 32 Monaten.
    Der Rückgang bei der Langzeitarbeitslosigkeit der über 55-jährigen ist minimal. Noch nicht einmal ein Drittel der über 55 jährigen ist überhaupt noch erwerbstätig. Die Europäische Union mahnt zu Recht jedes Jahr die Bundesregierung, ihre Arbeitsmarktpolitik zur Eingliederung älterer Arbeitnehmer zu verbessern.
  • Dringend erforderlich ist eine Trendumkehr in der Arbeitsmarktpolitik für ältere Langzeitarbeitslose. An Stelle der erheblichen Ausweitung von Ein-Euro –Jobs müssen gerade für ältere Langzeitarbeitslose sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze mit existenzsicherndem Einkommen und sinnvoller Tätigkeit im öffentlichen und privaten Bereich ermöglicht werden. Wenn die Bundesanstalt für Arbeit feststellt, dass über ein Drittel der vermittelten Langzeitarbeitslosen bereits nach wenigen Monaten wieder zu den Jobcentern zurück kehren müssen, zeigt dies die Notwendigkeit einer Veränderung in der Arbeitsmarktpolitik.
    Die neuen gesetzlichen Möglichkeiten verbesserter Lohnkostenzuschüsse für Langzeitarbeitslose (bis zu 75 Prozent) mit mehreren Vermittlungshemmnissen ab Oktober diesen Jahres, die Fortführung des Bundesprogramms „50 plus“ sowie der für 2008 geplante Kommunal-Kombi in Kommunen mit einer Arbeitslosenquote über 15 Prozent müssen finanziell so ausgestattet werden, dass sie auch möglichst breit einsetzbar sind. Darüber hinaus muss auch die Wirtschaft in die Pflicht für die berufliche Eingliederung Langzeitarbeitsloser genommen werden.

Viele Langzeitarbeitslose in den Neuen Bundesländern haben eine berufliche Qualifikation aufzuweisen und lange Jahre in diesen Berufen auch gearbeitet. Vor dem Hintergrund des sich abzeichnenden Fachkräftemangels müsste es auch ein Eigeninteresse der Wirtschaft sein, die beruflichen Qualifikationspotentiale bei den älteren Arbeitslosen nutzbar zu machen. Die Arbeitsagenturen und ARGEN müssen ihre Möglichkeiten zur beruflichen Anpassung und Qualifizierung viel stärker nutzen als dies bisher geschehen ist.

  • Die erst vor wenigen Jahren reduzierten Beiträge für ALGII Empfänger zur gesetzlichen Rentenversicherung sind von bereits niedrigem Niveau noch halbiert worden. Die Gefahr der Altersarmut steigt auch dadurch weiter an. Notwendig ist daher eine Aufstockung der Rentenversicherungsbeiträge für Langzeitarbeitslose.
  • Dringend erforderlich ist die Verbesserung des Zugangs zur Erwerbsminderungsrente für ältere Arbeitnehmer mit gesundheitlichen Einschränkungen.
  • Notwendig ist die Schaffung einer Anschlussregelung für die 2009 auslaufende Altersteilzeit, die inzwischen von über 400 000 Älteren in Anspruch genommen wird.
    Hierbei ist ein gleitender Ausstieg aus dem Erwerbsleben sicher zustellen.
    Dies würde die Möglichkeit für viele Arbeitnehmer verbessern, längere Jahre unter humanen Bedingungen ihrer Erwerbstätigkeit nachzugehen.
  • Die gesetzliche Rentenversicherung ist zu einer Erwerbstätigenversicherung auszubauen – d.h. in einem ersten Schritt müssen auch Selbständige in die solidarische gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden.
  • Die tarifliche und betriebliche Altersversorgung ist auszubauen. Insbesondere müssen die unteren Einkommensbezieher stärker einbezogen werden.
    Die gesetzliche Altersrente muss zwar auch in Zukunft ein menschenwürdiges Leben ermöglichen.
    Allerdings ist – so wie sich die Dinge entwickelt haben – zur Aufrechterhaltung des Lebensstandards eine zusätzliche Alterssicherung erforderlich.
    Tarifliche und betriebliche Alterssicherungssysteme können am ehesten ausreichende Leistungen und Begrenzung des Risikos unter Beteiligung der Arbeitgeber sicherstellen.
    Wenn jetzt die Steuer- und Sozialversicherungsfreiheit von Beiträgen zur betrieblichen Altersversorgung durch Entgeltumwandlung fortgeführt werden soll, kann das zu einer Stärkung der betrieblichen Altersversorgung beitragen.
    Dies darf allerdings nicht zu Lasten der gesetzlichen Alterssicherung erfolgen.
    Die Beitragsausfälle zur gesetzlichen Rentenversicherung, die derzeit auf etwa 2 Mrd. Euro geschätzt werden, müssten über einen Steuerzuschuss ausgeglichen werden. Entsprechendes müsste im Übrigen für die Beitragsausfälle bei der gesetzlichen Krankenversicherung gelten.

Unabhängig von diesen dringenden Reformen bei der Alterssicherung gilt:
Die Zukunft der gesetzlichen Rentenversicherung hängt entscheidend von der Entwicklung der Beschäftigung und der Einkommen ab.
Eine aktive Beschäftigungspolitik und tarifliche sowie gesetzliche Mindestlöhne sind unabdingbare Voraussetzungen, um Armut insgesamt und Altersarmut im Besonderen zu verhindern.

Anmerkung Wolfgang Lieb:

Ich kann sehr gut verstehen, dass Ursula Engelen-Kefer in ihrem Vortrag immer wieder Brücken zur Regierungspolitik und zur veröffentlichten Mehrheitsmeinung zu schlagen versucht und ich bin mit ihr erleichtert über jeden Arbeitslosen der wieder Arbeit findet.
Dennoch kann ich ihre Einschätzung nicht teilen, dass wir einen „erheblichen Rückgang der Arbeitslosigkeit und die Zunahme der Beschäftigung“ hätten. (Siehe dazu meine Anmerkungen zu dem Beitrag von Thomas Fricke unter den Hinweisen vom 31.08.07)
Auch Ursula Engelen-Kefer sagt ja zu Recht, dass die „dass viele Menschen vom wirtschaftlichen Aufschwung nicht viel spüren“.

Wir können (leider) auch den Optimismus von Ursula Engelen-Kefer nicht teilen, dass die Politik und die Professoren Rürup und Raffelhüschen zur Einsicht gelangt wären, dass ihre Kürzungsentscheidungen bei der gesetzlichen Altersrente zurückgedreht werden müssten.
Die Politik und die genannten Wissenschaftler wollten von Anfang an den Umstieg auf die private Vorsorge und haben dazu den Abbau der gesetzlichen Rente auf ein Niveau vorangetrieben, auf dem Altersarmut droht.

Dass der DGB für ein Mindestrentenniveau von 46 Prozent gekämpft hat, war dabei ein letzter Versuch, die den Fall des Rentenniveaus ins Bodenlose aufzuhalten. Aber selbst dieser Notnagel dürfte angesichts der Einführung des Nachhaltigkeitsfaktors das Absinken der Renteneinkommen nicht aufhalten.
Nichts gegen eine zusätzliche Betriebsrente, aber, wie Ursula Engelen-Kefer auch fordert, nicht zu Lasten der gesetzlichen Rente. Die geplante Verlängerung der Sozialversicherungsfreiheit der Entgeltumwandlung konterkariert jedoch diese Forderung.

Anders als Ursula Engelen-Kefer bin ich nicht der Meinung, dass es an überzeugenden Gegenkonzepten gegen einen Sozialabbau und für eine Ankurbelung der Wirtschaft und einer aktiven Beschäftigungspolitik fehlte. Man denke nur etwa an die Vorschläge des gewerkschaftsnahen Konjunkturforschers Gustav Horn vom IMK oder an die vielen Vorschläge des DGB zur Verbesserung von Bildung und Ausbildung. Was fehlte, war die Bereitschaft der Regierungsparteien, solche Konzepte aufzugreifen. Die Regierungspolitik folgte im Gegenteil eindimensional dem angebotsorientierten Dogma von der Notwendigkeit sog. „Strukturreformen“. Nachfrageorientierte wirtschaftspolitische Ansätze der Gewerkschaften haben in dieser vorherrschenden ökonomischen Logik keinen Raum und waren und sind deshalb zum Scheitern verurteilt.
Die Strategie der Gewerkschaften, im Rahmen der Logik der herrschenden „Reformpolitik“ „das Schlimmste zu verhindern“, hat deshalb bisher jedenfalls leider nicht zu erkennbaren Erfolgen geführt. Das sollte den Gewerkschaften zu denken geben.

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