Ex-Bundesverkehrsminister und Pkw-Maut-Verbocker Andreas Scheuer nimmt Reißaus aus dem Bundestag. Zum Glück ist das kein Aprilscherz, findet Ralf Wurzbacher und bedenkt ihn mit einem Abschiedsbrief.
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Sehr verkehrter Andreas Scheuer,
wie dieser Tage zu lesen war, haben Sie Ihr Bundestagsmandat mit Wirkung zum 1. April niedergelegt, nach 22 Jahren Zugehörigkeit zum höchsten deutschen Parlament. Das Datum Ihrer Demission ließ manch einen an einen bösen Scherz denken. Es gab schließlich nicht wenige, die Sie schon viel früher und bestimmt hundertmal dorthin gewünscht hatten, wo der Pfeffer wächst. Wie schön blöd hätten all diese Leute aus der Wäsche geguckt, wäre Ihr Abschied nur ein vorgetäuschter gewesen, von wegen: „April, April!“. Aber auch im anderen Fall, also dem einer nur fingierten List, hätten Sie die Lacher auf Ihrer Seite verdient gehabt. Dann hätte es geheißen: Seht an, der Andi, auf seine späten politischen Tage, nach all diesen vielen kleinen und großen und gar nicht lustigen Skandalen, zeigt er wenigstens ganz am Ende einen Anflug von Selbstironie.
Aber so ist es leider doch nicht. Die Gründe für Ihren Abgang zu genau diesem Zeitpunkt sind augenscheinlich ganz profaner, sprich materieller Natur. Am 2. April nämlich, nur einen Tag danach, verkündete die Mosolf-Gruppe, dass sie den „ehemaligen Bundesminister und Bundestagsabgeordneten Andreas Scheuer als neues Mitglied“ des Fachbeirats für sich hat gewinnen können. Das Pressestatement war am Dienstag noch leicht auf der Firmenwebseite zu finden, ist inzwischen aber nurmehr über die Suchfunktion zu erhaschen, datiert auf den 4. April und irgendwie auch auf den 25. Oktober 2023. Aus dem Text erfährt man sodann, dass Sie besagte Funktion schon seit dem 24. Oktober ausfüllen und dass „seine langjährige Erfahrung, sein Engagement für die Förderung von internationalen Wirtschaftsbeziehungen sowie sein Knowhow in den Themen Innovationen und Digitalisierung (…) zweifellos einen gewichtigen Beitrag für die Mosolf Roadmap leisten (werden)“.
Da haben die Firmenbosse sicher recht und einen guten Riecher bewiesen. Mosolf ist ein „Technik- und Logistikdienstleister für die internationale Automobilindustrie“ und begreift Ihre Ernennung ausdrücklich als Stärkung „insbesondere im Hinblick auf die Entwicklung und Erschließung des asiatisch-pazifischen Marktes“. Da trifft es sich gut, dass Sie seit zwei Jahren Präsident des Vereins Asienbrücke sind, der sich für die Förderung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen Europa und Asien ins Zeug legt. Ein Volltreffer sind Sie für Mosolf gewiss auch wegen Ihrer Verdienste als früherer Bundesverkehrsminister. Vier Jahre lang hatten Sie sich ausgesprochen stark für die Autobranche stark gemacht, für den Bau von Autobahnen und Fernstraßen, vor allem in Bayern, und für Privatisierungen im Fernstraßenbau. In puncto Klimaschutz haben Sie dagegen verlässlich gepatzt, wie alle Autominister vor Ihnen und wie jetzt auch Ihr Nachfolger. Das Portal Lobbypedia hält über Sie fest, dass Sie sich bis kurz vor Ende Ihrer Amtszeit 80 Mal mit Vertretern der Autoindustrie getroffen hatten – und ein einziges Mal mit einer Umweltorganisation. Der heute so erbärmliche Zustand der Schiene und der Bahn in Deutschland ist ohne Frage auch Ihr Werk. Deshalb läuft das, was Sie als „Knowhow“ mitbringen, für kritische Geister unter lupenreinem Lobbyismus, wogegen Ihr neuer Brötchengeber fraglos auf die Vergoldung Ihres formidablen Netzwerks in Politik und Industrie spekuliert.
„Es war mir eine Ehre, für unser Land und für meine Heimat arbeiten zu dürfen“, haben Sie den Menschen im Land zum Abschied mitgegeben. Das sind rührende Worte. Aber haben Sie zuletzt nicht viel mehr und eifriger an Ihrer Karriere gearbeitet, als es für einen sogenannten Volksvertreter würdig erscheint? Ja, man hatte sich gewundert, als Sie nach Ihrer Abwahl als Minister überhaupt noch einmal auf die harte Oppositionsbank rückten. Offenbar war Ihre Zukunft damals noch nicht in Sack und Tüten, beziehungsweise brauchten Sie noch Zeit zur Neuorientierung, zur Überbrückung ins fette Leben. Vielleicht waren Sie als blamierter Vergeiger einer hochgradig bescheuerten „Ausländermaut“ aber einfach noch zu exponiert, um aus dem Stand den Seitenwechsel in die Industrie zu vollziehen. Was hätte das für Schlagzeilen gegeben? Also ließen Sie lieber erst einmal Gras über die Angelegenheit wachsen und hielten zwei Jahre lang ganz gegen Ihre Natur die Füße still. Erst dann ließen Sie die Öffentlichkeit wissen, dass nach der laufenden Legislaturperiode Schluss ist mit Politik. Wie zum Beweis ließen Sie Mitte des Vorjahrs Ihr Amt als niederbayerischer CSU-Vorsitzender auslaufen – ein „Rückzug auf Raten“, schrieb damals die Presse. Aber als zu Höherem Berufener wurde Ihnen die Aussicht auf noch ein Jahr Sesselpupsen dann wohl doch irgendwann zuwider. Oder waren die Vorarbeiten zum Absprung einfach nur schneller abgeschlossen als gedacht?
Denn während Sie zu Ihren Plänen bisher eisern schweigen, weiß das Portal Business Insider, dass Sie schon vor Wochen zwei Firmen gegründet haben. Bei der ersten gehe es um „das Halten von Unternehmensbeteiligungen im eigenen Namen, auf eigene Rechnung“ sowie die „Verwaltung eigenen und fremden Vermögens“. Bei der zweiten um die „Erbringung von Unternehmensberatungsleistungen und zugehörige Dienstleistungen“, woraus der Spiegel folgert, Sie wollten Ihre „Expertise und Beziehungen als ehemaliger Verkehrsminister in entsprechenden Branchen einbringen“. Das wiederum passt ins Bild einer Politikerkaste, die auf sattsam durch Steuergeld alimentierten Posten unentwegt das Lied derer singt, deren Brot sie später isst. Und je größer das Versagen im Amt, desto lukrativer ist oft die Anschlussbeschäftigung.
Man darf gespannt sein, ob Sie hier neue Maßstäbe setzen werden. Was Ihr politisches Sündenregister angeht, haben Sie auf alle Fälle Pionierarbeit geleistet. Die ganzen Verfehlungen aufzuzählen, würde den Rahmen sprengen. Sicher ist so viel: Ihr Meisterstück – die vermasselte PKW-Maut –, für das die Steuerzahler mit mutmaßlich über 300 Millionen Euro bluten müssen, wird noch lange in Erinnerung bleiben. Das gilt nicht minder für die damit verbundenden Lügen, Täuschungen und Manipulationen, die ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss ans Licht befördert hat. In einem Sondervotum zum Abschlussbericht konstatierte seinerzeit die Opposition „einen politischen Abgrund von Ignoranz, Verantwortungslosigkeit, Bedenkenlosigkeit und Rechtsbruch – verbunden mit einem Erschrecken über mangelhaftes Regierungshandwerk“, wobei die „Grenze zwischen Vorsatz und grober Fahrlässigkeit fließend“ gewesen sei.
Konsequenzen hatte die Pleite bislang keine. Im Dezember gab die Bundesregierung Bescheid, Sie nicht persönlich für die Schäden in Regress zu nehmen. Wahrscheinlich hat auch das Ihre Lebensplanung beschleunigt. Mit „weißer Weste“ fällt der Berufswechsel leichter. Aber ganz aus dem Schneider sind Sie noch immer nicht. Wegen möglicher Falschaussagen im Maut-U-Ausschuss ermittelt die Berliner Staatsanwaltschaft seit bald zwei Jahren gegen Sie. Laut Manager Magazin steht eine Entscheidung kurz bevor und das Blatt raunt, Ihre Vergangenheit könnte sie doch noch einholen. Man wünschte es Ihnen von Herzen, nur der Glaube daran ist schwach, so schwach wie mittlerweile der an Rechtsstaat und Demokratie. Dazu haben nicht zuletzt Sie einen gewichtigen Beitrag geleistet.
Bleibt die Frage nach Ihrer Ersetzbarkeit. Rein physisch betrachtet hinterlassen Sie eine Lücke im Parlament. Nach geltendem Wahlrecht ist im Falle der CSU kein Nachrückverfahren vorgesehen. Schuld sind die vielen Direktmandate, die die Partei bei der Bundestagswahl im Freistaat eingeheimst hatte. Ihr Platz im Reichstag bleibt also bis auf weiteres verwaist und in Sachen Schäbig- und Peinlichkeit kann Ihnen ohnedies so schnell keiner das Wasser reichen. Ihren Rückzug als Befreiungsschlag für den nach ethisch-moralischen Prinzipien schwer gezeichneten Politbetrieb zu werten, wäre gleichwohl Augenwischerei. Dafür haben Sie in allen Parteien bei weitem zu viele Brüder und Schwestern im Geiste. Nur benehmen die sich nicht so offen grob und plump wie Sie.
Grußlos, ein Nicht-Mehr-Wähler
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