Brasilien – Der mediale Anschlag auf den Rechtsstaat

Frederico Füllgraf
Ein Artikel von Frederico Füllgraf

Für die NachDenkSeiten berichtet gelegentlich Frederico Füllgraf[*] aus Südamerika. Sie, liebe NDS-Leserinnen und Leser, sind damit in der Regel um vieles besser informiert als durch die Mehrheit der deutschen Medien. Heute berichtet der Autor über die Mediensituation in Brasilien und den Versuch der Medien, im Verein mit anderen die gewählte Präsidentin loszuwerden. Wahrlich ein Trauerspiel und ein Beleg für den miserablen Zustand der westlichen Demokratien insgesamt. – Merken Sie sich bitte den 29. August vor. Dann hält die suspendierte Präsidentin Rousseff ihre Verteidigungsrede. Mal sehen, was die deutschen Medien davon berichten. Albrecht Müller.

Frederico Füllgraf
Bericht vom 25. August 2016

Am vergangenen 21. August verabschiedete sich die Welt von den mit 80.000 einheimischen Polizisten und Militärs gesicherten XXXI. Olympischen Sommerspielen in Rio de Janeiro. Mit heimlich eingesickerten 1.100 Agenten aus 17 US-amerikanischen Geheimdiensten (More Than 1,000 U.S. Spies Protecting Rio Olympics) waren dies die militarisiertesten Wettkämpfe in der olympischen Geschichte.

Doch während die Rekonstruktion der buchstäblichen US-Belagerung Rio de Janeiros noch einen Autor sucht, geht das offizielle Brasilien nun zur Tagesordnung über.

Zur Agenda gehört ein Ereignis, das in wenigen Tagen, am 29. August, an den Fundamenten des seit Ende 2014 krisengeschüttelten Landes rütteln dürfte.

In einer 30 Minuten langen Ansprache wird die seit Mitte Mai suspendierte Präsidentin Dilma Rousseff vor 81 Senatoren und dem Präsidenten des Obersten Gerichtshofs (STF) ihre Verteidigungsrede halten – Auge in Auge mit jenen 59 Parlamentariern, die vor wenigen Wochen in erster Abstimmung für ihre definitive Amtsenthebung votierten.

Brasilianische Kommentatoren sprechen von einem Tribunal der Geschichte.

Abzusehen ist jedenfalls ein absurdes Gericht: auf der Anklagebank eine integre, nachweislich über jeden Verdacht der Korruption erhabene Staatspräsidentin; auf der Klägerbank mindestens 49 von der Justiz der Korruption, Veruntreuung, Geldwäsche, Entführung und des Mordes beschuldigte, doch straflos amtierende Politiker.

Es ist der Hohn, doch er regiert Brasilien seit Ende 2014, als Rousseff mit 54,5 Millionen Stimmen zum Staatsoberhaupt wiedergewählt wurde.

Mit Verbitterung veröffentlichte Álvaro Ribeiro Costa – ehemaliger stellvertretender Generalstaatsanwalt, respektive Bundesanwalt der Regierungen Fernando Henrique Cardoso und Luis Inácio Lula da Silva – am 22. August einen von demokratischen Medien abgedruckten “Offenen Brief an die Verbreiter von Hass und Lüge”. Mit scharfen Worten verurteilte der brasilianische Jurist Rousseffs Gegenspieler und Erzfeinde: “Die Maske dieser Leute, deren Gesichter die abscheuliche moralische Hässlichkeit nicht verbergen kann, ist gefallen… Weder wird die Geschichte vergessen, noch euren Namen vom Inventar der Willkür und der Schande löschen. Und es ist völlig sinnlos, den Putsch abzustreiten – jeder weiss es.”

Einzelne Rousseff-Anhänger spekulieren, bis zu acht, in letzter Minute von Scham und und Reue gezeichnete Senatoren könnten der Staatspräsidentin doch noch ihr Vertrauen aussprechen und sie vor der Amtsenthebung retten. Doch eiskalte Arithmetik dürfte dem moralischen Verfall und dem herrschenden Zynismus zum Sieg verhelfen: die amtierende Senatorin und ehemalige Landwirtschaftsministerin Kátia Abreu unterstellte bereits Anfang Juli ihrem Parteigenossen und Übergangspräsidenten Michel Temer, vom genehmigten 45 Milliarden Euro schweren Haushaltsloch rund 14 Milliarden für Stimmenkauf “reserviert” zu haben (Para Kátia Abreu, impeachment foi comprado por R$ 50 bilhões). Temer sei dabei, die Senatoren für die Amtsenthebung der Präsidentin zu schmieren, so ihr folgenloser Vorwurf.

So wie die Wette steht, droht Dilma Rousseff bis 1. September ihre definitive Amtsenthebung und Brasilien der Anbruch einer Scheindemokratie mit rücksichtsloser Demontage des in 12 Jahern errichteten, bescheidenen Sozialstaats.

Die restaurative und autoritäre Wende ist der vorläufige Gipfel einer konzertierten Destabilisierungskampagne unter Führung einer pro-amerikanischen Fraktion der brasilianischen Justiz im Bündnis mit einflussreichen, einheimischen Leidmedien.

Das abgekartete Spiel von subversiver Justiz und zynischen Medien

Zwei Jahre brauchten deutsche Leitmedien um zu begreifen, dass sie in ihrer Brasilien-Berichterstattung schlecht beraten waren, nämlich ohne eigene Recherchen von unglaubwürdigen brasilianischen Medien abzuschreiben. Das hatte fatale Folgen.

Einmalig in der Geschichte der Auslandsberichterstattung, übte die französische Le Monde Selbstkritik an ihrem eigenen Brasilien-Image. In einem Brief vom 23. April 2016 (Brésil: « Le Monde » a-t-il été partial?), stellte Franck Nouchi – delegierter Vertrauensmann für Leserbelange – die peinliche Frage: “War Le Monde parteiisch in der Berichterstattung über die politische Krise in Brasilien?”. Noch bevor die Leser reagierten, beantwortet Nouchi selbst die Frage: Er bedauere die Einseitigjkeit des Leitartikels vom 31.3.2016 (“Brésil: ceci n’est pas un coup d’Etat – Brasilien, das ist kein Putsch”), doch vor allem, dass sich die Le Monde-Korrespondentin in Brasilien auf die einseitig berichtenden, einheimischen Medien als Quelle verlassen habe.

Maurice Lemoine, ein anderer Franzose, hatte bereits vierzehn Jahre zuvor vor seltsamen ”Synergien” zwischen Landesmedien und Auslandsberichterstattung gewarnt.

In seinem Essay “Coups d’Etat sans frontières” (Le Monde Diplomatique, August 2002) wies Lemoine auf unzulässige „Synergien“ hin, die erklären, wieso “die von einheimischen Medien verbreitete Version der Fakten oft mit identischem Wortlaut in zahlreichen internationalen Medien wie New York Times, Washington Post, CNN, El Tiempo, Rádio und TV Caracol, RCN usw. auftauchen, insbesondere in der spanischen El País. Erkennen wir den Hintergrund der ökonomischen und finanziellen Interessen, dann verstehen wir auch den Grund für diese ´Synergien´”.

Nach einem zweiteiligen Essay vom Januar 2016 in RT Deutsch – Macht und Medien in Lateinamerika – wagte im darauffolgenden April nun auch der Berliner Tagesspiegel (“Globo”-Mediengruppe: Halbwahrheiten und Lügen in Brasilien) zum ersten Mal die Arbeitsweise brasilianischer Medien zu hinterfragen.

Die Destabilisierungskampagne gegen Dilma Rousseff und den brasilianischen Rechtsstaat begann, als das Wochenmagazin “Veja” in seiner Ausgabe vom 23. Oktober 2014 eine Montage schuldbewusster Konterfeis Rousseffs und ihres Amtsvorgängers Luiz Inácio Lula da Silva mit der Schlagzeile abbildete: “Sie wussten alles”. Die Titelgeschichte behauptete, die Präsidenten hätten bereits Jahre zuvor von der Korruption im Petrobras-Konzern gewusst und seien sogar mithilfe illegaler Parteispenden der Petrobras-Klientel gewählt worden.

Das unredliche, betrügerische Narrativ hatte ein klares Ziel: mit einem um drei Tage vorverlegten Vertriebsdatum versuchte das jeweils sonntags erscheinende Magazin, den zweiten Wahlgang vom 26. Oktober gegen die zur Wiederwahl angetretene Staatspräsidentin zu beeinflussen.

Als angebliche Beweise für den Aufmacher nutzte das Blatt Aussagen Alberto Youssefs, dem ersten Kronzeugen im Korruptionsskandal Petrobras. Doch kaum waren zwei Tage vergangen, dementierte Youssefs Anwalt, Antonio Figueiredo Basto, die Behauptungen als grobe Fälschung. Das Dementi wurde nicht abgedruckt, Rousseff und Lula da Silva zögerten jedoch nicht, Veja in fünf Fällen wegen Vortäuschung falscher Tatsachen und Verleumdung zu verklagen. Anderthalb Jahre danach lassen die Urteile noch immer auf sich warten. Die Episode Veja war ein klarer Angriff auf den Rechtssaat und somit ein Fall für die Strafjustiz. Doch die Richter hatten es nicht eilig und ermunterten die Straflosigkeit.

Seitdem klagen Rousseff und Lula da Silva in vielfältigen Diffamierungs-Prozessen gegen
führende Landesmedien, allen voran die Gruppe O Globo. Deren Wochenmagazin Época – ein Konkurrenzprojekt zu Veja unter Lizenz der Münchener Focus-Gruppe – unterstellte Ende 2015, Lula habe während seiner zahlreichen Regierungsbesuche in Afrika für Aufträge an brasilianische Firmen geworben und sei von ihnen dafür “reich entschädigt” worden. Ähnlich lautende Behauptungen wurden vom Wochenmagazin IstoÉ und Tv Globo aufgestellt.

Beweise wurden niemals vorgelegt, die Unterstellungen stammten vom “Unternehmen Waschanlage” um Richter Sérgio Moro (siehe Brasilien – Streifzug durch die kafkaeske “Republik Curitiba, Nachdenkseiten, 22.07.2016). Zur Taktik dieser vom FBI und dem State Department ausgebildeten “Antikorruptions-Taskforce” gehört die gezielte Streuung von Mutmaßungen und Falschmeldungen mit dem Ziel des Rufmordes.

Die “Partei der putschenden Presse”

“Unternehmen Waschanlage” fand für seine öffentliche Resonanz in den konservativen brasilianischen Medien den idealen Partner für seinen Kreuzzug gegen die Korruption, der sich auffälligerweise seit zwei Jahren selektiv auf Politiker der Arbeiterpartei (PT) und mit ihr mutmaßlich verbündeten Bauunternehmen konzentriert und Ermittlungen gegen Politiker der Opposition blockiert. Umgekehrt ist Richter Moro das neueste Produkt für den Massenkonsum der Globo-Mediengruppe, die ihn 2015 als “Mann des Jahres” auszeichnete.

Die Medienlandschaft im 200 Millionen Menschen zählenden Brasilien wird, grob gesehen, von sieben Familien beherrscht. Ihre führenden Tageszeitungen O Globo, Folha de São Paulo und O Estado de São Paulo machten schon 1964 für den Militärputsch gegen die demokratische Reformregierung João Goulart mobil.

Paulo Henrique Amorim – ehemaliger Programm-Moderator bei TV Globo, Buchautor und politischer Blogger – prägte die in Umlauf gebrachte, provokative Bezeichnung „Partei der putschenden Presse“, die im Portugiesischen („Partido da Imprensa Golpista“) mit dem Akronym P.I.G. von schändlichem Ruhm umrankt ist – ein gezieltes Wortspiel mit dem Kürzel, das in den Alternativ-Medien die unzähligen politischen „Schweinereien“ der genannten sieben Medien-Clans benennen will.

Mit 69 verschiedenen Einzelmedien ist die Gruppe O Globo sozusagen ton- und bildangebend in einem Land, in dem kaum gelesen wird. Mit der Monopolstellung auf dem Radio- und Fernseh-, sowie auf dem Musik-, Internet- und dem brasilianischen Markt für Kabelfernsehen erzielten die Erben des Familienclans Marinho ein Privatvermögen von 24,6 Milliarden US-Dollar und galten nach dem Forbes-Ranking 2015 als die zweitreichsten Männer Brasiliens.

Beherrschendes Medium auf dem Zeitungsmarkt ist die Gruppe Folha im Besitz der Familie Frias, Herausgeberin der Tageszeitung Folha de S. Paulo, gefolgt von der Gruppe Abril, der Familie Civita, die als Herausgeberin der Wochenzeitschrift Veja und 74 verschiedenen Unterhaltungsmedien den Zeitschriftenmarkt beherrscht.

Der Einfluss der Medien-Clans im Rundfunkbereich lässt sich am deutlichsten mit dem US-Vorbild der trapezförmigen Radio- und TV-Netze erklären, in denen sogenannte “Kopfsender” über lokale “Wiedergabe-Sender” ihr Programm bis ins letzte Amazonas-Dorf ausstrahlen.

Den zweiten Platz nach TV Globo nimmt die Gruppe TV Record ein. Mit 27 Regionalsendern gehört das Netz der ultrakonservativen „Universellen Kirche vom Reiche Gottes“; einer militanten evangelikalen Sekte mit starker parlamentarischer Vertretung. Am Einfluss gemessen, folgen ihr die SBT-Gruppe der Familie Silvio Santos, mit 47 Regionalsendern die Gruppe Bandeirantes der Familie Saad, und schliesslich die südbrasilianische RBS-Gruppe der Familie Sirotzky, Besitzerin von 57 Tageszeitungen, Radio und TV-Sendern.

Nach zwei verlorenen Präsidentschaftswahlen (2002 und 2006) gegen Lula da Silvas Arbeiterpartei, befürchtete die bis dahin regierende, doch nun konzeptionslose und zersplitterte, konservative Opposition, eine neue Niederlage gegen Dilma Rousseff.

Da kam ihr die “Partei der putschenden Presse” zur Hilfe.

In einem von erstaunlicher Aufrichtigkeit gekennzeichneten Interview mit O Globo (18.03.2010), bestätigte Maria Judith Brito – Aufsichtsratsvorsitzende bei Folha de S. Paulo und Vorsitzende des brasilianischen Zeitungsverlegerverbandes ANJ – was die demokratische Öffentlichkeit und die um finanzielles Überleben kämpfenden Alternativmedien seit Jahren beklagten:

„… es ist nicht von der Hand zu weisen, dass diese Medien in der Tat die Rolle der [politischen] Opposition in diesem Land übernommen haben, da die Opposition zutiefst geschwächt ist…”.

Resignation vor einem durchgefütterten und ehrlosen Medienkartell

Der Spruch, “Undank ist der Welt Lohn”, hat im Spanischen eine beissendere Übersetzung: Cria cuervos y te sacarán los ojos – “Züchte Raben, und sie werden dir die Augen aushacken”.

Die blutige Metapher trifft das brasilianische Verhältnis zwischen Regierungsmacht und privaten Medien wie die Faust aufs Auge. Dazu einige Zahlen.

Zwischen und 2003 und 2015 gaben die Regierungen Luis Inácio Lula da Silva und Dilma Rousseff 13,9 Milliarden Reais (umgerechnet etwa 4 Milliarden Euro) für Regierungswerbung aus; Imagepflege für große Bauten, soziale Projekte und Infrastruktur, Werbungen staatlicher Konzerne nicht mitgezählt.

Zwar mag die Zahl den europäischen Leser verwundern, doch ist sie bescheiden im Vergleich mit eklatanten Absurditäten, wie die jährliche Vergeudung von 3 Milliarden Euro öffentlicher Mittel für die Abdeckung von Arbeitsunfällen.

Von der besagten Summe erhielt allein der führende, private TV-Anbieter Globo umgerechnet 2,0 Milliarden Euro; etwa so unredlich, als würde die deutsche Bundesregierung dem privaten RTL-Sender jährlich 166 Millionen Euro für Anzeigen in den Rachen werfen.
Die Fütterung des Familienclans um TV Globo – ein Unternehmen, das bis Mitte der 1960er Jahre mehrheitlich zur Time-Life-Gruppe gehörte und unter der Militärditatur zum landesweiten Sender ausgebaut wurde – hat Tradition. Überhaupt wagt es kaum eine Regierung, sich mit den nationalen oder lokalen Medienmogulen anzulegen.

Fernando Henrique Cardoso, Lulas Vorgänger, verschwendete allein in seinen drei letzten Regierungsjahren (1999-2002) rund 2,0 Milliarden Euro an Werbemitteln, 49 Prozent davon für die Gruppe Globo; unter Lula schoss der Globo-Werbeanteil gar auf 59 Prozent. Auch Dilma Rousseff ließ es an Großzügigkeit und Medien-Gläubigkeit nicht fehlen: in ihrer ersten Amtsperiode (2011-2015) vergab sie 3 Milliarden Euro an Werbeaufträgen; 23 Prozent mehr als ihr Vorgänger Lula.

Am deutlichsten liest sich die Metapher von den hinterlistigen Raben am Beispiel des Wochenmagazins Veja: mit umgerechnet 220 Millionen Euro für Regierungs-Anzeigen war das am meisten “geförderte” Druckmedium zugleich auch jenes, das der Regierung auf übelste Weise in den Rücken fiel.

Schon die Regierung Lula schien die Medienschlacht zu verlieren, als ihr Minister für Kommunikation – der ehemalige Guerrillerakämpfer und spätere zur PT übergewechselte TV-Globo-Reporter – Franklin Martins 2009 eine nationale Konferenz zur Lage der Medien einberief und eine zugegebenermaßen moderate Gesetzesvorlage zur Debatte stellte, die eine Reform mit der Entkartellisierung des Medienmarkts zum Ziel hatte.

In Brasilien ist die Medien-Szenerie nach US-amerikanischem Muster gestrickt. Es gibt einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk und die regionalen, sogenannten „Bildungssender“ (TVs Educativas) werden von den jeweiligen Gouverneuren politisch missbraucht.

Gesetze und demokratisch besetzte Behörden zur Regulierung des Medienbetriebs, vergleichbar mit der deutschen Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK), gibt es in Lateinamerka erst seit 2014; zur Zeit allein begrenzt auf Ecuador, nachdem Präsident Mauricio Macri das Mediengesetz seiner Vorgängerin Cristina F. Kirchner wieder zunichte machte.

Die Initiativen Lulas, Kirchners und Rafael Correas in Ecuador entfesselten den sofortigen und hanebüchenen Kreuzzug des interamerikanischen Zeitungsverlegerverbandes SIP, mit Hauptquartier im US-amerikanischen Miami. Die Mediengesetze – die auf die Demokratisierung des Marktes, und in keiner Weise auf Inhaltskontrolle abzielten – wurden als vermeintliche „Staatszensur und Bedrohung der Unternehmensfreiheit“ diffamiert und die Mitte-links-Regierungen als “potentielle Diktaturen” beschimpft. In Brasilien wüteten Veja und TV Globo in vorderster Front gegen die geplante Regulierung des Medienmarktes.

Die eingeschüchterte Regierung Lula zog ihre Gesetzesvorlage schweigend zurück.

Jedoch, Ende Dezember 2010, überreichte Martins eine Neufassung seiner Initiative der frisch gewählten Staatspräsidentin Dilma Rousseff, die nicht ihn, sondern den Parteikollegen Paulo Bernardo zum Nachfolger für das Medienressort auszuwählen vorzog.

Vergebens! Auch von einer Neuordnung des Medienmarktes wollte die geübte Wirtschaftswissenschaftlerin nichts wissen. Minister Paulo Bernardo versprach “über die Sache nachzudenken”, was in Brasilien in der Regel ein Euphemismus ist für “in der Schublade schmoren lassen”.

Und so kam es zum Ansturm.

Die privaten brasilianischen Medienunternehmen agieren wie die eigentlichen Organisatoren der Massenproteste und als Öffentlichkeits-Beauftragte der Oppositionsparteien”, schrieb der US-Amerikaner Glenn Greenwald, bekannt für die Veröffentlichung von Edward Snowdens NSA-Protokollen (Brazil Is Engulfed by Ruling Class Corruption — and a Dangerous Subversion of Democracy, The Intercept, 18.03.2016).

Über Jahre hinweg wurde der Sturz Dilma Rousseffs von den beherrschenden Landesmedien betrieben und bleibt ihr Triumph.

“Ich denke jetzt, dass dafür ein hoher Preis gezahlt wird”, seufzte Minister a.D. Franklin Martins kürzlich in einer Mediendebatte unabhängiger Blogger, und bedauerte die Ängstlichkeit seiner ehemaligen Chefs: “Selbstverständlich, waren die Bedingungen dafür günstig, die Debatte reifte heran”.

Martins behielt recht. So unbarmherzig es klingen mag:
Mit ihrer Unentschlossenheit und Ängstlichkeit, insbesondere der Vernachlässigung eigener und der Förderung alternativer Medienangebote, verhielten sich die Regierungen der Arbeiterpartei als ihre eigenen medialen und politischen Totengeräber.

P.S.: Nach Abschluss der Redaktion schickte Frederico Füllgraf noch den Link auf einen einschlägigen Kommentar seines Kollegen Paulo Henrique Amorim über den Medienkonzern Globo in einer Sendung von Al Jazeera.


[«*] Zum Autor: Kurzbiographie

Aktualisierung: 2015 wurde Frederico Füllgraf mit einem Preis der Vereinigung der Auslandskorrespondenten in Chile (Asociaci[on de Corresponsales de la Prensa Extranjera en Chile – für seine investigative Reportage „Los 19 de Laja“ – Die 19 von Laja“ – Os 19 de Laja: CMPC-Celulose Riograndense é acusada​…) über die Erschießung von 19 Allende-Anhängern durch die Pinochet-Diktatur ausgezeichnet, in deren Mittelpunkt die chilenische Mega-Papierfabik CMPC steht, die auch Filialen in Brasilien betreibt.