Eine differenzierte Betrachtung des Themas Subventionen

Albrecht Müller
Ein Artikel von:

Der Text zum Thema Subventionen in meinem Buch „Die Reformlüge“ ist immer noch aktuell; das zeigen neuerliche Äußerungen unseres Bundespräsidenten. Deshalb hier der Text über Denkfehler 38: »Subventionen sind unsozial.«

Denkfehler 38:
»Subventionen sind unsozial.«

Variationen zum Thema:
»Wir leben in einem Subventionsdickicht.«
»Subventionen radikal streichen.«

Eine der schönsten Zumutungen unserer Meinungsmacher lief mir Ende 2003 über den Weg. Da schaute uns aus einer etwa halbseitigen Zeitungsanzeige der Markenartikelproduzent Randolf Rodenstock an – übrigens ein Kuratoriumsmitglied der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. »Subventionen sind unsozial«, ließ uns der erfolgreiche Unternehmer aus München per Schlagzeile wissen. Im Text selbst erfuhren wir dann, dass Subventionen den Strukturwandel verzögern, dass bei uns jährlich 156 Milliarden Euro an Subventionen gezahlt werden und dass Rodenstock innerhalb von drei Jahren 50 Prozent davon pauschal kürzen will, das macht 78 Milliarden gesparte Euro.
Das klingt phantastisch. Und einleuchtend. Und es ist dennoch eine kabarettreife Leistung. Ein Blick in den Entwurf zum Bundeshaushaltsplan 2004, Einzelplan 30, Bundesministerium für Bildung und Forschung, zeigt ein Stück von der Narretei, die uns aus solchen Anzeigen entgegenspringt. Auf Seite 68 des Bundeshaushaltsplans findet sich der Titel 683 19-169 mit der Bezeichnung »Optische Technologien«. In diesem Titel sind jene öffentlichen Mittel der Steuerzahler, also Subventionen, aufgeführt, die die optische Industrie erhält, zu der das Unternehmen von Herrn Rodenstock gehört: 69,5 Millionen Euro im Jahr 2004, dazu kommen weitere Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von 58 Millionen für die Jahre bis 2008. Dann gibt es noch eine aufschlussreiche Fußnote: »Die optischen Technologien haben eine Schlüsselstellung zur Lösung zahlreicher gesellschaftlicher Probleme, zum Beispiel in den Bereichen Gesundheit, Umwelt und industrielle Fertigung. In einem zweijährigen Strategieprozess mit Wissenschaft und Industrie wurden die Handlungsfelder zum Förderprogramm ›Optische Technologien‹ zusammengeführt, das im Februar 2002 veröffentlicht worden ist.«
Diese Fakten einschließlich der Fußnote im Haushaltsplan sind hier nicht allein deshalb zitiert, um die Interessenlage eines deutschen Managers, dessen Unternehmen früher mehrmals staatliche Förderung in Anspruch nahm, und eines Verbandsvertreters deutlich zu machen.81 Die Fußnote zum Bundeshaushaltsplan 2004 erklärt auch, warum wir uns in Deutschland bisher einig waren, dass es Subventionen, also Fördermittel des Staates, geben soll, um beispielsweise bestimmten Technologien zum Durchbruch auf dem Markt zu verhelfen. Der Hintergrund dieser Überlegungen ist, dass manche Entwicklungen so unsicher sind und so viel Geld erfordern, dass es der Mithilfe des Staates, also von uns allen, bedarf, um solchen Technologien über die Hürde zu helfen. In anderen Ländern wie in den USA, in Großbritannien oder Frankreich werden ebenfalls viele Mittel für die Förderung von Technologien ausgegeben, unter anderem auch über die militärische Forschung.
46 Prozent aller Subventionen des Bundes, der sogenannten Finanzhilfen und Steuervergünstigungen, gingen im Jahr 2002 an die gewerbliche Wirtschaft. Dass diese Art von Subventionen aufgegeben beziehungsweise pauschal halbiert werden sollen, habe ich aus der Anzeige von Herrn Rodenstock gelernt. Dass wir viele dieser Subventionen durchforsten müssen, dass manches gestrichen werden müsste und Neues hinzukommen könnte, ist ohne Zweifel richtig. Aber das meint Randolf Rodenstock ja nicht. Wahrscheinlich meint er nicht einmal, dass die Subventionen für die optische Industrie gestrichen werden sollen.
Wir sollten das Subventionsgebaren unseres Staates umsichtig und realistisch betrachten. Stellen wir in diesem Sinne doch einmal ein paar Fragen:

  • In den Subventionen waren im Jahr 2002 124 Millionen Euro zur Förderung der rationellen Energieverwendung und er¬neuerbarer Energien enthalten; dahinter verbergen sich zum Beispiel die Mittel für das 100 000-Dächer-Solarstrom-Programm. Soll das gestrichen oder halbiert werden?
  • In den Subventionen enthalten ist die Steuerbefreiung für ¬besonders stark schadstoffreduzierte Fahrzeuge. Soll diese Steuerbefreiung gestrichen werden?
  • Als Subventionen wurden 2002 1,596 Milliarden Euro an Finanzhilfen und 1,899 Milliarden Euro an Steuervergünstigungen für die neuen Bundesländer gezahlt. Soll das einfach halbiert werden? Warum melden sich die Ministerpräsidenten der neuen Bundesländer auf eine so unsachliche Anzeige nicht? Wissen sie, dass solche Anzeigen nur der öffentlichen Stimmungsmache dienen und sonst keine Konsequenzen haben?
  • Will der Unternehmer aus Bayern, will die Bayerische Staats¬regierung oder jene von Niedersachsen, Schleswig-Holstein oder Mecklenburg-Vorpommern, dass die Subventionen für die Landwirtschaft gestrichen werden? Über einen Großteil ihrer Subventionen, die nur die Massenproduktion anheizen und den Ländern in der Dritten Welt die Preise verderben und ihnen damit die Lebenschance nehmen, ohne den bäuerlichen Familienbetrieben bei uns wirklich zu nutzen, kann man reden. Aber muss man Subventionen für eine Landwirtschaft streichen, wie sie zum Beispiel in der Schweiz und auch in Österreich über Jahre und Jahrzehnte und mit beachtlichem Erfolg zur Pflege ihrer gebirgigen Kulturlandschaft gezahlt worden sind? Auch bei uns kann die Landwirtschaft zur Pflege der heimischen Landschaft beitragen und Verödung verhindern. Wie will man ohne öffentliche Finanzhilfen oder Vergünstigungen diesen Prozess steuern? Hier wie anderswo werden Subventionen auch eingesetzt, um sogenanntes Marktversagen zu korrigieren. Das wird man weder mit pauschalen Kürzungen noch mit pauschalen Erhöhungen der Subventionen schaffen.
  • Wollen wir die Subventionen für den öffentlichen Nahverkehr (Ausgaben des Bundes für Verkehr: 1,25 Milliarden Euro für 2002) wirklich streichen? In einigen Teilen unseres Landes sind gerade in den letzten Jahren recht intakte Nahverkehrssysteme geschaffen worden, die die Mobilität erleichtern und ökologisch vernünftig sind. Soll diese Entwicklung gestoppt werden?
  • Soll die Förderung der Vermögensbildung (704 Millionen Euro vom Bund für 2002) wegfallen?
  • Sollen die Absatzhilfen für den Airbus gestrichen werden? Ob diese Subvention Sinn macht, kann man bezweifeln. Aber es hilft nichts, pauschal gegen Subventionen anzugehen, man muss den Einzelfall prüfen.
  • Es gibt Subventionen zur Förderung von Bioprodukten. Auch hier geht es darum, einer neuen Entwicklung eine stärkere Basis zu verschaffen und ihr so zum Durchbruch zu verhelfen. Soll dieses Vorhaben gestoppt werden?
  • Nicht als Subventionen definiert und damit im Subventions¬bericht der Bundesregierung nicht enthalten (aber möglicherweise in der Berechnung von Herrn Rodenstock) sind: Steuerausfälle großen Ausmaßes bei Geldanlagen Gutverdienender in sogenannten Kapitalanlagefonds für Filme, Flugzeuge oder Energieanlagen. Für den Film Terminator zum Beispiel zahlten deutsche Anleger 150 Millionen Euro von insgesamt 212 Millionen Euro Herstellungskosten. Die deutschen Steuerzahler waren so auch an der Finanzierung des Honorars von Arnold Schwarzenegger in Höhe von 30 Millionen Euro »beteiligt«. Deutsche legten seit 1997 8 Milliarden Euro in Medienfonds an. Das führte zu Steuerausfällen zwischen 4 und 6 Milliarden Euro. Weitere Milliarden von Steuergeldern verschwinden in Immobilienfonds und Schiffsfonds. Dass die Unterstützung von Schwarzenegger-Filmen wie auch der meisten anderen Fonds durch den deutschen Steuerzahler unsinnig ist und beendet werden sollte, ist leicht einzusehen – zumal die deutsche und europäische Filmproduktion nicht gerade blüht.

Auch über Steinkohlesubventionen (3,069 Milliarden Euro), die Förderung des Wohnungswesens (fast 6 Milliarden Euro) und über eine Reihe der eingangs erwähnten Förderungen für die Industrie kann man mit dem Ziel der Verringerung oder der Streichung dieser Subventionen sprechen. Aber man wird kein Stückchen weiterkommen und man wird keine sachlich vernünftigen Entscheidungen treffen, wenn man so undifferenziert vorgeht wie in der Rodenstock-Anzeige.
Das tollste Stück jedoch ist: Die Subventionen des Bundes betrugen 2002 insgesamt 21,445 Milliarden Euro. Rechnet man auch noch die Subventionen der Bundesländer und die Marktordnungsausgaben der Europäischen Union sowie die sogenannten ERP-Finanzhilfen dazu, kommt man auf ein Gesamtvolumen der Subventionen in Deutschland von etwa 58 Milliarden Euro. Das ist unendlich weit von den 156 Milliarden Euro entfernt, die im Anzeigen-Interview von Herrn Rodenstock genannt wurden. In seiner dramatisch hohen Ziffer ist zusätzlich alles enthalten, was es an Steuervergünstigungen und anderen staatlichen Tätigkeiten gibt, die man teilweise zu Recht, teilweise nur mit großen Verrenkungen als Subventionen bezeichnen kann: Kindersteuerfreibeträge, Arbeitnehmerfreibetrag, Pendlerpauschale, Steuerfreiheit von Nachtarbeitszuschlägen und so weiter. Wollen jene, die sich das Thema Subventionen als Kampagne gegen öffentliche Leistungen ausgesucht haben, all dies halbieren oder streichen? Das wäre absurd.
Manche dieser Vergünstigungen sind schlicht sinnvoll. Andere sind so festgelegt, dass man mit bestem Willen nicht darüber verfügen kann. Über die Marktordnungsausgaben der Europäischen Union kann man in einer Anzeige frei verfügen, aber nicht in der Realität. Und die sogenannten ERP-Finanzhilfen enthalten neben fragwürdigen Subventionen für Flugzeugexporte auch die Mittel für Mittelstandsförderung und Existenzgründung. Soll das weg?
Die Subventionsdebatte, die zu führen sinnvoll wäre, ist in ihrer aktuellen Ausformung leider nichts weiter als eine Ergänzung der allumfassenden Polemik gegen öffentliche Tätigkeit. Die Anzeige der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) mit Herrn Rodenstock ist typisch für den Umgang der Meinungs¬führer in Deutschland mit den Problemen unseres Landes: Übertreibung, Fälschung und eine immer wiederkehrende Staatsfeindlichkeit. Zu klugen Entscheidungen wird man mit einer solchen öffentlichen Meinungsbildung nicht kommen.

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