Kategorie:
Ungleichheit, Armut, Reichtum

Eine gigantische Steuerumverteilung – Die Steuerbeschlüsse der großen Koalition spülen bis 2010 fast 140 Milliarden Euro zusätzlich ins Staatssäckel

Mit 60 Milliarden Euro jährlich entlastete die Regierung Schröder mit ihrer Steuerreform im Jahre 2000 vor allem Unternehmen, Kapital- und Vermögenseinkommen, Spitzenverdiener und nur zu einem kleinen Teil die untersten Lohneinkommen. Die große Koalition holt nun durch ihre Steuerbeschlüsse von 2007 bis 2010 mit durchschnittlich 35 Milliarden Euro pro Jahr mehr als die Hälfte der rot-grünen „Steuergeschenke“ wieder zurück und zwar ganz überwiegend von den unteren und mittleren Lohneinkommensbeziehern. Das mittlere Drittel der Beckschen „Dreidrittelgesellschaft“ ist somit durch die Steuerpolitik des ersten Jahrzehnts in diesem Jahrhundert doppelt gekniffen: Es profitierte von der „größten Steuersenkung in der Geschichte“ unter Rot-Grün kaum und die große Koalition greift ihm mit ihren zahlreichen Steuerbeschlüssen jetzt zur „Sanierung“ der durch die Steuergeschenke gerissenen Haushaltslöcher dafür um so kräftiger in den Geldbeutel. Die Unternehmen wiederum sollen um bis zu 16 Milliarden Euro entlastet werden.

Siemens-Chef Kleinfeld massiv in der Kritik.

Bei SpiegelOnline können Sie einen Blick auf die Debatte werfen, die bei Siemens anlässlich der 30% Erhöhung für Managergehälter läuft.
Mich berührt dabei auch die Bestätigung, dass dieses große Unternehmen von einem ziemlich unfähigen Mann der flotten Worte geführt wird. Lesen Sie das folgende Zitat: “Mein persönlicher Anspruch an meine Arbeit ist ‘work hard, win big, have fun“. So habe der Siemenschef an seine Belegschaft geschrieben. Das Niveau ist wahnsinnig tief. Was hat dieser Mann für eine Ahnung davon, was seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach den vielfältigen Abwanderungsdrohungen, Kürzungen, Arbeitszeitverlängerungen, Enttäuschungen wie beim Handybau und der staatlich verordneten Zerstörung des Vertrauens in die Arbeitslosenversicherung durch Hartz IV bewegt? In meiner kurpfälzischen Heimat würde man so jemanden wie Kleinfeld einen „Dummbabbler“ nennen. Das klingt böser als es gemeint ist. Aber es ist vernichtend.

Tipp: Neues Globalisierungsbuchs von Joseph E. Stiglitz

Zusammenfassender Bericht von Gerhard Kilper über Eric Le Bouchers Besprechung des neu erschienen Globalisierungsbuchs von Joseph E. Stiglitz („Un autre monde, contre le fanatisme du marché“, Verlag Fayard 2006), erschienen in der französischen Tageszeitung Le Monde vom 15.September 2006, Seite 19. Nach Le Boucher fordert Stiglitz – ähnlich wie sein französischer Ökonomen-Kollege Daniel Cohen – eine politische Korrektur des neoliberalen Globalisierungskonzepts.

Dritter Nachtrag zu Becks Zielgruppe „Leistungsträger“

Die Dokumentation aus dem Wiesbadener Kurier zeigt eindrucksvoll, wie richtig unsere Feststellung zu dem Thema “Leistungsträger und Mittelschicht” ist:

Mittelschicht im Main-Taunus schrumpft langsam
Sozialbericht des Kreis-Caritasverbandes / Noch nie so viele Ratsuchende


Quelle: Wiesbadener Kurier vom 06.09.2006

Zwei kurze Vorabzitate:

  • Arbeitslosigkeit sei längst nicht mehr die Hauptursache für den Besuch im Sozialbüro. “Es kommen immer mehr Menschen, die von dem, was sie durch ihre Berufstätigkeit erwirtschaften, nicht mehr leben können…”
  • Die einzig positive Entwicklung sei, dass Arbeitssuche und Existenzsicherung kein Tabu-Thema mehr sei, “weil es alle Berufsgruppen und nicht mehr nur Geringverdiener trifft”…

Hartz IV: Ist das Existenzminimum für arme Familien zu hoch? – oder: wie Herr Jörges vom Stern der raffinierten Verschwörung des Fürsorgestaats zugunsten von Familien auf die Schliche gekommen ist.

Sie erinnern sich sicher, im Mai 2006 hat Ulrich Jörges, der stellvertretende Chefredakteur des Stern, unter der Überschrift „Der Kommunismus siegt“, „Arbeit wird verhöhnt, Nichtstun belohnt.“ eine Polemik gegen den Sozialstaat und gegen Hartz IV-Empfänger geschrieben, die Schlagzeilen und ihn zum Stammgast vieler Talk-Shows gemacht hat. Helga Spindler, Professorin für öffentliches Recht, Sozial- und Arbeitsrecht an der Universität Essen, ist den Fakten nachgegangen und sieht in der Argumentation von Jörges ein Beispiel dafür, wie ein Teil der Gesellschaft Abschied vom Anspruch an Solidarität im Staatswesen nimmt und es offenbar für schick hält, die humanitären und verfassungsgeschichtlichen Wurzeln zu kappen und dabei vermutlich noch nicht einmal ahnt, was das für Folgen haben wird. Helga Spindler hat den NachDenkSeiten diesen Beitrag zur Verfügung gestellt.

Christoph Butterwegge: Wer über den Reichtum nicht reden will, kann auch keine Lösungsangebote zur steigenden Kinderarmut machen

Laut Kinderschutzbund ist die Zahl armer Kinder seit 2004 um hundert Prozent gestiegen. Insgesamt 2,5 Millionen Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre leben heute auf Sozialhilfeniveau. In Berlin liegt die Quote der in Armut lebenden Kinder bei 37 Prozent. Auch die Bundeskanzlerin konnte sich auf dem Berliner Forum „Deutschland für Kinder“ diesem gesellschaftspolitischen Skandal nicht mehr entziehen. Zu mehr als dem üblichen Statement: „alle Familienförderungsinstrumente auf den Prüfstand stellen“, mochte sich Angela Merkel aber nicht durchringen.
Kinderarmut könne nur durch eine integrale Beschäftigungs-, Bildungs-, Familien- und Sozialpolitik, die Maßnahmen zur Umverteilung von Arbeit, Einkommen und Vermögen einschließt, beseitigt werden, meint Butterwegge in einem Vortrag, den wir in unserer Rubrik „Andere interessante Beiträge“ dokumentieren.

Joachim Jahnke: „Armes“ Deutschland, „glücklicheres“ Frankreich

Am 25. August 2006 hat auch das statistische Amt Frankreichs INSEE die Ergebnisse der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung des 2. Quartals veröffentlicht. Der Vergleich ist für Deutschland besonders interessant und zeigt, dass Frankreich wirtschaftlich, aber vor allem sozialpolitisch, auf einem besseren Weg ist. Der Index des dort „salaire mensuel de base” genannten Arbeitseinkommens stieg mit einem realen Plus von fast 1 % (D = minus 3,2 %) gegenüber Vorjahresperiode und schob damit den Konsum privater Haushalte mit 3,1 % Plus (D = minus 0,2 %) vor sich her. Auch die für die Zukunft des Landes und den Arbeitsmarkt entscheidenden Bruttoanlageninvestitionen entwickelten sich mit einem fetten Plus von 4,1 mehr als doppelt so stark (D = 2,0 %), was zu einer besseren Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts insgesamt beitrug. Schließlich ist das Land wesentlich weniger von der sich derzeit eintrübenden weltwirtschaftlichen Entwicklung abhängig als Deutschland. Während im wiedervereinigten Deutschland die Einkommensunterschiede noch nie so groß waren wie heute, öffnet sich in Frankreich die Schere zwischen den Unternehmenseinkommen und denen aus Arbeit nicht.

Christoph Butterwegge: Neoliberalismus und Standortnationalismus – eine Gefahr für die Demokratie

Die tiefe Sinnkrise des Sozialen besteht darin, dass es – quer durch die etablierten Parteien und fast alle gesellschaftlichen Lager – primär als Belastung der Volkswirtschaft und potenzielle Gefährdung ihrer Konkurrenzfähigkeit auf den Weltmärkten gesehen, aber nicht mehr als eigenständiger Faktor begriffen wird, der mit über die Demokratie, die Humanität und Lebensqualität einer Gesellschaft entscheidet. Das neoliberale Konzept verlangt, jeden Glauben an die autonome Gestaltungsmacht der Wirtschafts- und Sozialpolitik fahren zu lassen. Ökonomismus, Fatalismus und tiefe Resignation hinsichtlich einer Verbesserung des gesellschaftlichen Status quo gehören zu seinen zwangsläufigen Folgen.

Jean-Paul Fitoussi: Warum in Europa auf eine makroökonomische, nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik verzichtet wird

Fitoussi ist seit 1982 Professor am Institut Institut d’études politiques de Paris (IEP) und seit 1989 Präsident de l’Observatoire français des conjonctures économiques (OFCE). Er ist Mitglied des Rates für ökonomische Analysen beim französischen Premierminister. Wir geben hier eine Zusammenfassung eines Aufsatzes vom April 2006 als ein Beispiel für die weitaus vielfältigere Diskussion auch innerhalb der etablierten französischen Wirtschaftswissenschaften wieder.
Gerhard Kilper hat den Aufsatz zusammengefasst und übertragen.

IAT: Bei einem Mindestlohn von 7,50 € hätten 4,6 Millionen Anspruch auf Lohnerhöhungen

Auf die Unternehmen kämen 10 bis 12 Milliarden Euro Zusatzkosten zu, von denen allerdings auch der Staat über Steuereinnahmen sowie 3,7 bis 4,2 Milliarden Euro Mehreinnahmen für die Sozialversicherungen profitieren würde. Zu diesen Ergebnissen kommen die Arbeitsmarktforscher Dr. Claudia Weinkopf und Thorsten Kalina vom Forschungsschwerpunkt “Flexibilität und Sicherheit” des Instituts Arbeit und Technik (IAT/Gelsenkirchen) in einer Modellrechnung auf Basis des Sozioökonomischen Panels für 2004.

Zur Diskussion des bedingungslosen Grundeinkommens innerhalb der Linkspartei

In der medialen Öffentlichkeit, in der nicht parteipolitisch gebundenen Linken (in den sozialen Bewegungen, in der Wissenschaft und den Gewerkschaften) sowie im ‚Netzwerk Grundeinkommen’ in Deutschland und darüber hinaus gibt es eine große Anzahl von Befürworter/inne/n des bedingungslosen Grundeinkommens. Auch innerhalb der Linkspartei gibt es über dieses Thema eine heftige Kontroverse. Wir dokumentieren einen Diskussionsbeitrag von Joachim Bischoff/Björn Radke/Axel Troost zu einem Vorstoß der stellvertretende Vorsitzende der Linkspartei, Katja Kipping.