Das ARD-Sommer-Interview mit AfD-Chefin Alice Weidel schlägt immer noch hohe Wellen – zu Recht: Das Zulassen der Störungen ist ein klarer Fall der Ungleichbehandlung. Der Vorgang ist offensichtlich ungerecht und wird darum die Rechten stärken. Pseudolinke Akteure wollen diesen kontraproduktiven und undemokratischen Charakter ihrer Aktionen nicht wahrhaben – dadurch werden auch „reale“ Linke in Verruf gebracht. Ein Kommentar von Tobias Riegel.
Man stelle sich vor: Beim letzten ARD-Sommer-Interview wäre nicht AfD-Chefin Alice Weidel, sondern Grünen-Chefin Franziska Brantner von einer Handvoll rechter Demonstranten mit großen Lautsprechern in ihren politischen Äußerungen empfindlich gestört worden – der Umgang mit der Situation und die Reaktion in den Mainstream-Medien wären radikal anders gewesen als nun bei Weidel. Die Protestaktionen wären als ein „Kampf gegen die Demokratie“ gebrandmarkt worden, die ARD-Verantwortlichen hätten sich schützend vor die „attackierte“ Grüne gestellt, die Polizei wäre umgehend eingeschritten und zahlreiche Medien hätten dieses Durchgreifen gefeiert.
Zweierlei Maß
Wie kann aber eine solche Ungleichbehandlung mit den eigenen Phrasen der „demokratischen Mitte“ in Einklang gebracht werden? Gar nicht. Es bleibt ein Akt der politischen Heuchelei und der offensichtlichen Unfairness. Wer den fragwürdigen Vorgang um das Weidel-Interview als einen wirksamen „Kampf gegen Rechts“ verkaufen will, der führt nichts Gutes im Schilde. Es gibt aber auch Medienbeiträge, die die Proteste als ein Zeichen der „Hilflosigkeit“ einer „demokratischen Mitte“ beschreiben.
Zu klären wäre auch das zurückhaltende Verhalten der Berliner Polizei. Die Berliner Zeitung berichtet hier über eine Erklärung der Ordnungshüter: Im vorliegenden Fall sei insbesondere das Spannungsfeld zwischen der Versammlungsfreiheit und dem Schutz der öffentlichen Ordnung und Verkehrswege sorgfältig abgewogen worden, so die Polizei. „Ziel der polizeilichen Maßnahmen war es, sowohl die spontane Ausübung grundrechtlich geschützter Meinungsäußerung als auch den geordneten Ablauf eines journalistischen Interviews mit einer Politikerin zu gewährleisten.“ Die Polizei habe in dieser Lage unparteiisch, deeskalierend und von der geltenden Rechtslage gedeckt gehandelt. Inzwischen sind laut Medien zwei Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet worden.
Laut Wolfgang Kubicki (FDP) fand der Protest in einem Bereich um den Reichstag statt, in dem Proteste (zumal unangemeldet) normalerweise strengen Regeln unterliegen. Kubicki schreibt:
„Nach dem Gesetz über befriedete Bezirke der Verfassungsorgane des Bundes sind Demonstrationen und Aufzüge jeglicher Art an dem Ort, an dem die Demonstranten aktiv wurden und der Lautsprecherwagen stand, grundsätzlich verboten. Eine Ausnahme ist nur möglich, wenn das Bundesministerium dies zulässt und zuvor die Zustimmung der Präsidentin oder des Präsidenten des Bundestages eingeholt wurde – was hier ersichtlich nicht der Fall war.“
Dieser „Kampf gegen Rechts“ geht (schon wieder) nach hinten los
Dass mit diesem Artikel nicht die in meinen Augen zum Teil sehr kritikwürdigen Inhalte der AfD verteidigt werden sollen, ist selbstverständlich. Aber gerade wenn man sich wünscht, dass der Aufstieg der neoliberalen Rechten gebremst wird, muss man bestimmte formale Regeln endlich beachten und eine Fairness im politischen Disput sicherstellen. Denn werden diese Regeln immer wieder grob verletzt, nützt das oft den Rechten, wie allgemein bekannt sein sollte.
Die Unfairness soll hier aber nicht nur „strategisch“ kritisiert werden – das Verhalten ist außerdem ganz einfach unsympathisch und auch undemokratisch. Hier bemüht die AfD auch keinen „Opfer-Mythos“: Die Ungleichbehandlung der Partei im Vergleich zu Politikern, die sich zu einer „radikalisierten Mitte“ bekennen, ist Fakt. Das bezieht sich etwa auf den Umgang vieler großer Medien und auch vieler Parlamentarier im Betrieb des Bundestags mit der AfD. Das Motiv für die Ungleichbehandlung (der seine eigenen Ziele offensichtlich beschädigende „Kampf gegen Rechts“) kann das nicht rechtfertigen.
Die „Neutralität“ des öffentlich-rechtlichen Rundfunks
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist zur Neutralität verpflichtet. Dass diese Verpflichtung immer wieder verletzt wird, ist ein Skandal. Die Unfairness betrifft beileibe nicht nur AfD-Politiker, sondern alle Akteure, die es wagen, die Politik oder die Medienbeiträge der „radikalisierten Mitte“ zu kritisieren, sei es bei den Themen Aufrüstung, Energieversorgung, Reichensteuer, Migration, Corona-Aufarbeitung, neoliberale Wirtschaftsordnung und vieles mehr.
Diese Verletzungen des Rundfunkstaatsvertrags können nicht mit einem in der praktizierten Form bizarren und kontraproduktiven „Kampf gegen Rechts“ oder „gegen Desinformation“ verteidigt werden. Die Berliner Zeitung schreibt dazu:
„Was am Sonntagabend am Spreeufer geschah, war kein einmaliger Ausrutscher. Das 30-minütige Gespräch steht exemplarisch für ein Rundfunksystem, das längst die Kontrolle über seine eigene Unparteilichkeit verloren und in seinem moralischen Sendungsbewusstsein die Neutralitätspflicht längst in die Spree geworfen hat.“
Es gibt nun zahlreiche Spekulationen in sozialen Netzwerken, ob die laute Tonspur des Protestes von den ARD-Technikern vorsätzlich nicht heruntergeregelt wurde oder ähnliches. Mich würde eine solche Manipulation nicht mehr überraschen, aber an den Spekulationen möchte ich mich nicht beteiligen.
„Zentrum für politische Schönheit“: Pseudolinke Verteidiger der „radikalen Mitte“
Der Protest wurde getragen von pseudolinken Aktivisten wie den „Omas gegen Rechts“ und dem dubiosen und sehr unsympathischen „Zentrum für politische Schönheit“. Die „Omas“ pflegen in meinen Augen eine starke Doppelmoral, weil sie einerseits auf die AfD oder auf Kritiker der unangemessenen Corona-Politik absolut hysterisch reagieren, aber etwa ukrainische Hardcore-Nazis nicht mal dann problematisieren, wenn diese nach Deutschland kommen.
Das „Zentrum für politische Schönheit“ hat bereits mit infamen Aktionen Denunziantentum gefördert, es handelt allgemein voll im Sinne einer „radikalisierten Mitte“ und es befindet sich auch brav auf NATO-Linie. In diesem Video auf X ist wohl die Ankunft des Busses des „Zentrums“ zu sehen, er hatte wohl die Anlage zur lautstarken Beschallung an Bord.
Wie es im Artikel Woke: Pseudolinks ist nicht „Linksliberal“ heißt, wird in der Debatte um pseudolinke und „woke“ Politik oft ein „linksliberales“ Milieu beschrieben, das es gar nicht gibt: Die grünen Kriegstreiber und Corona-Hardliner, die die sozialen Fragen nicht stellen – sie und ihre Gefolgschaft sind weder „links“ noch „liberal“. Dieses Urteil trifft meiner Meinung nach auch auf die Störer des Weidel-Interviews zu.
Titelbild: Screenshot/ARD
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