Zum 150. Geburtstag von Thomas Mann: „Diese Elendsmischung aus vermufften Seelentümern und Massenklamauk“

Zum 150. Geburtstag von Thomas Mann: „Diese Elendsmischung aus vermufften Seelentümern und Massenklamauk“

Zum 150. Geburtstag von Thomas Mann: „Diese Elendsmischung aus vermufften Seelentümern und Massenklamauk“

Ein Artikel von Ramon Schack

„Sind wir die letzten Kinder einer hochintellektualisierten Bourgeoisie?“, fragte Klaus Mann in einem seiner Essays prophetisch – in den frühen 1930er-Jahren. Das Zeitalter des europäischen Bürgertums, wie es sein Vater Thomas Mann repräsentierte, ist sicherlich vorbei. Das heutige Bürgertum des Westens – in der globalen Welt – die Herrschaft des Konsums, der Standardisierung, um aus jedem Einzelnen einen optimalen Konsumenten zu machen, ist damit nicht mehr vergleichbar. Von Ramon Schack.

Auf welchem geistigen Niveau sich dieses Milieu einst bewegte – moralisch und sittlich war das nicht der Fall, oder nur sehr bedingt -, wird in diesem Interview deutlich, welches Günter Gaus 1965 mit Golo Mann führte:

Über Jahrzehnte wurde das Erbe der Manns, dieser „amazing family“, wie es ein britischer Aristokrat einst auszudrücken pflegte, in Manns Geburtsstadt Lübeck geradezu stiefmütterlich behandelt. Heinrich Mann wurde im Kalten Krieg in Westdeutschland sowieso marginalisiert, dafür war er zu links, Klaus Mann hat es nie gegeben. Doch das alles hat sich – zumindest dort – sehr positiv verändert.

Allerdings ist anlässlich des 150. Geburtstages von Thomas Mann, geboren am 6. Juni 1875, nur wenig Erwähnenswertes zu nennen in der Presseschau. Natürlich kann man die Homosexualität Manns beziehungsweise dessen angeblich unterdrückte Homosexualität als Sensation vermarkten, aber das bewegt sich im Bereich von Klatsch und Tratsch. Die politische Analyse seines Werkes wird von Wunschdenken und ideologischer Überheblichkeit geprägt, dabei war Thomas Mann ein Kind seiner Zeit. Seine Hinwendung vom Monarchisten und Deutschnationalen zum Verteidiger der Weimarer Republik, als diese schon fast am Ende war, in Ordnung, aber da waren seine Kinder und sein Bruder hellsichtiger.

Immerhin formulierte Thomas Mann 1932:

„Darum verabscheue ich das trübe Amalgam, das sich ‚Nationalsozialismus‘ nennt, dieses Falsifikat der Erneuerung, das, hirn- und ziellose Verwirrung in sich selber, nie etwas anderes als eben Verwirrung und Unglück wird stiften können, diese Elendsmischung aus vermufften Seelentümern und Massenklamauk.“

Diese Zeilen sollte man noch einmal lesen, denn hier entlarvt Thomas Mann den fatalen Hang der Deutschen zur Romantik, welchem er selbst jahrzehntelang erlegen war und der auch heute noch von vielen Zeitgenossen propagiert wird.

„Democracy will win“ – diese Aussage Manns aus dem Jahr 1938 wird aktuell gerne dazu verwendet, den Schriftsteller als eine Art Vordenker unseres politischen Systems und transatlantischer Verankerung zu instrumentalisieren. Dabei wird natürlich unterschlagen, dass Mann mit seiner Familie wie viele andere europäische Intellektuelle die USA aufgrund der Veränderung des politischen Klimas dort nach dem Zweiten Weltkrieg verließ.

Auch der berühmte Ausspruch Manns, in dem er den Antikommunismus 1943 als die „Grundtorheit unserer Epoche“ identifizierte, wird dabei wesentlich seltener zitiert.

Sicherlich kann sich jeder aus dem 80-jährigen Leben dieses Mannes, der vier Jahre nach der Reichsgründung 1875 das Licht der Welt erblickte, Zitate aus dessen mannigfaltigen Schriften herauspicken wie Rosinen aus einem Brot. Monarchisten würden dabei ebenso fündig werden wie Nationalisten, Alt-Liberale, Sozialdemokraten, Philo- und Antisemiten, Pazifisten und Kriegstreiber.

Thomas Mann polarisiert bis heute. Anlässlich seines 100. Geburtstages, am 6. Juni 1975, nannte Adolf Muschg etwa den Dichter der „Buddenbrooks“, des „Zauberbergs“ und des „Doktor Faustus“ eine „ungeliebte Großmacht“. Auch trotzige Ablehnung machte sich bemerkbar. Hans Erich Nossack sah Thomas Manns Stil als „warnendes Beispiel dafür, wie man auf keinen Fall schreiben darf“, ja als „Inbegriff der Unehrlichkeit und Feigheit“, Peter Rühmkorf sprach von einer „Großbürgerlichkeit, die mir beinahe physisch zuwider ist“.

Inzwischen, ein halbes Jahrhundert später, sind solche Äußerungen, die wahrscheinlich auch unter dem Aspekt Neid und Missgunst zu verbuchen sind, nahezu verklungen. In seinen berühmten Ansprachen aus dem Exil in Kalifornien zog Thomas Mann alle Register. Er sprach vom „Teufelsdreck“ des Nationalsozialismus und bezeichnete Hitler als einen „kümmerlichen Geschichtsschwindler und Falschsieger“, als „stupiden Völkermörder“, „widerwärtig“, „eine hohle Nuss“, „idiotisch obszön“, die „abstoßendste Figur, auf die je das Licht der Geschichte fiel“. Deutschland beschrieb er als „Amokläufer unter den Völkern“, und gerade diese Aussage dürfte angesichts der Positionierung Berlins in einer sich rasant verändernden Welt auf jene Waagschale gelegt werden, auf der ansonsten Manns Worte ihren Platz finden, zumindest im öffentlichen Gedenken der Republik unserer Tage. So viel ist aber sicher – Thomas Mann ist und bleibt einer der bedeutendsten deutschen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, Literaturnobelpreisträger und politischer Kommentator. Als Kronzeuge für die heutige Zeit sind sein Leben und Wirken nur sehr bedingt tauglich.

Titelbild: Shutterstock AI Generator

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