Wenn Genosse Steinbrück Wall Street spielt – eine aufschlussreiche Skizze seiner teuren Politik findet sich bei Sahra Wagenknecht

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Wer Steinbrück kennt, wer die Kette seiner Misserfolge von der verlorenen Nordrhein-Westfalen Wahl bis zum Bankenrettungsschirm und der zig-Milliarden schweren Rettung der HRE noch zu erinnern im Stande ist, begreift nicht, wie man auch nur das Schwarze unter dem Fingernagel eines Gedankens darauf verwenden kann, diesen Mann zum Kanzlerkandidaten der SPD zu machen. Sahra Wagenknecht hat in ihrem neuen Buch „Freiheit statt Kapitalismus“ kompakt und faktenreich dokumentiert, wie Steinbrück und Eichel, Merkel und Schröder den „Finanzplatz Deutschland“ den Spekulanten geöffnet und uns Milliarden-Lasten aufgebürdet haben. (Hier finden Sie die einschlägigen Seiten 47-55 [PDF – 123 KB] *) Albrecht Müller.

Wagenknecht zeigt z.B., wie systematisch das spekulative Verbriefungsgeschäft ausgebaut und politisch gefördert wurde. Wir lernen auch, wie sich die US-Finanzbosse über die tumpen Deutschen, denen man den Finanzschrott andrehen kann, amüsiert haben. Als Fußnote ist anzumerken, dass nicht nur Steinbrück und Sozialdemokraten wie Eichel, Schröder und Clement dem Finanzplatz-Wahn verfallen waren. Das gilt genauso und originär für CDU/CSU und FDP und für die Grünen. Sahra Wagenknecht weist in ihrem Text auf einen Vorgang hin, den wir auch in der NachDenkSeiten schon einmal beschrieben haben: die Debatte und Verabschiedung eines Gesetzes zur Förderung von kleinen Unternehmen und zur Verbesserung der Unternehmensfinanzierung, die im Mai 2003 stattfand. Damals haben die Vertreter der genannten Parteien um die Trophäe des besten Förderers der internationalen Finanzspekulation gekämpft. Nur tat man so, als ginge es um die Förderung von kleinen Unternehmen und um Unternehmensfinanzierung.

Dass Steinbrücks Fehler, seine Erfolglosigkeit und seine unsympathischen politischen Vorstellungen jetzt offensichtlich vergessen sind und Steinbrück durchaus Chancen hat, zum Kanzlerkandidaten der SPD ausgerufen zu werden, ist zuvorderst die Folge einer gut angelegten Kampagne zu Gunsten dieses Kandidaten. Er wird zu aller letzt ein Kandidat der SPD sein wird.

Warum Steinbrück hochgejubelt wird:

Erstens: Steinbrück ist ein Mann der Finanzindustrie. Das zeigt seine bisherige und im Text von Wagenknecht beschriebene Arbeit zu Gunsten dieses Sektors. Dass er in letzter Zeit anders redet, gehört zur Camouflage.

Zweitens: Weil Steinbrück ein viel zu enges Spektrum der Sozialdemokratie repräsentiert und einseitig festgelegt ist, wird er die Wahlen wie schon in Nordrhein-Westfalen als damaliger Ministerpräsident nicht gewinnen. Er wird jetzt hochgejubelt und dann wird man mit genügendem Abstand vor der Wahl zeigen, was er alles angerichtet hat und wes Geistes Kind er ist. Und dann wird er eben wieder runtergeschrieben. Das gleiche Verfahren hat man 1993 und 1994 schon geübt – mit Rudolf Scharping. Er wurde genauso unverständlich wie im Falle Steinbrück beginnend mit der Vorsitzendenwahl durch die SPD-Mitglieder im Sommer 1993 über den grünen Klee gelobt und dann im März 1994 mit gebührendem Abstand vor der Bundestagswahl über eine lächerliche Verwechslung von brutto mit netto fertig gemacht.
Steinbrücks Kandidatur und die Promotion für seine Kandidatur ist also das beste Mittel dafür, die Macht der Rechten weiter zu zementieren.

Drittens: Selbst wenn er, bedingt durch eine besonders günstige Konstellation, trotz der in zweitens dargestellten Taktik eine Mehrheit zusammenbekommen würde, würde sich an der für die Finanzwirtschaft interessanten und wichtigen Linie nichts ändern.
Zweitens und drittens zusammen machen ihn zu einer sicheren Nummer für das rechtskonservative Lager. Zusammengefasst: Er wird mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht gewinnen. Und wenn er gewinnt, dann ist es nicht weiter schlimm für die hinter ihm stehenden Interessen.

Viertens: Die Rechten in der SPD möchten ihn gerne als Kandidaten haben, weil er einer der ihren ist und weil sie vermutlich glauben, sie könnten mit ihm sogar Wahlen gewinnen. Diesen Fehler hat diese Gruppierung in der SPD schon häufig gemacht. Sie haben noch nie verstanden, dass von den Medien erzeugte Popularität und ein schnelles Mundwerk auch nicht andeutungsweise Garanten dafür sind, Wahlen zu gewinnen.

Die Kampagne pro Steinbrück und ihr sich in den Umfragen niederschlagender Erfolg ist ein neuer Beleg dafür, dass die Selektion von Personen nicht mehr funktioniert: Nach Qualität geht es nicht. Es geht nach Dienstbarkeit.

Wieder ein Beleg für die totale Manipulierbarkeit
Die Kampagne pro Steinbrück ist auch wieder Beleg dafür, dass die totale Manipulation möglich ist und dass mit dieser Erfahrungen im Hintergrund Kampagnen gefahren werden: Zur Sache, wie zum Beispiel zur Dramatisierung des demographischen Wandels. Und zu Personen wie im konkreten Fall.

Übrigens:
An der Kampagne für Steinbrück als Kanzlerkandidat wird zudem sichtbar, wie weit entfernt die Mehrheit der so genannten Qualitätsjournalisten von der bundesrepublikanischen Wirklichkeit leben und arbeiten. Die meisten von ihnen nehmen solche Kampagnen immer noch nicht wahr oder sie nehmen sie nicht ernst. Wie jene Journalistin beispielsweise, auf deren Beitrag im Deutschlandradio wir als letzten Hinweis von heute aufmerksam gemacht haben. Qualitätsmerkmal scheint das Brett vor dem Kopf, oder vornehmer gesagt die Binde vor den Augen zu sein.

* Sahra Wagenknecht
Freiheit statt Kapitalismus
Eichborn Verlag
368 S., gebunden
ISBN 978-3-8218-6546-1
19,95 EUR
Weitere Informationen zum Buch gibt es hier.

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