Im Namen der Guten: „Die Jakarta-Methode“ – ein mörderisches Programm einer verbrecherischen Politik

Ein Artikel von Albert Klütsch

Wesseling – Vincent Bevins, Jahrgang 1984, kalifornischer Freigeist, sah sich dem Journalismus verpflichtet, der ihn unter der waltenden Obhut von Washington Post, Los Angeles Times und weiterer internationaler Verlage durch die Welten führte, die sich über Erster (kapitalistischer) und Zweiter (kommunistischer) bis zur Dritten Welt (blockfrei) erstreckte: Brasilien und Indonesien gerieten in seinen Fokus – und gaben seinem historischen Rekurs in die Welt nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine neue Note: Hinter dem Schleier vordergründiger Ereignisse standen persönliche Schicksale, die millionenfach im Namen eines fanatischen Antikommunismus gemetzelt und gemeuchelt wurden. Sein 2023 im PapyRossa Verlag, Köln, auf Deutsch verlegtes Buch lässt einen 353 Seiten schaudern über ein „mörderisches Programm Washingtons“, das unsere Welt bis auf den heutigen Tag prägt. Eine Rezension von Albert Klütsch.

Wer sich schon in den 70-ern des vergangenen Jahrhunderts auf der „Insel der Götter – Bali“ bewegte und sich der kulturellen Vielfalt eines über mehr als 15.000 Inseln verstreuten Vielvölkerstaates Indonesien erfreute, wer in der Hauptstadt Jakarta die Hunderttausende Javaner erlebte, die dem Sarg von Bung Karno im Juni 1970 folgten, war angetan von jener Einheit, die dieser Präsident nach Ende der japanischen Besatzung mit dem erfolgreichen Kampf gegen die Polizeiaktionen der niederländischen Kolonisatoren, einer über alle Inseln einheitlichen Sprache – Bahasa Indonesia – und einem angesichts der religiösen Vielfalt von einheitlichen Werten der Panca Sila – Gottglaube, Nationalismus, Humanismus, Demokratie, soziale Gerechtigkeit – geschaffen und sich mit der Konferenz von Bandung 1955 sich internationales Ansehen erworben hatte. Wer sich jedoch vom strahlenden Lächeln des Führers einer „gelenkten Demokratie“ blenden ließ, übersah leicht die vielen Millionen Totenbilder in den Häusern der Indonesier, die die Massaker der Jahre 1965/66 nicht überlebt hatten. Und wer gar für Amnesty International die Archive politischer Verfolgung durchforstete, entdeckte auf der Insel Buru in den Molukken hunderte politischer Gefangener, die unter der neuen Ordnung „orde baru“ 10 und mehr Jahre ohne Verfahren, ohne Anklage und Urteil saßen, nur weil sie eine linke, „politisch unkorrekte“ Meinung hatten.

Aber genau dieser revolutionäre Nationalismus, der sich aus dem Kampf gegen die Kolonisation speiste, war den „Big Brother“ John Foster Dulles (Außenminister) und Allen Dulles (CIA-Chef) unerträglich. Und als ein paar amerikanische Bomben auf Ambon 1958 den Indonesiern noch nicht den „rechten Weg“ wiesen, fürchteten die von McCarthy im Wissen um unamerikanische Umtriebe fanatisierten Amerikaner um den Verlust jedes Landes, das sich neutral gebärdete und nach ihrer politischen Analyse nurmehr dem Kommunismus anheimfallen konnte.

Das vermurkste US-Abenteuer der Schweinebucht 1962, der kubanischen Revolution Einhalt zu gebieten, hatte US-Präsident JF Kennedy Ansehen gekostet, das er nun durch Stärke im Kampf gegen weitere kommunistische Einflusssphären in Fernost (Vietnam, Laos, Kambodscha) innenpolitisch mit allem Respekt vor nationalen Befreiungsbewegungen wieder aufzupolieren trachtete. Das genügte nach seiner Ermordung dem Präsidenten Johnson und seinem CIA aber nicht und so begann die US-Regierung, ausgesuchte Militärs jener Länder in ihren Kasernen in Kansas mit ihrem „westlichen Werte-Bild“ vertraut zu machen, das für eine Welt ohne ein mit dem Kapitalismus streitendes Gesellschaftssystem „Kommunismus“ stand – und steht.

Und in Indonesien ergab sich die erste Probe aufs Exempel: Die kommunistische Partei Indonesiens PKI hatte in Anlehnung an den Kommunismus des Mao Tse Tung mit seinen 15 Millionen Mitgliedern und einer Nähe Sukarnos zu diesem System „sozialer Gerechtigkeit“ in Indonesien eine politisch brisante Basis, die es zu zerstören galt. Denn was zählte ein „Erfolg“ in dem kleinen Vietnam, wenn das viertgrößte Land der Erde im antikommunistischen Kampf für immer verloren ging.

Und dann ging alles ganz schnell – 6 Generale, die Sukarno nahestanden, wurden in der Nacht des 30. September 1965 ermordet – und der Mord den Kommunisten in die Schuhe geschoben, worauf das Militär, aber auch islamistische Banden alle massakrierten, derer sie habhaft werden konnten: Kommunisten und solche, die sie dafür hielten, Mitglieder des Kulturverbandes LEKRA – und keiner musste sich darob schämen, weil die neue Ordnung des Generals Suharto ob seines amerikanisch geschulten Antikommunismus dieses Morden nicht sanktionierte, sondern den Mördern einen Heldenstatus verlieh, wie ihn Joshua Oppenheimer in seiner Dokumentation „Act of Killing“ eindrücklich filmisch erfasst.

Bis heute werden diese Massaker, denen in Indonesien bis zu 3 Millionen Menschen zum Opfer fielen, öffentlich beschwiegen. Der preisgekrönte Journalist und Autor Vincent Bevins durchbricht in seinem Buch, glänzend übersetzt von Glenn Jäger, diese Mauer des Schweigens, indem er sich der Archive, Dokumente und eben jener Augenzeugenberichte bedient, die den Schleier des Verdrängens und Vergessens lüften helfen. Faktisch-historisch wird wenig Neues vermittelt, aber anhand der persönlichen Geschichten verlässt die Dokumentation die Basis der Daten und Zahlen und gewinnt, indem sie menschlich greifbar, nahbar, fühlbar erzählt wird.

Hinzu kommt, dass dieses Verbrechen an der Menschheit aus dem isolierten Kontext eines fernen Landes gelöst und als eine mörderische Methode erkannt wird, der die Kapitale Indonesiens nicht nur den Namen, sondern die Blaupause gegeben hat, wie sie vom antikommunistischen Kampf der US-Administration fortlaufend seit dem II. Weltkrieg in Südkorea, Taiwan, Guatemala, Kongo, Vietnam, Brasilien, Chile bis in die Neuzeit Iran, Irak und letztlich der Ukraine genutzt wurde, wo immerzu die Waffen und die notwendige antikommunistische Gesinnung dazu führten, mit dem Blut der einheimischen Völker die eigene imperiale Vorherrschaft zu sichern.

Zurück bleibt für Bevins die summarische Erkenntnis aus 75 Jahren US-amerikanischer Kommunistenjagd neben den unbewältigten Traumata der betroffenen Völker und Staaten eine Politik, die darauf angelegt ist, alternative Gesellschaftsmodelle („Dritter Weg“) zu destruieren, Staaten mit gefügigen Regierungssystemen zu fördern, sozialistische Bewegungen zu unterminieren mit dem Ziel, die Globalisierung des kapitalistischen Gesellschaftssystems zur Amerikanisierung in einer neuen „regelbasierten Ordnung“ zu deformieren, die weder das Friedensgebot der UN-Charta noch gar die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 als rechtliche Grenzen wahrzunehmen bereit ist – das ist jene Jakarta-Methode, die sich aus einem militärisch und politisch gewalttätigen Antikommunismus speist. Ein „kalter Krieg“, mit dem die US-Administration die Welt klammheimlich überzieht. Bevins rechnet scharf mit dieser Schändung der „westlichen Werte-Welt“ ab und decouvriert diese CIA-basierte Politik als jenes mörderische Programm, das dem „Mythos Amerika“ den rechtlichen und menschlichen Glanz nimmt – ernüchternd und niederschmetternd.

Vincent Bevins, „Die Jakarta-Methode – Wie ein mörderisches Programm Washingtons unsere Welt bis heute prägt“, 2023 PapyRossa Verlag, 28,00 €

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