„Putins Puppen“ – ein Sturm im Wodkaglas

„Putins Puppen“ – ein Sturm im Wodkaglas

„Putins Puppen“ – ein Sturm im Wodkaglas

Jens Berger
Ein Artikel von: Jens Berger

„Putins Puppen“ – so titelt die aktuelle SPIEGEL-Ausgabe, illustriert von einem Puppenspieler, der die AfD wie eine Marionette steuert. Das ist seltsam, da die achtseitige Titelstory diese Deutung noch nicht einmal im Ansatz deckt. Erzählt wird dort vielmehr, wie ein einziger AfD-Mann ohne großen Erfolg die Nähe Russlands sucht. Wie man daraus eine wie auch immer geartete Steuerung der AfD „durch Putin“ machen kann, ist absolut schleierhaft. Genau so schleierhaft wie das Potpourri an „doppelten Standards“, das der SPIEGEL einmal mehr vorexerziert. Wenn es noch eines Belegs für den fortschreitenden Niedergang des Journalismus bedarf – der aktuelle SPIEGEL dürfte sämtliche Anforderungen dafür mühelos erfüllen. Von Jens Berger.

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Man kennt diesen Effekt von Fertiggerichten aus der Dose. Was einem aufgepeppt durch ein kunstvolles Symbolfoto vom Handel als Delikatesse von Weltrang verkauft wird, stellt sich zu Hause nach dem Öffnen der Dose dann als ungenießbare fade Masse mit unspezifischer Konsistenz heraus. So gesehen ist auch der aktuelle SPIEGEL ein journalistisches Fertiggericht aus der Dose. Während das Symbolfoto saftige Beweise oder doch zumindest würzige Belege für eine Steuerung der AfD durch den Kreml verspricht, enthält der Inhalt lediglich die fade Posse eines einzelnen AfD-Abgeordneten, der die Nähe rechter Netzwerke in Russland und auch der russischen Regierung suchte. Die nahm dies wohl zur Kenntnis, ging aber in keinem Punkt auf die Wünsche der AfD-Manns ein. Ein Sturm im Wodkaglas, der in besseren SPIEGEL-Zeiten vielleicht ein paar Zeilen in der Rubrik „Was sonst so geschah“ bekommen hätte.

Doch die „besseren“ Zeiten sind beim SPIEGEL schon lange vorbei. Anstatt investigativen Journalismus zu betreiben, spielt das einstige Nachrichtenmagazin heute vor allem zwischen den Zeilen mit den Suggestionen der Leser. Da wird immer wieder von Einflussnahme, Manipulation oder gar Wahlbeeinflussung gesprochen, ohne dies näher auszuführen. Überschriften und Bilder erwecken den Eindruck einer „von Russland gekauften Partei“ – Belege dafür bleibt der ellenlange Artikel jedoch schuldig.

Eine Randnotiz wird zur Titelstory aufgebläht

Wenn für eine Titelgeschichte ganze zehn SPIEGEL-Redakteure verantwortlich zeichnen und für die „Recherche“ gar ein internationaler Verbund mit dem ZDF, der BBC und der italienischen „La Repubblica“ gebildet wurde, liegt die Messlatte natürlich hoch. Umso erstaunlicher ist, wie wenig inhaltliche Tiefe diese Story hat. Dass der AfD-Abgeordnete Markus Frohnmaier, um den es in der Titelgeschichte einzig und alleine geht, offene Sympathien für Russland hegt, ist nicht neu. Die Kernerkenntnis der SPIEGEL-Geschichte ist nun, dass Frohnmaier sich mehrfach intensiv bei den Russen ins Gespräch gebracht hat und offenbar – er selbst bestreitet dies – auch Unterstützung erbeten hat. Dies erwähnt der SPIEGEL gleich mehrfach.

Jedoch schweigen die zehn SPIEGEL-Autoren an der entscheidenden Stelle – nirgends steht nämlich, dass offizielle oder inoffizielle Stellen diesen Wünschen stattgegeben hätten. Und spätestens hier stellt die große Story sich als großer Flop heraus. Zumal die Metastory eines russlandbegeisterten AfD-Abgeordneten, der vom Kreml Jobs für sein Umfeld und Wahlkampfunterstützung für sich selbst fordert, aber in beiden Punkten abblitzt, es natürlich auf keine Titelseite brächte. Aus der Randnotiz konnte nur dadurch eine Titelstory werden, wenn man gnadenlos doppelte Standards ansetzt und selbst genau die Vorgehensweise an den Tag legt, die man an anderer Stelle kritisiert.

Doppelter Standard: Russische und britische Hacker

Das Anlegen doppelter Standards fängt dabei schon beim Zustandekommen der Geschichte an. Wie der SPIEGEL selbst eingesteht, bekam man die Dokumente vom „Dossier Center“ des im britischen Exil lebenden russischen Oligarchen Chodorkowski, der nach eigenen Angaben in Russland eine „Revolution“ anstacheln will. Sein „Dossier Center“ soll geleakte und gehackte Informationen in Umlauf bringen, die gezielt „Putin und seinem Umfeld schaden“ . Unklar ist dabei, woher Chodorkowskis Plattform die Dokumente bekommt. Im aktuellen Fall liegt der Verdacht nahe, dass die Dokumente aus einem Hack stammen, der offenbar aus dem Umfeld des britischen Nachrichtendienstes GCHQ kommt. Es wurden zwei große Datenquellen ausgewertet – einmal ein „Konvolut“ aus 4.436 Mails aus der russischen Präsidialverwaltung und ein offenbar gehackter privater Mail-Account eines russischen Diplomaten mit mehr als 10.000 Mails, die offenbar in Teilen auch beruflicher Natur waren.

Wer hier die Parallelen zu „Russiagate“ nicht sieht, muss blind sein. Bei „Russiagate“ waren es angeblich russische Hacker aus dem Umfeld staatlicher Dienste, die massenweise Mails von Personen aus dem Umfeld der Präsidentschaftskandidatin Clinton via Wikileaks veröffentlicht haben sollen, die jedoch – anders als die „Frohnmaier-Leaks“ des SPIEGEL – tatsächlich massive Verfehlungen offenlegten. Nun ist jedoch schon fast grotesk, dass ausgerechnet der SPIEGEL, der bei „Russiagate“ stets die Position vertreten hat, dass derartige „Leaks“ aus Quellen vermeintlich staatsnaher Hacker eine unerlaubte Einflussnahme auf demokratische Entscheidungen und sogar eine „Manipulation der Wahlen“ sind, nun seinerseits „Leaks“ nutzt, die ziemlich sicher von Hackern stammen, die einem Drittstaat nahestehen und über eine Plattform veröffentlicht wurden, die – anders als Wikileaks – sogar klare Umsturzpläne auf ihrer Agenda hat. Deutlicher kann man den eigenen Lesern nicht mitteilen, dass man sich selbst nicht an das eigene „Geschwätz“ von gestern hält und einem die Wahrheit im Grund vollkommen egal ist. Das ist kein Journalismus, das ist Propaganda, die ihre Argumentation wie das Fähnchen im Wind ändert und keine Grundwerte hat.

Doppelter Standard: Russischer und amerikanischer Einfluss

Nun kann man die diplomatische Vertretung Russlands ja durchaus dafür kritisieren, dass die dem offenen Werben Frohmaiers zumindest insofern stattgegeben hat, dass er als Bundestagsabgeordneter auf einzelnen unbedeutenden Veranstaltungen in Russland eingeladen wurde. So was würden die USA ja niemals tun! Oder? Pustekuchen! Anfang 2018 nahm der AfD-Abgeordnete Volker Münz beispielsweise an einem „Gebetsfrühstück“ bei Donald Trump höchstpersönlich teil und führte danach Gespräche mit Kongressabgeordneten und Senatoren. Ein paar Wochen später traf sich Fraktionschefin Alice Weidel mit Trumps ehemaligen Chefideologen Steven Bannon zur gemeinsamen Strategie-Besprechung. Im Sommer 2018 unternahmen dann die Abgeordneten Hampel und Kestner eine offizielle Dienstreise des Bundestages nach Washington und ließen sich dort im Außen- und Verteidigungsministerium und bei der Rand-Corporation transatlantisch einschwören. Warum keine Titelstory, die der AfD eine Beeinflussung durch die US-Politik unterstellt?

Die Antwort ist klar. Vor allem bei den Regierungsparteien, der FDP und den Grünen gibt es unzählige Spitzenkräfte, die direkt oder indirekt Mitglied transatlantischer Vereinigungen sind, deren Ziel ganz offen in der Wahrnehmung amerikanischer Interessen in der deutschen Politik besteht. Doch während der SPIEGEL mit unglaublichem personellen und materiellen Aufwand einen AfD-Mann zu „Putins Puppe“ machen will, wartet man vergeblich auf die Titelstory, die Politikern wie Norbert Röttgen (CDU), Sigmar Gabriel (SPD), Omid Nouripour (Grüne), Alexander Graf Lambsdorff (FDP) oder Stefan Liebich (Die Linke) nun vorwirft, „Trumps Puppen“ zu sein. Hätte der Rechtsaußen Frohnmaier sich bei der US-Botschaft aufgedrängt und ein amerikanisches Think Tank um Unterstützung gebeten, wäre dies vom SPIEGEL vielleicht sogar als Ausweis für die „Reife“ der AfD interpretiert worden. Skandalisiert hätte man dies jedenfalls ganz sicher nicht.

Doppelter Standard: Regeln gelten nur für Russland, aber nicht für uns

Wenn die Konrad Adenauer Stiftung den ukrainischen Politiker Vitali Klitschko mit deutschen Steuergeldern offen unterstützt, ist dies für den SPIEGEL kein Problem – und dass Angela Merkel sowie ihr gesamter außenpolitischer Stab sich offen in die innerstaatlichen Belange der Ukraine und in die dortigen Wahlen einmischten, ebenfalls nicht. Und dass die USA seinerzeit mit allen Mitteln den russischen Politiker Boris Jelzin zu „ihrem“ Präsidenten gemacht haben, scheint hierzulande auch niemanden so richtig zu stören.

Aber man muss gar nicht so hoch ansetzen – schließlich spielt sich der Bezugsfall Frohnmaier ja auch eher auf unterer Ebene ab und der Gedanke, dass Russland die AfD an die Macht putschen will, entspringt ohnehin eher dem Relotius-Gedächtnis-Storyboard des SPIEGEL. Auch das Auswärtige Amt lädt mehrfach pro Jahr junge, aufstrebende Oppositionelle aus Ländern, in denen der Westen „Aufholbedarf“ hat, zu „Kreativworkshops“ und ähnlichen Veranstaltungen nach Berlin ein. Ich selbst war früher häufiger Referent bei solchen Veranstaltungen. Und natürlich werden dort vom Auswärtigen Amt auch Kontakte geknüpft, die man später politisch nutzen will. Im Ausland wird diese Rolle auch gerne von den parteinahen Stiftungen übernommen. Und dass Diplomaten im Ausland selbstverständlich Kontakt zu Oppositionspolitkern pflegen, über sie Dossiers anlegen und auf Kandidaten achten, die perspektivisch für deutsche Interessen nützlich sein könnten, ist ebenfalls selbstverständlich und überhaupt nichts Besonderes.

Umso unverständlicher ist es, dass SPIEGEL und Co. es immer wieder schaffen, derart harmlose Vorgänge dann zu skandalisieren, wenn es sich um die Handlungen Russlands dreht. Offenbar gelten für uns und den Wertewesten in den Augen des SPIEGEL grundsätzlich andere Regeln als für Russland.

Der Feind meines Feindes …

Auch abseits der eigentlichen „Geschichte“ erfüllt die Titelstory des aktuellen SPIEGEL alle Merkmale eines ziemlich üblen Propagandastücks. Ginge es dabei nicht auch gegen die AfD, würde es sicher auch seitens der Progressiven schon Protestbriefe hageln. Ein Beispiel? „Das Verhältnis zu Russland sollte uns immer eine sorgfältige Pflege wert sein“ … an diesem Zitat ist sicherlich nichts auszusetzen und es könnte auch von Angela Merkel oder Sigmar Gabriel stammen. Tut es aber nicht und da es von Alexander Gauland stammt, muss es im SPIEGEL-Artikel auch gleich als Beleg für eine „außenpolitische Rückkehr in die Ära Preußens“ ausgelegt werden. Dafür darf Gauland sich dann auch auf einer Fotomontage wiederfinden, die ihn Seit´ an Seit´ mit dem rechtsextremen russischen Mystiker Alexander Dugin zeigt, der mit Putin nebenbei bemerkt ungefähr so viel zu schaffen hat, wie Götz Kubitschek mit Angela Merkel.

Nun ist die AfD eine fürchterliche völkische Partei und Alexander Gauland ist ein ausgemachter Unsympath – die AfD aber ohne jeglichen Beleg als „Putins Puppen“ darzustellen, ist Unsinn und Gauland mit Dugin zu vergleichen, ist in etwa so seriös wie die Bilder aus der polnischen Springer-Presse, die Angela Merkel als Hitler-Reinkarnation zeichnen. Anstatt – was ja nun weiß Gott nicht gerade schwer ist – die AfD inhaltlich zu stellen, blödelt man lieber herum, als sei man ein Troll im Heise-Forum. Auf diesem Niveau ist das einstige „Bollwerk der Demokratie“ also angekommen.

Gefährlich ist dabei auch, dass der SPIEGEL mit derlei billiger Propaganda nicht nur sich selbst schadet – das ist vielmehr die logische und gerechte Strafe -, sondern, dass er der AfD damit am Ende des Tages sogar hilft. Denn wenn die AfD in der Öffentlichkeit wegen derartiger Stories zwischen den Zeilen tatsächlich als einzige Stimme für eine Entspannungspolitik gegenüber Russland wahrgenommen werden sollte, schwächt das die AfD nicht, sondern es stärkt sie. Das nimmt der SPIEGEL offenbar wohlwollend in Kauf.

Titelbild: kudla/shutterstock.com