Zwei alte Hasen von der SPD im E-Mail-Austausch. Interessant. Zur Ernüchterung.

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Klaus Ulrich Spiegel, früher einmal Mitglied der SPD und wohl immer noch Sozialdemokrat, hat eine Rundmail an Freundinnen und Freunde geschrieben (1.) Er stellt ziemlich nüchterne Fragen, zum Beispiel nach der Korrektheit des Nominierungsverfahrens und nach der friedenspolitischen Position der beiden nominierten Personen. Wörtlich: „Von Außen- und Militär wie auch Waffen- (= sog. “Sicherheits-“) Politik habe ich noch kein Wort vernommen.“ – Ihm antwortet Hans Bleibinhaus mit einer pessimistischen Prognose: „Sie werden scheitern“. Das schreibt er nicht aus Lust am Untergang. Er betrachtet die innerparteiliche Konstellation nüchtern. Er tut das auf der Basis eigener Erfahrungen mit den Rechten in der SPD. Albrecht Müller.

Kurz zum Hintergrund: Hans Bleibinhaus, der schon des Öfteren als Autor für die NachDenkSeiten tätig war, gehörte schon 1963 zur SPD, als er mich zum Eintritt ermunterte. Er war in den siebziger Jahren Schatzmeister der Münchner SPD und einer der Sprecher des linken Flügels. Damals hatte er üble Attacken der Rechten in der SPD auszuhalten. Seine Einschätzung von der aktuellen, kritischen Lage der beiden für den Vorsitz nominierten Personen ist geprägt von diesen seinen Erfahrungen mit den Seeheimern und ihren Vorgängern.

1. Klaus Ulrich Spiegel
Übrigens, Ihr Lieben:

Ihr bemerkt, dass und wie mich das Ergebnis der sog. Basisvotum-Abstimmungstour der SPD beschäftigt.

Einerseits entsetzt mich (und zorn-motiviert zugleich) das unsägliche Konzern- & ÖR-Medien-Echo, dass inzwischen so wenig objektiv gewandete Zurückhaltung mehr dazu aufweist, was in Staatsverträgen und Selbstverständnispapieren der Medienhäuser vorgegeben wäre – bis dahin, dass es sich in Herablassung, Hohn & Spott ausagiert, wie zuvor u.a. bei Thaddäusz und u.a. danach letzten Sonntagabend bei “Anne Will”, von den Prints nicht zu reden …

Andererseits empfinde ich euphorische Reaktionen aus linken und/oder radikaldemokratischen Kreisen, denen ich mich zurechne, als völlig verfrüht.

Man spricht und schreibt und liest fortwährend von “Wahl der neuen Parteiführung”. Es war aber ein Akt der Nominierung, den bisher – also in über 70 Jahren – auf Vorschlag des 9-Köpfe-Parteipräsidiums stets der Parteivorstand als sein Vorrecht realisiert hat und  mit der einen einzigen Ausnahme = der Wahl von Oskar zum Parteivorsitzenden auf Nominierung aus dem Parteitag (eigentlich der bisher einzigen wirklich demokratischen Vorsitzenden-Wahl) problemlos durchsetzen konnte.

Also eine Nominierung. Um sie überhaupt zur Wahl stellen zu können, muss nachträglich für die bisher satzungswidrig vollzogene Kandidatenfindung erstmal eine Satzungsgrundlage geschaffen werden. Das heißt: Erstmal muss der Parteitag die geltende Parteisatzung ändern und eine Führungsduo-Wahl überhaupt ermöglichen. Dies obwohl nach seit jeher geltender Rechtslage eine so vollzogene Satzungsänderung immer erst auf dem darauf folgenden späteren Parteitag praktische Anwendung finden kann. Die notwendige Satzungsänderung diesmal ist also mit einem möglichen weiteren Rechtsbruch verbunden, kann somit aus rein formalen Gründen auf dem Rechtsweg angefochten werden.

Und weiter: Die Satzungsänderung kann nur mit einer Zweidrittelmehrheit erfolgen. Wer sie obstruieren will (ich sähe da so einige), braucht nur eine 34%-Minderheit der Delegierten –  soviele Mandatsbewahrer & Kanalarbeiter sitzen allemal auf Delegiertenplätzen – zur Stimmenthaltung zu organisieren, und die angeblich bereits vollzogene Wahl einer neuen Doppelspitze ist beim Teufel.

Sind solche Umstände bedacht worden? Zieht sie jemand in Betracht?

Für mich, der all die Vorschuss-Begeisterung für äußerst labil, jedenfalls ungesichert ansieht, stellen sich weitere = inhaltliche Fragen.

Klar, die sozialen & ökonomischen Positionen der beiden Kandidaten mache ich mir im Sinne u.a. der aktuellen Kommenierung von Heribert Prantl zu eigen. Nur: Von Außen- und Militär wie auch Waffen- (= sog. “Sicherheits-“)Politik habe ich noch kein Wort vernommen. Bleiben die NATO-Begeisterungs-Haushaltssteigerungen unangetastet? Wird es weiterhin Kriegseinsätze der sog. Verteidigungs-Armee Bundeswehr geben? Erhält sich die Russophobie- und Sanktions-Politik im Verbund mit EU & NATO? Wird weiterhin mit Erdogan poussiert? Bleibt es bei der Trump/Pompeo/Netanyahu-Gefolgschaft? Und bei den Maas’schen Befürwortungs-/Unterstützungs-Optionen für faschistische Putschisten? Setzt eine internationalistische Solidarität mit verelendeten, aber auch mit sozialreformerisch kämpfenden Staaten ein? — Solche Fragen, nur mal in Auswahl.

Bevor ich also einen Wiedereintritt zur bisher neoliberal & kriegsbereit aufgestellten Schröder/Steinmeier/Scholz-SPD auch nur in Erwägung ziehen könnte, müssen doch erstmal die Grundlagen – nein, nicht nur geklärt, sondern auch: beschlussmäßig-programmatisch umgesetzt sein. Godesberg als Minimum. Und Willy Brandts Friedenspolitik. Oder?

Eure Meinung zu all dem täte mich sehr interessieren.

Wer immer das kann und mag, würde/könnte/sollte eine Diskurs-Basis zum Austausch darüber und mehr ermöglichen, vielleicht schaffen.

Herzlich Dank voraus – To Whom It May Concern.
Rote Grüße von Eurem Klaus


2. Hans Bleibinhaus:

Lieber Klaus,

wie immer sich E+B (= Esken und Walter-Borjans) bemühen, sie werden scheitern. Die fünfte Kolonne des Kapitals in der SPD, die Seeheimer, entziehen den Neuverhandlern den Boden, bevor sie noch bei der CDU/CSU guten Tag sagen. Die Gewerkschaften: nur noch ein Betriebsrätekartell. Und die Medien: wie immer.

Es ist ein Irrtum zu glauben, wir lebten in einer Demokratie.

Allenfalls in einer wie von den alten Griechen vorgezeichnet, wo das Wichtigste war, den Reichtum der Wenigen vor dem Zugriff der Mehrheit des Pöbels zu schützen.

Herzliche Grüße,
Hans (Bleibinhaus)