Mikis Theodorakis ist tot, aber in seiner Musik lebt er weiter

Mikis Theodorakis ist tot, aber in seiner Musik lebt er weiter

Mikis Theodorakis ist tot, aber in seiner Musik lebt er weiter

Ein Artikel von Moritz Müller

Schon am 2. September ist der weltbekannte Musiker und in Griechenland als Volksheld verehrte Michail „Mikis“ Theodorakis in Athen verstorben. Nach drei Tagen Staatstrauer und Aufbahrung in der Mitropolis ( gr. orthodoxe Kathedrale) von Athen wurde er am vergangenen Donnerstag in einer mit Musik geladenen Zeremonie auf Kreta beerdigt. (Hier spielt das Mikis-Theodorakis-Orchester an seinem Grab einige seiner Lieblingslieder. Das zweite Lied ab 4:40 finde ich besonders berührend.) Mikis Theodorakis, in Griechenland liebevoll „Mikis“ genannt, wird der Welt fehlen, denn in seinen 96 Jahren hat er hartnäckig seine Stimme für Frieden, Freiheit und Menschenrechte erhoben und hat dies mehrmals beinahe mit dem Leben bezahlt. Nachfolgend einige Eckpunkte seines Lebens und Werkes mit weiterführenden Links zu ausführlicheren Biographien und Videos mit seiner Musik. Von Moritz Müller.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Der im wahrsten Sinne des Wortes „große Grieche“, denn auf Fotos ist er einen Kopf größer als die ihn Umgebenden, wurde am 29. Juli 1925 auf Chios geboren. Sein Vater Giorgios Theodorakis, ein kretischer Beamter, war in Smyrna (Izmir) stationiert, als 1919 der türkisch-griechische Krieg ausbrach. Er floh mit seiner Verlobten Aspasia Poulakis, welche aus Kleinasien stammte, in einem kleinen Boot aus der brennenden Stadt und die beiden ließen sich auf der nahegelegenen Insel Chios nieder.

Schon als Kind komponierte Mikis Theodorakis Lieder und eines davon, „Vom Kapitän Zacharias“, wurde im Zweiten Weltkrieg zu einer Art Hymne des Widerstands bei der griechischen Marine. In seiner Jugend zog seine Familie wegen der Arbeit des Vaters oft um und während des Zweiten Weltkriegs schloss sich Mikis Theodorakis der griechischen Partisanenarmee ELAS an. Hier lernte er auch seine spätere Frau Myrto Altinoglou kennen und lieben.

Nach dem Zweiten Weltkrieg studierte er Musik am Athener Konservatorium und setzte gleichzeitig seine Untergrundaktivitäten fort. Britische Truppen attackierten 1945 die linken Bewegungen, welche die Partisanen im Zweiten Weltkrieg angeführt hatten. Zu diesem Zeitpunkt konnte Mikis Theodorakis noch entkommen, doch kurz darauf wurde er gefasst, mehrmals in verschiedenen Lagern inhaftiert und so schwer gefoltert, dass man ihn für tot hielt. Zweimal wurde er lebendig begraben.

Am Ende des griechischen Bürgerkriegs wurde er entlassen und konnte sein Musikstudium in Athen fortsetzen und Anfang der 50er Jahre erfolgreich beenden. Nun begann er Filmmusik zu schreiben und er widmete sich seiner ersten Symphonie. 1953 heirateten Myrto und Mikis Theodorakis und beide bekamen kurz darauf ein Stipendium des französischen Staates. Sie, um Radiologie am Marie-Curie-Institut zu studieren, er für Komposition am Pariser Conservatoire. In Paris kamen 1958 die Tochter Margarita und 1960 Sohn George zur Welt.

Als Mikis Theodorakis Anfang der sechziger Jahre in der Welt der klassischen Musik Fuß zu fassen begann, entschied er sich für eine Rückkehr nach Griechenland, um sich dort der griechischen Volksmusik zu widmen und an der gesellschaftlichen Entwicklung in Griechenland teilzunehmen.

Er legte sich mit dem von Athen dominierten griechischen Musik-Establishment an und seine Vertonung des Gedichts Epitaphios von Yannis Ritsos, der Einsatz einer Bouzouki und einer Nachtclubsängerin führten zu einem Sturm der Entrüstung. Mikis Theodorakis hat aber auf lange Sicht gesehen die griechische Volksmusik einem breiten Publikum zugänglich und auf eine Art auch salonfähig gemacht.

Er hat Werke der griechischen Literaturnobelpreisträger Giorgos Seferis und Odysseas Elytis vertont und viele seiner Lieder sind mittlerweile zu Klassikern der griechischen Volksmusik geworden.

In diese Schaffensperiode fällt auch die Ballade von Mauthausen, hier gesungen von Joan Baez, und in dieser Zeit komponierte er auch die Filmmusik für „Alexis Sorbas“, der ihm breiten internationalen Ruhm brachte und der ihn wahrscheinlich später vor noch größerem Ungemach schützte. Hier findet sich ein bewegendes Video der Begegnung von „Sorbas“-Darsteller Anthony Quinn und Theodorakis 30 Jahre später auf dem Münchner Königsplatz. Quinn sagte dort einige wichtige Worte über das Leben, die Liebe und dass die Musik von Sorbas die Musik des Lebens ist.

Nach der Ermordung seines Freundes, des Parlamentsabgeordneten Grigoris Lambrakis, im Jahr 1963 gründete Theodorakis die Lambrakis-Jugend, deren erster Vorsitzender er wurde und die eine Weile die mitgliederstärkste politische Organisation in Griechenland war. Die Ereignisse um den Mord sind die Vorlage für das Buch Z von Vasilis Vasilikos, welches später von Constantin Costa-Gavras verfilmt wurde. Die Filmmusik stammt wiederum von Mikis Theodorakis. Der Film konnte nicht in Griechenland gedreht werden und es fand sich auch keine griechische Produktionsfirma, die dieses Wagnis eingehen wollte. Schließlich gründeten französische Filmschaffende speziell für den Film eine Produktionsfirma und die mitwirkenden, bekannten französischen Schauspieler verzichteten auf einen Großteil ihrer Gagen. Auch gezeigt werden durfte der Film in Griechenland nicht, denn es war seit 1967 eine Militärjunta an der Macht.

Mikis Theodorakis war sofort nach der Machtübernahme der Militärs in den Untergrund gegangen, wurde aber nach wenigen Monaten festgenommen und kam in verschiedene Lager, wo er erneut gefoltert wurde und schwer an Tuberkulose erkrankte. Es wurde verboten, seine Musik zu hören und zu singen, und auch der Besitz seiner Schallplatten war verboten. Yanis Varoufakis beschreibt, wie ihm seine Eltern damals befahlen, niemandem zu erzählen, dass sie Schallplatten mit Musik von Mikis Theodorakis besaßen und sogar abspielten.

Heutzutage, wo viele Menschen Internetdienste benutzen, um Musik zu hören, haben die Regierungen jederzeit Zugriff auf das, was der Betreffende hört. Oftmals ist ein Regimewechsel, hin zum Totalitarismus, gar nicht weit entfernt und manchmal hat man zurzeit den Eindruck, dass Intoleranz und Diskriminierung rapide um sich greifen, während die Initiatoren dieser Entwicklung munter das Gegenteil behaupten und ungeniert Solidarität und Diversität das Wort reden. Was heute noch erlaubt ist, könnte morgen schon unter Strafe stehen …

Nach Mikis Theodorakis‘ Inhaftierung gründete sich eine weltweite Solidaritätsbewegung mit so bekannten Personen wie Harry Belafonte, Dmitri Schostakowitsch, Leonard Bernstein, Sir Laurence Olivier, Arthur Miller und Yves Montand und auch der französische Politiker Jean-Jacques Servan-Schreiber setzte sich für seine Freilassung ein und ihm gelang es schließlich, die Machthaber in Athen zu überzeugen und Theodorakis in Athen abzuholen und mit dem Flugzeug nach Paris zu bringen, wo ihm ein begeisterter Empfang zuteilwurde.

Leider findet sich heutzutage kein einflussreicher französischer oder deutscher Politiker, der Ähnliches im Fall Julian Assange, der in London in Einzelhaft sitzt, tun oder auch nur versuchen würde. Doch auch in diesem Fall war Mikis Theodorakis politisch aktiv und er unterschrieb den von Diana Johnstone initiierten und von mir überbrachten Offenen Brief an den Erzbischof von Canterbury, in dem die Freilassung von Assange gefordert wird.

Die Webseite Defend Democracy Press schreibt, dass dies der letzte öffentliche Appell von Mikis Theodorakis gewesen sei. Auch der inzwischen verstorbene griechische Widerstandskämpfer Manolis Glezos, welcher 1941 die Hakenkreuzfahne auf der Akropolis eingeholt hatte, war einer der Unterzeichner, und angesichts dieser Tatsachen ehrt es mich natürlich umso mehr, daran beteiligt gewesen zu sein. Julian Assange sitzt weiter im Gefängnis und es bleibt zu hoffen, dass die zuständigen Stellen in London und Washington ein Einsehen haben werden. Wir unsererseits werden ihnen weiter auf die Finger schauen und darüber berichten.

Nach seiner Ankunft im Pariser Exil begab sich Mikis Theodorakis auf Tourneen rund um die Welt mit ca. 500 Konzerten in 4 Jahren, um auf die Situation in Griechenland aufmerksam zu machen.

Nach dem Sturz des Obristenregimes kehrte er 1974 als Volksheld gefeiert nach Athen zurück und begann wieder, sich am politischen Leben zu beteiligen. Die folgende Periode war geprägt vom Einsatz für Demokratie und linksgerichtete Politik in Griechenland mit eingelagerten Phasen der Resignation und inneren Emigration. Eigentlich ein Zustand, den viele Menschen, die sich mit Idealismus für mehr oder weniger nur gegen große Widerstände durchzusetzende Dinge engagieren, vielleicht kennen.

Mikis Theodorakis hatte sich bei den griechischen Kommunisten unbeliebt gemacht, als er den Einmarsch von Warschauer-Pakt-Truppen 1968 in Prag verurteilte. Auch seine Zusammenarbeit mit dem türkischen Komponisten Zülfü Livaneli und die Gründung der „Griechisch-türkischen Freundschaftsgesellschaft“ trugen ihm den Ruf des Verräters ein. Trotzdem setzte er sich bis ins hohe Alter für die Aussöhnung mit der Türkei ein. Dies hielt ihn allerdings auch nicht davon ab, die Entführung und Behandlung des Kurdenführers Abdullah Öcalan durch die türkischen Behörden zu kritisieren.

Anfang der 90er Jahre wurde er, der sich zeitlebens als Kommunist bezeichnete, als parteiloser Minister in die Regierung von Konstantin Mitsotakis berufen, nachdem er vorher auch zur Wahl dieser Regierung aufgerufen hatte. Später bezeichnete Mikis Theodorakis seine Regierungsbeteiligung als großen Fehler.

Danach übernahm er für zwei Jahre das Amt des Generalmusikdirektors des Symphonie-Orchesters und Chores des Griechischen Rundfunks und Fernsehens. Dies war das letzte öffentliche Amt, das er bekleidete, und danach widmete er sich ganz dem Komponieren, unter anderem einiger Opern, und auch als Dirigent war er weiterhin gefragt.

Trotz seines Rückzugs aus der Politik äußerte er sich regelmäßig zu politischen Fragen. Er kritisierte die Bombardierung Jugoslawiens durch die NATO im Jahre 1999 (Es existiert ein Video von seiner Ansprache zu seinem Konzert gewidmet Belgrad/Jugoslawien am 24.04.1999 ( “Belgrad heute singen wir für dich” ) auf dem Syntagma Platz/Athen: “#Zieht euch warm an. es folgt eine Eiszeit”) und er sprach sich gegen den von George W. Bush losgetretenen Krieg gegen den Irak im Jahr 2003 aus. Hier gibt Mikis Theodorakis der israelischen Tageszeitung Haaretz ein Interview über den 11. September 2001, Israel, Juden, Antisemitismus und den „Krieg gegen den Terror“.

Außerdem war er ein heftiger Kritiker der Behandlung Griechenlands durch die EU und den IWF nach der Bankenkrise und er wurde 2012 bei einer Demonstration im Rollstuhl sitzend von einer Tränengasgranate im Gesicht getroffen und schwer verletzt. Diese Verletzung verfolgte ihn monatelang und gesellte sich zu den gesundheitlichen Problemen, die ihn zu dieser Zeit plagten. So hatte er auch mit Schwindelanfällen zu kämpfen, die als Spätfolgen seiner brutalen Folterungen gesehen wurden.

Bis ins hohe Alter dirigierte er seine Werke aus dem Rollstuhl bei Konzerten, bei denen er junge Künstler förderte, und er setzte sich weiterhin für soziale Belange ein.

Nun ist Mikis Theodorakis am 2. September in seinem Haus in Athen an einem Herz-Kreislauf-Stillstand gestorben. Er hinterlässt seine Frau Myrta, seine Tochter Margarita und seinen Sohn George samt 5 Enkeln und 2 Urenkeln.

Am vergangenen Donnerstag fand im Heimatdorf seiner Familie, Galata auf Kreta, seine Beerdigung statt.

Sicher gibt es in einem so erfüllten Leben auch Schattenseiten und Untiefen und es gehört wahrscheinlich auch ein großes Ego dazu, die Figur des weltbekannten Komponisten und Volkshelden auszufüllen. Ein bisschen davon spürt man z.B. im Haaretz-Interview von 2004, aber gleichzeitig kommen dort auch Selbstkritik und die Fähigkeit zum Umdenken zum Vorschein.

Mit Mikis Theodorakis ist ein weiterer Kämpfer für Freiheit und soziale Gerechtigkeit und gegen Diktatur und Unterdrückung abgetreten. Was von ihm bleibt, ist ein riesiges musikalisches Werk und die Erinnerung der Menschen, für die er sich in den langen Jahren seines Lebens eingesetzt hat.

Wahrscheinlich ist es die Balance zwischen Musik und politischem Einsatz, die ihn so lange wachgehalten hat, und ich könnte mir vorstellen, dass diese Musik ihn auch gerettet hat in Zeiten der Inhaftierung und Folter und wenn er über den Sinn seines politischen Einsatzes nachdachte.

Nachfolgend noch einige weitere Links zu Mikis Theodorakis und seiner Musik:

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