Das geplante Desaster der Deutschen Bahn

Das geplante Desaster der Deutschen Bahn

Das geplante Desaster der Deutschen Bahn

Ein Artikel von Arno Luik

Das Desaster der Deutschen Bahn ist kein Versehen. Es gibt Täter. Sie sitzen in der Bundesregierung, im Bundestag und seit Jahren im Tower der Deutschen Bahn. Arno Luik, langjähriger Stern-Autor und profilierter Bahn-Kenner, zeigt in seinem Buch „Schaden in der Oberleitung“ das komplette Desaster detailliert auf. Nun ist das Buch als aktualisierte Taschenbuchausgabe erschienen – ein Auszug aus dem neuen Vorwort.

Starke Schiene, heißt es jetzt: 60, 70, ja, 90, vielleicht sogar 150 Milliarden Euro Steuergeld sollen in den kommenden zehn Jahren in die Bahn fließen, zwölf Milliarden Euro will die Bahn jetzt sofort in neue Züge investieren. Es soll alles besser, zuverlässiger, pünktlicher werden. Und die Bahn AG möchte dafür gelobt werden, dass sie ihr Geld diesmal in Deutschland investiert – und nicht, sagen wir mal, in Kasachstan. Oder in Russland, wo Mehdorn seit 2018 als Aufsichtsratsmitglied der staatlichen Eisenbahngesellschaft unterwegs ist.

Zieht nun endlich Vernunft ein, darf ich mich als Bahnfahrer über diese wahrhaft astronomischen Summen freuen? Nein, unglücklicherweise nein.

Diese Unsummen, die nun investiert werden sollen (»sollen« heißt noch lange nicht, dass sie auch tatsächlich investiert werden), belegen, wie die Herren und Damen im Bundeskanzleramt und ihre Verkehrsminister und Bahnchefs in den vergangenen 25 Jahren – seit der Bahnreform 1994 – gestümpert haben, wie sie die Bahn systematisch haben verkommen lassen. Diese Unsummen offenbaren, wie volkswirtschaftlich desaströs in den vergangenen 30 Jahren die Bahnchefs – also Heinz Dürr, vor allem aber Hartmut Mehdorn und nicht zuletzt Rüdiger Grube – in ihrer Unfähigkeit gewirkt haben. Wie sie in ihrem Größenwahn agiert und ohne Rücksicht auf Kosten, Sinn und Zweck und Verstand einen weltumfassenden Logistikkonzern geschaffen und dabei ein riesiges Volksvermögen verschleudert haben. Im Grunde ein Fall für Gerichte. Aber, wie gesagt, nun soll es ja tatsächlich besser werden mit dieser Deutschen Bahn.

Und so überbieten sich Politiker und Bahnmanager derzeit in ihren Versprechungen: Eine Verdoppelung der Reisenden im Fernverkehr soll es geben, die Güterbahn soll 70 Prozent mehr transportieren als heute, und es sollen demnächst wieder einige Nachtzüge ins Ausland rollen, die die Bahn AG vor ein paar Jahren unsinnigerweise und gegen massiven Kundenprotest eingestellt hat. Aber vor allem setzen die Bahnmanager seit einiger Zeit auf ein Wunder, das nahezu alle Probleme lösen werde: den »Deutschland-Takt«. Abgesehen davon, dass die Bahnbosse eine unselige Tradition von nie eingehaltenen Versprechungen haben, sind die meisten der aktuellen Verheißungen ohne Bezug zur Realität. Sie sind grotesk. Denn der kaputtgesparten Bahn fehlt es an allem: an Gleisen, an Land für Gleise, an Lokomotiven, an Zügen, an Personal, vor allem aber an Knowhow.

Wie hoffnungslos die Lage ist, zeigt sich an einer Zahl: Um auf den Standard der Schweiz zu kommen, was das Minimum für den so oft bejubelten Hochtechnologiestandort Deutschland wäre, müsste das Bahnnetz augenblicklich um 25 000 Kilometer erweitert werden – ein Ding der Unmöglichkeit.

Jenseits der offiziellen Propaganda, ein kurzer Blick auf die Fakten: Gerade mal knapp drei Kilometer zusätzlicher Bahnstrecken wurden 2020 in Betrieb genommen – in ganz Deutschland.
Dass an der Spitze der Bahn weiter gewurstelt wird wie bisher, dafür stehen – abgesehen von Bahnchef Richard Lutz selbst, abgesehen natürlich von Verkehrsminister Andreas Scheuer, abgesehen vor allem von Vorstandsmitglied Ronald Pofalla – seit gut einem Jahr beispielhaft zwei Personen: Sigrid Nikutta und Levin Holle.

Seit dem 1. Januar 2020 ist die 52 Jahre alte Sigrid Nikutta verantwortlich für den neu geschaffenen Vorstandsposten Güterverkehr. Sie kam an diese so wichtige Position, weil der bisher dafür zuständige DB-Finanzchef Alexander Doll den Machtkampf gegen Pofalla und Lutz verloren hat. Weil auch er das Unmögliche nicht geschafft hat: Arriva, die defizitäre und damit unattraktive europäische Auslandssparte der Bahn, gewinnbringend zu verkaufen. Am 31. Dezember 2020 musste Doll gehen. Der Bahn und vor allem der Gesellschaft hat sein Wirken nichts Gutes gebracht, außer noch mehr Defizite im Güterverkehr. Für ihn persönlich aber hat sich sein dreijähriger Kurzeinsatz durchaus rentiert: Er verlässt den Staatskonzern mit einer Abfindung von rund einer Million Euro.

Was qualifiziert nun Nikutta? Sie ist politisch gut vernetzt. Sie hat einen guten Draht zur Eisenbahngewerkschaft EVG – die in den vergangenen Jahren alle Zerstörungsprogramme der jeweiligen Bahnchefs abgenickt hat. Und sonst? Nikutta war einige Jahre lang Chefin der Berliner Verkehrsbetriebe, und da fiel sie vor allem durch flotte Sprüche auf, die die Werbeagentur Jung von Matt für sie klopfte. Ihre Stärke: Sie ist gut in der Öffentlichkeitsarbeit, eine Expertin im Fach Angewandte Selbstvermarktung und: Sie ist sehr machtbewusst. Sollte sie, was sehr zu hoffen, aber kaum zu erwarten ist, den Güterverkehr tatsächlich voranbringen, droht den noch regierenden Herren im Berliner Bahntower sicherlich ein Gerangel um die Bahnspitze: Als promovierte Psychologin kennt Nikutta die Finessen des Nahkampfs.

Und dann ist da, seit dem 1. Februar 2020, Levin Holle, der neue Finanzvorstand, auch er kam in das Amt durch den Abgang von Alexander Doll.

Seine Qualifikation: Als ehemaliger stellvertretender Vorsitzender des RCDS (Ring Christlich-Demokratischer Studenten) ist er politisch nicht nur gut, sondern sehr gut vernetzt: Er wird gestützt und gefördert von Verkehrsminister Andreas Scheuer und von Wolfgang Schäuble gelobt, in dessen Finanzministerium er gearbeitet hat. Außerdem: 15 Jahre lang war Holle bei der Boston Consulting Group im Einsatz, der 54-Jährige kommt aus dem »Heuschrecken«-Milieu, um mal ein Wort des ehemaligen Verkehrsministers Franz Müntefering zu benutzen. Für die Bahnkunden, aber vor allem für die Bahnmitarbeiter sind das nicht unbedingt gute Nachrichten.

Und dann ist da noch über allen, noch immer ganz oben, der Maut- und Automann Andreas Scheuer, der Verkehrsminister. Dass er noch im Amt ist, verdankt Scheuer dem Coronavirus. Man hat derzeit in Berlin andere Sorgen, als einen unfähigen Minister zu entsorgen. Und so wirkt dieser Minister auf Abruf, wie die meisten Verkehrsminister gewirkt haben: Vorfahrt für PKW und LKW. Er setzt sich für den ungehemmten Autobahnausbau ein, kämpft dafür, dass die so defizitären wie überflüssigen Regionalflughäfen erhalten bleiben, plant nun ein 100-Millionen-Euro-Sofortprogramm, damit private Investoren auf Kosten der Steuerzahler noch mehr LKW-Stellplätze entlang der Autobahnen bekommen. Landfraß statt Mäßigung, Beton statt Klugheit – das ist seine Devise. Es ist ein trotziges: »Weiter so!«

Arno Luik: „Schaden in der Oberleitung. Das geplante Desaster der Deutschen Bahn“, 304 Seiten, 12 Euro, Westend Verlag, 29.3.2021

Titelbild: Gaschwald/shutterstock.com

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