Gerade die Arbeitgeberverbände haben ja sich in den letzten Jahrzehnten stets vermeintlich selbstlos dafür eingesetzt, dass der Staat die Finger von „unser Oma ihr klein Häuschen“ lässt. Klar, es ging dabei um die Erbschaftssteuer. Wie selbstlos die Lobbyisten wirklich denken, zeigt sich bei ihren jüngsten Vorstößen zu Einschnitten bei der Pflegeversicherung. Hier sollen künftig auch die bisherigen – ohnehin dürftigen – Härtefallregeln wegfallen. Auch selbstgenutzte Immobilien sollen dann verkauft werden müssen, um die Pflegekosten zu stemmen, die bislang noch von der Pflegeversicherung zumindest zum Tiel gedeckt werden. Wenn Oma ihr klein Häuschen vererben will, darf sie also kein Pflegefall werden. Erbschaften werden so vollends zum Klassenmerkmal der Oberschicht und damit fällt dann eigentlich auch das beliebte Totschlagargument gegen eine sinnvolle Reform der Erbschaftssteuer weg. Seltsam, dass dieser zumindest vordergründige Widerspruch niemandem auffällt. Von Jens Berger.
Es ist eine Binse: Pflege ist teuer. Sehr teuer. Im Schnitt muss die Pflegeversicherung für jeden stationären Pflegefall rund 3.100 Euro pro Monat hinzuschießen. Den Rest zahlen die Pflegebedürftigen aus eigener Tasche. Ihre kompletten Altersbezüge werden mit den Kosten verrechnet, ihnen bleibt lediglich ein kleines Taschengeld für persönliche Ausgaben. Sollten sie Ersparnisse haben, müssen diese erst aufgebraucht werden, bevor die Pflegeversicherung überhaupt zahlt. Unangetastet bleibt nach jetziger Regelung nur ein Schonvermögen von 10.000 Euro – das reicht aber heute auch gerade einmal, um die Beerdigungskosten zu decken.
Es gibt jedoch eine weitere Regelung, die nun von den Arbeitgeberverbänden ins Kreuzfeuer der Kritik genommen wird: Zum Schonvermögen gehört auch eine „angemessene Immobilie“, die dann jedoch selbst, vom Ehe- oder Lebenspartner oder den eigenen Kindern genutzt werden muss. Wenn man zum Pflegefall wird, bilden diese selbstgenutzten Immobilien auch die eigentlich letzte relevante Erbmasse, die in der Mittelschicht überhaupt noch vorkommt. Bankguthaben, Lebensversicherungen, Wertgegenstände – diese möglicherweise vererbbaren Vermögensgegenstände sind laut Gesetz nicht geschützt und hier gilt die obengenannte 10.000-Euro-Regel.
Nun drängen die Arbeitgeberverbände in einem Vorschlagskatalog für die Bundesregierung darauf, die Pflegeversicherung „finanzierbar“ zu machen. Neben vielen anderen Grausamkeiten, auf die ein lesenswerter Artikel von Eva Roth im Neuen Deutschland hinweist, geht es den Arbeitgebern darum, den Schutz für selbstgenutzte Immobilien ersatzlos zu streichen. Dazu ein konkretes Beispiel: Wenn ein älteres Ehepaar in seinem abbezahlten kleinen Reihenhaus lebt und ein Partner ins Pflegeheim muss, darf der andere Partner nach jetziger Regelung weiterhin im gemeinsamen Haus leben und muss es nicht verkaufen, beleihen oder vermieten, um die Pflegekosten zu übernehmen. Ginge es nach den Arbeitgebern, ist dies Geschichte.
Im ersten Jahr der Pflegebedürftigkeit sollen demnach die Kosten voll aus eigener Tasche getragen werden, so das denn möglich ist; erst später sind Zuschüsse der Pflegeversicherung möglich. Konkret: Bei Pflegegrad 3 liegen die Gesamtkosten für einen Pflegeplatz bei rund 4.000 Euro pro Monat. Unser älteres Ehepaar müsste dann also in jedem Fall zunächst 48.000 Euro aus eigener Tasche für die Pflege bezahlen, bevor die Pflegeversicherung überhaupt Zuschüsse gewähren kann. Wenn die Ersparnisse aufgebraucht sind, wird dann das Haus zum Thema und die Pflegeversicherung wird – sofern die Vorschläge der Arbeitgeber umgesetzt werden – sich weigern, einen Zuschuss zu zahlen, solange das Haus nicht durch Verkauf, Beleihung oder Vermietung zur Deckung der Pflegekosten herangezogen wird. Zwar gibt es die rechtliche Möglichkeit, Angehörigen einen „Nießbrauch“ einzuräumen, sodass sie selbst nicht aus dem Haus vertrieben werden können; da das Haus aber auch in diesem Falle den Besitzer wechselt oder halt durch einen – jedoch faktisch ohnehin nicht möglichen – Hypothekenkredit belastet wird, kann es in diesem Fall nicht vererbt werden. Kurz: Wenn Oma pflegebedürftig ist und sich standhaft weigert, zeitnah abzuleben, ist ihr „klein Häuschen“ weg. Punkt.
Nun mögen sich Unbedarfte fragen, warum die Arbeitgeber unbedingt an das Schonvermögen pflegebedürftiger Menschen wollen. Ganz einfach. Die Pflegeversicherung wird in Deutschland paritätisch finanziert. Lässt man Sonderregelungen heraus, zahlen sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber jeweils 1,7 Prozent in die Kassen ein. Da Pflege teuer ist und der demographische Wandel dazu führt, dass die Pflegekosten in Zukunft eher steigen als sinken, dürften diese Sätze schon bald erhöht werden. Und wenn die Lobbyisten der Arbeitgeber es nicht schaffen, die Mehrkosten durch „Sonderbeiträge“ einseitig den Arbeitnehmern aufzubürden oder sie über das Steuersystem aus der Sozialversicherung auszugliedern, müssen sie sich an den Mehrkosten paritätisch beteiligen. Sicher, die Beträge, über die wir hier sprechen, sind überschaubar. Sollte beispielsweise der Satz von 3,4 Prozent auf 4,0 Prozent steigen, wären dies bei paritätischer Finanzierung gerade mal 0,3 Prozent. Doch diese überschaubare Summe reicht den Arbeitgebern offenbar, um „Oma“ ihr kleines Häuschen wegzunehmen.
Ist das nicht erstaunlich? Wir erinnern uns: Jahrzehntelang haben just die Vertreter und Lobbyisten der Arbeitgeber, samt ihres politischen Arms in CDU und FDP, geradezu Krokodilstränen vergossen, wenn es um Omas kleines Häuschen ging. Da ging es aber um die Erbschaftssteuerdebatte. Immer wenn aus dem progressiven Lager darauf hingewiesen wurde, dass die Erbschaften in Deutschland steuerlich grotesk ungleich behandelt werden und hier eine Reform dringend nötig sei, bekamen sie „Omas Häuschen“ um die Ohren gehauen. Es kann doch nicht sein, dass der gierige Staat sich dieses Kleinod bürgerlicher Existenz unter den Nagel reißen will.
Na klar – auch diese Argumentation war schon immer verlogen. Dank recht hoher Freibeträge muss man auch heute in der Regel keine Erbschaftssteuern bezahlen, wenn man ein selbstgenutztes kleineres Haus erbt. Paradoxerweise erlauben es jedoch Sonderregeln heute auch, dass man tausende Mehrfamilienhäuser de facto vererben kann, ohne dafür Erbschaftssteuern bezahlen zu müssen. Es ging nie darum, Omas Häuschen zu schützen, sondern immer nur darum, Millionen- und Milliardenerbschaften von der Steuer auszunehmen. Und das ist den Lobbyisten perfekt gelungen. Zwar beträgt der Erbschaftssteuersatz auf dem Papier heute 30 Prozent, jedoch fällt bei vererbten Vermögen über 100 Millionen Euro nur durchschnittlich ein Erbschaftssteuersatz von 0,2 Prozent an. Verantwortlich dafür sind unzählige Sonderregelungen für Reiche, die ich in meinem Buch „Wem gehört Deutschland“ ausführlich dokumentiert habe.
Die Debatte rund um die Streichung der Schutzregeln für selbstgenutztes Wohneigentum in der Pflegeversicherung zeigt jedoch auch so, dass die Sorge um „Omas Häuschen“ nur vorgespielt ist. Wenn die Vorschläge der Arbeitgeberverbände so durchkommen, wird es künftig keine selbstgenutzten Immobilien mehr geben, die von der Mittelschicht überhaupt noch vererbt werden können. Aber sehen wir es positiv: Dann fällt schließlich auch das Lieblingsargument gegen eine Reform der Erbschaftssteuer weg.
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