Die „neue Freiheit“ der NRW-Hochschulen – Freiheit für wen und wozu?

Ein Artikel von:

Unter dem Titel „Hochschulen auf neuen Wegen“ hat NRW-Innovationsministerium eine Jubel-Broschüre [PDF – 1.5 MB] zum neuen „Hochschulfreiheitsgesetz“ herausgegeben. Kein anderes Land mache „Freiheit mit dieser Konsequenz zur Grundlage seiner Hochschulpolitik“, rühmt Innovationsminister Pinkwart sein vom Bertelsmann Centrum für Hochschulentwicklung abgekupfertes Gesetz. Fragt man jedoch einmal danach für wen und wozu die „neue“ Freiheit dienlich ist, so wird man feststellen, dass die weit überwiegende Mehrheit der Forschenden und Studierenden gemessen an ihren früheren Forschungs- und Lernfreiheiten und verglichen mit ihren bisherigen Beteiligungs- und Mitwirkungsrechten wesentlich „unfreier“ sein werden als mit der – durchaus nicht optimalen – früheren akademischen Selbstverwaltung. Wolfgang Lieb.

Hochschulen in NRW stehen in einem harten Wettbewerb um Qualität und Ansehen, das heißt in einem Wettbewerb um die besten Forscher und Lehrer, die besten Studierenden und nicht zuletzt auch um Geld – national wie international.
Damit sie die Chance haben, diesen Wettbewerb als einen konstruktiven anzunehmen und mit Erfolg zu bestehen, brauchen sie faire Ausgangsbedingungen. Erste Prämisse dabei ist es, dass Hochschulen im 21. Jahrhundert nicht mehr wie nachgeordnete Behörden geführt werden können.
Einen neuen Rahmen für selbstbewusste und qualitätsorientierte Hochschulen zu bauen, bedeutet daher zuerst, viele Hemmnisse aus dem Weg zu räumen.
Denn wissenschaftsfremde Regularien, bürokratische Hürden und demotivierende Bedingungen wie die Blockade wichtiger Entscheidungen in den Gremien, schwerfällige Berufungsverfahren und überholte haushaltsrechtliche Bestimmungen binden kreative Kräfte und entziehen der Wissenschaft damit ihr Lebenselixier.
Das neue Gesetz räumt diese Barrieren beiseite und setzt an ihre Stelle einen stimulierenden Rahmen.

So begründet Pinkwart den Systemwechsel von der früheren sich selbstverwaltenden – und keineswegs als „nachgeordnete Behörde“ geführten – Hochschule zur neuen „unternehmerischen Hochschule“.

In der selbstverwalteten Gruppenuniversität entschieden (vor allem) die Lehrenden und (in Studienangelegenheiten mit einer Drittelparität) auch die Studierenden – jedenfalls dem Anspruch nach – nach forschungs- und lehrrelevanten Maximen und Interessen über Forschung und Lehre und mit zunehmend flexibilisierten Haushalten auch über die Verteilung der Ressourcen. Der Staat legt den Finanzrahmen fest und führt die Rechts- und Finanzaufsicht.

In der „unternehmerischen“ Hochschule soll nicht mehr aufgrund von „Entscheidungen in den Gremien“ (in denen nach Pinkwarts Voruteil natürlich nur blockiert wurde und „demotivierende Bedingungen“ herrschten), sondern es muss nach den Gesetzen des „Wettbewerbs“ und der „Konkurrenz“ auf dem Wissenschafts- und Ausbildungsmarkt gehandelt werden. Nicht nur die Universität selbst soll „unternehmerisch“ agieren, sondern auch die Lehrenden und Forschenden sollen zu „Unternehmern innerhalb der unternehmerischen Hochschule“ werden.

Bei Entscheidungen unter Konkurrenz- und Wettbewerbsdruck sind natürlich ausgiebige Diskussionen in Selbstverwaltungsgremien nur „bürokratische Hürden“ und „Hemmnisse“ die „aus dem Weg zu räumen“ sind. Die Hochschule im Wettbewerb bedarf „klare, handlungsfähige und starke Leitungsstrukturen“, d.h. „ein modernes Management“, das rasche Entscheidungen treffen und umsetzen kann. Horizontale, bottom-up-Strukturen demokratischer oder kooperativer Interessenvertretung müssen in diesem neuen Leitbild der Hochschulen von vertikalen, top-down-Entscheidungsbefugnissen abgelöst werden.

Während der Rektor einer Hochschule früher der primus inter pares war, braucht die „unternehmerische“ Hochschule, wie ein auf „den Zukunftsmärkten“ agierendes Unternehmen einen genialischen Unternehmensführer oder ein professionelles Management mit effizienten Entscheidungsbefugnissen und rascher Entscheidungskraft von der Spitze aus in alle Bereiche des Unternehmens – als „Arbeitgeber und Dienstherr“ des „Personals“ (ehemals Hochschullehrer) bis hinein ins „Personalmanagement“ also die Einstellung, Versetzungen und die Regelung der Dienstpflichten und bis hinein in die „Ausbildungsverhältnisse“ (ehemals Studium genannt).

Man braucht dazu sozusagen einen Chief Executive Officer als Präsidenten, gegen dessen Stimme keine Entscheidung getroffen werden kann. (§ 15 Abs. 2 Ziff. 3 HFG)

Originalton Pinkwart:

Jede Hochschule, die bereit ist, schnell, entschlossen und überzeugend zu agieren, gewinnt damit die Chance, sich individuell erfolgreich zu entwickeln. Hochschulen werden dadurch nicht zu Unternehmen; sie können künftig aber unternehmerischer geführt werden, um ihren komplexen Auftrag effektiver erfüllen zu können.

Die Qualität einer Hochschule bestimmt sich nicht mehr aus ihrer wissenschaftlichen Anerkennung innerhalb der Scientific Community und einem anspruchsvollen wissenschaftlichen Studium, sondern in der „unternehmerischen“ Hochschule erweist sich Qualität in der „Konkurrenz mit ihresgleichen“. Dabei soll die einzelne Hochschule „das Ziel Qualität auf unterschiedlichen Wegen zu verfolgen. Die eine Hochschule wird sich auf ihre Rolle als Ausbilder und F&E-Partner in ihrer Region konzentrieren. Eine andere Hochschule wird sich an starken europäischen Mitbewerbern um technologische Leitprojekte orientieren und mit dem Anspruch antreten, in der internationalen Liga der Spitzenforschung mitzuspielen“.

Nicht mehr möglichst hohe Qualität in möglichst flächendeckender Breite – wofür die deutsche Hochschullandschaft nach wie vor weltweite höchste Anerkennung findet – ist das wesentliche Ziel dieser neuen Hochschulfreiheit, sondern die Hochschulen sollen in Konkurrenz zueinander „unterschiedliche Wege verfolgen“, um ihre „Qualität“ zu beweisen: die eine Hochschule wird zur reinen Ausbildungshochschule ohne, oder allenfalls mit einem geringen Anteil an Forschung, die andere wird ihren Platz auf dem Markt in der Entwicklung als Partner der regionalen Wirtschaft finden und einige wenige werden in „Liga der Spitzenforschung mitspielen“.

Die Zielvorstellung von Innovationsminister Pinkwart entspricht also in etwa dem amerikanischen Hochschulsystem mit einer hierarchisch tief gestaffelten Hochschullandschaft einiger weniger Spitzenuniversitäten mit Ausbildungsangeboten für den Nachwuchs der Upper Class und der großen Masse von Hochschulen ganz unterschiedlicher Qualität für die große Masse der Studierenden.

Dass die meisten Hochschulleitungen und auch die überwiegende Zahl der Professoren – die jedenfalls in ihrer großen Mehrheit in diesem Prozess der dem Ausbildungs- und Wissenschaftsmarkt überlassenen hierarchischen Ausdifferenzierung nur noch in den unteren Ligen „mitspielen“ dürften – diesen Weg in die „Freiheit“ der Hierarchisierung widerstandslos mitgehen, ist schon beachtlich. Man stelle sich nur einmal den Aufschrei vor, wenn sich die Politik die Freiheit genommen hätte, die Hochschulen in Berufskollegs, Berufsakademien, Techniker- oder Handelsschulen, höhere Ausbildungsschulen, Fachkollegs und Fachhochschulen, Lehruniversitäten, Hochschulen für Technikentwicklung und einige wenige Spitzenforschungsuniversitäten aufzuteilen. (Was es in den sechziger Jahren alles schon einmal gab.)

Nun werden viele sagen, das amerikanische Hochschulsystem ist doch vorbildlich, schließlich gibt es dort unter den 4.000 Hochschulen ein paar Dutzend weltweit anerkannte Spitzenuniversitäten mit exzellenter Forschung.
Bei nüchterner Betrachtung ist aber dagegen zu halten, dass das Vorbild der US-Spitzenuniversitäten schon gar nicht in der Lehre aber – jedenfalls in der Breite – „nicht so glänzend (ist), wie es dargestellt wird, und, was noch wichtiger ist, es auch nicht so einfach kopierbar.“ (Michael Hartmann) Lässt man einmal die gesunkene Lehrqualität und die zurückgehenden Forschungsleistungen in den USA außer Betracht, weil sie schwer mess- und vergleichbar sind, so gibt es einen fundamentalen Unterschied, der auch durch eine noch so „unternehmerische“ deutsche Hochschule niemals ausgeglichen werden kann: es ist schlicht das fehlende Geld. Der Stanford University – um nur eine der Ivy-League-Universitäten zu nennen – steht für seine ca. 16.000 Studierenden ein jährliches Etatvolumen zur Verfügung, das dem gesamten Hochschuletat des reichsten Bundeslandes, Baden-Württemberg, entspricht.

Dazu Michael Hartmann:

Das aber heißt, dass man hierzulande die trotz der zahllosen Sparmaßnahmen immer noch vorhandene hohe Qualität in der Breite zu opfern bereit ist, ohne einen auch nur halbwegs adäquaten Ersatz bieten zu können.

Damit den Gesetzen des Wettbewerbs gefolgt werden kann, müssen – dem Glaubensbekenntnis des Markt- und Wettbewerbsliberalismus entsprechend – die staatlichen Gesetze und vor allem auch der Einfluss der Politik sich aus dem Marktgeschehen möglichst weitgehend heraushalten. Das Parlament ist allenfalls noch der Zahlmeister, der „Zuschüsse“(!) gewährt und die „Finanzierungssicherheit bis zum Ende (!) der Legislaturperiode“ gewährt.

An Stelle des Ministeriums oder des Parlaments als Aufsichtsorgane wird der „unternehmerischen“ Hochschule wie bei einem in Form einer Aktiengesellschaft konstituierten Wirtschaftsunternehmen künftig eine Art Aufsichtsrat dem Management der Hochschule als „Fachaufsicht“ gegenübergestellt.
Dieser sog. Hochschulrat „besteht mindestens zur Hälfte aus Mitgliedern, die von außen kommen; der Vorsitzende kommt in jedem Fall von außen.“

Vorschläge zur Besetzung des Hochschulrates macht ein Auswahlgremium aus zwei (!) Vertretern/innen des Senates, zwei Vertretern/innen des bisherigen Hochschulrates und einem/er Vertreter/in des Landes mit zwei Stimmen. Es entwickelt einen Listenvorschlag, der vom Senat bestätigt werden muss und der letztinstanzlichen Zustimmung durch das Ministerium bedarf, das den Rat für eine Amtszeit von 5 Jahren ernennt.
Pinwart meint mit diesem förmlichen Verfahren sei „die demokratische Legitimation der Hochschulratsmitglieder gesichert“. Was Pinkwart verschweigt ist, dass der Hochschulrat in seinen Handlungen und Entscheidungen über die fünfjährige Amtszeit keiner irgendwie legitimierten und schon gar nicht einer demokratisch legitimierten Instanz rechenschaftspflichtig ist.

An dieser Frage nach der Legitimation läuft das aus der Wirtschaft entlehnte Konstrukt eines Unternehmens-Aufsichtsrats für eine Hochschule völlig ins Leere. Im Aufsichtsrat einer AG entscheiden die Share-Holder, die ihr eingesetztes Kapital oder das anderer Aktionäre vertreten. Die Hochschulratsmitglieder mögen ein Interesse an der Hochschule haben, sie haben jedoch nichts oder vergleichsweise wenig in die Hochschule „investiert“, sie entscheiden über das Geld der Steuerzahler und ansonsten nach ihren persönlichen oder politischen Interessen. Bestenfalls spenden sie etwas Geld oder einen Stiftungslehrstuhl oder sie vermitteln Forschungsaufträge.

Man stelle sich einmal den Aufstand der Wirtschaft vor, wenn per Gesetz entschieden würde, im Aufsichtsrat eines Unternehmens müsste eine Mehrheit von externen Wissenschaftlern oder beliebiger Repräsentanten der Gesellschaft das Sagen haben.

Nun könnte man noch darüber streiten, ob „Persönlichkeiten aus allen relevanten gesellschaftlichen Bereichen mit entsprechender Kompetenz, beruflicher Erfahrung und Unabhängigkeit“ (wie frühere Kuratorien) eine Hochschule vielleicht beraten, ja vielleicht sogar noch zu Rechenschaftsberichten einer Hochschulleitung Stellung nehmen können sollten.
Der Hochschulrat hat jedoch nicht die Rolle eines Ratgebers, er hat die „Fachaufsicht“ über die Hochschule!
Laut § 21 HFG konzentrieren sich die wichtigsten Machtkompetenzen einer Hochschule im Hochschulrat:

  • Er wählt die Mitglieder des Präsidiums.
  • Er stimmt dem Hochschulentwicklungsplan zu.
  • Er stimmt dem Wirtschaftsplan und dem Plan zur unternehmerischen Hochschulbetätigung zu.
  • Er nimmt zum Rechenschaftsbericht des Präsidiums Stellung.
  • Er nimmt Stellung zu Angelegenheiten der Forschung, Kunst, Lehre und des Studiums, die die gesamte Hochschule oder zentrale Einrichtungen betreffen oder von grundsätzlicher Bedeutung sind.
  • Er entlastet das Präsidium.

Am wichtigsten ist dabei die Wahl und die Entlastung der Hochschulleitung durch den Hochschulrat. Müller-Böling der Chef des Bertelsmann CHE und spiritus rector des Hochschulfreiheitsgesetzes hat die Bedeutung dieser Bestimmung in dankenswerter Offenheit begründet:
Nur durch die Wahl des Präsidiums durch den Hochschulrat „erhält die Hochschulleitung gegenüber den hochschulinternen Gremien die Unabhängigkeit, die sie für ein effektives und effizientes Management benötigt. Man stelle sich nur eine mit Globalhaushalt ausgestattete Hochschule vor, deren Leitung in der strategischen Führung allein von gruppenparitätisch besetzten Hochschulgremien abhängig ist!” (Zitiert nach Thorsten Bultmann)
Für das CHE und für Pinkwart ist diese Vorstellung offenbar ein Albtraum. Deswegen dürfen die hochschulinternen Gremien allenfalls noch aus nostalgischen Gründen aber letztlich als eher folkloristische Reminiszensen beibehalten werden.

Für das CHE und für Pinkwart ist diese Vorstellung offenbar ein Albtraum. Deswegen dürfen die hochschulinternen Gremien allenfalls noch aus nostalgischen Gründen aber letztlich als eher folkloristische Reminiszensen beibehalten werden.

Ich bin selbst Mitglied in einem Hochschulrat einer deutschen Hochschule und habe so Erfahrungen mit einem solchen „Aufsichtsrat“ sammeln können:
Mit der überwiegenden Mehrheit meiner Hochschulratskolleginnen und –kollegen bin ich zur festen Überzeugung gekommen: Ein ehrenamtlicher Hochschulrat ist mit seinen ihm per Gesetz zugestandenen Kompetenzen schlicht überfordert. Es werden ihm Entscheidungen abverlangt, die er guten Gewissens nicht aus eigner Anschauung verantwortlich und sachbezogen treffen kann. Die jeweiligen Entscheidungen leiten sich allenfalls aus dem jeweils persönlichen Vorurteil oder Interessensbezug ab oder man folgt lieber gleich dem Vorschlag des Präsidenten.
In der überwiegenden Zahl der zu treffenden Entscheidungen hat das hauptamtliche Präsidium einen nicht einholbaren Informationsvorsprung und kennt die möglichen Handlungsoptionen erheblich besser als jedes Mitglied des Hochschulrates. Aus Bayern höre ich und vor allem die Hochschulratsmitglieder in Österreich – wo es flächendeckend Hochschulräte gibt – können ein Lied darüber singen: Viele Präsidenten entwickeln sich zu Alleinherrschern bzw. zu patriarchalischen Unternehmerpersönlichkeiten. Im wirklichen Leben sieht das nämlich so aus, dass vor entscheidenden Sitzungen des Hochschulrats der Präsident versucht, dessen Vorsitzenden in Vorgesprächen auf seine Seite zu ziehen und der Vorschlag des Präsidenten wird dann „durchgewinkt“. So kann der Präsident jeden Widerstand oder jeden seiner Position entgegenstehenden Beschluss der hochschulinternen Gremien aushebeln.

Unser Hochschulrat tagt – wenn es hoch kommt – vielleicht 4 Mal im Jahr. Die externen Mitglieder kommen von weit her und haben in aller Regel keinen Bezug zum Hochschulstandort und keine unmittelbare Anschauung der Abläufe in der Hochschule und keine nähere Kenntnis der handelnden Personen. Wie sollte ich als Externer, der die handelnden Personen bei ihrer Alltagsarbeit nie kennen gelernt hat, etwa einen begründeten Vorschlag zur Wahl eines Präsidenten machen? Sicher man könnte (auf Kosten der Hochschule) einen Head-Hunter einschalten, der eine Auswahl aus dem sich nach Pinkwart sich herausbildenden em>„speziellen Berufsbild des Wissenschaftsmanagers“ trifft, aber würde man damit einen sachlich begründeteren und vor allem zur Hochschule passenderen Personalvorschlag machen können?
Wie sollte ich kompetent die Errichtung, Zusammenlegung oder Aufhebung von Standorten oder wissenschaftlicher Einrichtungen der Hochschule entscheiden, ohne dass ich jemals vor Ort war und mir einen persönlichen Eindruck über die Leistungsfähigkeit einer Einrichtung habe verschaffen können?
Wie und mit welchem Apparat sollte ich Konzepte zur Weiterentwicklung der Hochschule erarbeiten und vorschlagen ohne ihre Stärken und Schwächen außer über die Papierform abschätzen zu können?
Was wären meine Kriterien für Vorschläge zur Einrichtung oder Schließung von Studiengängen?
Unser Hochschulrat hat sogar nach Gesetz dem Präsidenten Vorschläge zu machen, welchen Hochschullehrern eine Leistungszulage gewährt werden soll, ohne den betreffenden Professor jemals zu Gesicht bekommen zu haben.
Es ist geradezu absurd, was da von den Hochschulräten abverlangt wird.

Ich will gar nicht bestreiten, dass die Mitglieder eines Hochschulrates jeweils das Beste für „ihre“ Hochschule wollen, aber letztlich sind persönliches Vorurteil, politische Einstellung oder Interessenbezug ausschlaggebend für eine Entscheidung und nicht örtliche Sachkenntnis oder persönliche Anschauung. Hinzu kommt, dass in den Hochschulräten überwiegend Menschen sitzen, die nie selbst wissenschaftlich gearbeitet oder gelehrt haben.
Jeder der einigermaßen ehrlich zu sich selbst ist, kann nur feststellen, dass mit den Hochschulräten und der Übertragung einer Fachaufsicht an sie eine gigantische Fehlkonstruktion aufgebaut worden ist.

Pinkwarts Vorstellung ist die: Der Hochschulrat „nimmt Impulse aus Wirtschaft und Gesellschaft auf und vermittelt in dieser Weise als „Transmissionsriemen“ das erforderliche Beratungswissen für die Entscheidungen der Hochschulleitungen“.

De facto gibt es jedoch fast überall, wo sich Hochschulräte konstituiert haben, „Impulse“ vor allem aus der Wirtschaft, genauer der Groß- und Finanzwirtschaft, der IHKs oder bestenfalls noch örtlicher Unternehmer.
Um sich davon zu überzeugen, braucht nur einmal zu „googeln“ und den Suchbegriff Hochschulrat für die Hochschulen, die schon einen solchen haben, eingeben.

Weil sie gerade zur Elite-Universität gekürt wurde nehmen wir die Ludwig-Maximilians-Universität in München als Beispiel. Der dortige Hochschulrat setzt sich wie folgt zusammen:

Vorsitzender ist

  • der Großverleger Hubert Burda,

Mitglieder sind weiter:

  • Der Vorsitzender des Vorstands der Münchner Rück,
  • ein Vertreter von McKinsey & Company,
  • der Sprecher des Vorstands der HypoVereinsbank AG,
  • der Vorsitzender des Vorstands des Energiekonzerns E.ON AG,
  • dazu kommen dann noch ein paar Prominente, wie etwa Jutta Limbach vom Goethe-Institut, die Geschäftsführerin einer Literaturhandlung oder der Herzog Franz von Bayern

Man müsste ehrlicherweise statt von einer „unternehmerischen“ sondern von einer von Unternehmensführern gesteuerten Hochschule sprechen.

Das ist keine Unterstellung, sondern das ist auch so gewollt.

Pinkwart:

Am offensichtlichsten sind die Neuerungen, die das Hochschulfreiheitsgesetz in diesem Zusammenhang bringt, bei der Kooperation zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Ziel ist es, Hochschulen, außeruniversitäre Forschungseinrichtungen und Wirtschaft enger zusammenzuführen. Die entscheidenden Innovationsprozesse vollziehen sich im Wechselspiel und im Dialog von Wissenschaft und Forschung mit Unternehmen.

Die Eingangsfrage für wen und wozu das neue „Hochschulfreiheitsgesetz“ mehr Freiheit bringt, lässt sich sowohl für die innere Organisation der Hochschule als auch für die äußeren Einflüsse auf die künftige Hochschulentwicklung, wenn man einmal die Freiheitsrhetorik hinterfragt, ziemlich eindeutig beantworten:

  • Die Hochschulen werden statt den Gesetzen des demokratischen Gesetzgebers, den anonymen Gesetzen des Wettbewerbs unterstellt. Den angeblich objektiven Zwängen des Wettbewerbs kann und darf sich kein Mitglied der Hochschule, ob Forschender, Lehrender oder Studierender mehr entziehen.
  • Die verfassungsrechtlich garantierte Freiheit der Forschung und Lehre gegenüber dem Staat und die selbstveraltenden Strukturen der in Angelegenheiten der Wissenschaft autonomen Hochschule werden durch die Entlassung der „unternehmerischen“ Hochschule und des einzelnen Hochschullehrers als sein eigener „Unternehmer“ in die Freiheit des Wettbewerbs im Sinne Schumpeters „schöpferisch zerstört“ und als die Freiheit zur Durchsetzung und Innovation auf dem Ausbildungs- und Wissensmarkt umdefiniert.
  • Die horizontalen Strukturen von Interessenvertretung und akademischer Selbstverwaltung und kooperative Hochschulleitung werden durch eine neuartige zentralistische Aufsichtsrat-Management-Direktionsstruktur ersetzt. Die Hochschulen gleichen sich so auch formal dem Leitbild gewerblicher Unternehmen an.
  • Die „unternehmerische“ Hochschule wird über den steuernden Hochschulrat und dessen Zusammensetzung zur von Unternehmern und Vertretern der Wirtschaft gesteuerten Hochschule mit dem Auftrag zur Kooperation und zur Zusammenführung von Wissenschaft und Wirtschaft.

Der Minister lässt die Hochschulen des Landes vorsorglich auf ihrem Weg in die „neue Freiheit“ von den Experten des Bertelsmann Centrum für Hochschulentwicklung begleiten.

Und sollten sich die Hochschulen die Freiheit nehmen sich den Zwängen des Hochschulfreiheitsgesetzes mit seiner wettbewerblichen Steuerung zu entziehen, hängt über ihnen das Damoklesschwert der „Zielvereinbarung“.
Das sind Vereinbarungen (mit bisher unvorstellbarem Detaillierungsgrad) zwischen der Hochschulleitung und dem Ministerium (d.h. wiederum ohne parlamentarische Einflussmöglichkeit) „für mehrere Jahre über strategische Entwicklungsziele sowie konkrete Leistungsziele“. (§ 6 Abs. 2 HFG).

Danach kann der Minister mit Geld als „goldenem Zügel“ die Hochschule „anreizen“ die gewünschten Ziele zu erreichen, d.h. „ein Teil des Landeszuschusses an die Hochschulen (kann) nach Maßgabe der Zielerreichung zur Verfügung gestellt werden“.

Oder wenn das immer noch nicht zum gewünschten Verhalten der Hochschule führt, dann gilt der alte Mafiabrauch, entweder wir einigen uns oder der Minister erzwingt die von ihm vorgegebenen Leistungen:

Wenn und soweit eine Ziel- und Leistungsvereinbarung nicht zustande kommt, kann das Ministerium nach Anhörung der Hochschule und im Benehmen mit dem Hochschulrat Zielvorgaben zu den von der Hochschule zu erbringenden Leistungen festlegen. (§ 6 Abs. 3 HFG)

Fazit: Die nordrhein-westfälischen Hochschulen können ihre ihnen angeblich durch das „Hochschulfreiheitsgesetz“ zugestandene Freiheit entweder durch den (freiwilligen) Verzicht auf Freiheit durch Unterwerfung unter die Wettbewerbszwänge wahrnehmen oder sie werden vom Minister zu diesem Verzicht auf Freiheit gezwungen.

Kleine Anmerkung am Rande: Der Redaktionsleiter der Broschüre „Hochschule auf neuen Wegen“, Erik Otto, war ehemals Autor des Bertelsmann Centrum für Hochschulentwicklung (CHE)

Quelle: Hochschulfreiheitsgesetz [PDF – 280 KB]