Frankreichs Protestbewegung vor den Kommunalwahlen – Eine Zwischenbilanz

Frankreichs Protestbewegung vor den Kommunalwahlen – Eine Zwischenbilanz

Frankreichs Protestbewegung vor den Kommunalwahlen – Eine Zwischenbilanz

Marco Wenzel
Ein Artikel von Marco Wenzel

Ob Eisenbahner, Pariser Metro, ob Lehrer oder Studenten, Anwälte, Ärzte, Krankenhauspersonal, Notdienste, die Beschäftigten der Pariser Oper, Feuerwehrleute, Müllabfuhr, Arbeiter der Ölraffinerien und Atomkraftwerke, es gibt in ganz Frankreich kaum eine Berufsgruppe außer Polizei und Militär, die sich nicht gegen die geplante Rentenreform ausgesprochen hat und die sich nicht an den Streiks oder Demonstrationen beteiligt. Der Staatsrat hat das Projekt bereits in einer niederschmetternden Stellungnahme als ungenügend und handwerklich schlecht bewertet und selbst innerhalb der Regierungsparteien formieren sich Gegner der Gesetzesreform, eine Mehrheit im Parlament ist ungewiss. Trotzdem will die Regierung Macron die Rentenreform im Schnellverfahren durch die Instanzen peitschen, notfalls auch mit undemokratischen Mitteln, gegen das Parlament und per Regierungsdekret. Von Marco Wenzel.

Auch wenn die Intensität und die Streikbeteiligung nach jetzt fast drei Monaten merklich nachgelassen hat, so kann doch niemand von einer Niederlage reden. Es ist nicht so, dass den Streikenden die Luft ausgeht, der Streikwille ist noch immer ungebrochen. Es sind der finanzielle Druck durch die ständigen Lohnausfälle und die bedauerliche Tatsache, dass die Gewerkschaften, deren fragwürdige Rolle und defätistische Taktik weiter unten noch beleuchtet werden sollen, immer noch keinen allgemeinen unbefristeten Generalstreik ausgerufen haben, die die ursprüngliche Dynamik bremsen.

Tatsache ist, dass die Wut noch immer vorhanden ist und viele der Streikenden sofort bereit wären, den Kampf erneut aufzunehmen und das Verfahren gegen Macron und seine Reform fortzusetzen. Alle Sektoren, die bisher gekämpft haben, wären sofort bereit, zurückzukommen und einen neuen massiven Streik zu beginnen, wenn sie einen glaubwürdigen Kampfplan hätten, um zu gewinnen.

Der Ursprung der Bewegung lag nicht bei den Gewerkschaftsbünden

Es muss hervorgehoben werden, dass dieser Streik nie der Streik der Gewerkschaftsbosse war. Wäre es nach ihnen gegangen, hätte er nie stattgefunden. Sie wurden von der Basis überrascht und gezwungen, irgendwie doch da mitzumachen. Sie haben sich mit ihrer zögerlichen Haltung von Anfang an als Bremsklotz erwiesen. Es waren die Arbeiter, die eigenständig Streikkomitees gegründet und am 13. September zu einem ersten nationalen interprofessionellen Streiktag am 5. Dezember aufgerufen haben. Es ist die Dynamik der sich selbst organisierenden Arbeiter und ihrer Streikkomitees in Verbindung mit der großen Sympathie und Zustimmung der französischen Bevölkerung gegen die neoliberale Gesellschaftsordnung, mit ihrem Überdruss gegen die Macronie, dem System Macron, die das Feuer des Aufstandes sowohl entfacht hat als auch am Lodern hält.

Erst als die Gewerkschaftsbosse den Braten gerochen haben, sind sie auf den Zug aufgesprungen, in der Hoffnung, ihn so bald wie möglich wieder zum Halten zu bringen. Arbeiterstreiks, die nicht von den Gewerkschaftsführungen ausgerufen werden, beweisen nur, dass diese nicht mehr gebraucht werden. Und in der Tat, „Gewerkschaftsführer“, die den Kampf fürchten, braucht niemand.

Die Gelbwesten hatten Ende 2018 den Anstoß zum Widerstand gegeben. Ohne die beiden neoliberalen Sturköpfe Hollande und Macron wäre die Bewegung der Gelbwesten nie entstanden. Es waren gerade die Unterprivilegierten, die Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger, das sogenannte Prekariat, das als erste auf die Straße ging, da niemand sonst, auch keine Gewerkschaft, ihre Interessen vertreten wollte. Sie wussten, dass sie auf sich alleine gestellt waren, und mieden sogar explizit jede Nähe von Parteien und Gewerkschaften, wohlwissend, dass diese sie nur benutzen würden, um ihre eigene Position zu stärken, niemals aber an ihren wirklichen Problemen interessiert waren. Sie würden sie immer wieder fallenlassen wie eine heiße Kartoffel.

Die Abgehängten, mit ihnen ist für das „Establishment“, zu denen längst auch Sozialdemokraten à la Hollande & Konsorten sowie die Gewerkschaftsführungen zählen, kein Staat zu machen. Für die Gewerkschaften waren sie uninteressant, weil sie keine zahlenden Mitglieder sind, für den Staat sind sie nur lästige Parasiten, die Geld kosteten, und für die „linken“ Parteien sind sie nur ungebildeter Pöbel, der ihre abgehobenen Diskussionen über Identitätsfragen nicht versteht. Über einen leeren Magen und eine bezahlbare Wohnung reden die Salonlinken ja kaum noch. Gendertoiletten sind da wichtiger. Brauchbar ist das Prekariat für keinen von ihnen, lästig schon. Sie werden nicht mehr gebraucht, die Abgehängten, das Kapital kann sie nicht verwerten.

Keine Gewerkschaftsstrategie

Zu keinem Zeitpunkt hatten die Gewerkschaften, auch nicht die CGT, einen Plan, wie sie den Streik organisieren wollten. Nicht einmal über die Ziele des Streiks war man sich auf Ebene der Intersyndicale klar. Während die Streikenden schlicht und einfach den Rückzug des ganzen Gesetzesprojektes forderten, wanden sich die Gewerkschaftsbosse hin und her und hofften irgendwie auf ein Nachgeben der Regierung in dem einen oder anderen Punkt, um das dann der Basis als Sieg, als Sieg der Gewerkschaftsbosse und ihrer klugen Verhandlungsführung, verkaufen zu können und damit die Streiks ein für alle Mal beenden zu können.

Aber die Gewerkschaftsbosse haben die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Einerseits zeigte sich die Regierung komplett unnachgiebig, da gab es nichts, was man der Streikbasis als Erfolg hätte verkaufen können. Die Gewerkschaftsbosse, insbesondere Laurent Berger von der CFDT und Laurent Escure von der Gewerkschaft Unsa, haben sich mit ihrer sozialdemokratisch ausgerichteten Politik der Sozialpartnerschaft und des Verhandelns um jeden Preis inzwischen total diskreditiert und unglaubwürdig gemacht. In den Augen der Streikbasis gibt es längst schon nichts mehr zu verhandeln.

Zwischen dem 16. September und dem 5. Dezember hatten auch die Gewerkschaftsbosse genügend Zeit, sich auf den bevorstehenden Kampf vorzubereiten. Doch sie haben nichts gemacht, keinen gemeinsamen Schlachtplan entworfen, keine Streikkassen organisiert, keine Losungen vorbereitet. Ihr Kampfplan ging von einem Tag zum anderen, meist trieb die Basis sie vor sich her. Um das Gesicht nicht zu verlieren, machten sie anfangs alle mit und hofften auf einen Verhandlungskompromiss mit der Regierung, den sie als Erfolg verkaufen und damit das Ende der Streiks ausrufen konnten, nach der alten sozialdemokratischen Art der Politik des kleineren Übels. Um alsdann weiter in ihren Bürosesseln ihre Privilegien als scheinbar geschickte Unterhändler genießen zu können.

Solche „Arbeiterführer“ fürchten streikende Arbeiter mehr als jeder Priester den Leibhaftigen. Sie sind bereit, jeden Kompromiss mit der Bourgeoisie einzugehen, damit das System, in dem sie sich so gut eingerichtet haben, auch weiterhin bestehen bleibt. Als Arbeiterführer die Führung in einem harten Arbeitskampf zu übernehmen, in einem Kampf mit ungewissem Ausgang, der auch den Sturz einer arbeiterfeindlichen Regierung bedeuten könnte, das ist zu viel verlangt. Die Arbeiter werden es selber in die Hand nehmen müssen, Berger, Escure und auch Martinez (CGT) sind Bremsklötze für die Streikbewegung.

Berger und Escure stehen klar auf Seiten der Regierung. Über beide macht sich in der Streikfront kaum noch jemand Illusionen. Die Mitglieder schicken ihnen ihre Mitgliedskarten haufenweise zurück. Sie werden nicht mehr gebraucht.

Auch Martinez von der CGT ist hin und her gerissen. Wahrscheinlich würde auch er lieber alles abbrechen und einen Kompromiss schließen. Aber welchen Kompromiss? Es gibt eigentlich nichts mehr zu verhandeln, das Gesetzesprojekt ist auf dem Instanzenweg, die einberufene Finanzierungskonferenz, von der weiter unten noch zu reden sein wird, ist Augenwischerei. Wenn Martinez wollte, könnte seine Gewerkschaft zum unbefristeten Generalstreik aufrufen, die Gefolgschaft wäre ihm gewiss, und die Regierung in arge Bedrängnis bringen, vielleicht sogar stürzen.

Eine Episode zur Illustration: Kurz nach Bergers Ausbruch aus der Streikfront am 18. Dezember hatten Aktivisten des Koordinationskomitees RATP-SNCF (Pariser Metro und Eisenbahn) den Eingang der Pariser CFDT-Zentrale besetzt, Fahnen geschwungen und Parolen gerufen, um ihren Unmut über Bergers Verhalten zu bekunden. Die Tür zum Eingang der CFDT-Zentrale war offen, niemand ist zu Schaden gekommen, es war auch kein Sachschaden entstanden. Trotzdem rief Berger die Polizei und erstattete sogar Anzeige gegen die Besetzer. Martinez verurteilte tags darauf die Aktion des Komitees, schärfer als er jemals die Regierung für ihre arbeiterfeindlichen Reformmaßnahmen oder gar die Repressionsmaßnahmen der Polizei gegen die eigenen Leute verurteilt hatte. Martinez hätte besser daran getan, die Reihen zu schließen und zu den eigenen Leuten zu halten, als den Defätisten den Rücken zu stärken. Ein Gewerkschaftsführer, der aus nichtigem Anlass die Polizei gegen Arbeitermilitante ruft und sie verklagt, und ein zweiter, „befreundeter“ Gewerkschaftsführer, der ihm dabei auch noch recht gibt. Das lässt tief blicken.

Das Koordinationskomitee

Niemand hat den Gewerkschaftsführern ein Mandat gegeben, mit der Regierung über die Rentenreform zu verhandeln. Deshalb können sie auch aushandeln, was sie wollen, die Basis wird es nicht akzeptieren. Kompletter Rückzug des Projektes, so heißt die Forderung der Basis. Es ist die Forderung derjenigen, die den Kampf begonnen haben und die täglich ihren Kopf dafür hinhalten. Beschäftigte, die monatelang streiken, ohne Streikkasse und deshalb ohne Lohn. Es war die Koordination RATP- SNCF, die den Streik vorbereitet und ausgerufen hat. Es waren die fleißigen Arbeiterameisen, die die ganze Vorbereitungsarbeit geleistet haben, es war ihre Kollegialität und Solidarität, die den Grundstein zum Aufstand gegen diese Rentenreform gelegt hat. Es waren die Koordinationskomitees der Basis, die Verbindungen zu anderen Berufssparten bis hinein in die Privatwirtschaft geknüpft und gemeinsame Aktionen durchgeführt haben.

Sie entwickelten sich zum eigentlichen Generalstab der Streikbewegung. Es waren auch sie, die Streikposten vor den Betrieben organisiert haben, und es waren sie, die Geld für die streikenden KameradInnen gesammelt haben, um ihnen einen, wenn auch bescheidenen, Lohnersatz zu zahlen. Berger und Martinez gehörten von Anfang an nicht dazu. Die saßen derweil lieber bei Premier Philippe im Regierungspalast zum Palavern, während der Kampf auf der Straße ohne sie geführt wurde. Das Koordinationskomitee RATP-SNCF ist inzwischen bestrebt, sich landesweit zu organisieren, was, wenn es gelingt, ein großer Fortschritt für die Streikfront wäre und es ihnen damit ermöglichte, eine Art eigene landesweite Gewerkschaft aufzubauen. Die Aktionen könnten landesweit koordiniert und ein neues Werkzeug zur Schaffung eines Rahmens für die Selbstorganisation und die Koordination an der Basis zur Ausarbeitung eines landesweiten Kampfplanes geschaffen werden. Dieser Kampfplan muss koordiniert und an der Basis entwickelt werden, um zu verhindern, von einem Aktionstag zum nächsten mitgerissen zu werden und dass die sektoralen Bewegungen isoliert bleiben.

Die Perspektiven ergeben sich dabei immer aus den alltäglichen Aktionen und deren daraus resultierenden Erfahrungen. Es entsteht eine eigene Dynamik in der Aktion selbst. Neue Erfahrungen durch Erfolg und Misserfolg verbessern die Strategie, Erfahrungen der Solidarität und der Zusammenarbeit stärken die Zuversicht und den Kampfeswillen. Vieles, was manche vorher für unmöglich oder aussichtslos gehalten hatten, beginnt sich allmählich als Perspektive am Horizont abzuzeichnen. Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will. Ja, es ist nicht unmöglich, man muss es nur machen, selber machen. Bald ist auch Macron weg. Niemand will ihn mehr haben.

Forderungen und Ziele formulieren

Der Rückzug der Rentenreform allein würde nichts an den Zielen der Regierung ändern. Diese Regierung ist dabei, noch weitere neoliberale Reformen, weitere Angriffe auf den Sozialstaat vorzubereiten. Es steckt System dahinter, hinter Macron und seiner Regierung, sie macht es wie Robin Hood, nur umgekehrt. Sie nimmt es von den Armen und gibt es den Reichen. Ein Rückzug an einem Punkt allein wird die Politik dieser Regierung, die Politik der Umverteilung von unten nach oben, die Politik der Entmündigung der Arbeiterschicht nicht beenden. Auch wenn es jetzt gelingen würde, den Rentendiebstahl zu verhindern, die Diebe werden ihre Kleptomanie nicht ablegen.

So wichtig die Annullierung der Rentenreform auch sein mag, weitere Angriffe der Regierung Macron auf die sozialen Errungenschaften der Franzosen sind geplant, die Angriffsfront ist breit. Daher sollte die Arbeiteropposition weitere Punkte in ihre Forderungen einbauen und einen eigenständigen umfassenden linken Forderungskatalog aufstellen, der weit über die bloße Rücknahme des Gesetzes zur Rentenreform hinausgeht. Auch die Gelbwesten hatten schon kurz nach ihrem Entstehen im Rahmen einer Protestbewegung gegen die Erhöhung der Mineralölsteuer einen Forderungskatalog mit 42 sozialpolitischen Forderungen aufgestellt, den man übrigens durchaus als Vorlage nutzen könnte. Es geht darum, jetzt in die Offensive zu gehen, um diese Reform und die gesamte Regierungspolitik zu Fall zu bringen und das neoliberale Gesellschaftsmodell rückabzuwickeln.

Zu viele „Reformen“ sind bereits mit aller Gewalt durchgesetzt worden: Arbeitslosengeld, Sozialhilfe, Kündigungsschutz, Leiharbeit, Bahnreform, Hochschulreform usw. Alle diese Reformen gingen zu Lasten der Werktätigen und der Bevölkerung. Es geht darum, dass die Arbeiter wieder mitzubestimmen haben, was gespielt wird im Staate Jericho. Diese Machtfrage muss gestellt werden: Wer ist der Herr im Hause Frankreich? Premier Philippe hat bereits angekündigt, das Gesetzesprojekt, das neben der Straße und allen Parlamentariern der Opposition, vom Staatsrat aber auch zunehmend in der eigenen LREM auf Ablehnung stößt, notfalls per Regierungsdekret am Parlament vorbei durchsetzen zu wollen. Von demokratischen Entscheidungen kann also längst nicht mehr die Rede sein. Die Regierung regiert mit diktatorischen Maßnahmen, was sich auch im Vorgehen der Polizei gegen die Demonstranten ausdrückt.

Vieles läuft nicht gut für Macron

Neben den Massenprotesten auf den Straßen kommen noch weitere Probleme auf Macron zu. Da ist zunächst die bereits erwähnte niederschmetternde Stellungnahme des Staatsrates zum Rentenprojekt, hinzu kommen Zwistigkeiten innerhalb der eigenen Partei und die Unmöglichkeit, das umfangreiche Gesetzesprojekt innerhalb der von Macron gesetzten Fristen auch nur halbwegs im Parlament zu diskutieren. Die Regierung hat sich auch nach dem Empfinden vieler ihrer eigenen Mitglieder zu weit aus dem Fenster gelehnt. Es gibt Zoff im Regierungslager. Den Rednern, besonders denen der Opposition, wurden die Redezeiten gekürzt oder ganz verwehrt. Auch die eigenen Abgeordneten bekommen nur wenige Minuten Redezeit, um einen Änderungsvorschlag einzubringen. Alles muss schnell gehen. Das Eisen ist zu heiß. Die Drohung, das Gesetz statt mit parlamentarischer Mehrheit stattdessen per Regierungsdekret in Kraft zu setzen, steht im Raum und dürfte gegebenenfalls zu neuen Unruhen führen.

Neben all diesen Schwierigkeiten kommen noch die für den 15. und 22. März angesetzten Kommunalwahlen hinzu. Die anstehenden Kommunalwahlen drohen für die Partei von Macron zum Fiasko zu werden. Die LREM hat mit schweren Verlusten, auch und nicht zuletzt in Paris, zu rechnen. Das wichtigste Bürgermeisteramt, das von Paris, dürfte bereits verloren sein. Die Kandidaten der LREM in zahlreichen Großstädten laufen haufenweise davon. Eine Panne folgt der nächsten. Ein Skandal folgt auf den anderen.

Und gerade jetzt fällt die Gewerkschaftsführung der Streikbasis wieder in den Rücken. Anstatt die Gelegenheit zu nutzen und maximalen Druck auszuüben, ruft die Gewerkschaftsfront Intersyndicale zu einem nächsten 24-stündigen Aktionstag am 31. März (!) auf. Erst in 6 Wochen, nach den Kommunalwahlen also. 6 Wochen nach dem letzten gemeinsamen Streiktag am 20. Februar! Natürlich wird die Streikbasis, die inzwischen wieder einmal 6 Wochen von den Gewerkschaftsbossen im Stich gelassen wird, auch in dieser Zeit ihre Aktionen fortsetzen.

Die Finanzierungskonferenz

Die Verhandlungen über das eigentliche Gesetzesprojekt finden ja schon nicht mehr statt. Die Verhandlungen haben nichts gebracht, das Gesetz ist längst auf dem Instanzenweg. Und während die Basis dabei ist, sich selber zu organisieren und weitere Aktionen auf der Straße und in den Betrieben durchzuführen, sitzen die Gewerkschaftsbosse in einer Finanzierungskonferenz, um eine Finanzierungsalternative gegen den Aufschub des Renteneintrittsalters um zwei Jahre zu finden. Eine Finanzierungsalternative, die niemals gefunden werden kann, weil weder der Staat noch die Arbeitgeber bereit sind, dafür das nötige Geld zu geben.

Die Finanzierungskonferenz ist eine Alibi-Konferenz sowohl für Berger als auch für Premier Philippe. Berger hatte sich von Anfang an auf einen einzigen Punkt im Rentengesetzesprojekt versteift: Den Aufschub des Renteneintrittsalters auf 64 Jahre. Hätte die Regierung in diesem Punkt nachgegeben, wie Berger gehofft hatte, so hätte er es als seinen Erfolg verkaufen können und dafür alle anderen Zumutungen und Kürzungen in dem Projekt unterschrieben. Nach der Logik des kleineren Übels hätte er damit das Schlimmste verhindert und sich „erhobenen Hauptes“ aus der Gewerkschaftsfront zurückziehen können.

Aber die Regierung wollte ihm diesen Gefallen nicht tun und so baute er sich selber seine Brücke zur Kapitulation, indem er eine Finanzierungskonferenz zusammen mit den Arbeitgebern und der Regierung vorschlug, um dort gemeinsam die 13 Milliarden € jährlich zu finden, die Philippe als unabdingbar betrachtet, um das Renteneintrittsalter bei 62 Jahren zu belassen. Die Absicht, hier, in dieser Runde, das Geld dazu zu finden, ist in etwa so aussichtsreich wie die mittelalterlichen Versuche, den Stein der Weisen zu finden, da sowohl der Staat als auch die Arbeitgeber es von vornherein abgelehnt haben, sich an der Finanzierung zu beteiligen. Bleibt also nur die Möglichkeit, dass die Arbeitnehmer mehr und länger arbeiten, nämlich genau die 2 Jahre länger, die notwendig sind, um laut Berechnungen 13 Milliarden Ausgaben jährlich in den Rentenkassen zu sparen. Philippe hatte ihnen dafür drei Monate Zeit gegeben, einen Kompromiss zu finden, ansonsten würde er „seine Verantwortung übernehmen“ und von sich aus per Dekret das Renteneintrittsalter in dem bis dahin ja wahrscheinlich schon in Kraft getretenen neuen Rentengesetz auf 64 Jahre erhöhen.

Was hat Martinez, der Chef der CGT, also dort in dieser Runde zu suchen? Wäre es nicht besser, er kümmerte sich in dieser Zeit um die Organisation des Widerstandes gegen das Projekt? Nach eigenem Bekunden will er nur wissen, wer dort was sagt. Und so drohte er auch schon mal damit, ab sofort von dort fernzubleiben. “Ein Kompromiss ist nicht möglich, und auf dieser Finanzierungskonferenz gibt es nichts mehr zu tun”, ließ Martinez eine Mitarbeiterin verkünden, nur um einen Tag später seine Drohung in ein Ultimatum umzuwandeln, das schlussendlich in dem Entschluss mündete, einen Brief an Philippe zu schreiben und ihn zu bitten, die Forderungen der CGT zu berücksichtigen. Bei der nächsten Konferenz, am 10. März, wird Martinez dann wohl wieder dabei sein.

Letztendlich ist klar, dass das Ziel der “Sozialpartner” in der Finanzierungskonferenz darin besteht, die Debatten in die Länge zu ziehen. Doch während die Gewerkschaftsführer in den Ministerialsalons “Zeit gewinnen”, verlieren die Streikenden immer mehr Zeit, weil es an einer Strategie fehlt, die Regierung durch Kampf zu besiegen. Sowohl die Gewerkschaften als auch die Regierung hoffen darauf, dass den Streikenden die Luft ausgeht, dass die Streiks sich irgendwann totlaufen werden.

Der 31. März als nächster Aktionstag

Die Gewerkschaftsfront Intersyndicale hat nun zu einem nächsten 24-stündigen Aktionstag am 31. März (!) aufgerufen. Diese erneute Verzögerungstaktik durch den Aufschub der nächsten Aktionen bis nach den Kommunalwahlen macht deutlich, dass den Gewerkschaftsfunktionären nicht an einem wirklichen Kampf gegen die Rentenreform gelegen ist. Von diesen Gewerkschaftsbossen ist kein wirklicher Widerstand gegen die Regierung und schon gar kein Kampfplan zu erwarten. Sie wollen nicht gewinnen, denn sie fürchten den Sieg der Arbeiter wie der Leibhaftige das Weihwasser. Gerade die Zeit während der Kommunalwahlen wäre eine erstklassige Gelegenheit, den Kampf auf die politische Bühne zu tragen und maximalen Druck auf die Regierung auszuüben.

Einen solchen Streich hatten die Gewerkschaftsbosse der Streikbasis übrigens schon einmal gespielt, als es um einen Waffenstillstand über die Weihnachtsfeiertage hinaus ging. Die CFDT und die Unsa hatten sich damals, am 18. Dezember, aus der Streikfront zurückgezogen und Martinez von der CFDT sagte den wartenden Arbeitern nach einer Verhandlung mit Premier Philippe noch auf den Stufen am Ausgang des Sitzes des Premierministers „Auf Wiedersehen bis zum nächsten Aktionstag am 8. Januar!“ Dennoch gingen die Streikaktionen weiter, es fuhren kaum Züge und Busse, die Opern und Museen und sogar der Eiffelturm blieben geschlossen und die Touristen blieben aus.

Titelbild: andriano.cz/shutterstock.com

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