„Die Zahlentrickser“ – oder wie der Statistikprofessor Gerd Bosbach Lobbyisten und Andere beim Produzieren von „Fake-News“ erwischt hat

Ein Artikel von Thomas Trares

Wenn heutzutage in den Medien von „Fake-News“ die Rede ist, dann meist im Zusammenhang mit russischen Hackern, US-Präsident Donald Trump oder Nordkoreas Diktator Kim Jong-un. Selten hört man jedoch etwas vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), der arbeitgebernahen Denkfabrik Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), der Bundesanstalt für Arbeit (BA), dem Meinungsforschungsinstitut Forsa oder dem International Institute for Strategic Studies (IISS). All diese Adressen sind aber dem Koblenzer Statistikprofessor Gerd Bosbach in den vergangenen Jahren beim Produzieren von „Fake-News“ aufgefallen und haben es deswegen in sein neues Buch „Die Zahlentrickser – Das Märchen von den aussterbenden Deutschen und andere Statistiklügen“ geschafft. Ko-Autor ist der Historiker und Politologe Jens Jürgen Korff, der im Wesentlichen die Kapitel zum Klimawandel und zur Automobillobby beigesteuert hat. Das Anliegen der Beiden ist es, „Zahlentrickser“ in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zu entlarven und den Leser für deren Methoden, Tricks und Kniffe sowie die dahinterliegenden Interessen zu sensibilisieren. Eine Rezension von Thomas Trares [*]

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Die „Pro-TTIP-Lüge“

Viele dieser Tricksereien dürften uns allen schon einmal irgendwo begegnet sein. Ein prominentes Beispiel ist die „Pro-TTIP-Lüge“ von BDI und INSM. Auf dem Höhepunkt der Debatte um das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP erklärten die beiden Arbeitgeberorganisationen, dass die Wirtschaft Europas durch TTIP pro Jahr um 119 Milliarden Euro wachsen wird. Für jeden Vier-Personen-Haushalt ergebe sich dadurch ein zusätzliches Einkommen von 545 Euro jährlich. Die Zahlen waren maßlos übertrieben. Sie stammten aus dem Extremszenario einer Studie, die die EU-Kommission in Auftrag gegeben hatte. BDI und INSM hatten dies jedoch als gesicherte Prognose verkauft. (S.84f)

Eine weitere prominente Behauptung ist die, dass jeder siebte Arbeitsplatz in Deutschland direkt oder indirekt von der Automobilindustrie abhänge. Tatsächlich gibt es in der Automobilbranche einschließlich Zulieferbetriebe und Werkstätten rund 775.000 Arbeitsplätze. Bei 42 Millionen Erwerbstätigen ist dies lediglich jeder 55. Arbeitsplatz. Wem also nützt es, die wirtschaftliche Bedeutung der Automobilindustrie derart zu übertreiben? (S.179ff)

Auf solche und ähnliche Fragen wollen Bosbach und Korff dem Leser eine Antwort geben. Angefangen haben sie damit bereits 2011. Damals erschien ihr Buch „Lügen mit Zahlen“, in dem sie die gängigen Methoden der Manipulation offenlegten: Langzeitprognosen als künftige Wirklichkeit verkaufen, Gaga-Rankings erstellen, vorsortierte Stichproben, das Basisjahr geschickt auswählen, Grafiken kreativ gestalten, hohe absolute Zahlen produzieren – die Methoden der Manipulation sind mannigfaltig. In ihrem neuen Buch „Die Zahlentrickser“ nehmen sich Bosbach und Korff nun jene Themengebiete vor, in denen besonders gern getrickst wird. Dazu zählen der demografische Wandel, die Arbeitsmarktstatistik, der Fachkräftemangel, die Messung von Armut und Reichtum oder aber die Bereiche Rüstung, Klimawandel und Europäische Union (EU).

Der Behördenchef und Bataillonskommandeur Weise

Besonders gelungen sind etwa die Ausführungen zum Arbeitsmarkt, neben der Demografie eines der Steckenpferde von Gerd Bosbach. Dass die offiziellen Arbeitslosenzahlen künstlich runtergerechnet werden, ist ja schon längst kein Geheimnis mehr. Weniger bekannt dürfte vielen aber die Rolle des früheren BA-Chefs Frank-Jürgen Weise sein. Dieser ist laut Bosbach nicht nur für das Schönfärben der Arbeitslosenzahlen verantwortlich, sondern hatte auch beim Herbeireden des Fachkräftemangels seine Finger im Spiel. Unter anderem prognostizierte er für die deutsche Wirtschaft eine Arbeitskräftelücke von sechs Millionen bis sieben Millionen Personen, was sich im Nachhinein als komplett haltlos herausstellte.

Bosbach fällt in diesem Zusammenhang ein hartes Urteil:

„Das Ergebnis einer theoretischen Modellrechnung zu veröffentlichen, ist an sich keine Lüge. Zur Lüge wurde die Weise-Zahl als Weise und seine publizistischen Unterstützer diese Zahl ohne die zugrundeliegenden Annahmen als realistische Prognose für die deutsche Zukunft veröffentlichten und dazu benutzten, eine politische Droh- und Druckkulisse aufzubauen.“ (S.145)

Interessant in diesem Zusammenhang ist auch Weises Biografie. Dieser war vor seiner Zeit bei der BA bei der Bundeswehr zum Bataillonskommandeur der Reserve aufgestiegen und obendrein Manager in mehreren Industrieunternehmen. Spätestens aber seit seiner Berufung an die Spitze des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge galt er als „Merkels Allzweckwaffe“. Hierzu schreibt Bosbach:

„Und ich möchte aus meinen Erfahrungen in Bundesbehörden und Ministerien ergänzen: Menschen, die die Wünsche der Führungsspitze und Regierenden erfüllen, ohne dass diese ausgesprochen werden müssen, werden sehr gerne in Leitungspositionen gebracht. Und dazu dürften 12 Jahre Anpassung und Unterordnung in der Armee sehr hilfreich sein.“ (S.146f)

Die Tricksereien bei Forsa und dem Statistischen Bundesamt

Neben Weise sind auch noch Forsa-Chef Manfred Güllner und der frühere Präsident des Statistischen Bundesamtes, Robert Egeler, als Zahlentrickser und Faktenverdreher aufgefallen. Güllner hatte im Sommer 2015 durch eine äußerst einseitige Auswahl von Antwortoptionen Umfragen zum Thema Griechenland derart frisiert, dass dabei die Schlagzeile „Merkels Griechenland-Politik gefällt vielen Grünen-Anhängern“ herauskam. Damals war gerade die Griechenlandkrise auf ihrem Höhepunkt, in der Merkel aufgrund ihres strengen Austeritätskurses stark in der Kritik stand. (S.95ff)

Egeler hingegen erklärte auf einer Pressekonferenz im April 2015, dass das Erwerbspersonenpotenzial in Deutschland bis 2060 um 30 Prozent schrumpfen wird. Ein demografisches Horrorszenario, das in den Medien auf entsprechenden Widerhall stieß. Bosbach hingegen rechnete noch einmal nach und kam auf einen Rückgang von lediglich 0,28 Prozent pro Jahr. „Eine an sich harmlose Veränderung haben Robert Egeler und andere unter Nutzung dreier Rechentricks zu einem Monster aufgeblasen und somit künstlich eine Dramatik erzeugt“, erklärte Bosbach hierzu. (S.112)

Gute Ergänzung zu den „NachDenkSeiten“

Beispiele dieser Art finden sich in dem Buch etliche, und einige davon dürften regelmäßigen „NachDenkSeiten“-Lesern in irgendeiner Form bekannt vorkommen, da über viele dieser Themen auch schon auf dieser Website berichtet wurde. Insofern kann man Bosbachs Buch auch als eine gute Ergänzung zu den „NachDenkSeiten“ betrachten, da es Vieles, was hier schon gesagt wurde, noch einmal systematisch aufbereitet und somit dabei hilft, die Methoden der Desinformation und Manipulation besser zu erkennen.

Doch Vorsicht! Bei aller Aufklärungsarbeit kann der Schuss auch mal nach hinten losgehen. Wie Bosbach auch berichtete, hatte ein Techniker-Newsletter das Vorgängerbuch „Lügen mit Zahlen“ seinen Abonnenten, zumeist Führungskräfte aus dem Technik-Bereich, zur Lektüre empfohlen. Sie sollten Methoden kennenlernen, mit denen man Kennzahlen gut frisieren kann.

[«*] Thomas Trares ist Diplom-Volkswirt. Studiert hat er an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Danach war er Redakteur bei der Nachrichtenagentur vwd. Seit über zehn Jahren arbeitet er als freier Wirtschaftsjournalist in Berlin.

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