Vorschläge zur Beendigung der Eurokrise

Jens Berger
Ein Artikel von:

Die EFSF ist zu klein bemessen, um auch Italien zu schützen, gleiches gilt für den ESM, der erst 2013 in Kraft treten soll. Solange es keinen „Kreditgeber der letzten Zuflucht“ (Lender of Last Resort) gibt, der über ausreichende Munition verfügt, droht der Eurozone ein ruinöser Kampf um die Gunst der Finanzmärkte. Um was geht es? Will die Eurozone vermeiden, dass die Akteure an den Finanzmärkten für Staatsanleihen bestimmter Eurostaaten Zinsaufschläge verlangen, die diese Staaten erst recht in eine fiskalische Notlage bringen, muss sie das Ausfallrisiko dieser Anleihen minimieren. Rendite (Zins) und Risiko gehören zusammen, nur eine glaubwürdige Senkung des Risikos kann die Zinsen wieder in normale Dimensionen bringen.

Für Staatsanleihen gibt es zwei Risikofaktoren – den Kreditausfall und das Währungsrisiko, das auch mit der Inflation der Kreditwährung verbunden ist. Letzteres spielt bei einer weltweit anerkannten Währung, hinter der ein realwirtschaftliches Schwergewicht wie die Eurozone steht, eigentlich keine große Rolle. Erst die Eurokrise selbst hat die Möglichkeit geschaffen, dass einzelne Staaten aus der Währungsgemeinschaft ausscheiden könnten. Dies ist freilich eine negative Rückkoppelung für das Risiko – Staaten, die ohnehin bereits im Abwertungsvisier der Märkte sind, steigen in der Risikobewertung abermals, da die Abwertungen erst die Gefahr eines Austritts dieser Länder aus der Währungsgemeinschaft schaffen. Sämtliche Gedankenspiele über eine Zweiteilung der Eurozone in einen Nord- und eine Südeuro sind daher brandgefährlich, da ein Südeuro massiv abwerten würde und diese – wenn auch noch sehr hypothetische – Gefahr ein implizites Währungsrisiko für Anleihen der Staaten darstellt, die nicht zum erlauchten Kreis der Nordeuro-Länder gehören. Wie so oft bei Finanzkrisen liegt hier die Gefahr einer selbsterfüllenden Prophezeiung vor – die Finanzmärkte reagieren auf angedachte Krisenszenarien und schaffen damit erst die Grundlagen, aus denen sich diese Krisenszenarien herleiten. Ohne ein felsenfestes Bekenntnis zum Euro ist daher jede Lösung, die sich an den Finanzmärkten orientiert, zum Scheitern verurteilt.

Bliebe der zweite Risikofaktor, die Gefahr eines Kreditausfalls. Das Beispiel Griechenland zeigt, dass diese Gefahr keinesfalls hypothetisch, sondern im Gegenteil sehr real ist. Um das Risiko eines Kreditausfalls zu minimieren, muss ein möglichst solventer Bürge oder Mitschuldner für gefährdete Staaten gewonnen werden. Die Summen, um die es mittlerweile geht, sind jedoch zu groß sind, um eine nationalstaatliche Lösung zu finden. Wenn die Eurozone als Ganzes die Schulden Italiens garantieren würde, hätte dies einen Einfluss auf die Bonität der Bürgen. Frankreich würde bei einer solchen Lösung beispielsweise sein AAA-Rating verlieren und selbst ins Visier der Spekulanten rücken. Führt man diesen Teufelskreis fort, bliebe am Ende nur noch Deutschland als Fels in der Brandung, der für die Schulden der gesamten Eurozone haftet. Das ist ökonomisch und politisch nicht denkbar und auch keinesfalls sinnvoll.

Der einzige „Lender of Last Resort“, der sowohl über die nötige Munition verfügt, als auch unabhängig von den Finanzmärkten agieren kann, ist die europäische Zentralbank EZB. Da die EZB – so wie jede Zentralbank – Geld schaffen kann, verfügt sie sowohl theoretisch als auch praktisch über unbegrenzten Munitionsvorrat. Die EZB wurde in der letzten Woche bereits von so verschiedenen Stimmen wie Thomas Fricke, Paul Krugman, Nouriel Roubini bis hin zum Deutschbanker Thomas Mayer ins Spiel gebracht. Auch wenn der Begriff „alternativlos“ zu recht als Unwort gilt – eine Einbeziehung der EZB bei der Lösung der Eurokrise ist in der Tat alternativlos.

Hinweis: Eine Erklärung der Fachbegriffe und eine grobe Einführung ins Thema finden Sie hier.

Es gibt jedoch mehrere Möglichkeiten, wie man die EZB zur Lösung der Krise einsetzen könnte. Die von den Banken favorisierte Variante, die im kleineren Maßstab bereits umgesetzt wird, ist, die EZB als eine Art „Kursgarantin“ für die Anleihen der Eurostaaten einzusetzen. Die EZB kauft in diesem Szenario am Sekundärmarkt Anleihen, wenn diese einen bestimmten Kurs unterschreiten. Sie definiert somit einen „Mindestwert“ oder spiegelbildlich einen „Maximalzins“ für die Anleger. Solche Stützungskäufe finden bereits statt, doch sie sind allenfalls eine Notlösung, da sie „falsche Preise“ produzieren und dies auch den Marktteilnehmern bekannt ist. Wenn eine Bank beispielsweise weiß, dass die EZB bei einem bestimmten Preis intervenieren wird, orientiert sie ihre Gebote bei der Versteigerung neuer Anleihen (Primärmarkt) auch an diesem „Mindestwert“. Für die Banken ist dies ein wunderbares Geschäftsmodell: Sie ersteigern Anleihen am Primärmarkt zu einem Preis leicht unter dem „Mindestwert“ und verkaufen diese Anleihen dann am Sekundärmarkt zum „Mindestwert“ an die EZB weiter. Was für Banken ein lohnenswertes Arbitragegeschäft darstellt, hat für die Staaten jedoch den Nachteil, dass die Zinsen für neu ausgegebene Anleihen sich immer am „Mindestwert“ bzw. „Maximalzins“ orientieren. Es erscheint dabei nicht ersichtlich, warum die Banken überhaupt an diesem Modell profitieren dürfen, wenn die Anleihen im Endeffekt ohnehin bei der EZB landen.

Konsequenter wäre es daher, der EZB Prokura zu geben, nicht nur am Sekundärmarkt, sondern auch direkt oder über ein sogenanntes Spezialvehikel mit Banklizenz am Primärmarkt Anleihen kaufen zu können. Auch hier gäbe es verschiedene Varianten: Die EZB könnte auch am Primärmarkt durch einen festgelegten „Mindestwert“ bzw. „Maximalzins“ bei der Versteigerung dafür sorgen, dass sich die Verzinsung in vernünftigen Dimensionen bewegt. Banken kriegen in diesem Fall nur dann den Zuschlag, wenn sie höhere Kurse und somit niedrigere Zinsen als die EZB bieten.

Selbst diese – relativ weitgehende – Lösung wäre jedoch immer noch eine „Notlösung“ und somit Flickschusterei. Für einen echten Befreiungsschlag müsste die Staatsfinanzierung weitestgehend von den Finanzmärkten abgekoppelt werden.

Hierzu siehe: Staatsfinanzierung als Subvention des Finanzsektors.

Die direkte Staatsfinanzierung über die EZB hat jedoch auch einen – auf den ersten Blick kurios erscheinenden – Nachteil. Staatsanleihen gelten zu Recht als mündelsicher und verschiedene Finanzdienstleister, wie beispielsweise Lebensversicherungen, sind qua Gesetz verpflichtet, einen großen Teil ihrer Kundengelder in Staatsanleihen aus dem eigenen Währungsraum zu investieren. Wenn man dem Markt Papiere im Werte von mehr als sieben Billionen Euro (so hoch ist die Staatsverschuldung der Eurozone) entziehen würde, hätte dies auch massive Auswirkungen auf die Finanzmärkte. Eine tragfähige Lösung müsste Anlegern also die Möglichkeit geben, weiterhin über Staatsanleihen risikoarme Kredite zu vergeben. Dies wäre jedoch auch über das EZB-Modell möglich. Auch Banken können bei der EZB Geld „parken“ – dafür bekommen sie von der EZB den Einlagesatz von derzeit 0,5%. Es wäre also keinesfalls ausgeschlossen, dass auch Lebensversicherungen und andere Finanzdienstleister Geld bei der EZB „parken“, indem sie spezielle Anleihen kaufen.

Ein solches Modell könnte folgendermaßen aussehen:

  1. Die EZB kauft den Eurostaaten ihre Anleihen mit einem vorher festgelegten pauschalen Zins ab, der je nach Laufzeit variiert. In unserem Beispiel soll dieser Zins bei 2,5% liegen.
  2. Ein Mechanismus muss festlegen, wie viele Anleihen die Staaten pro Jahr an die EZB verkaufen dürfen. Es wäre beispielsweise möglich, dass über gestaffelte Zinskonditionen ein „künstlicher Markteffekt“ implementiert wird. Wer beispielsweise mehr als 3% Neuverschuldung aufnehmen will, müsste dann nicht 2,5%, sondern z.B. 5% für die Papiere bezahlen, die oberhalb des Grenzwertes liegen. Damit wäre der grassierenden Angst vor dem hemmungslosen Gelddrucken und einer hohen Inflation der Boden entzogen.
  3. Die EZB haftet für die Rückzahlung der Schulden und gibt Eurobonds in Höhe der von ihr vergebenen Staatskredite aus.
  4. Der Zins dieser Eurobonds sollte merklich niedriger sein als der Zins, den die Staaten bei der EZB zahlen – in unserem Beispiel soll er bei 1,25% (dem Leitzins) liegen. Zu diesem relativ niedrigen Zins können dann Investoren ausfallsichere Papiere erwerben. Dass 1,25% durchaus konkurrenzfähig sind, zeigt der Markt für amerikanische, deutsche und japanische Staatsanleihen, die aufgrund ihrer hohen Bonität zu ähnlichen Konditionen gehandelt werden.
  5. Am Ende der Kreditkette macht die EZB einen Zinsgewinn, da die Zinsen, die sie von den Staaten nimmt (2,5%) höher sind, als die Zinsen, die sie den Investoren der Eurobonds (1,25%) zahlt. Diese Gewinne werden in ein Sondervermögen überführt, mit dem – nach einem zuvor festgelegten Schlüssel – die bestehende Verschuldung der Staaten abgebaut wird.
  6. Bei der momentanen Gesamtverschuldung von sieben Billionen Euro läge der Gewinn der EZB (die Zinsdifferenz zwischen 2,5% und 1,25%) bei 87,5 Mrd. Euro pro Jahr. Sollten die Finanzmärkte das Volumen der zur Verfügung stehenden Eurobonds nicht voll ausschöpfen, läge der Gewinn sogar noch höher.

Für die Staaten hätte dieses Modell viele Vorteile: Sie wären bei einer Finanzplanung vollkommen unabhängig von der Laune und dem Misstrauen der Märkte und auch die Macht der Ratingagenturen wäre beschnitten. Da die eigentlichen Staatsanleihen nicht mehr auf den Märkten gehandelt werden, wären die EZB-garantierten Eurobonds die einzigen Papiere, die überhaupt von den Ratingagenturen bewertet werden müssten. Ein Papier, für das eine Zentralbank garantiert, kann nach finanzwissenschaftlichen Abwägungen ohnehin nur ein AAA-Rating haben – es gibt nun einmal keine größere Sicherheit als eine Zentralbankgarantie.

Gleichzeitig würde ein solches Modell jede Befürchtung vor einer erhöhten Inflation ausräumen, da es durch die abgestuften Zinssätze einen systemischen Schutz vor Missbrauch beinhaltet. Durch die Emission von Eurobonds eignet es sich ferner als „sicherer Hafen“ für risikoscheue Anleger und private Finanzdienstleister, die Kundengelder im eigenen Währungsraum und ohne großes Risiko anlegen müssen. Einzig und alleine der Bankensektor dürfte ein solches Modell kategorisch ablehnen, da es das Ende der Subventionierung des Finanzsektors über Staatsanleihen darstellt. Mit einem solchen Modell wären die Staaten dann endlich nicht mehr ein Spielball der Finanzmärkte und hätten damit die Handlungsfreiheit zurückerlangt, endlich die strukturellen realwirtschaftlichen Ungleichgewichte und Verwerfungen innerhalb der Eurozone abzubauen.

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