Salonlinke in die Produktion!

Jens Berger
Ein Artikel von:

Gerade wenn man denkt, der unselige innerlinke Grabenkampf zur Einwanderungspolitik sei an seinem Tiefpunkt angekommen, legt das Neue Deutschland noch einmal eine neue Schippe im Niveaulimbo auf. Diesmal schlägt ND-Redakteur Robert Meyer wortstark und argumentationsschwach um sich und klärt die Leser des ehemaligen Zentralorgans der Regierungspartei des Arbeiter- und Bauernstaates auf, dass es so etwas wie eine „deutsche Arbeiterklasse“ doch überhaupt nicht gibt. Stattdessen führt Meyer eine globale „Klasse der Besitzlosen“ ins Feld. Und wer bei der Einwanderungsdebatte die gesonderten Interessen der deutschen Arbeiter heraushebe, argumentierte auf „zweiter Ebene“ rassistisch – so wie Sahra Wagenknecht. Es ist zum Haare raufen. Kennen Salonlinke wie Meyer Arbeiter wirklich nur aus TV-Dokus? Oder ist auch dies nur ein hilfloser Versuch, eine politische Alternative links der „radikalen Mitte“ durch dümmliche politisch-korrekte Phrasen zu desavouieren? Von Jens Berger

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Robert Meyer hat sich einen launigen Rahmen für seine Ausführungen herausgesucht. Bereits in der Einleitung stellt er seinen Lesern folgenden Satz vor: „Sozialstaat und unbegrenzte Zuwanderung funktioniert nicht zusammen“. Anhand dieser Aussage, die er als rassistisch einstuft, stellt er dann fest, dass sie theoretisch ja von den Spitzenvertretern sämtlicher im Bundestag vertretenen Parteien stammen könnte. Ei der Daus! Sahra Wagenknecht sagt zur Zuwanderung potentiell dasselbe wie Alexander Gauland? Das kann man in diesem konkreten Fall nur hoffen, da diese Aussage, die übrigens von Jens Spahn stammt, eine Binse ist. Natürlich würde der Sozialstaat unter einer unbegrenzten Zuwanderung leiden. Und dass es vor allem die sozial Schwachen sind, die bei den gegebenen Verhältnissen am meisten zu leiden hätten, sollte vor allem innerhalb der politischen Linken eigentlich unumstritten sein. Die NachDenkSeiten hatten diesen Zusammenhang schon zu Beginn der aktuellen „Flüchtlingsdebatte“ sehr klar formuliert.

Um was es ihm eigentlich konkret geht, lässt Meyer lieber außen vor. Er stiftet lieber Verwirrung, indem er ein Zitat zur generellen Zuwanderung mit der unseligen Debatte um die „Obergrenze“ für Flüchtlinge in einen Topf wirft, um dann selbstgerecht festzustellen, man solle doch lieber „möglichst vielen Menschen helfen“. Da hat der gute Robert es den bösen Andersdenkenden aber gezeigt. Doch was soll das Ganze? Meyer wirft Zuwanderung und Flüchtlingsthematik in einen Topf, gibt ein paar Prisen Selbstgerechtigkeit hinzu, rührt kräftig um und fertig ist der Debattenbrei. Doch so einfach sollte man ihn damit nicht wegkommen lassen. Drehen wir das Spiel doch einmal um.

Von welchem Politiker stammt der Vorschlag, man solle bei Einwanderungswilligen nach einem Jahr eine Prüfung der Integrationserfolge vornehmen und dann entscheiden, ob eine Aufenthaltsgenehmigung erteilt wird oder ob der Einwanderungswillige wieder abgeschoben wird? Wahrscheinlich würden Meyer und Co. nun etwas von „purem, neoliberalem Nützlichkeitsrassismus“ fabulieren und überlegen, welchem CSU- oder AfD-Politiker man dieses Zitat zuschreiben könnte. Doch oh Wunder, dieses Zitat stammt von niemand anderem als Katja Kipping und fiel bei einer Rede zur Integrationspolitik beim DIW vor wenigen Wochen (ab 25:20). Dieser Gedanke, der offenbar aus einem Entwurf stammt, der nun bei der Konferenz der Fraktionsvorsitzenden aller Landtagsfraktionen der Linkspartei liegt, ist ja auch keinesfalls falsch; unverständlich ist nur, dass Soziologen, Philosophen und Journalisten im Neuen Deutschland und der taz bei solchen Zitaten immer wieder Sahra Wagenknecht in die Nähe der AfD rücken, während ihr Darling Katja völlig „ungestraft“ die rosarote Echokammer des Berliner juste milieu verlassen darf. Offenbar geht es gar nicht um die Einwanderungsdebatte, sondern um die Machtfrage innerhalb der Linkspartei.

Abseits der Grabenkämpfe stellen sich hier jedoch noch weitere Fragen zum Aufsatz von Meyer, die ein unbequemes Bild auf die Geistes- und Gefühlswelt einer selbstgefälligen linken Intelligenzija wirft, die sich in den Szenevierteln Berlins eingenistet hat und die Bodenhaftung schon lange verloren hat. Dies wird beispielsweise bei Meyers Feststellung deutlich, es gebe doch gar keine „deutsche Arbeiterklasse mehr“; er spricht stattdessen lieber von einer globalen Klasse der Besitzlosen. Dieser geistige Kurzschluss ist an Arroganz kaum zu übertreffen. Sicher für einen ND-Redakteur, der wahrscheinlich allem Weltlichen abgeschworen hat, in einer überfüllten WG in Kreuzberg wohnt, mit Gleichgesinnten im Biomarkt vegane Leckereien kauft und ökologisch korrekt mit dem schicken Rennrad durch die Stadt fährt, mag das kleine Glück der VW-Bandarbeiter, Dachdeckergesellen oder Krankenschwestern „spießig“ wirken. Ihr langweiliges Reihenhaus, ihre ökologisch verheerende Familienkutsche und dann auch noch der sinnlose Kugelgrill, mit dem diese Menschen Leichenteile von Kühen rösten …. nein, so was geht ja gar nicht. Als Strafe droht diesen Menschen, die laut Meyer bereits den „Geist der Konkurrenz-, Nützlichkeits-, und Verwertungslogik atmen“, dann auch eine Eingruppierung in die „Klasse“ der Besitzlosen. Überflüssig zu erwähnen, dass die betroffenen Menschen über Meyer und seine ulkige Klassenlogik noch nicht einmal lachen würden.

Da ist er wieder – der vielleicht unüberbrückbare Gegensatz zwischen den „Gefühlslinken“ des urbanen Bildungsbürgertums und der klassischen Linken mit ihren Wurzeln in der Arbeiterbewegung, die einander nicht mehr verstehen. Dabei wäre es doch eigentlich ganz einfach, da ein wenig Nachhilfe zu betreiben. Getreu dem RTL-Erfolgsmotto könnten das Neue Deutschland und die taz doch einen „Intellektuellentausch“ veranstalten. Stephan Lessenich darf dann zwei Wochen als Müllwerker in Frankfurt/Oder Erfahrungen sammeln, Thomas Seibert kann seine empirischen Grundlagen als Maurer in Gelsenkirchen auf dem Bau erweitern und für Robert Meyer könnte sich ein Praktikum in der Produktion bei Salzgitter Stahl anbieten, wo er auch gleich einmal recherchieren kann, warum 5.000 Flüchtlinge auf 100.000 Einwohner für eine klassische Arbeiterstadt vielleicht doch ein Problem darstellen könnten. Und wenn die Salonlinken ein wenig Empathie für ihre Mitmenschen ohne Abitur, WG-Zimmer und Rennrad entwickeln, die außerhalb der Echokammer Berlin leben, dann kann die politische Linke auch endlich mit der eigentlichen Debatte anfangen. Vorher macht das wohl keinen Sinn.