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Lobbyorganisationen und interessengebundene Wissenschaft

Sanfte Steuerung neu verpackt: Bildungslobbyisten mit neuer Strategie

Welchen Einfluss haben wirtschaftliche Interessen auf die Bildung? Wie findet diese Einflussnahme statt und welche neuen Strategien werden dabei verfolgt? Welche Absicht wird mit Großveranstaltungen wie dem heute beginnenden „Vision Summit 2013“ verfolgt? Was ist von der Reformrhetorik eines Richard David Precht zu halten? Wie lässt sich die Chancenungleichheit im Bildungswesen abbauen? Welche Reformen wären notwendig und sinnvoll? Was heißt eigentlich „Potentialentfaltung“? Was können Lehrerinnen und Lehrer sowie Eltern für einen Reformprozess tun? Jens Wernicke fragt den Pädagogikprofessor und Bildungswissenschaftler Jochen Krautz.

Freihandelsstudie – Scharlatanerie im pseudowissenschaftlichen Gewand

„Deutschland winken 180.000 neue Jobs“ – so frohlockte am gestrigen Tag eine Überschrift bei SPIEGEL Online, als das reichweitenstärkste deutsche Onlinemedium – wie gewohnt vollkommen unkritisch – Zahlen und Satzfragmente aus einer Studie der Bertelsmann-Stiftung zum geplanten Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU nachplapperte. Schaut man sich besagte „Studie“ jedoch einmal genauer an, weiß man nicht, ob man über dieses merkwürdige Elaborat nun lachen oder weinen soll. Was im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung da von Hans-Werner Sinns ifo-Institut zusammengeschrieben wurde, hat mit der „sehr guten bis exzellenten Leistungen in der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung“, die dem ifo-Institut von der Leibniz-Gesellschaft attestiert werden, nichts zu tun. Es handelt sich vielmehr um einen fortgeschrittenen Fall von Scharlatanerie, dessen Aussagekraft gegen Null geht. Von Jens Berger.

Der Zensus und der Schwanengesang vom aussterbenden Volk

Die bislang veröffentlichten Ergebnisse des Zensus 2011 haben es in sich. Deutschland hat nun auch offiziell mehr als 1,5 Millionen weniger Einwohner als bislang angenommen. Das ist für sich genommen erst einmal recht unspektakulär, doch mit der neuen Bevölkerungszahl ergibt sich ein ganzer Rattenschwanz von direkten und indirekten Effekten auf andere statistische Größen. Der wohl bedeutsamste davon ist, dass die durchschnittliche Lebenserwartung der Deutschen geringer ist, als bislang angenommen. Der neoliberale Schwanengesang von der überalterten Gesellschaft sollte damit einen gehörigen Schuss vor den Bug bekommen. Und auch die – ohnehin höchst angreifbaren – Langzeitprognosen zur Bevölkerungsentwicklung, die von interessierter Seite mit dem negativen Beiklang des „aussterbenden Volkes“ versehen werden, sind mit den neuen Zahlen nicht mehr haltbar. Von Jens Berger.

Und täglich grüßt das Konsumindexmurmeltier – Warum ignorieren die Medien nicht endlich die GfK?

Jeden Monat aufs Neue beglücken uns die Medien mit dem Konsumklimaindex der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK). Dieser Index ist ein echtes Mysterium. Eine Korrelation zwischen dem von der GfK „gemessenen“ Konsumklima und der tatsächlichen Einzelhandelsumsätze ist nur in Ausnahmefällen zu erkennen. Doch einen Zweck scheint der Konsumklimaindex zu haben: Monat für Monat dient er den Medien als Steilvorlage, ihr Märchen vom Konsumwunderland Deutschland weiterzuspinnen. Da sich dieses Märchen jedoch nicht durch Daten untermauern lässt, liegt hier der Verdacht nahe, dass bei der Berichterstattung zum Konsumklimaindex die Grenzen zwischen journalistischer Sorgfaltspflicht und Meinungsmache überschritten werden. Von Jens Berger.

“Wer Gutes tut, ist auch gut in der Schule”

behauptet, der Entwicklungspsychologe Richard Lerner in einem Interview mit der ZEIT[1]. Er erklärt gesellschaftliches Engagement zum Bildungsziel[2] und hebt dessen persönlichkeitsstärkenden Aspekt hervor – was unbestritten ist. Nur – warum sollte dieses Engagement gesteuert werden, und wer zieht dabei die Fäden?
Von Sabine Kruse[*]

Rauchmelderpflicht: Lobbyisten sichern lukrative Profitquelle für ihre Klientel

Während Häuser heutzutage überwiegend aus Beton gebaut und kaum mehr mit Holz geheizt werden und Röhrenbildschirme durch Flachbildschirme abgelöst werden, wird in Deutschland eine Rauchmelderpflicht eingeführt. Zwar sind elektrische Geräte immer noch eine häufige Brandursache, beispielsweise durch Kurzschluss, Kontaktfehler oder übermäßige Beanspruchung, doch statt auf Prävention, die auf Sicherheitsregeln im Umgang mit elektrischen Geräten abzielte und die Bürger über den richtigen Umgang mit elektrischen Geräten aufklärte, setzt das „Forum Brandrauchprävention“ auf eine flächendeckende Rauchmelderpflicht. Das ist auch nicht verwunderlich, denn hinter dem „Forum Brandrauchprävention“ verbirgt sich eine Lobbyvereinigung, die mit der Kampagne „Rauchmelder retten Leben“ 12 Jahre lang auf eine flächendeckende gesetzliche Rauchmelderpflicht in Deutschland hingewirkt hat. Von Christine Wicht

Konjunkturprognose: Die Welt wird von den Füßen auf den Kopf gestellt

Trotz des äußerst schwachen Wachstums von erwarteten 0,8 % in diesem Jahr scheint für die acht Wirtschaftsinstitute alles zum Besten zu stehen. Eigentlich brauchte man deren „Gemeinschaftsdiagnosen“ keine Aufmerksamkeit mehr zu schenken. Sie liegen meist daneben und loben vor allem ihren Auftraggeber. Im Wahljahr geben die „Wissenschaftler“ sogar eine eindeutige Wahlempfehlung für die auftraggebende Regierung ab.
Das Frühjahrsgutachten ist wieder einmal ein Beispiel, wie dogmatisch bornierte Ökonomen, die Welt von den Füßen auf den Kopf stellen. Der Zusammenhang zwischen der rigiden „Sparpolitik“ und rezessiver Wirtschaftsentwicklung wird stur geleugnet. Ein Nachlassen bei den offensichtlich katastrophalen Problemlösungskonzepten zur Ursache der Probleme erklärt. In ihrer Fixierung auf staatliche Ausgabenkürzungen und den Abbau von Sozialleistungen bemerken die ideologisch bornierten Think-Tanks nicht einmal die Widersprüche, in die sie sich selbst verwickeln. Von Wolfgang Lieb

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Eine „Schmalspur“-Theorie des „Aufschwungs“ für die Neuen Bundesländer

Unter der Überschrift „Ostdeutschland vor der wirtschaftlichen Renaissance?“ erschien vor Kurzem eine Studie von Frank Bickenbach und Eckhardt Bode, Ökonomen am Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel. Die Autoren argumentieren gegen die weit verbreitete These, dass sich nach 20 Jahren der deutschen Vereinigung das Ost-West-Gefälle in Deutschland verhärtet habe, ja dass das Gefälle sogar zunehme.
Aus der Sicht einer neuen ökonomischen Geographie (NEG) seien – so die beiden Autoren – die Perspektiven Ostdeutschlands dagegen gar nicht so düster. Jüngere theoretische Ansätze legten im Lichte der wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland nahe, dass Ostdeutschland die wirtschaftliche Talsohle mittlerweile erreicht habe und in Zukunft wieder an Wirtschaftskraft gegenüber Westdeutschland gewinnen werde. Karl Mai[*] lieferte uns dazu einen Kurzkommentar.

Neoliberale Meinungsmache – die alten, bösen Lieder wollen nicht verstummen

Wer geglaubt hat, die Zunft der neoliberalen Meinungsmacher hätte auch nur klitzekleine Lehren aus der fortwährenden Eurokrise gezogen, musste sich in den letzten Tagen wohl von der düsteren Realität eines Besseren belehren lassen. In einem sorgsam choreographierten Tremolo prasselte am Wochenende ein ganzer Gewitterregen mit neoliberalen Forderungen auf uns ein: Erhöhung des Renteneintrittsalters, Kombilöhne, Lockerung des Kündigungsschutzes, Aushöhlung der Renten- und Krankenversicherung und die Stärkung des Niedriglohnsektors. Die alten, bösen Lieder wurden nicht zu Grabe getragen, sondern erfreuen sich pünktlich zu Beginn des Wahlkampfs größter Vitalität. Und ihre Interpreten sind die altbekannten: Sowohl die Bertelsmann-Stiftung, das Institut zur Zukunft der Arbeit, das Hamburgische WeltWirtschaftsInstitut und die Initiative Neue Soziale Markwirtschaft stehen bereits mit frischen „Studien“ in den Startlöchern. Von Jens Berger

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Propaganda und Wahrheit – BDI-Präsident Grillo: „Deutsche Industrie kann die hohen Stromkosten auf Dauer nicht tragen“

Im Interview mit dem Deutschlandfunk führt der BDI-Präsident Ulrich Grillo mal wieder die Öffentlichkeit an der Nase herum. Er betreibt die für die deutsche Wirtschaft seit Jahrzehnten übliche Propagandamethode, indem der mit dem Abbau von Arbeitsplätzen droht: „Wir stehen im internationalen Wettbewerb, insbesondere die energieintensive Industrie, und wenn unsere Wettbewerber im Ausland Energiekosten haben, die zum Beispiel nur 50 Prozent der unsrigen betragen, dann muss das berücksichtigt werden. Sonst kommt es zum Abbau von Arbeitsplätzen und Wegzug ins Ausland“. Die Behauptungen des BDI-Präsidenten sind in höchstem Maße bestreitbar. Solche Drohungen sind nichts anderes als politische Erpressungsversuche. Und die Kanzlerin gibt prompt nach. Von Wolfgang Lieb.

Der „Managerkreis der Friedrich-Ebert-Stiftung“ feiert das 10-jährige Jubiläum der Agenda 2010 – nur unter Freunden

Unter dem Titel „Agenda 2010 – Bilanz und Perspektive“ feiert der Managerkreis der FES am 14. März 2013 – dem zehnten Jahrestag der Verkündung der Agenda – eine Geburtstagsparty (Download hier). Wie es bei diesen „Managern“ der sozialdemokratischen Stiftung nicht anders zu erwarten ist, sind ausschließlich Freunde der Agenda eingeladen. Der Brückenkopf der neoliberalen Bewegung hinein in die Sozialdemokratie will sich offensichtlich seine Jubiläumsfeier nicht durch Kritiker stören lassen. Man müsste ja sonst befürchten, dass die Party-Stimmung durch ein paar Hinweise auf die verheerenden Folgen der Agenda für Millionen von Menschen in Deutschland und inzwischen in ganz Europa ziemlich schnell in den Keller rutschen könnte. Um sich selbst zu applaudieren, stellt man lieber den guten Ruf der Stiftung in Frage. Von Wolfgang Lieb.

Sinn kann´s nicht lassen

Von den unseligen Target-Salden will „Deutschlands klügster Professor“ (BILD-Zeitung) offenbar nichts mehr wissen. In seinem jüngsten Gastartikel für die FAZ verabschiedet sich Hans-Werner Sinn ohne große Worte von seinem einstigen Steckenpferd. Auch bei einigen anderen Themen rudert der Boulevard-Ökonom zurück. Getreu dem Motto „Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern“ erfindet Sinn sich offenbar täglich neu. Das wäre durchaus erfreulich, würde Sinn nicht wieder einmal mit Scheuklappen durch die Welt laufen, die Leser manipulieren und dem Ganzen den typisch „sinnschen“ Weltuntergangspathos verleihen. Von Jens Berger

Prognosen und andere Irrtümer

Muss man eine rosige Zukunft prognostizieren, um ein guter Ökonom zu sein?
Die Jahreswende ist die Zeit, in der Ausblicke auf das vor uns liegende Jahr gegeben und gute Vorsätze gefasst werden, auf dass alles besser werde. Doch mit den guten Vorsätzen ist das so eine Sache. Wer etwas besser machen will, muss die in der Vergangenheit gemachten Fehler erst einmal erkennen, bevor er gegensteuern kann, von der Mühsal der Umsetzung vieler Vorsätze ganz abgesehen. Viel leichter ist das Leben für die, die sich die Fehlentwicklungen in der Vergangenheit gar nicht so genau anschauen und folglich auch keinen Anlass sehen, etwas zu ändern. Von Heiner Flassbeck und Friederike Spiecker

Psychiatrie als „Polizey-Wissenschaft“

Die aktuelle Ausgabe des Nachrichtenmagazins Der Spiegel widmet sich dem Thema: Wahnsinn wird normal. Jörg Blech, bekannt als Verfasser der Bücher Die Krankheitserfinder und Gene sind kein Schicksal, blickt voraus auf die demnächst erscheinende neue und damit fünfte Version des DSM – eine gängige Abkürzung für Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders. Dieses Diagnose-Handbuch existiert seit 1952 und wird von der American Psychiatric Association herausgegeben. Es will und soll weltweit die Kriterien dafür festlegen, wann ein Mensch im psychiatrischen Sinn für gestört zu erklären ist. Der DSM ist so etwas wie diagnostisches Weltgeld. Was der Dollar für die Weltwirtschaft ist – oder sollte man heute besser sagen: war – ist der DSM für die Psychiatrie. Von Götz Eisenberg

“Armut ist politisch gewollt” – oder: Es kann nicht sein, was nicht sein darf

Zeitgleich zu den Kirchen, Wohlfahrtsverbänden und Gewerkschaften legte der „Wissenschaftliche Beirat“ des Wirtschaftsministeriums ein Gegengutachten vor. Wie schon beim Armutsbericht der Bundesregierung versucht das „Rösler“-Ministerium erneut, die Wirklichkeit zu verfälschen. Der „Schattenbericht“ der Nationalen Armutskonferenz (nak)[PDF – 2 MB] stellt noch einmal die allseits bekannte traurige Realität dar und resümiert, dass „Armut politisch gewollt sei“. Das eigentlich zur Verharmlosung und zur Ablenkung von der Wirklichkeit gedachte „Gegen“-Gutachten zum Thema „Altersarmut“ des „Wissenschaftlichen Beirats“ [PDF – 110 KB] bestätigt dieses Urteil der nak einer politisch gewollten Armut unfreiwillig nur ein weiteres Mal, indem es die Armut einfach wegdefiniert. Von Wolfgang Lieb