Deutschland im „Shutdown“ – Es weht ein Hauch von Aktionismus über das Land

Deutschland im „Shutdown“ – Es weht ein Hauch von Aktionismus über das Land

Deutschland im „Shutdown“ – Es weht ein Hauch von Aktionismus über das Land

Jens Berger
Ein Artikel von: Jens Berger

Seit letztem Freitag geht Deutschland Stück für Stück mit immer radikaleren Maßnahmen gegen die Verbreitung von Covid-19 vor. Auch wenn die allermeisten Maßnahmen aus epidemiologischer Sicht sicherlich wichtig und richtig sind, wirkt es bisweilen so, als regiere der blanke Aktionismus. Während man die Grenzen nach Frankreich und Dänemark schließt, erlaubt man nach wie vor Direktflüge aus dem Corona-Epizentrum Iran nach Frankfurt. Während Friseure ihre Pforten schließen, fehlt in vielen Krankenhäusern nach wie vor die elementarste Schutzausrüstung. Und auch die heiß diskutierten Kita-Schließungen sind Segen und Fluch zugleich. Es wäre zu wünschen, dass nötige Aufklärungsmaßnahmen bald den Aktionismus ablösen und man den Fokus auf die wohl verletzlichste Stelle der Krise legt – die Krankenhäuser. Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Wer heute seine zwangsweise Kurzarbeit bei dem schönen Wetter für eine Wanderung oder eine Mountainbike-Tour nutzen will, kann dies zwar im Schwarzwald, aber nicht mehr im Elsass tun – die Grenze nach Frankreich ist seit gestern für derlei private Vergnügungen dicht und Frankreich hat ohnehin mittlerweile eine generelle Ausgangssperre verhängt. „Wir sind im Krieg“, so Präsident Macron martialisch. Geht´s nicht ein wenig differenzierter? Als sicherlich bei diesem Thema nicht zur Gelassenheit neigender Bewohner einer ländlichen Region frage ich mich, wem damit geholfen sein soll, wenn man nicht mehr das Haus verlässt. Es ist ja nicht so, dass man hier im Harz häufig in die Verlegenheit kommt, anderen Menschen näher als zwei Meter zu kommen.

Gleichzeitig twittert die ARD-Iran-Korrespondentin Natalie Amiri Unglaubliches – nach wie vor gibt es von Teheran eine direkte Flugverbindung nach Frankfurt und Passagiere kommen ohne Tests und ohne Vorgaben oder gar eine Quarantäne ins Land. In den kommenden Tagen wird das Persische Neujahr gefeiert und viele Iraner nutzen die Gelegenheit, um ihre Verwandten in Deutschland zu besuchen. Das geht per Direktflug aus Teheran und wenn es sich um einen Verwandtschaftsbesuch handelt, ist dies auch trotz der angekündigten Schließung der EU-Außengrenzen weiterhin möglich.

„Social Distancing“ in Zeiten von Corona. Die Mountainbike-Tour im Elsass ist untersagt, der Flug aus Teheran jedoch erlaubt. Man tut viel, hat jedoch nur wenig gelernt. Bereits vor mehr als einem Monat, als in Deutschland in der Öffentlichkeit trotz massiver Warnungen aus Fachkreisen über Corona noch als „chinesische Krankheit“ gewitzelt wurde, verzichteten die Behörden unverständlicherweise auf eine Kontrolle von Passagieren aus China und zur Zeit gibt es gute Gründe dafür anzunehmen, dass das Virus seinerzeit sogar über Deutschland in die EU eingeschleust wurde. Frühe gezielte Fieberkontrollen und gegebenenfalls sogar Quarantänemaßnahmen hätten womöglich den Ausbruch verlangsamt. Heute greift man zu drastischen Maßnahmen. Vielleicht muss man das. Sicher schießt man dabei jedoch in einigen Fällen über das Ziel hinaus und nicht immer ist der Fokus der Maßnahmen wirklich einleuchtend.

So ist es zur Zeit natürlich vollkommen richtig, den freien Reiseverkehr in die besonders betroffenen Regionen Italiens und Österreichs einzustellen und die Grenzen für „unnötige“ Reisen zu schließen. Aber was ist „unnötig“ und was ist „nötig“? Stellt der Wanderer eine größere Gefahr für die Volksgesundheit dar als der Pendler oder der LKW-Fahrer, der auch künftig mit Waren die Grenze überschreiten darf? Irgendwie muss der Käse aus Südtirol ja auf den Großmarkt in Deutschland kommen. Solche Fragen sind stets Abwägungen und es gibt hier keine einfachen Antworten. Aber wenn man schon von „Krieg“ spricht und die Leute martialisch in ihre eigenen vier Wände einsperrt, sollte man zumindest erwähnen, dass man auf anderen Gebieten keinesfalls bereit ist, derart drastische Schritte zu gehen und viele Maßnahmen auch Gegenargumente haben, die man nicht unterschlagen sollte.

Selbst die in den Medien dauerpräsenten Starvirologen weisen darauf hin, dass beispielsweise Maßnahmen wie die Schließung von Kitas nur dann sinnvoll sind, wenn auch bestimmte Rahmenbedingungen eingehalten werden. Diese Rahmenbedingungen sind jedoch häufig leider „Schönwetterbedingungen“. Klar, wer den Luxus hat, nicht allerziehend zu sein und einen Home-Office-Arbeitsplatz oder einen verständnisvollen Arbeitgeber hat, wird schon eine Lösung für die Betreuung der kleinen Racker finden. Aber wie sieht es mit den Alleinerziehenden oder den Doppelverdienern aus, die – oft in prekären Arbeitsverhältnissen – dringend ökonomisch darauf angewiesen sind, ihrer Arbeit nachzugehen? Wenn die nun ihre Kinder bei den Großeltern oder den netten älteren Nachbarn abgeben, ist dies aus epidemiologischer Sicht sogar kontraproduktiv. Es ist ja richtig, dass die meisten Gemeinden „Notgruppen“ für Angestellte in kritischen Infrastrukturbereichen, also z.B. Ärztinnen, Pfleger oder Polizisten, eingerichtet haben. Aber ist die alleinerziehende Einzelhandelskauffrau, die auf die paar Euro Stundenlohn zwingend angewiesen ist, nicht auch ein „Notfall“?

Vollkommen irreal wird die ganze Krisenrhetorik jedoch dann, wenn man sich einmal die Lage an der „Front“ anschaut. Der Friseur muss Zwangsurlaub nehmen, aber immer noch werden in ländlichen Krankenhäusern Neuaufnahmen mit einschlägigen Symptomen wie einer Lungenentzündung ohne Sars-CoV-2-Test auf die normalen Stationen eingeliefert und dem behandelnden Personal stehen noch nicht einmal die elementarsten Schutzausrüstungsgegenstände zur Verfügung. FFP2- oder FFP3-Masken, spezielle Schutzkittel? Fehlanzeige für das „normale“ Pflegepersonal. Diese raren Güter wurden bereits für die eilends eingerichteten „Isolationszonen“ gebunkert, wobei vielerorts jedoch unklar ist, wann ein Patient überhaupt auf eine solche Station eingeliefert wird. Wer keinen nachgewiesenen direkten Kontakt mit einem Infizierten aus einem „Risikogebiet“ hatte, wurde bis vor kurzem ja trotz eindeutiger Symptome oft noch nicht einmal getestet, und wenn man nicht testet, kriegt man auch keine positiven Patienten für die „Isolationszonen“; stattdessen liegen sie dann auf den Normalstationen bei den ungeschützten anderen Patienten und dem ebenfalls ungeschützten Personal. Und das Desinfektionsmittel? Da Besucher bereits in den letzten Wochen reihenweise die in den Patientenzimmern installierten Flaschen gestohlen haben, wurden diese in vielen Häusern nun abmontiert. Die Lager sind leer, das Geld ist knapp und der Großhandel meldet Engpässe. Und womit desinfizieren sich die Pflegekräfte nun die Hände, um nicht nur die Verbreitung von Covid-19, sondern beispielsweise auch die Verbreitung multiresistenter „Krankenhauskeime“ zu verhindern? Gar nicht.

Weitestgehend unter geht in der aufgeregten Debatte über Nebenschauplätze übrigens auch, dass das „normale“ Krankenhauspersonal aus finanziellen und logistischen Gründen nur in absoluten Ausnahmefällen selbst auf das Virus getestet werden kann. Kleinere Krankenhäuser haben ihre Labore längst aus wirtschaftlichen Gründen outgesourct und die streng auf Rendite optimierten Zentrallabore der privaten Anbieter haben (noch) keine Reservekapazitäten. Ein Test – so denn überhaupt möglich – kann da schon mal bis zu fünf Tage dauern. Und hier geht es wirklich um Menschenleben.

Sämtliche zur Verfügung stehenden Daten gehen zur Zeit von einem massiven Gefälle zwischen den Altersgruppen bei der Sterbehäufigkeit aus. Bei aller Unsicherheit bei den Zahlen liegen die Daten hierzu für Italien und Südkorea bei den „unter 50-Jährigen“ mit 0,1% im sehr niedrigen Bereich und bei den „über 70-Jährigen“ mit 6,4% bzw. 5,3% und den „über 80-Jährigen“ mit 13,2% bzw. 9,3% im sehr hohen Bereich, wobei Vorerkrankungen und ein schlechter Gesundheitsstatus die individuelle Gefährdung abermals steigern. Auch die Daten aus China weisen vergleichbare Ergebnisse auf. Und wo findet man überproportional alte, kranke Menschen? In den Krankenhäusern. Vor diesem Hintergrund und dem aktivistischen Gepolter in anderen Bereichen ist das Verdrängen der Zustände in den Krankenhäusern höchst problematisch. Die Wahrscheinlichkeit, einen alten, herzkranken Menschen zu infizieren, dürfte in einem Krankenhaus schließlich um etliche Potenzen höher sein als bei einer Wanderung im Elsass oder einem Friseurbesuch.

Und die sonst so aktivistische Politik? Die schweigt zur Situation in den Krankenhäusern, spricht von „Krieg“ und verordnet Ausgangssperren. Nun will man gar mit breiter Brust „Ärzte im Ruhestand reaktivieren“ – also genau die Personen, die aufgrund ihrer Altersstruktur selbst zur Risikogruppe gehören. Es ist zum Verrücktwerden.

Titelbild: 75tiks/shutterstock.com