Verpackt und zugenäht! Mieser Service gehört bei der Post zum Geschäftsmodell

Verpackt und zugenäht! Mieser Service gehört bei der Post zum Geschäftsmodell

Verpackt und zugenäht! Mieser Service gehört bei der Post zum Geschäftsmodell

Ein Artikel von Ralf Wurzbacher

Die Deutsche Post AG streicht Milliardenrenditen ein und lässt dafür ihren Versorgungsauftrag schleifen. Das geht schon lange so, soll jetzt aber gesetzlich verbrieft werden. Das Bundeswirtschaftsministerium empfiehlt unter anderem die Befreiung von der Pflicht, 80 Prozent der Briefe binnen 24 Stunden auszuliefern, während der Chef der Bundesnetzagentur den Montag als Zustelltag für verzichtbar erklärt. Der Global Player aus Bonn will freilich noch mehr: Extratarife für schnellen Versand und einen außerplanmäßigen Portoaufschlag. Dass er damit durchkommt, ist ziemlich wahrscheinlich. Also blühen den Verbrauchern künftig noch höhere Kosten und noch mehr Frust. Von Ralf Wurzbacher.

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Es gab Zeiten, da ging die Post richtig ab. Damals, als der Laden noch Deutsche Bundespost hieß. Da konnte man Päckchen, Briefe und Postkarten nicht nur auf die Reise schicken, sie kamen auch ziemlich sicher beim Adressaten an. Heute gehen pro Monat Zehntausende Sendungen verlustig und die bei der Bundesnetzagentur auflaufenden Meldungen wegen verspäteter, schadhafter oder ausgefallener Zustellungen erreichen immer neue Rekordstände. Im ersten Quartal dieses Jahres zählte die Behörde über 8.500 Beschwerden, fast doppelt so viele wie im Vergleichszeitraum 2022. Im gesamtem Vorjahr waren es mit 43.500 nahezu dreimal so viele wie 2021. Den Tiefpunkt der vor zehn Jahren eingeführten Statistik markierte bis dahin das Jahr 2020 mit knapp 19.000 Eingaben. Die Rügen richten sich gegen die gesamte Brief- und Paketbranche, aber die allermeisten betreffen den hiesigen Marktführer, die Deutsche Post DHL Group.

Mitte Mai hat der Konzern beantragt, eine für Anfang 2025 vorgesehene Erhöhung der Portopreise um ein Jahr vorziehen zu dürfen. Begründet wird dies mit der allgemeinen Inflation, gestiegenen Energiekosten und den Auswirkungen des jüngsten Tarifabschlusses. Eigentlich sollen Anpassungen alle drei Jahre erfolgen, wovon zuletzt jedoch ein ums andere Mal abgewichen wurde. Allein zwischen 2013 und 2022 wurde beim Standardbrief schon sechsmal aufgeschlagen, von damals 58 Cent auf heute 85 Cent. Die Genehmigung obliegt der Netzagentur mit Sitz in Bonn, in guter Nachbarschaft zum Hauptquartier der Post AG. Deren Wünschen entsprach die Regulierungsbehörde in der Vergangenheit so verlässlich, wie die Konzerngewinne von einem zum nächsten Allzeithoch jagten. 2022 waren es 8,4 Milliarden Euro. Auch deshalb sollte man nicht allzu viel geben auf die jüngste Einlassung von Behördenpräsident Klaus Müller. Der hatte zu Wochenbeginn angesichts der hohen Beschwerdezahlen gesagt: „Ob man in dieser Situation das Porto erhöht, muss man sorgfältig prüfen.“ Es gebe zwar legitime betriebswirtschaftliche Interessen, allerdings müsse man auch die Kunden im Blick haben.

Paketdienst beim Pizzabäcker

Deren Interessen sind beim Branchenprimus schon lange nachrangig, so wie die der Beschäftigten. Seit der Privatisierung 1995 wurden zigtausende Arbeitsplätze vernichtet und wenn das Management heute über chronischen Personalmangel lamentiert, dann ist das Problem vor allem hausgemacht. Schlechte Bezahlung und miese Arbeitsbedingungen – bis zu 300 Pakete pro Tag zustellen – machen nicht nur wenig Lust auf den Job, sondern auch krank. Nach einer Auswertung der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di sind 17 Prozent der Belegschaft, rund 25.000 Beschäftigte, nur befristet angestellt. In der Vorweihnachtszeit werden Tausende Kräfte rekrutiert, um sie nach dem Fest wieder vor die Tür zu setzen. Selbst Leute mit Bürotätigkeit verdonnert man im Dezember dazu, bei der Zustellung auszuhelfen. Vergangenen November ließ die WirtschaftsWoche einen Brief- und Paketboten zu den Zuständen im Zeichen von zunehmender Arbeitsverdichtung und haufenweise Überstunden zu Wort kommen. „Die Leistungen, die wir gerade erbringen müssen, sind eine Zumutung“ und weiter: „Ich komme abends heim und bin völlig fertig“.

Beim unablässigen Renditedruck der Aktionäre werden Menschen und guter Service zum lästigen Kostenfaktor. Jens Berger hat vor rund drei Jahren unter dem Titel Privatisierung paradox am Beispiel von Post, Telekom und Bahn geschildert, wie mit der (Quasi)-Entstaatlichung zentraler Bereiche der Daseinsvorsorge die Bedürfnisse der inländischen Verbraucher unter die Räder gekommen sind. Groß geworden in Deutschland und jahrzehntelang in staatlicher Obhut, haben die drei Konzerne ihre Heimathäfen brutal heruntergewirtschaftet, um das ganz große Geld im Ausland zu machen. Post DHL sei so zum weltweit führenden Logistiker aufgestiegen mit Riesenmärkten in den USA, Indien und China, „nur nutzt es dem deutschen Bürger nichts, wenn ‚seine Post‘ es zwar schafft, Pakete aus Guangdong 24 Stunden später in Neukaledonien zuzustellen, gleichzeitig aber die letzten Postfilialen und Briefkästen auf dem Lande außer Betrieb nimmt“, schrieb Berger. Seit 2012 betreibt die Post AG praktisch keine eigenen Filialen mehr. Ihre Dienste hat sie großflächig ausgelagert an sogenannte Postagenturen in Gestalt von Tankstellen, Kiosken, Supermärkten oder Pizzabäckern. Verblieben sind dazu rund 800 Finanzcenter der Postbank, die Postdienstleistungen anbieten.

Abschied vom Universaldienst?

Größere Zweigstellen, die dem Bonner Konzern selbst gehören, soll es laut einem Bericht der ARD vom Januar nur noch zwei geben: „Eine ist im Deutschen Bundestag und die andere in der Bonner Firmenzentrale.“ Expertise wird da zum Auslaufmodell, so wie auch die flächendeckende Versorgung. Aufhänger des Beitrags war seinerzeit eine Missfallensbekundung der Bundesnetzagentur, wonach es bundesweit 140 „unbesetzte Pflichtstandorte“ gibt. Laut Verordnung muss die Post als sogenannter Universaldienstleister in jeder Gemeinde mit mehr als 2.000 Einwohnern dafür sorgen, dass wenigstens ein Anbieter vor Ort ist. Vor allem im ländlichen Raum mehren sich die weißen Flecken. Für eine Briefmarke müssen die Leidtragenden dann schon mal die nächste Stadt ansteuern.

An dem Vorgang wird die ganze Macht des Post-Giganten ersichtlich – und die Ohnmacht der Netzagentur sowie die der Politik. In jüngerer Zeit hat die Chefetage wiederholt damit gedroht, aus dem Universaldienst auszusteigen, unlängst in Person des gerade ausgeschiedenen Konzernbosses Frank Appel. „Wenn der Gesetzgeber uns zwingt, dass wir andere Maßnahmen machen müssen, dann müssen wir das betrachten und sehen, was passiert“, äußerte er sich vor zwei Wochen bei seiner Abschiedsrede. Hintergrund sind laufende Vorbereitungen des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWK) für eine Novelle des Postgesetzes, das seit Inkrafttreten 1998 im Kern nahezu unverändert geblieben ist und fit gemacht werden soll fürs Digitalzeitalter.

Bleibt montags bald der Briefkasten leer?

Mit seinen Ende Januar vorgelegten Reformeckpunkten hatte Ressortchef Robert Habeck (Grüne) dem deutschen Global Player bereits grünes Licht für weitere Qualitätsabstriche signalisiert, aber eben auch ein paar Kröten serviert. Zum Beispiel werden in dem Konzeptpapier Schritte einer „stärker wettbewerbsorientierten Regulierung im Briefbereich“ avisiert. Das könnte den Bonnern ihr Quasimonopol streitig machen. Dafür bräuchte es aber zunächst einmal Konkurrenten, die sich auf dem Gebiet versuchen wollten. Die gibt es aber gar nicht, weil gerade die Versorgung auf dem Land als Verlustbringer gilt. Bis auf weiteres kann faktisch nur der deutsche Platzhirsch mit einem Marktanteil von 85 Prozent auf dem Briefmarkt die bundesweite Zustellpflicht sicherstellen. Diese Position lädt natürlich dazu ein, die Politik vor sich herzutreiben, um etwa die Forderung nach einem vorfristigen Portoaufschlag durchzudrücken. Die entsprechenden Vorbehalte bei der Netzagentur könnten sich deshalb schon bald verflüchtigen, wie davor schon so oft.

Oder bietet die Behörde für den Fall einer Absage etwas zur Wiedergutmachung an? Präsident Müller jedenfalls erklärte sich in diesen Tagen einverstanden damit, wenn künftig am Montag keine Briefe und Postkarten mehr ausgeliefert werden. In anderen Ländern seien Zustellzeiten von zwei, drei oder vier Tagen normal, befand er gegenüber den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Ich bin offen, dass so etwas auch hier möglich wird“, die Entscheidung darüber liege aber beim Bundestag. Das ist bezeichnend: Wenn es ums Profitmachen geht, werden die niedrigen Standards andernorts flugs zum Vorbild für Deutschland. Die Offerte rief jedenfalls umgehend ver.di auf den Plan. „Montags nie!“ sei keine Lösung für erhöhte Beschwerdezahlen, sondern bedrohe lediglich die Arbeitsplatzsicherheit der Beschäftigten, erklärte Gewerkschaftsvize Andrea Kocsis. Die Einschränkung wäre nicht nur schlecht für die Kunden, sie würde überdies „auf einen Schlag Tausende tarifgebundene Arbeitsplätze kosten“.

Zwei-Klassen-Zustellung

Lustig: Die Post AG will am Montag gar nicht blaumachen. „Eine Veränderung der gesetzlich vorgegebenen Anzahl der Zustelltage pro Woche steht derzeit nicht im Fokus unserer Forderungen“, teilte ein Unternehmenssprecher mit. Das liegt wohl daran, dass der Konzern mittlerweile großflächig auf die sogenannte Verbundzustellung umgestellt hat. Hierbei liefern die Boten neben Briefen auch Pakete – ein Stressfaktor mehr für die Beschäftigten. Und weil man das Paketgeschäft montags nicht anderen überlassen will, verheißt ein briefbefreiter Montag auch kein oder kaum Potenzial, Arbeitsplätze zu streichen. Dazu kommt, dass der US-Online-Riese Amazon mit seinem hauseigenen Paketdienst gerade die Branche aufmischt und dabei ist, sich vom einst besten Kunden zum größten Konkurrenten zu mausern. Aber auch bei diesem Thema signalisiert das Habeck-Ministerium Beistand. Die Eckpunkte zur Postgesetzreform konstatieren „Regulierungsbedarf“, sofern „ein Unternehmen auf einem benachbarten Markt eine beherrschende Stellung einnimmt und die Gefahr besteht, dass es seine Marktmacht wettbewerbsverzerrend auf einen Postmarkt überträgt“.

Solch politischer Eingriffseifer ist auch eine Frage des Selbstschutzes. Der Bund hält über die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) gut 20 Prozent der Anteile an der Post AG. Schade nur, dass dies die Verbraucher nicht vor forciertem Qualitätsabbau schützt. Zielsicher greifen die Eckpunkte ein zentrales Ansinnen des gelben Riesen auf: die Befreiung von der Verpflichtung, mindestens 80 Prozent der Briefe bis zum nächsten Werktag auszuliefern. Die Vorgabe sei „kaum hilfreich“, heißt es in der Vorlage, „denn der Absendende weiß nicht, ob sein Brief zu den 80 Prozent gehört oder nicht“. Heute weiß er nicht einmal, ob sein Brief überhaupt eintrifft, geschweige denn pünktlich. Aber genau das soll ja mit der Wiederentdeckung der Langsamkeit demnächst besser werden. So könnten längere Laufzeiten und höhere Verbindlichkeit „den Bedürfnissen der Nutzerinnen und Nutzer in höherem Maße entsprechen und gleichzeitig eine nachhaltigere Erbringung des Universaldienstes ermöglichen“, phantasiert das BMWK. Im Habeck-Papier ist in diesem Zusammenhang sogar von „wirksamen Sanktionen“ die Rede, wenn gesetzliche Vorgaben „schwerwiegend, wiederholt oder anhaltend unterschritten“ würden.

Ob es so weit wirklich kommt? Die Post denkt lieber noch innovativer: Wer sein Briefchen innerhalb von 24 Stunden am Ziel wissen will, soll dafür extra zahlen. Diese Art der Zwei-Klassen-Zustellung hält Personalvorstand Thomas Ogilvie „im Sinne der Angebotspalette (…) für einen guten Schritt.“ Und wenn das Oma Erna nicht passt? Schick Deinem Enkelchen doch ‘ne WhatsApp!

Titelbild: Pineapple Content/shutterstock.com

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