Das Gute hat einen Sprung
Als ich in den sechziger Jahren in einem kleinen Ort im südlichen Osten der DDR aufwuchs, war es für mich sehr schwer, mich zu orientieren. Meine Eltern waren traumatisierte Kriegskinder und das herrschende System war doch recht hermetisch. Meine politische Auseinandersetzung begann mit einem Mund voller lauwarmer Milch. Im Kindergarten hieß es nämlich, wir Kleinen müssten unsere Milch austrinken, denn die Kinder in Vietnam wären froh, wenn sie welche hätten. Ich wusste nicht, wo Vietnam war und warum dort die Kinder keine Milch hatten. Aber weil ich erst aufstehen durfte, wenn mein Plaste- (so hieß das damals) Becher leer war, nahm ich wenigstens den letzten Schluck in den Mund und spuckte ihn später draußen unauffällig ins Gebüsch. So rettete ich mir ein wenig Selbstbestimmung. Ein Essay von Holm Andree Jochmann.