„Remonarchisierung“ der Demokratie

„Remonarchisierung“ der Demokratie

„Remonarchisierung“ der Demokratie

Ein Artikel von Pentti Turpeinen

Statt einen „herrschaftsfreien Diskurs“ als eine Weiterentwicklung der Demokratie zu wagen, kultiviert die mediale Politöffentlichkeit voller Elan einen „herrschaftlichen Monolog“ aus den vordemokratischen Zeiten. Dazu gehört ein staatsmächtig gelenktes Ignorieren, Auslachen und sogar Bestrafen von Stimmen, in denen die Meinungsvielfalt und Demokratie bereichernde Diskussionsbereitschaft über die systemimmanenten Fehlentwicklungen lebendig gehalten werden. Und dies ist leider kein Science-Fiction-Scherz, sondern fühlt sich eher wie eine Art Weltschmerz an. Von Pentti Turpeinen.

Ja, es „weltschmerzt“, zu beobachten, wie die westlichen Nationen die demokratischen Ideale, ohne die historische Bedingtheit und Konsequenzen des eigenen Denkens und Handelns zu reflektieren, in einen quasi monarchistischen Treueschwur an ein „wertewestliches Reich“ verwandeln.

Alles hat seine Geschichte. Mit der Sprachfähigkeit war der Mensch auf die Idee gekommen, sich von der unmittelbaren Verbundenheit mit der Natur zu emanzipieren und mit eigenen Visionen und Vorstellungen das gemeinschaftliche Überleben zu gestalten. Aber welche und wessen Ideen und Ideale sollten es sein? Statt gemeinschaftlich die unendlichen Potenziale dieser neu erworbenen Sprachintelligenz zu erforschen und zu verwirklichen, erkannten einige sich als auserwählte Führungspersönlichkeiten und fingen an, ihre eigenen Ein- und Aussichten nicht nur als einzig wahre zu zelebrieren, sondern auch durchzusetzen. Unser „Herr und Sager“ und sein „himmlisches Reich“ wurden geboren.

Sich als ein edles und vollkommenes Herrschaftssystem mit einem noblen Markennamen zu präsentieren, wurde weltweit Standard und brachte auch den abendländisch zivilisierten Monarchien vom klassischen Altertum bis zum heutigen Tag große Bewunderung, Ehre und Stabilität; in allgemeinbildenden Geschichtserzählungen hochachtungsvoll beherzigt.

Und es gab und gibt tatsächlich auch viel Positives zu bestaunen und zu preisen. Schon die alten Kaiser- und Königreiche haben es im Laufe ihrer Geschichte wahrlich vielen Kreativen im Volke ermöglicht, auf unterschiedlichsten Gebieten Außerordentliches zu leisten. Großartige Werke in bildenden Künsten und Musik, Literatur und Philosophie, Medizin, Architektur und Handwerk, Wissenschaft und Technik usw. bereichern und erleichtern unseren Alltag. Dass diese Förderung der talentierten Geistesgrößen auch die „Selbstbewunderung und das Sich-bewundern-Lassen“ der jeweiligen Machthaber und Wohlhabenden und ihrer Machtgebilde verewigen sollte, hat sich als ein zivilisiertes Kulturideal in den Demokratien bestens bewährt. Es gilt: Was die bestehende Grundordnung stabilisiert und bereichert, wird gefördert und verwirklicht, gebaut und mit Profit verkauft.

Im Laufe ihrer gut zweitausend Jahre währenden Geschichte wussten schon die abendländischen Monarchien sowie ihre späteren Erben als freiheitlich-demokratische Nationen die zivilisierten Kulturen mit unterschiedlichsten Methoden zur Unterstützung der eigenen Macht zu prägen. Dabei hat sich „der diskrete Charme des Schweigens“ über die selbstverursachten Katastrophen, seien es Kriege und Kolonialismus, Ausbeutung, Unterdrückung, Rassismus, die unbekümmerte Zerstörung der natürlichen Lebensbedingungen usw., als eine unerschütterliche Kultivierung der allgemeinen Begeisterung für die jeweilige werteorientierte Zukunft bewährt.

Mit diesem „Sound of Silence“ über die eigenen Untaten ist es auch gelungen, die uns angeborene Neugierde auf ein ergebenes „Was darf ich bitte wissen?“ zu reduzieren. Auf eine derart „qualifizierte Mehrheit“ ist eben Verlass. Und dementsprechend, die weltweite Dynamik der wirtschaftspolitischen Gesamtzusammenhänge „aus den Augen, aus dem Hirn“, fällt es nicht mal unserer aufgeweckten medialen Öffentlichkeit auf, wie die „regelbasierte Werteordnung“ die fast in Vergessenheit geratenen monarchistischen Eroberungsideale und altbewährte aggressiv-kriegerische Arroganz und die rassistische Überheblichkeit als eine „Verteidigung unserer Freiheit“ wiederbelebt.

Gegen die Unterdrückung und Ausbeutung und Heuchelei der Herrschaftssysteme haben die Völker sich immer gewehrt. Und dass es bei den Aufständen nicht nur um isolierte Ungerechtigkeiten ging, sondern um einen Widerstand gegen die Herrschaft als solche, war schon in uralten Schriften weltweit eine Selbstverständlichkeit.

Aber erst vor gut 250 Jahren eröffnete sich mit den Umwälzungen gegen die „im Namen von Höherem und Erhabenem“ legitimierte Ungerechtigkeit und Selbstherrlichkeit der Monarchen und ihrer Adligen eine reale Chance für das gemeinschaftliche Verwirklichen einer herrschaftsfreien Lebensgestaltung. Und die abendländischen Geistesgrößen nahmen diese Herausforderung sehr ernst. Sie entwickelten mit einem bewundernswerten Einsatz nicht nur unterschiedlichste Modelle für Demokratie, Kommunismus, Sozialismus, Anarchismus usw., sondern kultivierten mit ihren hervorragenden Untersuchungen den Blick auf die Fehlentwicklungen der gesellschaftlichen Gesamtsysteme und auf die Möglichkeit und Dringlichkeit, nach einem menschheitlichen Überleben ohne Herrschaft zu suchen.

Damit hatte die abendländische Zivilisation nicht nur etwas wahrhaft Positives, sondern auch Weltbewegendes in Gang gesetzt. Nach Tausenden von Jahren Engstirnigkeit, Rücksichtslosigkeit und Überheblichkeit der unterschiedlichsten Herrschaftssysteme, die nur ihre eigenen Macht- und Profitinteressen zu verwirklichen versuchten, hatte sich endlich eine Chance eröffnet, die Kreativität der Völker der Erde für eine gemeinsame Überlebensstrategie zu vereinen.

In machtpolitischen Abhängigkeiten von den monarchistischen Traditionen fingen aber auch die Systemveränderer an, ihre jeweilige Lehre und Ideologie als die einzig wahre zu verteidigen und durchzusetzen. Man war nicht bereit, die eigenen Entwürfe als nur einen Beitrag unter anderen zum Entwickeln einer gemeinschaftlichen Überlebensstrategie zu akzeptieren. Gerechtigkeit und Menschlichkeit ja, aber nur unter unserer Führung, hieß es damals wie heute.

Aller Anfang ist schwer. Das sich entwickelnde Projekt für eine weltweit gemeinschaftliche Herrschaftsfreiheit fiel zurück in die egoistische Kurzsichtigkeit der alten Alleinherrscher. Und dabei waren vor allem die neuen zivilisiert demokratisierten Nationen im großen Vorteil, da sie die Weiterentwicklung ihrer Stärke auf die lang erprobte Bereicherungs- und Kriegstüchtigkeit der Monarchien aufbauen konnten.

Die Abschaffung der Herrschaft entwickelte sich trotz allem zu einer weltweiten Bewegung. Als sich die Lage in den europäischen Demokratien beruhigt hatte, waren die sozialen Umwälzungen anderswo nicht aufzuhalten. Getragen von Sozialisten/Kommunisten, wurden uralte Herrschaftssysteme aufgelöst – und dies ironischerweise auch gegen die Interessen der abendländischen Demokratien, die ihren frisch erkämpften Freiheitsdrang in einen monarchistischen Kolonialismus umgewandelt hatten.

Inzwischen bemühen sich die Demokratien und der Sozialismus in der Regel um ein friedliches Geschäftsklima. Das Tagesgeschäft prägt das Denken und Handeln. Wohlständige Zufriedenheit des eigenen Volkes steht im Vordergrund. Die fernen Ziele als urdemokratische Visionen von kultivierten Bevölkerungen, die ihre Lebensbedingungen gemeinschaftlich gestalten und die Fehlentwicklungen am Gesamtsystem selbstbewusst reformieren, haben an Bedeutung verloren.

Die monarchistischen Kulturideale waren und sind unter den gegebenen Machtverhältnissen nicht zu überwinden. Dementsprechend zeigten sich schon die demokratischen Nationen gleich nach ihrer Abnabelung von den Monarchien als deren gelehrige Schüler. Wie selbstverständlich wussten auch sie, in altbewährter zivilisierter Manier, die eigenen Bevölkerungen mit phantasievollen Geschichten und Lobeshymnen von dem gemeinschaftlichen Nutzen ihrer Kriege und sonstiger weltweiter kolonialistischer Raubzüge zu überzeugen. Die monarchistischen Traditionen prägen weiterhin unseren Alltag. Ein amüsantes Beispiel: Dass demokratisch gewählte Präsidenten im Dienste des Volkes in Schlössern und Palästen residieren müssen und dürfen, wird als eine Huldigung der Demokratie gefeiert.

Aller Anfang ist eben schwer. Es wird wohl noch ein paar Jahrhunderte dauern, bis die Demokratien überhaupt lernen, die eigenen systemimmanenten Fehler zuzugeben; es sei denn, die mediale Öffentlichkeit beginnt, selbstkritisch zu analysieren, ob die Werte und die Geisteshaltung, die man von den Monarchien übernommen hat, wirklich den ursprünglichen demokratischen Idealen entsprechen.

Davon sind wir nicht nur weit entfernt, sondern entfernen uns immer weiter. Die gegenwärtige wertewestliche Politik ähnelt zunehmend einer „Remonarchisierung“ der Demokratie. Im Phänomen Trump verkörpert sich in aller Offenheit die Geisteshaltung der Welteroberer und Alleinherrscher längst vergangener Zeiten; diesmal als Big Boss von „We-Win-Kapitalismus“. Die restliche westliche Demokratie schämt sich für ihn, ist entsetzt, dass ein Präsident Donald Trump es wagt, unverblümt die allgemein akzeptierte freiheitliche Geisteshaltung des Westens als sein privates Image zu feiern und durchzusetzen: Frei nach König Ludwig dem XIV.: Die Welt, das bin ich.

Es ist ja nicht nur Donald Trump, sondern das wertewestliche Demokratie-Ensemble in aller Pracht, das im Stil der vormaligen Alleinherrscher den eigenen Bevölkerungen klarstellt: Was immer WIR im Auftrag des Volkes entscheiden und vollbringen, ist von UNS bestens durchdacht und zum Wohle ALLER!

Die demokratische Arbeitsteilung zwischen den Politikern und der Bevölkerung hat sich in eine allgemein akzeptierte gesellschaftliche Dynamik stabilisiert: Die einen entscheiden und die anderen tragen ihr Kreuz, sei es auf den Wahlzettel.

Die Demokratie zu verteidigen ist wahrlich eine Bürgerpflicht. Nur, wie soll man das interpretieren und verwirklichen? Wertewestlich als Bejubeln und Restauration der Ideale der vergangenen monarchistischen Zeiten? Oder als ein gemeinschaftliches Entwickeln einer gesellschaftlichen Dynamik, die es den „Bevölkerungen als demokratische Systemveränderer“ nicht nur ermöglicht, das jeweilige Gesamtsystem zu durchschauen und Fehlentwicklungen zu korrigieren, sondern endlich das Verwirklichen von menschlichen Potenzialen in unsere alltägliche Überlebensstrategie zu verwandeln?

Titelbild: Shutterstock / gheinesca

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