Konstantin Wecker: die Kultur, die wir brauchen, ist eine, die auch dazwischen geht.

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Rechtsextreme Parteien und Gruppen haben zum 66. Jahrestag der alliierten Luftangriffe auf Dresden wieder einen Aufmarsch angekündigt. Dagegen hat sich auch in diesem Jahr ein breites, länderübergreifendes Bündnis aus verschiedenen Gruppen organisiert. Der Liedermacher und erklärte Gegner des Rechtsextremismus, Konstantin Wecker, wird am 19. Februar in Dresden sein und die Anti-Nazi-Blockaden gegen den größten Nazi-Aufmarsch in Europa unterstützen. Chrstine Wicht sprach mit Konstantin Wecker.

NDS: Herr Wecker, welche Leute gehen zu den Massenblockaden in Dresden?

Konstantin Wecker: Gute Leute. Gute Leute sehr unterschiedlicher Art, wie ich letztes Jahr sehen konnte. Das waren Menschen aus allen Generationen und durchaus unterschiedlichen politischen Spektren, die aber alle etwas gemeinsam hatten: sie gehören zu denen, die nicht nur reden, sondern handeln. Es sind die Aktiven und Rebellen, Leute, die eingreifen, die den eigenen Kopf hinhalten, die sich nicht einfach dem Schicksal des vermeintlichen Unvermeidlichen ergeben. Wir machen Geschichte – gerade auch dann, wenn wir nichts machen und alles nur über uns ergehen lassen. Die Leute, die in Dresden blockieren, machen selbstbestimmt Geschichte.

NDS: In einem Konzert haben Sie einmal gesagt, dass Sie vor vierzig Jahren angetreten sind um die Welt mit Ihren Liedern zu verändern, die sei zwar verändert worden, aber eindeutig nicht von Ihnen. Fühlen Sie sich nicht wie Sisyphos, der seinen Stein immer wieder den Berg hinaufrollt?

Konstantin Wecker: Diese Geschichte unterschlägt immer die Möglichkeit, dass es viele Sisyphose gibt, die bei ihren immer wieder scheiternden Versuchen die Welt nicht unverändert lassen und vielleicht auch einiges an Muskeln bekommen, durch das ewige Steine wälzen. Ich bin nicht so naiv zu glauben, dass man die Welt alleine mit Musik und Poesie verändern kann. Aber ich weiß eines ganz sicher: ohne Musik und Poesie kann man keine bessere Welt erreichen.

NDS: Es haben sich Gruppen aus verschiedenen Ländern angekündigt. Gibt es eine grenzübergreifende Bewegung gegen Rechtsextremismus?

Konstantin Wecker: Der Kampf gegen Faschismus ist logischerweise keiner, der sich bei den letztlich willkürlichen Grenzziehungen irgendwelcher Nationalstaaten aufhalten kann. Und im Grunde sehe ich die Verbindung zwischen diversen Bewegungen gegen Unterdrückung in einem noch viel umfassenderen Sinne als gegeben an: in einem spirituellen Sinne nämlich. Am Ende gibt es eine formlose, alles durchdringende Energiefrequenz, auf der zum Beispiel die Revolution in Ägypten und die Blockaden in Dresden laufen, ohne dass es da vielleicht bewusste oder direkte Verbindungslinien gäbe. Und Sie werden es nicht glauben, aber diese Energie, die das alles verbindet, nenne ich die Liebe. Und die hält sich klarerweise an keine Grenzen.

NDS: Der schwedische Journalist Stieg Larsson ist durch seine Romane „Verblendung“, „Verdammnis“ und „Vergebung“ bekannt geworden, die gerade im Deutschen Fernsehen gezeigt werden. Larsson war aber auch einer der weltweit führenden Experten für Rechtsextremismus und Neonazismus. Er hat Antifaschismus als internationalistisch begriffen. Würden Sie ihm beipflichten?

Konstantin Wecker: Ich würde sogar noch weitergehen. Für mich macht ein Antifaschismus, der nicht auch die Wurzeln dieser wiederkehrenden Seuche erkennt – den Kapitalismus nämlich! – eine ziemlich reduzierte Angelegenheit. Ich bin sehr dafür, dass auch das Bürgertum erkennt, dass es demokratische Freiheiten selber zu verteidigen und deshalb Nazis zu blockieren hat. Aber am Ende sind es die wirtschaftlichen Krisen und die unendliche Gier einer mit allen Machtmitteln ausgerüsteten Kapitalistenklasse, die auch immer wieder dem Faschismus Nahrung geben. Und wir haben in den vergangenen Monaten ja gesehen, wie beispielsweise eine gnadenlose rassistische Sündenbockhetze von ganz oben kommt, ja, direkt inszeniert wird. Für mich ist Antikapitalismus die logische Fortführung des Antifaschismus.

NDS: Larsson sah das politische Engagement, der Bürger als einziges Instrument um antidemokratischen Tendenzen entgegenzuwirken, dabei war es seiner Meinung nach nicht entscheidend, in welcher Partei sich Bürger engagieren. Sie haben sich bereits 1993 mit Ihrem Lied „Misch dich ein“ die Zivilgesellschaft aufgefordert hinzusehen und nicht wegzusehen. Hat sich eine Kultur des Hinsehens entwickelt?

Konstantin Wecker: Das werden wir sehen. Ich stelle schon fest, dass sehr viel Unzufriedenheit artikuliert wird, auch in massiver Form und mit einer mitunter sehr radikalen Sprache – und das zunehmend von ganz normalen, den sogenannten “braven” Bürgern. Der Schritt zum wirklichen Eingreifen ist aber noch weit. Und da reicht mir Stuttgart 21 noch nicht aus, um bereits eine klare Tendenz abzuleiten. Also: ja, es hat sich eine Kultur entwickelt, die hinschaut. Aber die Kultur, die wir brauchen, ist eine, die auch dazwischen geht.

NDS: In Europa ist ein politischer Rechtsruck zu beobachten, der inzwischen nicht mehr als Randgruppenphänomen abgetan werden kann. Die rechtskonservative ungarische Regierungspartei hat ein Mediengesetz verabschiedet, dass Behörden eine Pressezensur erlaubt. Sie dürfen Sender, Zeitungen und Online-Portale kontrollieren und bestrafen. Das ist ein fundamentaler Angriff auf die Pressefreiheit. Geht Ihrer Meinung nach von Ungarn die Gefahr einer Initialisierung aus, die in europäischen rechtskonservativen Regierungen Nachahmer finden könnte?

Konstantin Wecker: Was in Ungarn passiert, kann ich nicht gut beurteilen. Aber es scheint mir auf einer Linie zu liegen, mit autoritären Tendenzen herrschender Klassen weltweit. Nur, wenn wir einseitig darauf fixiert bleiben, was die da oben tun und planen und machen und wollen, kommen wir nie aus der Position des Kaninchens vor der Schlange heraus.
Man muss in die Gesamtsituation also die Jugendaufstände in Frankreich und Griechenland, die Massenbewegungen in Iran und Thailand und jetzt die Revolutionen in Tunesien und Ägypten mit hineindenken. Da sind alles sehr unterschiedliche Bewegungen, über die ich im Einzelnen auch gar nicht sehr viel weiß. Aber mir scheint, dass es doch eine gegenseitige Inspiration gibt – und als gemeinsame Grundlage dieser Bewegungen die Tatsache, dass der krisengeschüttelte Kapitalismus immer weniger anbieten kann, um die Völker ruhigzustellen.
Insofern beschäftigt mich die Frage, ob die Tunesier und Ägypter Nachahmer finden.

NDS: Politik ist für viele Menschen mittlerweile zu kompliziert und undurchsichtig geworden. Mit platten Parolen attackiert die NPD nicht nur die Politik der Europäischen Union, die Auswüchse der Globalisierung und die internationale Hochfinanz sondern auch HartzIV-Gesetze und die Klientelpolitik der Bundesregierung. Im Jahr 2011 stehen in sechs Bundesländern Landtagswahlen an. Laut aktueller Umfragen hat die NPD gute Chancen in Mecklenburg-Vorpommern wieder in den Landtag zu kommen. Werden Sie nicht zum einsamen Rufer in der Wüste?

Konstantin Wecker: Mitnichten. Zurzeit rufen einige mit und es sind eine ganze Reihe von Oasen entstanden, um in Ihrem Bild zu bleiben. Richtig einsam war’s so um Mitte der 90er Jahre und danach. Als Rot-Grün den Kosovo-Krieg durchgesetzt hat und ich das in meinen Konzerten scharf angegriffen habe, hatte ich die unschöne Erfahrung, in meinem eigenen Publikum keine Mehrheit mehr zu haben. Das hat sich nach und nach wieder geändert. Zum Glück.
Aber zurzeit sieht es ganz anders aus. Es gibt Aufbrüche und spannende Experimente, es gibt spontane Dynamik und eine echte Lust an der Provokation und am auch offensiven Widerstand. Das habe ich so lange nicht mehr erlebt. Und Dresden war 2010 und ist sicherlich auch 2011 ein fabelhaftes Beispiel dafür.

NDS: In den 1930er Jahren haben die Nationalsozialisten mit Werbeplakaten geworben, auf welchen ein hünenhafter halbnackter Arbeiter zu sehen war, der die „internationale Hochfinanz“ vernichten will. Ist die Finanzkrise ein Thema, dass Bürger aus der so genannten Mitte und des traditionellen Arbeitermilieu den rechten Parteien zutreibt?

Konstantin Wecker: Das kann sein. Die Sarrazin-Kampagne, an der nichts zufällig gewesen ist, hat genau diese Dynamik zu stimulieren versucht und das ist sicherlich auch ein Stückweit gelungen. Aber dann kommen Bilder aus Kairo, wie dort Frauen mit oder ohne Kopftuch heldenhaft gegen die Schergen eines Diktators kämpfen – und plötzlich fühlen sich Meier und Schulze spontan solidarisch mit … Arabern!
Also auch hier: es kann hierhin gehen und andersherum, am Ende hängt es wirklich von uns ab, von jedem Einzelnen. Gerade in diesen bewegten Zeiten machen die Aktivitäten, die jeder von uns entwickelt oder eben nicht, unter Umständen eine ganze Welt aus.

NDS: Rechtsextremismus ist prinzipiell antidemokratisch, er geht einher mit einer Abwertung der Menschen- und Bürgerrechte. Was bewegt die Menschen trotzdem rechtskonservativ zu wählen?

Konstantin Wecker: Das hat mit der Krise des Parteiensystems schon auch zu tun. Und diese Krise besteht darin, dass Rot-Grün unter Schröder eine Entwicklung eingeleitet haben, die ein ganzes Segment unserer Gesellschaft ins Aus drückt. Und für diese Leute gibt es nur die LINKE als Alternative, aber wer die wählt, wird verteufelt. Also gehen viele gar nicht wählen. Im sogenannten Mittelstand grassiert derweil die Angst vor dem eigenen Abstieg und das ist immer brandgefährlich, wenn diese Ängste nach unten kanalisiert werden.
Aber die Demokratie wird nicht bei Wahlen gewonnen oder verloren. Die spiegeln das im besten Falle. Wir sagen jetzt den Ägyptern: “Ihr braucht unbedingt Parteien! Ohne Parteien kann es keine Demokratie geben!” Mal ehrlich: für mich ist Demokratie das, was wochenlang auf dem Tahrir-Platz in Kairo passiert ist und danach in ganz Ägypten. Wir sollten von den Ägyptern lernen.

NDS: Die Jungsozialistinnen und Jungsozialisten in der SPD Mecklenburg-Vorpommern haben das Projekt „Endstation Rechts“ ins Leben gerufen. Letzte Woche stellte die BayernSPD das Informationsportal www.endstation-rechts-bayern.de den Medien vor. Die Internetseite will über Ereignisse und Brennpunkte der Neonazi-Szene informieren und aufklären. Wie sehen Sie den Informationsbedarf über Rechtsextremismus in der Bevölkerung?

Konstantin Wecker: Der reine Reflex “Da sind Nazis – die sind böse” wird nicht ewig ausreichen, um Leute für antifaschistische Aktionen zu mobilisieren. Ich habe aber immer gewisse Probleme mit Informationsmaterial, in dem mit großem kriminalistischem Aufwand die Nazi-Szene quasi vorgestellt wird. Das ist sicherlich auch wichtig, aber mich persönlich interessieren diese Heinis eigentlich nicht so im Detail. Ich finde Faschisten gefährlich und fühle mich von ihnen nicht zuletzt in meinem Bedürfnis nach Gemütlichkeit empfindlich gestört. Aber abgesehen davon, dass ich dieses Phänomen bekämpfe, sind mir die eigentlich wurscht.

NDS: Herr Wecker, Sie haben neue Texte geschrieben. Sind es wieder politische Texte und werden auf der Demo in Dresden neue Lieder von Ihnen zu hören sein?

Konstantin Wecker: Ja, es sind auch sehr politische Lieder dabei. Ich will zwei verraten. Das eine heißt “Das Lächeln meiner Kanzlerin” und ich bin wirklich sehr glücklich, dass es so hinterfotzig und böse geworden ist. Das andere heißt “Empört Euch” und ist sozusagen die offensive Version von “Sage Nein”. Das ist ja in einer sehr schlimmen Lage entstanden, als die Nazis überall im Vorwärtsgang waren. Momentan sehe ich uns eher in der Lage, dass wir wirklich was erreichen können – wenn wir uns empören, wenn wir aufstehen und mutig sind!

Anmerkung der Redaktion: Das ungarische Mediengesetz wird auf Druck der EU-Kommission geändert. Ungarn sollte bis zum 10.02. Vorschläge zur Änderung des umstrittenen Mediengesetzes an die EU-Kommission übermitteln. Die eingereichten Vorschläge werden nun von der EU-Kommission geprüft.

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